GESPRÄCH MIT ANDRES VEIEL

(aus dem Presseheft zum Film "Black Box BRD")

Was hat Sie auf die Idee gebracht, sich mit diesem Thema zu beschäftigen?
Der Ausgangspunkt war eigentlich mein vorheriger Film DIE ÜBERLEBENDEN über drei ehemalige Klassenkameraden aus Stuttgart, die sich das Leben genommen haben. Mit einem von ihnen, Thilo, bin ich 1975 in die Straßenbahn gestiegen - Endhaltestelle Stammheim, zu den ersten RAF-Prozessen. Wir haben in der Schülerzeitung Artikel darüber verfasst, die verboten wurden, und die Zeitung dann trotzdem vor der Schule verkauft. Also gab es schon ganz früh eine Auseinandersetzung, aber mehr im Sinn einer naiven, unschuldigen Bewunderung: “Die tun was!” Dieses Gefühl von Wut und Ohnmacht konnte ich immer nachvollziehen, und daraus resultierte diese mehr abstrakte Notwendigkeit, etwas zu tun. Und “die” riskierten sogar ihr Leben! Das hatte so einen Heldencharakter. Bei mir hat sich das dann sehr schnell verändert, als 1976 - da war ich siebzehn - bei der Flugzeugentführung in Entebbe ein deutsch-palästinensisches Kommando die Geiseln selektierte. Ich dachte, da ist was im Kern faul, da wiederholt sich Geschichte. Also ehe ich eigentlich begonnen hatte, bin ich auf die Bremse getreten und habe entschieden, die RAF kann nicht der Weg sein. Bei meinem Klassenkameraden Thilo war es anders. Der hat nicht nur sympathisiert, sondern mir auch Feigheit und einen Mangel an Entschlossenheit vorgeworfen.

Verstehen Sie BLACK BOX BRD als einen Film über die prägenden Erlebnisse ihrer Generation?
Die Generation von Thilo und mir ist die letzte Generation, deren Eltern noch bewusst die Nazizeit miterlebt haben. Diese Mauer aus Schweigen und verharmlosendem Reden der Eltern zu durchbrechen, führte bei uns zu Rebellion und Ausgrenzung - um jeden Preis. Auf diesem Nährboden ist Wolfgang Grams auch aufgewachsen.
Was sind die Parameter dieser Generation? Die “Revolution” hatte ja schon stattgefunden, wir wuchsen in den Nachbeben der Studentenbewegung unter dem Eindruck der Aktionen der ersten und zweiten Generation der RAF auf. Interessiert hat mich, warum - bei einem ähnlichen Nährboden - Grams´ Lebenslauf doch eine ganz andere Richtung genommen hat. Thilo zum Beispiel hat sich für das konkrete Handeln entschieden: ein Medizinstudium, um sich in der Dritten Welt sozial zu engagieren. Auch das ist typisch: wir sind die Generation der Sozialarbeiter, Ärzte, Lehrer, Erzieher - wir suchten den Frieden der Nische. Wolfgang Grams dagegen hat sich total verweigert für eine völlig abstrakte Idee, jede konkrete Handlung erschien ihm als Alibi, die Nische als Rückzug.

Warum haben Sie in BLACK BOX BRD die Geschichte von Alfred Herrhausen neben die von Wolfgang Grams gestellt?
Man kann nicht über die RAF sprechen, ohne Raum für die Opfer zu lassen. Alfred Herrhausen war einer der mächtigsten Männer der alten Bundesrepublik und damit ein Symbol für die “andere Seite” dieser Gesellschaft. Und er fiel einem Attentat zum Opfer, für das die dritte Generation der RAF verantwortlich zeichnete.
Meine erste Begegnung mit Traudl Herrhausen fand an einem unmöglichen Ort statt. Sie ist Landtagsabgeordnete der CDU in Hessen, und wir trafen uns in der unwirtlichen Kantine des Wiesbadener Landtags. Als Ehefrau von Alfred Herrhausen war sie nie an die Öffentlichkeit getreten. Ich vermute, sie traf sich mit mir nur, weil ich so hartnäckig gewesen war, und um mir endgültig abzusagen. Und dann hat sie angefangen, über ihren Mann zu sprechen, und in dem Moment war der Mann präsent. An diesem unmöglichen Ort, wo ihr dauernd Leute auf die Schulter klopften, entwickelte sie eine solche Konzentration und hatte so viel Mut, sich auch Raum und Zeit für diese ganz persönlichen Erinnerungen zu lassen, dass der Rest der Welt versank. Sie hat mich sofort beeindruckt. Das ist eine Frau, die eine eigene Geschichte hat und nicht im Schatten ihres Mannes steht.

