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Wir waren Helden

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Wir waren Helden Senf 14.3.04 06:47
Wir waren Helden Dietmar Kesten 14.3.04 14:30

Guten Tag!

Ich habe mir die Mühe gemacht, mich mit Ihrem
Beitrag zu beschäftigen.
Es ist nun schwer, ihre eigentliche Argumente
herauszufiltern.
Worum ges Ihnen geht, ist doch, den Film als
"Antikriegsfilm" zu favorisieren, der, wie Sie
schreiben, durch seine "schonungslose Darstellung
der Gewalt des Krieges" überzeugt.

Ich kann mich Ihrer Meinung nicht anschliessen.
Sie könnten sich auch "The Green Berets" ansehen,
einen sog. "Antikriegsfilm" mit John WAYNE,einen
Film über Vietnam.
Vergleichen Sie beide Filme miteinander, dann
fällt auf, dass diesen Helden (WAYNE und GIBSON)
eine eigentümliche Nähe zur Kriegsgeschichte im
Film haben: was auf dem Schlachtfeld verloren
wurde, holt sich der Krieg im Film zurück.
Helden, Ideale, der zerbrochene Patriotismus, das
ist der amerikanische Traum, der sich wie ein Moloch
durch die Kriegsfilme der letzten Zeit zieht.
Ich will gar nicht davon sprechen, auf welche Weise
diese Filme wirken, sondern nur hervorheben, dass
Krieg im Film schon immer eine Frage der
Untergangsphilosophie war. Und wirklich nur wenigen Filmen gelang es, die Tarnanzüge, Tigerstreifen,
das Verwaltungspersonal, Etappenhengste und
Frontsoldaten zu absorbieren, und den Versuch zu
starten, den Krieg als elementare Lebensbedrohung
der Menschen schonungslos zu zeigen.
Lassen Sie sich vorweg sagen, dass "Wir wahren
Helden" nicht dazu gehört.
Allerdings das Meisterwerk "The Deer Hunter"
(Regie: Michael CIMINO), "Apocalypse Now" (Regie:
Francis Ford COPPOLA), "Full Metall Jacket"
(Regie Stanley KUBRICK)und einige andere.

Eigentlich hat nur COPPOLA gezeigt, dass sein
gigantisches Bildfeuerwerk eine Ahnung über den
Krieg aufkommen lässt, und dass z. B. Vietnam
kein Kinotraum war, und die Projektion von der
zivilisieren Welt mitten im Krieg keine Projektion
der Lust am Untergang.
"The Deer Hunter" und COPPOLA rechneten mit
Hollywood und seinen Kriegslügen im Film ab.
Dafür hätte man ihnen im übrigen fast die
Kinolizenz entzogen, oder besser: sie hatten es
damals schwer, überhaupt einen Verleih zu finden,
der ihre Filme auf den Markt brachte.

Doch leider brachten auch sie Glanz und Gloria
auf die Leinwand zurück.Es war der Sieg des
Kinos über einen verlorenen Krieg.
Doch der Krieg geht weiter: auch im Film.
Noch immer ringt Amerika um die "Wahrheit" über
Vietnam. Und noch immer verbreitet das Kino
Trost und Schrecken für die wenigen, die dabei
waren, und die vielen, die Indochina nur aus dem
Fernsehen kannten.

Im April 1987 kam "Platoon" (Regie Oliver STONE)
in die Kinos.
Der Film, den ich zu seiner Zeit als "zweideutige
Liebeserklärung" an das amerikanische Militär
bezeichnet hatte, führte die Kinogänger (im
übrigen auch "Hamburger Hill", Regie: John IRVIN)
an altbekannte Orte. Die amerikanische
Bilderindustrie feuerte hier munter weiter aus
vollen Rohren, so als ob ein neuer Krieg bevorsteht.
Man brauchte im übrigen auch nicht lange warten.
Der 1. Golfkrieg warf bereits seine Schatten.
Der Krieg wurde zum Film, der Film gebar den Krieg.

