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The Gathering - Ich sehe das, was Du nicht siehst

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RIDERS ON THE STORM Dietmar Kesten 15.8.04 11:54

RIDERS ON THE STORM

APOKALYPSE IM KINO

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, IM JANUAR 2004.

Kino der Moderne wäre kein Kino ohne diverse Botschaften,
die dem Zuseher suggeriert werden.
Wenn es um diese geht, dann ist die Quintessenz immer gleich:
„Krieg bedeutet Frieden, Freiheit ist Sklaverei.“ (G. ORWELL)
Auf merkwürdige Weise erinnern die derzeitigen Horror-Filme
an jenen ORWELL, der in seiner „Farm der Tiere“ (1) Macht,
Herrschaft, Vernichtung und Rachegelüste so eindringlich
verdeutlichte: wenn du überleben willst, dann beuge dich der
Herrschaft, dem autoritären Zwang und der diktatorischen
Unterwerfung. Falle nie auf, verlasse dich nie auf Freunde,
meide unbeleuchtete Straßen, dunkle Wälder, kalte Kellerräume,
lösche die Lichter, verhalte dich ruhig.
Und doch hat dies alles keinen Sinn; denn die Mordbuben
sind so nahe, dass du ihren Atem spürst.

Zur Zeit rast eine Welle neuer Horrorfilme durch die Kinos,
die mehr als nachdenklich machen.
Allen voran: “The Ring”, (2) “Final Destination II”, (3)
“Dreamcatcher”, (4) “X-Man II’. (5)
Die blutige Spur war damit 2003 noch längst nicht beendet.
Man erinnere sich nur „The Gathering“, (6) „Identität“, (7)
oder auch „Wrong Turn“. (8)
Das Ende ist nahe. Der Tod kommt schleichend daher.
Durch todbringende Bilder und Außerirdische. Er ist düster,
begegnet uns in verlassenen Einkaufskomplexen, vollendet
sich in makaberen Haushaltsunfällen und macht der Zivilisation
in Form von Mutanten den Garaus.

Die Storys sind simpel, wie simpel nur etwas sein kann.
Schon in den ersten Szenen wird klar: selbst wenn man gewinnen
will und kämpft, hat man gegen das Böse keine Chancen.
Die apokalyptischen Bilder, die erzeugt werden, die Schau in die
Vergangenheit, der Blick in die Zukunft und das Sehen in der
Gegenwart verweisen immer auf schon da gewesene Katastrophen,
die sich in der Materialität des Bösen manifestieren.
Die Hand an der Wiege, die Hand am Grab. Hier wird postmodernistisch
gemetzelt was Äxte, Spieße, Feuertreppen, Holzscheite,
blutrünstige Außerirdische und in sich verkeilende Autos hergeben.

Die Weltzerstörung ist im vollen Gange. Jedes Wort, jeder Satz,
jede Geste läuft auf das Unvermeidbare hinaus.
Jeder Auftritt der Serienkiller hat etwas animalisches an sich.
Sie verdunkeln den Horizont bevor sie mit ihrem Schlachtwerk
beginnen.
Die Farbe Schwarz ist wieder zur Mode gekommen, das trostlose
Düstere, die klebrigen Substanzen, die in die unmöglichsten Winkel
der Welt versteckt werden, und nur auf den Auslöser warten,
der ihnen den Schlachtruf für die Endzeit übermittelt.
Die Killerfratzen sind eben überall und ihre Verdoppelung
ist kaum zu stoppen.
Dieses Genrekino hat die alten Modelle der tiefen pessimistischen
Angst, der psychologisierenden Rettergestalten, die in den üblichen
Düster- und Horrorabenteuer aus den frühen 90er Jahren bekannt
sind, wiederbelebt.

Sie kommen jetzt neu aufgemacht als altes Horrorleitmotiv daher,
die schon den postmodernen Erdrutsch dieses Genrekinos einläuteten.
Weil die Leichenfledderei und das Medium der Gedankenübertragung
nicht nur Abnutzungserscheinungen aufweist, sondern insgesamt
die Motive und Symptome der Zombie, Schlitzer- und Splatterfilme
nur brüchig kolportiert.
Die Spukhäuser und Geisterschiffe, (9) die die filmischen
Spannungselemente nur den raffinierten Sonderausstattungen
verdanken, hatten zu keiner Zeit den Anspruch, mit augenzwinkernder
Ironie zur Tat zu schreiten.
Es ging immer um die Todesvisionen, um den Gedanken an ihn.
Seit „Scream“ (10) weist dieses Kino die typischen Verfallserscheinungen
auf, die es aktuell zwar wiederbeleben möchte, doch dabei
herausgekommen ist nur noch mehr Entfremdung, Vereinzelung,
das böse Trauma und die schlechten Träume. (11)

“This is the end My only Friend” sangen die Doors (12) einst.
In der Tat sind die knurrenden, wankelmütigen Finsternisendzeithelden
neue Endzeitverkünder, die das Millennium hinter sich gelassen haben,
und nun dabei sind, die letzten Tage der Menschheit einzuläuten.
Die endzeitlichen Vorahnungen, die oft und verschlungen mit einer
Kriegshysterie einhergehen, könnten auch dem gesamten Archiv
aller Katastrophen dieser Welt entnommen sein.
Vor dem Hintergrund, das alles möglich geworden ist, sicher nichts
ist, dass alle Werte des menschlichen Lebens Tag für Tag von der
Politik und der Ökonomie außer Kraft gesetzt werden, fügen sie sich
hier gnadenlos ein.
Satanische Boshaftigkeit und der Hang zur biblischen
Katastrophengeschichte- das sind ihre Arrangements, die mehr
Unsicherheit verbreiten können als ein defektes Wasserrohr, dass
im Nu eine ganze Wohnung umspült.