Was hat Frau Herrhausen dazu gesagt, dass auch die Geschichte Wolfgang Grams Gegenstand von BLACK BOX BRD ist?
Ich habe ihr bei einer der ersten Begegnungen erzählt, dass ich Kontakt zu Birgit Hogefeld habe, dass ich sie regelmäßig im Gefängnis besuche. Da stand sie auf, ging zum Fenster und nach einer Pause fragte sie: “Haben Sie ihr in die Augen gesehen?” Das bejahte ich und sie fragte weiter: “Was haben Sie gesehen?” Darauf habe ich nicht geantwortet, weil jede Antwort eine Interpretation gewesen wäre, die ich mir nicht anmaßen wollte. Sie hat mein Schweigen angenommen und gesagt, dazu hätte sie im Moment nicht den Mut. Und das hieß für mich, sie ist bereit, sich an den Gedanken zu gewöhnen.

Warum kommt Birgit Hogefeld in BLACK BOX BRD nicht vor?
Sie unterstellt mir die besten Absichten, aber so ein Film entwickelt immer ein Eigenleben. Vielleicht wird irgendwo mal ein Foto von Herrhausen neben einem von Hogefeld veröffentlicht und damit ein Tatzusammenhang konstruiert, der so nicht gegeben ist, für den sie nicht verurteilt worden ist. Deshalb wollte sie nicht im Film sein. Ich konnte ihre Haltung nachvollziehen und habe sie akzeptiert.

Gab es Vorbehalte bei den Eltern von Wolfgang Grams oder bei seinen Freunden?
Wie alle Beteiligten an BLACK BOX BRD waren sie zu Anfang nicht begeistert, sondern skeptisch, reserviert. Aber Eltern und Bruder Grams haben dann sehr schnell die Chance begriffen, dass dieser Film nicht nur die Leute anspricht, die diese Zeit miterlebt haben, sondern dass er aus dieser begrenzten Zuschauernische herauskommt, in dem er dieGeschichte der Bundesrepublik von zwei extremen Polen schildert. Und dass ihre Geschichte gezeigt wird: wie sie Bad Kleinen erlebt haben, dass ihr Sohn und Bruder nicht nur der von den Fahndungsplakaten war, dass ein Mensch sichtbar wird, den sie sehr geliebt haben und bis heute lieben. Da entwickelte sich Vertrauen. Und ähnlich entwickelte es sich bei den Freunden von Grams. Zu Anfang waren nur ganz wenige überhaupt bereit für ein Gespräch. Die erste Frage lautete immer, ob mich der Verfassungsschutz oder die Deutsche Bank finanziert? Aber meine früheren Filme, meine Motivation und meine eigene Geschichte wirkten vertrauensbildend. Das eigentliche Problem war, dass keiner von ihnen bisher die eigene Geschichte hinterfragt hatte. In dieser Szene gab es ein Diskussions- und Denkverbot, Fragen waren nicht erwünscht, dafür wurde man ausgegrenzt, verlor die Freunde, isolierte sich. Einige von ihnen haben dann ein neues Leben angefangen, ein Leben mit Ehefrau, Freunden, Kollegen, die nichts von ihrem Vorleben wissen. Gerade deshalb existierte ein Bedürfnis, das aufzubrechen, die Isolierung aufzuheben, sich endlich auseinander zu setzen. Das war natürlich eine schwierige Entscheidung, schließlich riskieren sie ihren Job, mehr noch: ihre Existenz.