Vielleicht ist der definitive Antikriegsfilm
"Der schmale Grat" (Regie: Terrence MALICK,
März 1999.
Die Zeit der "Green Berets" ist auf jedenfall
vorbei, die Zeit von "Wir waren Helden".
Im Kino und im wirklichen Leben benötigen wir sie
nicht mehr.
Das sind Alpträume. Krieg ist Kino und Kino ist
Krieg. Deshalb sind auch die Übergänge im Film
immer riskant. Fast jeder Regisseur gibt vor,
einen Krieg gegen den Film zu machen. Doch immer
wieder zielen sie auf Action ab, immer wieder wartet
der Zuseher gebannt auf die kriegerische Auseinandersetzung.
Jeder Zoom ist ein Todesurteil, für die eine, oder
die andere Seite.
Und jeder Film setzt das fast mustergültig um.

Ich erwarte nicht, dass Sie mir zustimmen.
Doch die Kinotode und damit der schmale Grat der
Kriegsfilme-Antikriegsfilme sind furchtbar
zweideutig.
Kriege im Film, wozu ich auch "Wir wahren Helden"
zähle, sind Kriege der Bilder, der Projektionen,
des Fernsehen, der Presse und der Informationsfront
(siehe der letzte Golfkrieg.
Und weil immer neue Bilder für einen alten Krieg
erfunden werden müssen, holt Hollywood sich immer
wieder ein.
Die Botschaften, die vermittelt werden, sind
zwiespältig, weil sie nun auch immer irgendwo
durchschaubar werden. Der Krieg geht weiter, der
Amerikanismus auch, derenglobale Weltherrschaft
und der Versuch von Hollywood, die Geste
der "Barmerzigkeit" auch auf das Publikum
zu übertragen.

Hier wirkt ein manipulativer Geist, der zwar die
Augen der Sterben zuzudrücken vermag, sie aber
nicht vom letzten Blick abhält: diese
Heldenlieder, die das Kino durchziehen sind
saurer Kitsch, Fiktionen über Fiktionen,
Klischees über Klischees, die selbst in sich schon
wieder fiktiv sind. Eine Realität existiert in
"Wir wahren Helden" nicht, höchstens: die geliebte
amerikanische Erinnerung.

Anbei zwei ältere Filmkritiken von mir, die sich
mit dieser Thematik beschäftige.

Dietmar Kesten

TRÄNEN DER SONNE

DIE TOTEN BILDER – DER KRIEG UND HOLLYWOOD

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 30. AUGUST 2003.

Im Höllendschungel von Nigeria soll eine Navy-Seals-Einheit eine
von Rebellen bedrohte katholische Dschungelmission evakuieren.
Dr. Lisa Kendricks (Monica BELLUCI) besteht darauf, dass der
befehlsgebende Lieutenant Waters (Bruce WILLIS) auch ihre einheimischen
Schützlinge ins rettende Kamerun führt.
Der Fußmarsch endet in einem blutigen Kampf der amerikanischen
Soldaten gegen eine Rebellenarmee.
Antoine FUQUA („Training Day“ 2000) hat einen Kriegsfilm gemacht,
der von einer Spezialeinheit der US-Army, den Navy Seals (1)
handelt, und der sich in die Kriegsspektakel-Produktionen der jüngsten
Zeit einreiht.
Gedacht ist hier etwa an „Saving Private Rayan“ (1998),
‚Enemy at The Gates” (2000), „Windtalkers“ (2001), oder
„Wir waren Helden“ (2002).
Der Unterschied ist allerdings der, dass sich dieser Film ausschließlich
mit einer US-Invasion, die sich vor einem humanitären Hintergrund
abspielt, beschäftigt.
Das ist neu. Doch die Kritik an „Tränen der Sonne“ kann nur vernichtend
sein.

Mit einer Treffsicherheit, die teilweise unter die Haut geht, versucht
Hollywood zur Zeit der Welt mit dem amerikanischen Kriegskino
maßgeschneiderte Erzählungen anzubieten, die einerseits
mit den gegenwärtigen Ängsten (Terror und Krieg) spielen, diesen Nahrung
verschaffen, anderseits aber auch keine Gefühle der Niedergeschlagenheit
aufkommen lassen, wenn es um die Verteidigung der ‚Freiheit’, der ‚Ehre’,
und humanitärer Ideale geht.
Mit mehr oder weniger versteckten Botschaften und gelenkten Bildern
versucht dieses Kino aus gesellschaftlichen Krisen Profit zu schlagen, die
einem Revanchismus in Rambomanier das Wort reden und mit totaler
Autosuggestion den Kino-Horizont und damit die Hirne der Zuseher
zu vernebeln beginnen.
Mit Täuschungen und Halbwahrheiten (z. B. hat es in den letzten Jahren
einen wie im Film suggerierten nigerianischen Bürgerkrieg nicht
gegeben!) gibt „Tränen der Sonne“ zu erkennen, worum es eigentlich
geht: um Ideologie.

