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Der Untergang

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ZWEIFEL SIND ANGEBRACHT Dietmar Kesten 26.8.04 12:42

DER UNTERGANG

ZWEIFEL SIND ANGEBRACHT

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 26. AUGUST 2004.

Eines vorweg: HITLER kann man nicht spielen.
Das wäre genauso, als wolle man NERO, STALIN
oder POL POT spielen wollen.
HIRSCHBIEGEL bringt „Der Untergang“ in die Kinos.
Hat Deutschland auf diesen Film gewartet,
was wird von diesem Film zu erwarten sein, wen
wird er ansprechen, und was wird er zeigen?
Sicher ist, dass „Der Untergang“ keine neue Sicht
auf HITLER zeigen wird. Die wissenschaftliche
Forschung über das Dritte Reich und speziell über
den Diktator ist sicherlich noch keineswegs
abgeschlossen.
Die letzten zwölf Tage im Führerbunker sind
bekannt, das Vorrücken der Roten Armee,
die Schlacht um Berlin (16. April bis 2. Mai 1945),
die Eroberung des Reichstages und der
Selbstmord des Diktators (30. 4. 1945).
“Der Untergang“ wird keineswegs die
„morbide Faszination“ wecken, wie der „Spiegel“
schrieb und er wird auch nicht der
„große epische Film fürs Kino“ werden, wie
Bernd EICHINGER, der Produzent,
meinte formulieren zu müssen.
HITLER und die trübe Endzeit wird nicht
begeistern. Und der „Wahnsinnsstoff“, so
die „Süddeutsche Zeitung“ ist Geschichte,
mehr nicht, aber auch nicht weniger.

Die Zeit im Führerbunker. Das gab es noch
nie. Man wird essen, schlafen, Politik machen,
darauf warten, dass sich etwas ändert.
Besucher kommen, Besucher gehen.
Der Führer wird seine Truppen trotz
schwindenden Realitätsverlust kommandieren.
HITLER wird die bekannten Worte vom
Untergang sprechen. Das Fühlen und das
Denken des Diktators in einem Film: ein
Skandal, peinlich, suggestiv, am rechten
Rand wabernd?
HITLER wird selbst auftreten. In Gestalt
von Bruno GANZ. Vermutlich mit den
Eigentümlichkeiten, die man von ihm kennt.
GANZ wird HITLER sprechen, den wir
von Tondokumenten kennen. Er wird
so aussehen, wie man ihn von Fotos kennt,
und er wird sich so bewegen, wie man in
Filmaufzeichnungen gesehen hat.
Die Eingangsthese, dass man HITLER nicht
spielen kann, wird dadurch keineswegs aufgehoben.
GANZ wird brüllen, schreien, liebevoll
sein, charmant, treuherzig, blöd, bieder,
narzisstisch. Aber er kann ihn nicht als
sozialen und psychologischen Typus darstellen.

HITLER bleibt HITLER, ein Monstrum, ein
unbegreiflicher Menschenschlächter, Diktator
mit Größenwahn, der Millionen Menschen auf dem
Gewissen hat, und der mit anderen
Nazigrößen den Holocaust zu verantworten hatte.
Hans-Ulrich WEHLER schrieb in seiner
„Deutschen Gesellschaftsgeschichte 1914 -1949“
zu HITLER:
„Allgemein zielt die der Führerdiktatur darauf,
die nationalsozialistischen Jahre nicht als
erratischen Block im historischen Prozess
zu verfremden, sie vielmehr im Zuge einer
dezidierten Historisierung des
Nationalsozialismus weithin in die
Kontinuität der neueren deutschen Geschichte
einzuordnen... Bis zuletzt gehorchten
die Wehrmacht und der Herrschaftsapparat
im Reich den Befehlen, die Hitler aus dem
Führerbunker gab... Nirgendwo kam es zu einer
einzigen Meuterei oder einem einzigen
Aufbegehren im Inneren.
Selbst in der gespenstischen Isolation des
Betonkellers konnte Hitler noch Befehle
durchsetzen, Truppen marschieren zu
lassen, Generäle zum Weitermachen
bewegen.“ (S. 871f.)

HITLER wird sich auch durch die beste
Retrospektive nicht erschließen lassen.
Könnte der Film HITLER am Ende verharmlosen,
verniedlichen, sympathisch finden?
Der Film wird Fragen aufwerfen, die er nicht
beantworten kann, die vermutlich auch niemand
beantworten wird, weil das deutsche Volk insgesamt
in die Pflicht genommen werden müsste.
Soll der Film vielleicht nur eine Charakterstudie
sein, spannend erzählt, mit Action versehen?
Die Paranoia und der Paranoiker: wie ist er
daran gekommen, wie ist er zu dem geworden?
Gerade weil eine nachvollziehbare Psychologie
nicht möglich ist, wird der Film sich mit seinen
eigenen Schwächen konfrontieren und vielleicht
auch schlagen.

