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Elephant

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Im Vorübergehen 19.3.05 13:39
Im Vorübergehen Dietmar Kesten 19.3.05 14:16

N.N. schrieb:

» Wie leicht hätte sich aus diesem Thema ein
» moralisierender Betroffenheitsfilm machen lassen!
» Weil aber nichts einfacher und gleichzeitig fataler
» sein kann, als den Fokus auf die Schuldfrage zu
» lenken, bleibt "Elephant" nichts weiter als ein
» Bericht, eine Beobachtung ohne Urteil und Wertung.
» Und recht so, finde ich. Meinungen, Analysen,
» Debatten über die unglaubliche sittliche
» Erschütterung, all das erspart sich Van Sant, da
» ihm angesichts der unfaßbaren Tragik derlei
» Anmaßungen unangebracht sein mögen. Und hätte das
» ein Thema des Filmes sein sollen, so hätte er wohl
» ein psychologisches Drama über die beiden Täter
» drehen müssen.
» Mit provokativer Seelenruhe streift die Kamera
» durch die Gänge, dokumentiert den Schulalltag,
» zeigt das beliebige Neben- und Miteinander der
» Figuren, die sich in einen Alltag einfügen, an den
» sie schon lange nicht mehr die Sinnfrage zu stellen
» wagen. Und das Unheil schleicht mit, es geschieht
» ganz nebenher und wird in seinem vollen Ausmaß
» schweigend dem Einzelnen überlassen, der sich in
» Bulimie oder virtuelle Gewaltphantasien flüchtet.
» Und in dieser Beziehungslosigkeit, in der nichts
» etwas auszumachen scheint, greifen schließlich zwei
» unauffällige Jungen zu den Waffen, die sie sich mit
» der Post schicken lassen...
» Der Zynismus, der diese schöne heile Welt
» begleitet, dringt nur in seltenen Szenen durch,
» etwa bei den drei Mädchen, die sich in kaum
» erträglichem Redeschwall die Welt zurechtquasseln -
» hier erhält der Film einen Slapstick-Charakter, der
» deplaziert wirkt. Und die Anspielung auf die
» eventuell homoerotische Komplizenschaft der Täter
» erscheint mir etwas untergriffig...


Was der Film erzählen will, gleicht einer
Anlehnung an die fatale Geschichte eines
Highschool-Massakers a la Columbine
oder Erfurt. Die "Bösewichte" kommen einfach
so ins Spiel, sozusagen aus der
Wohlstandsgesellschaft heraus hervorgekrochen,
ohne dass man ableiten kann, woher ihre
Absicht kommt, Menschen zu töten. Das alleine
ist verwerflich genug; denn ein Film, der
sich dieser Frage verweigert, hat im Kino
nichts zu suchen.
Zwei Underdogs, die scheinbar von ihren
Mitschülern gequält wurden, lassen sich
ihre Pump-Guns per Post nach Hause
schicken: postmodernes Morden inmitten
von Herbstmelancholie und der Verlorenheit
der Seelen.
Alle Figuren bewegen sich wie Marionetten
auf den Augenblick zu, da der erste Schuss
fällt.Zu den Klängen der Mondscheinsonate
bricht der Film zusammen.
Er hätte einen anderen Anfang nehmen
können; denn dann hätte er auch ein anderes
Ende gehabt.
Und die trügerische Ruhe des Anfangs, wäre
eine Möglichkeit gewesen, zu verweilen und
nachzudenken.
Doch die Panik, der Horror, das
Widerwärtige und der Wahnsinn bricht
unvermittelt hervor. "Elephant" bleibt
deswegen stur auf Kurs, mehr noch:
"Elephant" ist mehr beiläufig, ein
beiläufiger Film über ein Massaker.
Und diese Beiläufigkeit zieht sich durch
den gesamten Film. Massenmord wird zum
alltäglichen Ritual, der, wie hier,
in der tragende Ruhe des Films verschwindet.

Gelassen und ruhig erschießen die
Amokläufer Mitschüler und Lehrer.
Es sind die Menschen, die niemandem etwas
getan haben, die man liebt gewonnen hat,
um die man sich ängstigt.
Während der kritisch hinterfragende
Zuschauer auf ein Zeichen wartet,
erzählt Gus VAN SANT gar nichts.
Das ist auch viel, nämlich viel
Unkonventionalität.Er entstellt sein
eigenes Werk. Seine plötzliche Idee,
sich dann auf einmal der plattesten
Klischees zu bedienen, ist zusätzlich
fragwürdiger Stoff: wer Ballerspiele
spielt und Nazi-Videos sieht, der greift
eben auch nur Waffe.

Damit spielt man nicht.
Man spielt nicht dem Tod. Man
spielt nicht mit den Herzen, man
spielt nicht mit der Moral.
Man versäumt nicht ungestraft, eine
Moralität zu den Figuren und ihrer
Handlungsmotivation einzunehmen.
Das Leben wird nicht wahrhaftiger, wenn
man es (ungestraft) dramatisch
abbildet.
Die Gefühlsverkäufer der Kulturindustrie
verdienen ihr Geld mit unserer Psyche.
Das ist schwerlich nachvollziehbar,
zumal diese Seelenverkäuferauf mit
unseren Nerven Klavier spielen. Und uns
Taschentücher in die Hände zaubern.
Genau das wird in der letzten Szene
zum erbrechen zelebriert: die Mörder
spüren das letzte Schülerpärchen auf und
erschießen es.
Und die Moral?
Dieses Kino ist noch nicht einmal eines
der Verzweifelung, keines des ausgewogenen
Realismus. Und keines der edlen
Melancholie. Es ist einfach ein falsches
Kino in einer falschen Welt.

Dietmar Kesten 19.3.05 14:16