Film und Fernsehen haben schon immer in wichtigen historischen
Augenblicken die kollektive Wahrnehmung über Sachzusammenhänge
verschleiert und eine Bildwelt in Umlauf gebracht, die an die dokumentarische
Nähe von Ereignissen erinnern soll und sich dramaturgisch so in Szene setzt,
dass die Betroffenheit darüber allgegenwärtig erscheint.
Wer erinnert sich da nicht an jene Jessica Lynch, die so spektakulär
aus der irakischen Kriegsgefangenschaft von einem Sonderkommando
der US-Army befreit wurde! Die Bilder gingen um die Welt.
Auch wenn sich später herausstellte, dass sich um diese Geschichte
Halbwahrheiten und Lügen ranken, so galt diese Aktion doch als Fanal.
So müsst ihr es machen!! Überall auf der Welt sind unsere Soldaten in
‚humanitären Einsätzen’ unterwegs: Afghanistan, Liberia, im Irak, und dort, wo die
Uno zögerte, war es die amerikanische Regierung und ihre Soldaten, die
zur Stelle war/en und zum Handeln entschlossen.

Hier wird einer Anschauung zum Durchbruch verholfen, dass die
Helden ihren militärischen Missionarsgedanken in alle Welt tragen, und dass
sie es sind, die die Welt zu retten vermögen. Es ist der absurde
Gedanke, dass es Elitesoldaten mit Herz gibt, die Grausamkeiten und
Tragik in einen Hort des friedvollen Umgangs miteinander verwandeln
können, und die nur auf Befehl töten.
„Es kommt darauf an, den Job zu erledigen und den Auftrag zu erfüllen“,
sagt Lieutenant Waters an einer Stelle im Film.
Auch dadurch werden neue Helden hervorgebracht, die sich als
Trojanische Pferde aufmachen, um im innersten unserer Hirne ein
(militärisches) Übergewicht zu erzeugen.
So sollen die Seelen der Menschen domestiziert und gefügig gemacht
werden.
Spätestens seit SPIELBERGs „Der Soldat James Ryan“ ist das zu
einer unverrückbaren Wahrheit geworden: Krieg ist ein Feldzug
von Feinden und anderen finsteren Mächten ausgelöst, in den
wir unschuldig und zufällig hineingeraten. Er ist ein Naturereignis,
ein Aggressionsventil, welches geöffnet werden kann, um unser
Hasspotential zu entleeren, die Gewaltbereitschaft der Menschen
zu kanalisieren.

Die Gewaltszenen, die wir im Kino kennen, zeigen,
dass die Angelegenheiten dieser Welt an Ende stets mit Gewalt
geregelt werden müssen.
Die Weltgeschichte als Kriegsgeschichte, mit gewalttätigen Männern,
die selber Krieger sind, und die vor dem Einsatz von Gewalt nicht
zurückschrecken, wenn es um die Verteidigung der Moral geht.
Das soll zur Logik des Denkens werden: nicht der Geist
der Zusammenarbeit und der Völkerverständigung obsiegt, sondern
der Konfrontation.
Weil die Kriege in den vergangenen Jahrhunderten so extrem und
unbarmherzig waren, kommt es jetzt darauf an, uns vor dem Schlimmsten
zu schützen.
Die, die das bewerkstelligen sollen, kann man im Film bewundern. Es
sind diejenigen, die jede extremen Formen der Kriegsführung für
unvermeidlich halten und die Art und Weise des Kampfes selber
festlegen.