Hat sich Ihr Blick auf die beiden Protagonisten während der Arbeit an BLACK BOX BRD verändert, hat da auch eine Entwicklung stattgefunden?
Wolfgang Grams entsprach zunächst dem Bild des RAF-Terroristen, der mit anmaßendem moralischem Rigorismus die Welt in Gut und Böse einteilt. Aber andererseits hielt er noch lange Kontakt zu einer Freundin, die - in der Sichtweise der RAF - einen angepassten, unpolitischen Weg gewählt hatte. Auch die Verbindung zu seinen Eltern hat er nie abreißen lassen.
Von Herrhausen waren mir zu Beginn nur Eckdaten bekannt, z.B. der “Spiegel”-Titel als “Herr des Geldes” oder die Mega-Fusion von MBB und Daimler Benz, die er vorangetrieben hatte. Dann entdeckte ich seine Vielschichtigkeit und fragte mich, wie paßt das alles in einen Menschen rein? Gleichzeitig als einer der Ersten die Notwendigkeit einer Globalisierung - im wettbewerblichen Sinn - zu erkennen und maßgeblich voranzutreiben und andererseits einen fast sozialmoralischen Diskurs zu betreiben bei der Entschuldung der Dritten Welt. Er war wie besessen von seinen Ideen, ein sehr typischer Vertreter eines unbedingten Idealismus. Er geht von einer Idee aus, die er für richtig hält und fragt nicht: Wer unterstützt mich darin? Wie finde ich Seilschaften? Welche Kompromisse sind möglich? Sondern er glaubt - fast mit einem Schuss Naivität - an die Kraft der Argumente und an die Notwendigkeit der Einsicht. Egal, ob es die schnelle Globalisierung ist und die damit einhergehenden Strukturveränderungen, die ja auch Arbeitsplatzverlust und große soziale Härten mit sich bringen können, oder der Entschuldungsdiskurs, bei dem er das Renditeprinzip, also das Herzstück einer jeden Bank, in Frage stellt. Beides geht er mit derselben Vehemenz an und wird damit immer einsamer. Diese Einsichten waren für mich neu, und umso spannender wurde für mich die Person Herrhausen.

So wie Sie gerade Herrhausen beschrieben haben: den unbedingten Idealismus, sein kompromissloses Vorgehen, die Vereinsamung - das hätte auch eine Beschreibung von Wolfgang Grams sein können.
In der Gegenüberstellung haben sich da Parallelen entwickelt, obwohl ich keine Gleichsetzung betreiben wollte. Aber manchmal konnte ich nur staunen. Zunächst, wie sie mit Frauen umgehen: Welche Frau begleitet wie lange den Lebensweg? Wann wird sie verlassen, weil sie nicht mehr ins Konzept paßt? Dann die zunehmende Isolierung: Je mehr jemand in diesem idealistischen Absolutismus gefangen ist, desto weniger Menschen gibt es, die ihm noch folgen können. Es war faszinierend zu entdecken, was von diesem deutschen Idealismus bleibt und wie er sich an zwei vollkommen unterschiedlichen Punkten der deutschen Realität auswirkt. Grams Weg ist von Menschen gesäumt, die bis heute hadern, weil sie ihm nicht mehr folgen konnten. Einer nach dem Anderen springt ab. Bei Herrhausen ist es ähnlich: Immer mehr Menschen versagen ihm die Gefolgschaft, weil er zu schnell geht, weil er sie nicht einbinden kann. Er stirbt also an dem Punkt größter Einsamkeit. Wenn man sich die Ereignisse in Bad Kleinen ansieht, denn stellt sich die Frage: Warum rennt Wolfgang Grams weg und Birgit Hogefeld nicht? Sie bleibt in der Unterführung und lässt sich festnehmen und er rennt weg. Festnahme heißt lebenslänglich Knast, und er entscheidet sich für Freiheit oder Tod.

Wie haben Sie es geschafft, an die führenden Köpfe der Deutschen Bank heranzukommen und zur Auskunft zu bewegen?
Der Kontakt war einfach - durch Traudl Herrhausen. Sie hat mir den Zugang geöffnet zur Welt von Alfred Herrhausen, zu der Helmut Kohl gehörte und der immer noch amtierende Vorstand. Der Film erzählt ja auch davon, dass Alfred Herrhausen in den Führungsetagen mehr und mehr isoliert war, sogar bewusst ins Abseits gedrängt wurde. Das hat damit zu tun, dass er Leute nicht einbinden konnte, dass er Leuten gezeigt hat, wie wenig er von ihnen hält, dass er ungeduldig war, als ob er geahnt hätte, dass ihm wenig Zeit bleibt. Er wollte eine Spur hinterlassen in der Bank, er wollte sie nutzen für die großen Themen. Und einem Sprecher der Deutschen Bank wird natürlich eher zugehört als einem Hochschullehrer Alfred Herrhausen. Das hat dazu geführt, dass im Vorstand die Distanz und möglicherweise auch der Wunsch nach einem anderen Sprecher immer größer wurde. Als er starb, wurde sehr schnell zur Tagesordnung übergegangen. Es gab innerhalb der Bank aufrichtige Trauer, aber auch eine gewisse Erleichterung. Das war nun zehn Jahre her und es existierte ein therapeutischer Wunsch, damit ins Reine zu kommen.

