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Emil und die Detektive

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IM ZEICHEN DER SOLIDARITÄT Spoiler! Dietmar Kesten 21.8.04 13:37

EMIL UND DIE DETEKTIVE

IM ZEICHEN DER SOLIDARITÄT

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 21. AUGUST 2004.

Erich KÄSTNER (1899 -1974) gilt unter
Schriftstellern als einer der größten Moralisten
Deutschlands. Er war PEN-Präsident (1951 -1962),
arbeitete nach dem 1. Weltkrieg (1914 -1918) in einer
Gruppe, aus der er, als unabhängiger Poet, Vorläufer
einer neuen deutschen Literatur wurde.
Aus einem Kinderbuchautor („Pünktchen und Anton“,
„Das doppelte Lottchen“) wurde ein Klassiker für
Kindheitserzählungen, und wenn man so will auch für
Erwachsenenliteratur.
Aus einem populären Autor wurde ein verbotener Autor,
später ein aufsässiger Volksautor.
KÄSTNER war ebenso ein satirischer Feuilletonist wie
schlagender Epigrammatiker. Er war Chansondichter,
Bühnenautor wie auch politischer Redner gegen die
atomare Bewaffnung Deutschlands (1958 in
München) und Mitunterzeichner des Appells „Kampf dem
Atomtod“.

Seine Gedichte, Romane, Dramen, Träume und Visionen
lieferten Details aus seinem privaten Leben, dem
alltäglichen und dem gesellschaftlichen.
Dort schilderte er sich, seine Gesellschaft, seine
Epoche, seine Überzeugungen, Melancholie,
Enttäuschungen, Ideale und seine Herkunft.
In seinem „Fabian - Geschichte eines Moralisten“ (1931)
heißt es an einer Stelle:
„Worauf wartet er seit Jahren?
Vielleicht auf die Erkenntnis, dass er zum Zuschauer bestimmt
und geboren war, nicht wie er heute noch glaubte, zum
Akteur im Welttheater.“
Das sind seine Helden in Versen, in Prosa, in Epigrammen.
Fabian ist Zuschauer des Lebens und KÄSTNER antwortet
darauf:
„Ich sehe zu, ist das nichts?“
KÄSTNER, ein Lyriker. Er war wie Karl KRAUS, Alfred HERR,
Kurt TUCHOLSKY, Bertold BRECHT, Joachim RINGELNATZ.
Zu vielen hatte er eine persönliche Freundschaft.

Durch ihn sind lyrische Bilder und Gefühle in die
deutsche Literatur eingezogen.
Er schrieb eine ganze Kollektion von Gedichten in
denen sich sein moralischer Wille manifestierte.
Seine Gesellschaftskritik war Zivilisationssatire in Vers
und Prosa.
In den 30er Jahren schrieb er für „Das Tagebuch“,
„Die Weltbühne“, die von Carl von OSSIETZKY herausgegeben
wurde, für die „Schweizer Illustrierte“.
1933 war er in Deutschland verboten, die Nazis verbrannten
seine Bücher (10. Mai 1933).
KÄSTNER blieb in Deutschland. Er lernte, die Kurzgeschichte
zu schreiben, prägnant und auf den Punkt gebracht.
KÄSTNER war radikaler Pazifist, Rationalist, Individualanarchist.
Er stellte zu seinen Lebzeiten den katastrophalen
gesellschaftlichen Verhältnissen seine bessere Moral entgegen,
die er gegen jede überalterte Moral setzte.
„Fabian“ (verfilmt unter der Regie von Wolf GREMM, 1979)
gehörte dazu. Der Roman war sein letzter Versuch,
aufzurufen gegen die Unmoral.
Dieses Stück deutsche Literatur war einer der grandiosesten
Romane der Weimarer Zeit.
Nach dem Reichstagsbrand (27. Februar 1933) blieb er in
Zürich, wo er zufällig weilte und schrieb von dort aus gegen
die Nazis.