Mit Bruce WILLIS (2), verkniffen wie immer, der den glatzköpfigen Retter
spielt, verwandelt sich die ‚Bestie Krieg’ schnell in die Ethik des Militärs.
Man ist geneigt zu sagen: der Krieg muss weiter gehen, die Politik nicht.
Insofern mag man CLAUSEWITZ Recht geben: „Krieg ist die Fortsetzung
der Politik!“
Am Ende verliert jede Politik ihre Unschuld; denn die scheinbar
legitimierte Eskalationen der Gewalt entspricht einem Ideal, dass
in der westlichen Kultur weit verankert scheint. Nur wenn der Krieg
als Teil dieser verstanden und begriffen wird, dann könnte er vielleicht
auch eines Tages überwunden werden.
Es ist merkwürdig, dass sich kaum jemand über die Kriegsfilme in
den Kinos aufregt. Merkwürdig auch, dass das Kriegskino ungeschoren
davonkommt. Und von der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen, einen
Heldenmythos zeigt, der unverblümt an Ernst JÜNGER erinnert, seiner
Sprachgewalt von (wahrer) Kameradschaft im Feld im Angesicht der Bestie.
Was dieses Genre verlogen macht, ist die Bilderwelt der Angst die erzeugt
wird, die Orientierungslosigkeit der Zuschauer inmitten von abgesprengten
Extremitäten, Eingeweiden, Blut und Hirn.

Aufgrund seiner untergründigen Verwandtschaft mit den Wirtschaftskrisen,
ist er einfach zur Erzählform der Krise geworden. Panik, Angst,
Kopf- und Ratlosigkeit, - immer wieder gelingt es, sich am Schrecken zu
weiden und ihn zu exorzieren.
Vietnam wurde für Amerika zu einem Alptraum, der zusätzlich durch
die innenpolitische Situation sehr belastet wurde (Watergate -Skandal).
Seine militärische Niederlage war nicht zu verhindern.
Trotzdem versucht das Kriegskino den Spieß umzudrehen.
Die Neavy Seals werden zum Glücksbringer für eine Missionarsstation.
Es gibt sogar Erotik im Krieg: Monica BELLUCI (3) beweist es.
Ihr immer geöffnetes Khaki-Hemd ist zwar gegen jede Regel, doch damit
steht sie Modell für Gewalt und Liebe im Krieg.
Jeder Realitätsanspruch wird damit hinfällig.
Eine Umwertung der Werte scheint aufs Neue zu beginnen.
Kann etwas anachronistischer sein?
Amerika hatte immer ein gespaltenes Verhältnis zu seiner Geschichte.
Das jetzt mit reaktionären Remakes ein Loblied auf militärische
Abenteuer, Massenvernichtungswaffen und ‚echten Männern’ gefeiert wird,
ist angesichts der weltweiten Terrorangriffe und derzeitigen Waffengänge
schwer zu ertragen.
Das einstige Kriegs-Traume Amerikas scheint durch die Verarbeitungen der
Vietnamerfahrungen im Kino (4) überwunden. jetzt scheint wohl die
Periode der übergreifenden militärischen Einsätze mit der Retterideologie
zu folgen
Kann etwas anachronistischer sein?

Anmerkungen:

(1) Navy Seals: Amerikanische Spezialeinheit; operiert zu Lande,
in der Luft, vor allem im Wasser.
Sie wurde im August-Oktober 1942 von Phil H. Bucklew gegründet.
Ihr erster Einsatz war vermutlich die Teilnahme bei der Landung der
alliierten Truppen in Nordafrika (Oktober 1942).
Weitere Einsätze gab es im Zweiten Weltkrieg; später Bildung
weiterer Gruppen.
Bekannte Operationen:
-Operation URGENT FURY (Grenada 1983),
-Operation EARNEST WILL (Persischer Golf 1987-1990),
-Operation JUST CAUSE (Panama 1989-1990),
-Operation DESERT SHIELD/DESERT STORM,
(Mittlerer Osten/ Persischer Golf 1990-1991).
Weitere Einsätze in Bosnien, Kosovo und Jugoslawienkrieg,
in Afghanistan, Irak und Somalia (1992-2002/2003),
Die Ausbildung zum Navy Seal gilt als besonders hart.

(2) Filme mit Bruce Willis:
- Stirb langsam und Folgen (1987, 1992, 1995),
- Tödliche Nähe 1993,
- 12 Monkeys 1995,
- Pulp Fiction 1997,
- Der Schakal 1997,
- Das fünfte Element 1997,
- Das Mercury Puzzle 1998,
- Ausnahmezustand 1998,
- Armageddon 1998,
- Unbreakable 2000.

(3) Filme mit Monica Belluci:

- Der Zauber von Malena 2000,
- Der Pakt der Wölfe 2001,
- Asterix und Obelix 2002,
- Matrix Reloaded 2003.

