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Elephant

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Im Vorübergehen Dietmar Kesten 19.3.05 14:16

Bewegend 3pic 2.2.05 10:11
Bewegend Dietmar Kesten 2.2.05 15:43

TOP FILM MOMO 26.10.04 22:22

(1/10)
ELEPHANT

AMOKLÄUFER UND SELBSTMORDATTENTÄTER

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 11. APRIL 2004.

Seit einigen Jahren ist in der Welt der Begriff des ‚Schul-Massakers’
nahezu sprichwörtlich geworden.
Die Schulen, einst Orte mehr oder weniger autoritärer Erziehung
und pubertärer Erotik, rücken mehr und mehr als Schauplatz
blutiger Tragödien ins Blickfeld der Öffentlichkeit.
Den heutigen blutigen Exzessen kommt mehr und mehr eine
eigene und neue Qualität zu.
Sie lassen sich nicht durch einen grauen Nebel anthropologischer
Allgemeinheit verschleiern. Vielmehr handelt es sich eindeutig
um spezifische Produkte unserer zeitgenössischen Gesellschaft.
Sie sind keine zeitlich weit auseinanderliegenden Ereignisse mehr wie
in früheren Zeiten, sondern die Massaker finden seit den 90er Jahren
in immer dichterer Folge statt. Neu sind auch andere Aspekte.
Ein großer Prozentsatz der Täter sind Jugendliche, teilweise sogar
Kinder. Und sehr wenige dieser Amokläufer sind im klinischen Sinne
geistesgestört. Sie kommen aus gutem Haus, gelten als angepasst.

Auffällig ist der globale und universelle Charakter dieser Erscheinung.
Es begann in den USA. 1997 erschoss in West Paducah (Kentucky)
ein 14-Jähriger nach dem Morgengebet drei Mitschüler, fünf weitere
wurden verwundet.
1998 eröffneten ein 11- und ein 13-Jähriger in Jonesboro (Arkansas)
das Feuer auf ihre Schule und erschossen vier Mädchen und eine
Lehrerin. Im gleichen Jahr erschoss ein 17-Jähriger an einer
Highschool in Springfield (Oregon) zwei Mitschüler und verletzte
zwanzig andere. Ein Jahr später richteten zwei 17- und 18-jährige
Jugendliche das berühmte Blutbad von Littleton (Colorado) an.
Mit Schusswaffen und Sprengsätzen töteten sie in ihrer Schule zwölf
Mitschüler, einen Lehrer und anschließend sich selbst.
Nur eine Woche nach der Tat von Littleton schoss in
der kanadischen Kleinstadt Taber ein 14-Jähriger um sich
und tötete einen Mitschüler.
Weitere Schul-Massaker wurden in den 90er Jahren aus
Schottland, Japan und mehreren afrikanischen Ländern gemeldet.
In Deutschland erstach im November 1999 ein 15-jähriger
Gymnasiast seine Lehrerin mit zwei Messern, im März 2000
erschoss ein 16-Jähriger seinen Schuldirektor und beging danach einen Selbstmordversuch, im Februar 2001 tötete ein 22-Jähriger mit einem
Revolver den Chef seiner Firma und danach den Direktor seiner
früheren Schule, um sich zuletzt selber mit einer Rohrbombe
in die Luft zu sprengen.
Der Amoklauf des 19-Jährigen Robert STEINHÄUSER
aus Erfurt, der Ende April 2002 mit einer Pump-Gun während
der Abiturprüfung 16 Menschen (darunter fast das gesamte
Lehrerkollegium seiner Schule) niedermetzelte und sich
danach selbst in den Kopf schoss, war nur der bisherige
Höhepunkt einer ganzen Serie. Und die Serie der Gewalt an
Schulen scheint kein Ende zu nehmen.

„Elephant“ von Gus VAN SANT („My Private Idaho“, 1990,
“To Die For”, 1995, “Good Will Hunting”, 1997,
“Psycho”, 1998, “Forrester-Gefunden”, 2000) beschreibt einen
Schulvormittag an einer US Highschool.
Auf dem Stundenplan stehen Sport, Mathe, Hausaufgaben,
Klatsch und Tratsch, Lunch in der Mensa.
Und dann sorgen zwei Brüder dafür, dass das Leben von
Schülern und Lehrern aus der Bahn geworfen wird.
In einem blutigen Massaker erschießen sie alles, was ihnen
in die Quere kommt, wahllos und ohne Gefühlsregungen.
Der Film, der sich deutlich vom ‚Littleton-Massaker’
inspirieren lässt, will ein Drama sein, will informieren, will Gründe
nennen. Doch er ist nur ein großer Flop.

Natürlich kann man das Phänomen der Schul-Massaker
nicht isoliert sehen; denn die barbarische ‚Kultur des Amoklaufs’
ist längst in vielen Ländern zum periodischen Medienereignis
geworden, die jugendlichen Amok-Schützen an den Schulen bilden
nur ein Segment dieser sozialen Mikro-Explosion.
Und der bewaffnete Amoklauf ist in den größeren Zusammenhang einer binnengesellschaftlichen Gewaltkultur eingeordnet, wie sie die
gesamte Welt im Zuge der Globalisierung überschwemmt.
Dazu gehören eben auch die zahlreichen virtuellen und manifesten
Bürgerkriege, die Plünderungsökonomie in allen Kontinenten, die
bewaffnete Massenkriminalität von Banden in den Slums, Ghettos
und Favelas.
Es ist einerseits eine Kultur des Raubs und des Mords, deren Gewalt
sich gegen andere richtet, und die Täter nehmen bewusst
in Kauf, selber getötet zu werden.
Gleichzeitig wächst aber andererseits auch die unmittelbare
Auto-Aggression an, wie die steigenden Selbstmordraten bei
Jugendlichen in vielen Ländern beweisen.
Zumindest für die moderne Geschichte ist es dabei ein Novum,
dass der Selbstmord nicht nur aus individueller Verzweiflung,
sondern auch in organisierter Form und massenhaft verübt wird.
Wie es scheint, bildet der Amoklauf in der jüngsten globalen
Gewaltkultur die logische Verbindung von Aggression gegen andere
und Auto-Aggression, eine Art Synthese von inszeniertem Mord
und inszeniertem Selbstmord.