Was an KÄSTNER beeindruckt, ist seine unerschrockene
Wahrheitsliebe, sein Mut, die Dinge an- und auszusprechen.
KÄSTNER war auch entschlossener Pädagoge, für den
Solidarität ein muss im Leben war.
Er glaubte an Humanität, Frieden und an die Unerschrockenheit.
In vielen Kinderbüchern hatte er das publiziert.
Und natürlich auch in „Emil und die Detektive“ (1928).
Vorweggenommen gilt für das Buch:
„Es gibt nichts Gutes, außer, man tut es.“ (KÄSTNER)
In diesem Roman für Kinder macht der Neustädter
Realschüler Emil Tischbein eine Reise nach Berlin.
Er soll seiner Großmutter hundertvierzig Mark bringen.
Aber das Geld wurde ihm in der Eisenbahn gestohlen,
während er schlief.
Er hatte einen Mann in Verdacht, der Grundeis hieß
und einen steifen Hut trug. Doch der Junge wusste
erstens nicht, ob dieser Herr Grundeis tatsächlich der
Dieb war. Und zweitens war Herr Grundeis, als Emil
erwachte, nicht mehr im Abteil. Emil sieht den
Verdächtigen, aber an der nächsten Station aussteigen
Und folgt ihn bis zu einem Cafe.
Zur Polizei will er nicht gehen, weil er in Neustadt ein
Denkmal bemalt hat und deshalb Arrest fürchtet.
Er versteckt sich hinter einem Zeitungskiosk und
belauert den im Cafe sitzenden.
Doch spricht ihn ‚Gustav mit der Hupe’ an, und ihm
erzählt er, was geschehen ist.
Gustav alarmiert seine Freunde. Er kommt mit ihnen
zu Emil zurück.
Sie halten Kriegsrat ab, geben ihr Taschengeld her,
gründen einen Bereitschaftsdienst, eine Telefonzentrale
und andere Unterabteilungen.
Grundeis wird systematisch beschattet und am anderen
Morgen, als er das Geld in einer Bank wechseln will,
von Emil und seinen Freunden zur Strecke gebracht.
Es stellt sich heraus, dass Grundeis ein lange
gesuchter Bankräuber ist, für dessen Ergreifung
tausend Mark Belohnung ausgesetzt sind, die Emil
jetzt erhält.

Der Film ist das Buch. Das Buch ist der Film.
„Emil und die Detektive“ wurde 1930 von
Gerhard LAMPRECHT erstmalig verfilmt. In
England 1931 unter der Regie von M. ROSMER.
1954 kam unter der Regie von R. A. STEMMLE
eine weitere Fassung in die Kinos gebracht. In den USA
wurde das Buch 1965 unter der Regie von P. TEWKSBURG
verfilmt.
Die Fassung von 2001 unter der Regie von Franziska BUCH
hat gegenüber den früheren Fassungen viel von der ehemaligen
Brisanz verloren.
Ich beziehe mich daher auf die Fassung von STEMMLE.
Sein Film hatte im Nachkriegsdeutschland
eh eine andere Bedeutung. Hier passen im übrigen auch die
Verfilmungen „Das fliegende Klassenzimmer“
(Regie: Kurt HOFFMANN, 1954), „Drei Männer im Schnee“
(Regie: Kurt HOFFMANN, 1955), „Das doppelte Lottchen“
(Regie: David SWIFT, 1961), „Die Konferenz der Tiere“
(Zeichentrickfilm- Regie: Curt LINDA, 1969) hinein.

„Emil und die Detektive“ ist ein Paradebeispiel für
Solidarität, die uns im Alltag abhanden gekommen ist
und durch Krähensolidarität ersetzt wurde.
Hier erfährt man, dass man durch Milde, Gnädigkeit,
Humor, Zusammenhalt, Pfiffigkeit mehr auszurichten
vermag, als mit Unnachsichtigkeit, Schärfe, Gewalt,
Neid und Missgunst.
Die Welt ist nicht gut, sondern schlecht. Die Schlechtigkeit
verschweigt KÄSTNER und der Film nicht, sondern er
dämpft nur ab.
Peter FINKBEINER, der 1954 den Emil spielte, zeigt hier
großes Einfühlungsvermögen. Ein exemplarisches
Stück gute Welt erhebt sich brodelnd aus dem Meer
der Wüstheit.
Das Gute im Menschen, wenn es auch sehr schwer
nachvollziehbar erscheint, obsiegt.

Als ‚Gustav mit der Hupe’ Emil in Not sieht, hilft
er ihm ohne Hintergedanken und Forderungen spontan.
Und auch seine Freunde sind sofort bereit, den letzten
Spargroschen zu opfern.
Im Film erfüllt jeder seine Pflicht, völlig ohne Zwang
und ohne den anderen über den Leisten zu ziehen.
Hier ist jeder freiwillig dabei, wenn es darum geht,
jemanden zu schützen. Wen schützen wir noch?
Der Kleinste, der Jüngste und der Älteste sind eine Front.
Kameradschaft, Opferbereitschaft und Hilfe sind keine
leeren Formeln. Sie münden ein in Wahrheit und
Gerechtigkeitsliebe.
Das sind die Ideale, für die es sich zu leben lohnt.
Sie sind nicht aufdringlich und nicht aufgesetzt, sondern
werden uns beiläufig durch den Film nahe gebracht.

Fazit: „Unser friedlicher Streit für den Frieden geht
weiter. Im Namen des gesunden Menschenverstandes
und der menschlichen Phantasie. Resignation ist
kein Gesichtspunkt.“ (Erich KÄSTNER: Reden und
Vorreden, Ostermarsch 1961 auf dem
Königsplatz in München).

Dietmar Kesten 21.8.04 13:37