(4) Vgl. etwa:
- Coming Home (1977), Regie: Hal Ashby,
- Die durch die Hölle gehen (1978), Regie: Michael Cimino,
- Apokalypse Now (1979), Regie: Francis Ford Coppola,
- Killing Fields (1984), Regie: Roland Joffe,
- Platoon (1986), Regie: Oliver Stone,
- Good Morning Vietnam (1987), Regie: Barry Levinson
- Der steinerne Garten (1987), Regie: Christopher Nolan
- Full Metall Jacket (1987), Regie: Stanley Kubrick,
- Saving Private Ryan (1998), Regie: Steven Spielberg,
- Der schmale Grat (1999), Regie: Terrence Malick,
- Enemy at The Gates (2000), Regie: Jean-Jacques Annaud,
- Windtalkers (2001), Regie: John Woo,
- Black Hawk Down (2001), Regie:Ridley Scott,
- Wir wahren Helden (2002), Regie: Randall Wallace.

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DER SCHMALE GRAT

KRIEG IST DAS ENDE

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, MÄRZ 1999.

Die Geschichte gleicht vielen Kriegsgeschichten, die sich mit dem Kampf der Völker untereinander beschäftigen, mit dem Sterben, mit dem Tod. Sieger und Besiegte sind gleichermaßen betroffen, mal früher, mal später:
Eine US- Kompanie landet 1943 auf Guadalcanal, um die Japaner von dieser strategisch wichtigen Insel zu vertreiben. Wie in SPIELBERGs "Saving Private Ryan" (August 1998) beginnt auch Regisseur Terrence MALICK seinen Film mit einer Landung am Strand. Man musste auf alles gefasst sein; denn der 6. Juni 1944, als Marinesoldaten der USA an einem Landstreifen in der Nähe des Dorfes Vierville aus ihren Booten sprangen und von deutschen Infanteriedivisionen gnadenlos mit Maschinengewehren niedergemäht wurden, begann in "James Ryan" mit einem Höllenspektakel, dass einem im Kino der Atem stockte: Die ersten 20 Minuten des Films- da bin ich mit sicher - werden in die Kinogeschichte eingehen; denn wenn Grauen, wenn Sterben, wenn Tod, blutiger Horror und entsetzliche Schreien überhaupt mit filmischen und akustischen Stilmitteln dargestellt werden können, dann wird es vermutlich nie mehr eine Entsprechung geben.
So starrte ich gebannt auf die Amphibienfahrzeuge, auf die Männer mit ihren Maschinenpistolen, auf die Gewehre, auf die Gesichter, sehe den Strand, die wogende See, die Landung, und dachte, jetzt ist es soweit; in jedem Augenblick kommen die Japaner aus ihren Büschen gekrochen, und das gleiche Spiel wiederholt sich. Um so beruhigter war ich, als nichts von alledem eintrat; eine seltsame Ruhe in einer Atmosphäre, die etwas paradiesisches auszudrücken schien: "Welcome in peace". Wer will auch immer quellende Eingeweide sehen, abgesprengte Köpfe, Massaker des Fleisches? Ich sollte mich, wie viele andere, getäuscht haben. Nach tagelangen Märschen durch den Dschungel bricht auf einer Anhöhe das blanke Entsetzen aus. Ein Krieg im "Herzen der Natur", die Flora und Faune erschaudern lässt, jungfräuliches Ambiente mit ein paar Eingeborenen, so, als sei alles nur ein Vorwand; der Dschungel, unberührt, als hätte es nie etwa anderes gegeben. Die Bedrohung nimmt ihren Lauf; je weiter die Soldaten auf den Grat vorrücken, desto brutaler wird die Beklemmung, die Hölle bricht los; eine milchige Sonne erhebt sich und wirft ihre lange Schatten auf die bis zur Erschöpfung kämpfende Mannschaft; die am Ende ihrer körperlichen und psychischen Kräfte erscheint, aber der Teamgeist hält sie nach zig Verlusten zusammen.