Zwei heutige Regierungsmitglieder sind in BLACK BOX BRD zu sehen: Otto Schily bei der Beerdigung von Holger Meins und Joschka Fischer bei einer Schlägerei mit Polizisten am Rande einer Demonstration. Fischer wurde und wird zurzeit dafür ja heftig angegriffen. Warum haben Sie diese Szene verwendet?
Ich wollte die Politisierung auf ein breiteres Podest stellen. Jeder in diesem Land hat vermutlich in irgendeiner Form diese Initiation - hier durch einen Polizeiknüppel - mitgemacht. Das ist immer prägend, egal ob vor Kalkar oder Brockdorf oder eben 1974 in Frankfurt bei den Kettenhof-Räumungen. Mit dieser Demonstration wird zum Beispiel deutlich, es ging nie nur um RAF und Haftbedingungen, sondern es war eine sehr breite Bewegung. Mir war es wichtig zu zeigen: da wurde permanent eingesteckt. Und dass man dann nicht im christlichen Sinn fünfmal die andere Backe hinhält, sondern irgendwann zurückschlägt, dafür stehen diese Bilder. Dass der spätere Außenminister dabei ist, das nehme ich in Kauf. Es waren Bilder, wo deutlich wird, da wird auch mal zurück geschlagen.

BLACK BOX BRD hat ja auch viel von einem Krimi. Da gibt es Opfer, mögliche Täter und bis heute nicht aufgeklärte Taten. Hat Sie dieser Aspekt an der Geschichte nie gereizt? Waren Sie nie versucht, Aufklärung ungelöster Fälle zu betreiben?
Wer woran tatsächlich beteiligt war, stand für mich nicht im Vordergrund. Gerade 1984 - als Grams abtaucht - gab es ja diese Haltung in der RAF: Wer, wenn nicht wir? Alle anderen ziehen sich ins Private zurück, nehmen Drogen oder passen sich an, kriegen Kinder usw. Diese Haltung hatte fast den Charakter vom letzten Aufgebot. Welche Konstellationen sorgen dafür, dass jemand in diese Situation gerät? Und was bringt einen dazu, in den Untergrund zu gehen und dann diesen letzten Schritt zu tun? Die RAF unterscheidet sich in einem ganz entscheidenden Punkt von allen anderen Gruppierungen, indem ganz bewusst die Tötung von Menschen nicht nur in Kauf genommen, sondern gefordert wird. Ob Wolfgang Grams beim Attentat auf Alfred Herrhausen dabei war oder ob er es vielleicht mit geplant hat oder ob er vielleicht für eine Waffenausbildung im Jemen war - das alles muss Teil einer Black Box bleiben.

Wofür steht für Sie der Ausdruck „Black Box“?
Der Ausdruck Black Box hat für mich mehrere Bedeutungsebenen. Das ist im wörtlichen Sinn der schwarze Kasten, in den kein Licht kommt und die Geschehnisse aufhellen kann. Zum Beispiel bei Wolfgang Grams: Was ist wirklich in Bad Kleinen passiert? Wie ist er zu Tode gekommen? Wer weiß, vielleicht beichtet ja eines Tages ein GSG-9 Beamter auf dem Sterbebett. Black Box ist aber auch der schwarze Kasten im Sinn der Projektionsbox, in den wir alles hinein projizieren können, was wir kennen und glauben. Den Tod von Alfred Herrhausen könnte man zum Beispiel deuten, indem man sich vorstellt, die RAF war von Geheimdiensten unterwandert. Es gibt ja Thesen, dass Stasi oder CIA beteiligt waren. Ich mache nur Angebote mit meinem Film, und die Projektionsfläche in diesem Kasten ist groß genug für verschiedene Vorstellungen. Black Box nennt man ja auch den Flugschreiber, der aufzeichnet, was während der Katastrophe passiert ist. Der ist bis heute nicht gefunden worden. Aber die Verstrickungen der Hinterbliebenen und Zeitgenossen, die Wunden, die die Verluste gerissen haben, die sind ja nach wie vor da. Ich wollte keine historische Lektion über ein abgeschlossenes Kapitel machen.
BLACK BOX BRD ist ein Film über die Gegenwart.

Das Gespräch führte Annette Schäfer.

Film, Zur Geschichte der RAF, Zeittafel© 2001 filmz.de