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Lili Marleen [WA]

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GEGEN DEN HERRSCHENDEN KONSENS. Dietmar Kesten 12.3.05 16:43

LILI MARLEEN

GEGEN DEN HERRSCHENDEN KONSENS

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 12. MÄRZ 2005.

Die in Zürich lebende Barsängerin Willie (Hanna SCHYGULLA)
liebt Robert (Giancarlo GIANNINI), einen Schweizer Musiker
aus gut bürgerlichem Haus. Beide werden von dessen Vater,
der Leiter einer jüdischen Hilfsorganisation ist, kurz vor Ausbruch
des Krieges getrennt.
Während des Krieges wird die Sängerin durch das populäre
Volkslied „Lili Marleen“ bekannt und hat Erfolg und Ansehen.
Robert, der weiter in der Hilfsorganisation arbeitet, wird bei
einem Auftrag in Deutschland verhaftet.
Die Beziehung zwischen beiden führt abrupt zum Ende.
Auch Willie, deren Liebe zu Robert kein Geheimnis mehr ist,
gerät nun in die katastrophische Entwicklung.

Rainer Werner FASSBINDER gelingt es hier, diese
melodramatische Geschichte kolportagenhaft zu erzählen.
Weitgehend handwerklich perfektioniert ist dieser Film,
der vor allem durch seine Wahrnehmungskraft besticht.
FASSBINDER, der der eigentliche dominierende Künstler
des (eigentlichen) Neuen Deutschen Films war, zeigt
mit „Lili Marleen“ einen Film über das Spannungsfeld
der Politik in der Weimarer Republik.
Selbst Künstler von Rang und Namen gerieten schnell
in die Fänge der Nazis, wenn sie einmal denunziert oder
anderwärtig ‚aufgefallen’ waren.
FASSBINDER, der mit einer gewissen phänomenologischen
Wahrnehmungs- und Sprengkraft arbeitete, spielt wie
Werner HERZOG (vgl. auch „Aguirre, der Zorn Gottes“, 1972,
„Fitzcarraldo“, 1981/82) mit Klaus KINSKI sein
ganzes künstlerisches Wollen aus, seinen Eigensinn
als Rebell des Films und seine gekonnte
handwerkerische Kunst.
Das Herz ist bei ihm die Mitte. Und mit diesem Trieb
erweckte er Emotionen und gleichermaßen eine
neue Sichtweise zwischen Konvention und
Avantgardismus.

„Lili Marleen“ ist nicht eine einfacher Film über ein
Lied, ‚das um die Welt ging’, sondern ein Beichte.
Dass Unterhaltung etwas ‚tödliches’ sein kann,
mussten die meisten Künstler, die sich nicht der
Nazi-Diktatur unterwarfen, bitter erfahren.
Verkettung, Verflechtung, Kombination, Verschmelzung
und Befeuerung- so könnte man „Lili Marleen“
bezeichnen.
Der tiefe Blick in diesen Film macht klar, dass man einen
bündigen Verstand haben muss, um ihn zu verstehen.
Er steht im Zentrum der Peripherie zwischen dem
tatsächlichen Alten Medium und dem postmodernen
Neuen.
Selbst diejenigen Filme, die heute im Zuge des Neuen
Deutschen Films, mit vermeintlich ‚anderen Blickwinkeln’
daherkommen, fallen weit hinter FASSBINDER zurück.

Fazit:

FASSBINDER und seine Erzählungen- erst im Rückblick
wird deutlich, was er hinterlassen hat: filmische Erzählungen
von Menschen, ihren Hoffnungen, ihrem Leid, die durchtränkt
sind von Politik, der Geschichte, des Alltags,
der Wechselseitigkeit der Gefühle, der Kontinuität der
Lebenszusammenhänge.
Sie sind bei ihm auch immer persönliche Erzählungen, die
ihn einmal mehr als Querdenker auszeichnen.
In dieser Tiefe ist kein anderes deutsches Werk mit seinen
hinterlassenen Filmen zu vergleichen.
Es gibt nichts Verwandtes, sondern nur der Verlust im Bild.

Dietmar Kesten 12.3.05 16:43