„Der Untergang“ wird auf HITLER und seine
Welt blicken und auf den emotionalen Sog
warten.
Er wird in das gänzlich Versunkene schauen,
auf seine menschliche Seele?
Allein das erscheint mir schon sehr suspekt.
Das Deutschland, in dem HITLER möglich war,
erscheint vielen nicht mehr zugänglich, aber
auch nicht gänzlich entschwunden.
Doch beides wird fremd bleiben, weil im Film
niemals die Hintergründe für seinen Aufstieg
und Deutschlands Abstieg hinterfragt werden.
Vielleicht ist der Film sogar ein historisches Fiasko?
Er wird fremd bleiben, so wie die Figur dieses
Tyrannen fremd bleiben wird.

Aber vielleicht wird man auch irgendwo in die
Schuld eingebunden sein.
Dass all die, die nur staunend dabei waren,
auch wahre Schuldige waren, das hatten die
68er problematisiert.
Aber nationalen Schuldzusammenhang mit
dem deutschen Imperialismus zu erklären, das
vermochten sie genauso wenig wie die
Heroisierung dieser „Legende“, die
noch heute Rechtsradikale, Nationale,
Nationalisten und Rassisten jedweder
Couleur anzieht.
Das wird naiv befremdlich bleiben. Und diese
naive Befremdlichkeit wird sich durch den
Film ziehen.
Der Außerordentlichkeit dieses Geschehens
müsste man mit „außerordentlichen Mitteln“
begegnen, wie Jens JESSE („Die Zeit“
Nr. 33 vom 26. August 2004) schrieb.

HIRSCHBIEGEL wird kein „großes Kino“
machen.
Er wird stilistische Mittel anwenden, wie das eben
bei diesen Produktionen notwendig erscheint.
Umgangssprache, Schnitt, Kamera- all das wird
er aus seinen Tatort Inszenierungen übernehmen,
hier und da verfremden.
Fernsehen im Film.
Vernichtungsfanatismus, Genozid, Massenmord
und Massenwahn- wo wird das bleiben?
Der „eliminatorische Antisemitismus“, wie Daniel
GOLDHAGEN die Fratze des Dritten Reichs
beschrieb, wird sich nur in einigen eigenhändigen
Morden widerspiegeln.
Es wird nicht reichen, diese Unbegreiflichkeit
begreiflich zu machen.

Der Film wird allerdings ein Tabu brechen:
nämlich HITLER mit filmischen Mitteln zu
zeigen.
Ob er deshalb besser sein wird als der
antifaschistische Film „Der Große Diktator“
mit CHAPLIN von 1940? Müssen HITLER
Filme nicht eindeutig antifaschistisch sein?
Man wird sich vehement fragen dürfen, was
ein solcher Film soll.
Staunen und Verständnis wird er kaum
hervorrufen. Die historischen Erzählungen
müssen mit den Fakten verknüpft sein, die
es gibt.
HIRSCHBIEGEL wird das nicht leisten
können.
Die Rekonstruktionen der politischen
Geschehnisse werden sich nicht mit zeitgenössischen
Parallelen beschäftigen, etwa mir FRANCO oder
MUSSOLINI.

Im übrigen wird sich HIRSCHBIEGEL an jene
Fakten halten, die Joachim FEST in seinem
Buch „Der Untergang“ (2002) geschildert hat.
Das wird die Kritik am Film im inneren Kreis
ein wenig verstummen lassen; denn FEST
gilt als einer der besten HITLER Kenner.
Wenn man sich HITLER nähern will, muss man
sich mit der deutschen Blutsdemokratie und
der Vernichtung der Juden beschäftigen.
Jene „Banalität des Bösen“ (Hannah ARENDT)
war ein paranoides Konstrukt, das den allgemeinen
Wahnsinn des Kapitalismus unüberbietbar
zuspitzte. Er konnte sich nicht anders als
im Vernichtungswillen entladen, was die
Selbstvernichtung einschließt.
In dieser „völkischen Ideologie“, die HIRSCHBIEGEL
ganz vernachlässigen wird, spukte der
Weltuntergang der germanischen Mythologie und
er spukte auch durch das Bewusstsein.
Somit wird der wissende Betrachter des Films
mit gemischten Gefühlen in diesen Film
hineingehen und mit nicht weniger gemischten
Gefühlen aus ihm herauskommen.

„Welch böse Ironie“, schrieb der
Publizist Robert KURZ über das Hitlersystem:
„Darin wird nicht nur der Todestrieb der
aufkommenden Nazis sichtbar, sondern der
Todestrieb des modernen warenproduzierenden
Systems überhaupt.“

Dietmar Kesten 26.8.04 12:42