"Der schmale Grat", zeigt den Krieg aus einer anderen Perspektive: Er zeigt das Leben im Krieg, er zeigt, wie der Krieg das Leben zerstört, die Illusion zerplatzt und die Desillusion uns alle umschließt. Er handelt nicht unbedingt von Soldaten, sondern von Menschen, die Soldaten werden, aus welchen Gründen auch immer! Ein Film, in dem der Ausgang eines Gefechts, einer Schlacht, eines Krieges nach MALICK vielleicht unwichtig ist, weil auch die Sieger zu den Opfern zählen, die die besten Jahre ihres Lebens opfern; immer vom schlechten Gewissen nach vorn gepeitscht. Authentisch? Vielleicht! Krieg ist Moral, Moral auf der höchsten Stufe sozialen Verhaltens der Menschen. Besser kann die Eindringlichkeit nicht beschrieben werden, die zwar häppchen- weise nach guten 3 Stunden rüberkommt, aber es geschieht. Es passiert in den vielen Schmerzsekunden, die zu Tagen werden, zu Stunden, zu Minuten, wenn Hände an Abzügen zittern, oder sich Vorgesetzte selbst mit der Handgranate verstümmeln, wenn Japaner in ihren MG-Stellungen massakriert, oder Verwundete bei offenen Feldsschlachten geborgen werden.
Nichts kann Krieg rechtfertigen: Die Botschaft schlechthin, mit der sich jede/r anfreunden kann, ja muss; nichts ist schlimmer als Krieg! MALICK will sein Publikum aufrütteln; wenn ihm etwas gelingt, dann ist es das, und er tut uns allen damit einen großen Gefallen. "Der schmale Grat" ist deshalb kein Landserdrama, keine abstrakte Ergänzung zum jenem "James Ryan", der nur als Quersumme aller bisherigen Anti-Kriegsfilme wirkt; keiner der 5 bis 6 guten ("Platoon", "Die besten Jahre ihres Lebens", "Die durch die Hölle gehen", "Wege zum Ruhm" oder "Iwans Kindheit"), sondern vielleicht der, der SPIELBERGs Drama weit hinter sich lässt, weil MALICK sich nicht um die Gesetze des Kino-Marktes kümmert, und nach 20 Jahren (1978 dreht er "Days of Heaven") der Verweigerung aus den Schatten der Welt der Moderne etwas anderes herausliest als der moderne Kulissentransporteur Steven SPIELBERG. "Der schmale Grat" gilt als Kriegsfilm, aber er ist in Wahrheit ein Anti-Kriegsfilm. Ist nicht jeder Film, der sich mit der Zerstörung der Unschuld des Lebens beschäftigt, ein Anti-Kriegsfilm? In MALICKs Krieg gibt es deshalb auch keine Identifikationsfiguren, die das warenproduzierende System immer so gerne hätte; will er so provozieren, imponieren oder gar desavouieren? Wenn die Perspektive ständig wechselt, sich ändert, es keinen festen Typus gibt, der Held, Sieger oder Besiegter ist, dann lassen die Konturen offen, um welche Namen oder Gesichter es sich hier handelt.
Im Krieg sind sie Schall und Rausch; der Krieg interessiert sich nicht für Opfer oder Überlebende; für ihn ist jede Unterscheidung unwichtig; das, was Bestand hat, ist, dass Krieg die schlimmste Erfahrung ist, die Menschen machen können. MALICK schafft es durch den Off-Sprecher, die Gedanken und Gefühle der Kämpfenden zum Ausdruck zu bringen. Das habe ich selten erlebt, und diese Beklemmung hält den Zuschauer 3 Stunden wach; er erfährt genau das, was er wissen muss, um sich ein Urteil erlauben zu können, über die abstrakte Ergänzung und die konkrete Erinnerung - für einen solchen Film sehr lobenswert; und das Puzzle setzt sich zusammen: Wir werden in ausweglosen Situationen wie ein Läufer vom Schachbrett genommen; vieles ist hierbei Glück und Pech, Sieg und Niederlagen verschmelzen zu einer Einheit; eine Handvoll Granaten kann ein Leben auslöschen oder durch drei oder vier sich verändernde Schritte, retten. Die kurzsichtige Betroffenheit, die uns "James Ryan" vermitteln wollte, ist bei MALICK schon fast philosophisch; einfache Soldaten haben eine Philosophie, wenn sie über die dunkelste Seite ihres Lebens reflektieren; ohne naives Pathos versucht er die "ganze Realität" zu zeigen, ungeschminkte Wahrheit über den großen Krieg; kein Potpourri aus Heldenliedern und saurem Kitsch, Fiktionen über Fiktionen; sondern Erinnerungen, Träume, Phantasien.