Gründe für diese Amokläufe, speziell in „Elephant“ nennt
Gus VAN SANT nicht.
Und „Bowling for Columbine (Regie: Michael MOORE, 2002), der
die Waffenverliebtheit der Amerikaner erforschte, scheint ihn
hier nicht zu interessieren.
Doch gerade das hat viel mit einer thematischen Brisanz
zu tun.
Wenn im Film ein solches Thema verarbeitet wird, dann
sollten Horror und Wahnsinn nicht in Taschentüchern
wiederzufinden sein, worin sich die Besucher des Films
ausheulen könnten, wenn die Killer im Showdown
das letzte Schülerpärchen erschießen.
Die Amokläufer im Film verrichten ihr Massaker genauso
wie der Film uns entgegentritt: als Fortsetzung eines
Mainstream-Kinos, das alle möglichen Klischees bedient.
Keiner mag die Brüder, sie spielen Videoballerspiele,
sehen Nazivideos, lassen sich Waffen ins Haus schicken,
veranstalten Schiessübungen und greifen dann zur Gun.
Das ist nicht nur eine Zumutung, sondern zeigt, dass
„Elephant“ nur ein schlechter Horrorfilm ist, in dem
die Amokläufer beiläufig töten.
Doch die heutigen Amokläufer sind außer Kontrolle geratene
Roboter der kapitalistischen Konkurrenz, sie sind Subjekte
der Krise, die den Begriff des modernen, aufgeklärten Subjekts
bis zur Kenntlichkeit enthüllen.
Und In Wirklichkeit stellt das ‚Dürsten nach dem Tod’
ein postmodernes soziales Weltphänomen dar, das an
keinen besonderen sozialen oder kulturellen Ort gebunden ist.
Dieser Impuls lässt sich auch nicht als Summe von bloß
zufälligen Einzelerscheinungen im Film verharmlosen.
Denn auf einen, der es wirklich tut, kommen Millionen, die sich
in denselben ausweglosen Denk- und Gefühlsmustern bewegen
und mit denselben morbiden Gedanken spielen.

Zu den immer wiederkehrenden Klängen der „Mondscheinsenate“
kreuzen sich die Wege von Carrie (Carrie FINKLEA),
Nathan (Nathan TYSON), John (John McFARLAND) und den
Killern Eric (Eric DEULEN) und Alex (Alex FROST).
Es ist zum Gähnen! Ein Film, der in Gleichgültigkeit gegen das
eigene Selbst umschlägt, bei dem die Moral auf der Strecke
bleibt.
Die Philosophin Hanna ARENDT hätte hier vielleicht von
einer Kultur der "Selbstverlorenheit" gesprochen, von einem
"Selbstverlust" der entwurzelten Individuen und einer
"Schwächung des Instinkts der Selbsterhaltung", und dass zu
jeder Zeit „das eigene Selbst durch ein anderes ersetzt werden
kann“. Was in der Vergangenheit Ausnahmezustand war,
wird zum Normal- und Dauerzustand. Der ‚zivile’ Schulalltag
selbst geht in die totale Selbstverlorenheit der Menschen
über. Dieser Zustand betrifft nicht nur die Armen und Herausgefallenen,
sondern alle, weil es der übergreifende Zustand der Weltgesellschaft
geworden ist.
Das gilt besonders für die Heranwachsenden, die keinen
Vergleichsmaßstab und kein Kriterium der möglichen Kritik mehr
haben.

Wenn die Hauptaufgabe der Schule darin bestehen sollte,
den Kindern das Interesse an sich selbst aus der Hand zu
schlagen, um sie in abstrakte Leistungsmaschinen zu
verwandeln dann gibt es keine Garantie mehr für
angepasstes Verhalten.
Immer häufiger ist dann das Resultat des Ausrastens
eine gestörte Psyche reiner Asozialität, für die
Selbstbehauptung und Selbstzerstörung identisch geworden
sind. Es ist der Amokläufer, der notwendigerweise hinter
der Postmoderne zum Vorschein kommt. Und die
verlorenen Kinder und Jugendlichen, die systematisch zu
autistischen Monstern werden, sind dann nur das Ergebnis
von Markt und Staat.

Fazit: Tragische gesellschaftspolitische Ereignisse sollten sich
nicht hinter der Maske eines reißerischen Thrillers verstecken
dürfen.
Verstecken sollte sich Gus Van Sant; denn mit diesem
kontemplativen Film hat er sich keinen Gefallen getan.
Der Film, der auf Resonanz hofft, ist zu sehr auf
Effekthascherei aus, strahlt eine nicht zu ergründende Ruhe
aus, die die Thematik der Schulmassaker nicht verdient.
Dietmar Kesten 11.4.04 10:53

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