Der 11. September 2001 wird in der Kultur des Kinos merkwürdig
ausgeschlachtet.
Es ist die Maskerade, die erschüttert, Mozarts Requiem,
der Rekurs auf Feuerwehrmänner, abstürzende Flugzeuge,
einstürzende Neubauten, in Flammen stehende Menschen, der
Wahn, der täglich die Grenzgänger zwischen Terror und
Kriminalität neu gebiert, die zeitlos kommunizieren und ihre
Strategien an den Computern entwerfen.
Die Totenstädte, die diese Filme erzeugen, machen unsicher
und sie schüren Angst, die auf Großleinwänden mit
Dolby-Stereo Effekt nahe und real wirken.
Diese Ästhetisierung des Todes untermalt seine Geschichten immer
mit Blut, Eingeweiden, Speichel, Schädelstätten, Knochen, Hirnen
und abgetrennten Gliedmaßen.

Der so entstellte Körper, der uns nicht nur an das Martyrium
mittelalterlicher Kreuzzüge erinnert, sondern an den umfassenden
Schrecken und an das Unbehagen, das aufkommt, wenn das
dekadente Horrorkino zum Schlag ausholt, ist die Dramaturgie
des über Leichen gehen.
Dieses Kino, das verzweigt durch viele Netze das Denken der
Menschen bestimmt, steuert und beeinflusst uns auf eine sehr
negative Weise.
Die Helden dieses Kinos sind blutbesudelt, tragen schwarze
Mäntel, haben glühende Augen, wehende Haare und sind eine
Mischung aus Dreck, wuchernden Pilzen und wabernden
Pestbeulen.
Sie kommen und gehen, und sind doch mit all ihren Facetten
auf Dauer mit dem Kinobesucher verknüpft.
Es ist kaum zu glauben, dass diese bluttriefenden Splatter
weiter ungehindert (authentisches) Grauen verbreiten dürfen.
Wieder spritzt Blut meterhoch wenn die Kettensäge
unzertrennliches zertrennt, sich glibberige Innereien
überall verbreiten. Mit „Texas Chainsaw Massacre“ (13)
wird das Kinojahr 2004 eingeläutet. Fürwahr ist das ohne
Beispiel.

Man geht vordergründig ins Kino, um unterhalten zu werden.
Darin steckt bereits der Pferdefuss.
Wenn die Vordergründigkeit in den schleichenden Tod einmündet,
gesellschaftliche Institutionen davon betroffen sind, sich in
Schulmassakern, Attentaten und andere Formen der Gewalt
entlädt, dann versteht sich dieses Kino auf die Kunst der
Manipulation bestens.
Und besser als jeder Staat und Gesellschaft zusammen.
Für die Zukunft verheißt das nichts Gutes: die Propagandafilme
der Nazis hatten den ‚Geist’ geweckt und das ‚Herz’ angesprochen.
Wenn auch das Kino der Moderne davon noch weit entfernt ist,
so sind doch jene Monumentalschinken, die stetig neu geboren
werden, Hinweise auf kommende Versuche, das Individuum
ganzheitlich auch über diesen Träger zu beherrschen.

Anmerkungen:

(1) Georg Orwell: Farm der Tiere, Zürich 1974.

(2) „The Ring“ lief ab Februar 2003 in den Kinos.
Regie: Hideo Nakata (USA).

(3) „Final Destination II“ lief im März 2003 in den Kinos.
Regie: David Ellis (USA).

(4) „Dreamcatcher“ lief ab März 2003 in den Kinos.
Regie: Lawrence Kasdan (USA).

(5) „X-Man II“ lief ab Mai 2003 in den Kinos.
Regie: Bryan Singer (USA).

(6) „The Gathering“ startete im Juli 2003.
Regie: Brian Gilbert.

(7) „Identität“ startete im September 2003.
Regie: James Mangold.

(8) „Wrong Turn“ startete im September 2003.
Regie: Rob Schmidt.

(9) Gedacht ist hier etwa an „The Others“,
Januar 2002.
Regie: Alejandro Amenabar (USA).
“Ghost Ship”, Januar 2003,
Regie: Steve Beck (USA).

(10) „Scream“ lief in der ersten Folge im Sommer 1997
an. In der Zwischenzeit gab es weitere Fortsetzungen
(II und III),
Regie: Wes Cravan (USA).

(11) Vgl. Etwa: „Alien“ (ab 1979),
„Highschool des Grauens“ (1984), „Braindead“ (1992),
„Armee der Finsternis“ (1992), „Düstere Legenden“ (1998),
“Halloween Night” (1998), “Final Fantasy” (2001).

(12) The Doors: Legendäre Rockgruppe der sechziger
Jahre um den charismatischen Sänger Jim Morrison
(starb am 3. Juli 1971 in Paris).
The Doors waren: Jim Morrison, Ray Manzarek,
Robbie Krieger, John Densmore.
Der Song „The End“ befindet sich auf dem Album:
The Doors 1967. Ihre letzte Einspielung war:
“Riders on the Storm” (Juli 1971).

(13) “The Texas Chainsaw Massacre” startet
im Januar 2004.
Regie: Marcus Nispel.

Dietmar Kesten 15.8.04 11:54