Bei MALICK vergräbt sich der Krieg endgültig, er begräbt sich, ohne aufzuerstehen mit den schicksalhaften Geschehnissen; die bekannten Motive sind kein rechteckiges Glasmaul mehr, keine Oberfläche, keine Fassade, keine Schweineschlacht, kein Ausflug aufs Land, kein Programm über Materie und Antimaterie, über das letzte Transportflugzeug (wie bei VILSMAIERs "Stalingrad" -1993); er saugt die Zeit auf und verwandelt sie in die Vervielfachung des Visuellen; er bringt nicht mehr die gleichen Produkte und Formen, die alten Lebensläufe, bleibt nicht an den Altersunterschieden seiner Kämpfer stehen - er realisiert Erfahrungen aus einer erfahrungslosen Welt; Tote werden mit Laken bedeckt, das ist die Wahrheit, so banal sie auch klingen mag: Selbst im Tod gibt es keine Statements; der moralische Aufruf, wenn sie beweint und zur Erde werden, verändert den Zuschauer, er will eingreifen, verändern, zerstören, verstören: Die befreiende Wirkung als Schock? Der organisatorische Aufbau des Unglücks ist bei MALICK eigentlich perfekt; er ist der Sprung in eine denkwürdige Ausnahme; das Leben geht weiter, aber so darf es niemals mehr enden!!
Am Ende dieses Jahrhunderts beginnt die Reise in die Schrecken, des Eises und der stumpfen Ruhe. Der größte denkbare Gegensatz zu allem; Einfachheit statt Klüngelei, Bitterkeit statt Larmoyanz, Gegenwart statt Nostalgie, Konstruktion statt Dekoration, Logik statt Trickeffekt, Pathos statt Kitsch, Anklage statt Versöhnung - die filmische Reduktion der "Vergletscherung der Gefühle"! Ein Aufruhr gegen den Landschafts- und Seelenschwulst, gegen das Pittoreske und das Psychologische, gegen die großen Vorbilder, gegen die Kriegsherren, gegen den "guten" oder "gerechten" Krieg -Kinematographie a la MALICK zeigt es, der Glaube an das "Notwendige" pure, ist kein "schönes" Bild mehr. Wenn braunhäutige Kinder unter Palmen lächeln, im Meer baden, dann ist das die heutige Erinnerung; der Gang zur Gangway auf dem Flug in die Sonneninseln, die uns die "Welt des Friedens" bringen. Dabei steht der Krieg vor unserer Haustür. Vielleicht sieht das ein Mann wie er, besser als wir alle: Gesichter von Schmerz verzerrt; der Anfang und das Ende im ewigen Epos der Natur. "Wir sind alle Teil einer einzigen Seele", "all diese Gesichter sind nur ein Mensch" sagt ein Soldat. Die Unschuld unseres Lebens ist für immer zerstört, jede Kriegsaufführung ist ein Triumph für all diejenigen, die in den symbolischen Exessen nur ihre eigene Haut retten wollen, die auf die Zerstörung der Gesittung hoffen, und die Körper fallen lassen, wenn ihnen danach ist. Alle Gedanken weben sich zu einem zusammen, zu einem endlosen inneren Monolog, nicht überdreht, kraftvoll erzählt, mit einer solchen Inbrunst, dass ich noch Stunden nach dem Kinogang tief betrübt vor einem Kaffee saß. Während ich selber verblutete, blickte mich die Kamera an, das Triebschicksal hatte mich wieder, das Geäst des Dschungels war der Bus, auf den ich wartete; in ihm weiß niemand etwas vom Sterben der Menschen.
"Der schmale Grat", das Fragment des wirklichen Lebens; nach 3 Stunden, die man mit dem Krieg verbringt, hat man mehr von ihm gesehen, als kriegerisches Kino es je zeigen kann. Der letzte Satz des Films lautet "Alle Dinge leuchten". Das Versprechen ist ein Kunstwerk.
Anmerkung: Der Film läuft seit dem 25. Februar in den Kinos. Darsteller wie: Ben CHAPLIN, George CLOONEY, John TRAVOLTA, Nick NOLTE, Woody HARRELSON, Sean PENN, Adrien BRODY, Jim CAVIEZEL sollen auf einen erheblichen Teil ihrer Gage verzichtet haben, um diesen Film machen zu können. Regisseur: Terrence MALICK.

Dietmar Kesten 14.3.04 14:30