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Fahrenheit 9/11

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DER KRIEG GEGEN DEN TERRORISMUS Dietmar Kesten 1.8.04 11:48

DER KRIEG GEGEN DEN TERRORISMUS

FAHRENHEIT 9/11 IN EINEM ANDEREN LICHT

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 1. AUGUST 2004.

Die allgemeine Erkenntnis des 11. September 2001 muss wohl
in der Aussage gipfeln, dass es im Zeitalter der Globalisierung
keiner großen Kriege mehr bedarf, um die Menschheit ins Unglück
zu stürzen und sie zu vernichten.
Das Zeitalter der zwischenstaatlichen Konflikte dürfte mit dem
2. Weltkrieg, dem Korea-Krieg, dem Vietnam-Krieg, den
Auseinandersetzungen zwischen China und Vietnam, dem Irak und
Iran, zwischen Äthiopien und Eritrea, doch spätestens, und hier in
abgewandelter Form, mit dem 1. Golfkrieg aus dem Januar 1991
beendet sein, damit auch der klassische Staatenkrieg.
Aber: was ist Krieg, was ist als Krieg zu bezeichnen und
was nicht, und wodurch zeichnen sich neue, oder andere als die uns
bisher bekannten aus?
Ist der Krieg, die Geißel der Menschheit schlechthin, gar verschwunden?
Sind die Militärs etwa friedlich geworden, die diktatorischen Machthaber
und machtbesessener Kämpfer aus internationalen Netzwerken und
verzweigten Terrororganisationen?

Diese Fragen drängen sich auf, wenn man sich in der Retrospektive
mit den fürchterlichen Attentaten des 11. September, und der damit
auch sicherlich einsetzenden veränderten Form der Gewalt in der
Kriegsgeschichte beschäftigt.
Zwar ist dieses Datum nicht der historische Wendepunkt schlechthin,
und schon gar nicht der Anlass für das kontinuierliche Aufrüsten
der US-Militärmaschinerie. Doch die Vernichtung des World Trade
Center ist die Botschaft der Globalisierung, dass die Welt nicht gut
ist, und die Menschen nicht lieb sind. Der Blick richtet sich dabei auf
Nordirland, das Basken-Land, Algerien, Schwarzafrika, (Sudan),
Kaschmir, die Philippinen, auf den Nahen-Osten, auf den Balkan
und auf den Konfliktherd Irak, wo nach der Beendigung des
Krieges der Krieg geblieben ist.
„Fahrenheit 9/11“, der neue Film von Michael MOORE, denkt seinen
positiven Ansatz nicht zu Ende. Hier wäre es sinnvoll gewesen,
sich mit Politik und Ideologie der USA in der Konsequenz zu
beschäftigen; denn der Krieg hat von der Öffentlichkeit lange
Zeit unbemerkt, seine Erscheinungsform verändert.
Das auf spektakuläre Art und Weise begangene Verbrechen in den
USA verdeutliche nur, dass heute Warlords, Terroristen und
gedungene Söldner das Bild bestimmen, und ihre Gewalt, die sie
für ihre todbringenden Ideologien ausüben, sich heute gegen die
Zivilbevölkerung, gegen Hochhäuser, gegen Eisenbahnverbindungen,
gegen Verkehrsknotenpunkte, gegen U-Bahnen und
Menschenansammlungen richten.
Das sind die neuen Schlachtfelder, und die Medien transportieren sie
wohlgefällig ins heile Heim, Fernsehbilder, die wir seit Peter ARNETT
aus dem 1.Golfkrieg kennen, werden so zur Waffe der
Dauerberieselung. Selbst MOORE kann sich davon nicht
freisprechen.

Die Unterscheidung von Krieg und Frieden ist brüchiger denn je.
Was heute als Friedensschluss gilt, ist schon morgen wieder Makulatur,
und was morgen als Friedensprozess verkauft wird, endet übermorgen
in neue kriegerische Auseinandersetzungen.
Dort, wo die modernen Staaten nicht mehr die Monopolisierung der
militärischen Gewalt besitzen, tritt an die Stelle der Friedensschlüsse
ein stets vom Scheitern bedrohter Friedensprozess.
Das alleine zeigt die Dimensionen von Krieg und Frieden im
21. Jahrhundert auf, und es stellt sich mit Berechtigung die Frage:
wohin treiben wir?
Seit den Terrorangriffen auf das World Trade Center und das
Pentagon ist die ursprüngliche Aussage des Präsidenten der
USA, George BUSH jun., dass wir nun einen
„Kreuzzug gegen das Böse“ führen werden, der eigentliche
Hinweis darauf, worum es geht: um lange innergesellschaftliche
Konflikte, die in sich wiederum der Auftakt zu einer ganzen Serie von
Straf- und Vernichtungsfeldzügen sein könnten, in grauenvolle
Stammeskriege enden, wie etwa in der westafrikanischen Republik
Sierra Leone und in Zentralafrika und im Sudan, wo mindestens,
ohne dass diesen Völkermord die breite Weltöffentlichkeit zur
Kenntnis genommen hat, zwei Millionen Menschen eines
gewaltsamen Todes gestorben sind, oder in
Strafexpeditionen des fundamentalistischen Terrorismus.

Krieg ist nach der Definition des Militärstrategen
CLAUSEWITZ ein „Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung
unseres Willens zu zwingen“.
In diesem Sinne dürften die neuen Kriege heute nicht eine einfache
geografische Umverteilung sein, Ausplünderung der nationalen
Ressourcen eines Landes, Eroberung von Gebieten, sondern sie
sind eine neue Qualität, die im Schosse der Marktwirtschaft
heranreiften und jetzt zum Ausbruch kommen.
Der „Akt der Gewalt“ ist daher nicht nur einfach physische
Gewaltanwendung, etwa mit dem Ziel hoher materiellen
Schäden, dem Ausmaß von Zerstörungen, der Anzahl von
Toten oder Verwundeten, dem Zusammenbruch eines
Versorgungssystems, die von Anschlägen verursacht werden, sondern
auch psychische Destabilisierung, die Verbreitung von Schrecken,
Angst, Verletzbarkeit und der Entwertung jeglicher Hoffnungen.
Die Hysterie, die nach den Terrorangriffen in den USA verbreitet
wurde, ist ein Hinweis auf die Möglichkeit der vollkommenen
staatlichen Kontrolle der Bürger, die von
George ORWELL in „1984”, oder Aldous HUXLEY in “Schöne neue
Welt” bereits schon in den 50er Jahren angekündigt worden
war. Darauf verweist im übrigen mit Berechtigung „Fahrenheit 9/11“.

Krieg als Kommunikationsstrategie der Netzwerke, mit dem
Einsatz minimaler Gewaltpotenzen, um die moralischen Potenzen
der Gegenseite zu unterminieren- wären etwa die Umrisse, die sich
aus einer Situation kräftemäßiger Unterlegenheit von Warlords,
El Kaida, religiöse Fundamentalisten oder Untergrundsoldaten ergeben
würden.
Kein Land der Welt ist vor ihnen sicher, und wie einst Mao Tsetung
mit seiner Formel, dass der Krieg die „wechselseitige Anwendung
von Verteidigung und Angriff ist“, die Guerillataktik im chinesischen
Bürgerkrieg begründete, so führen sie sie ad absurdum: der Krieg
ernährt den Krieg, auch mit dem Ziel, Selbstachtung und Ehre
zurückzugewinnen, die ihnen angeblich der Westen nicht geben
würde. Der Krieg als dauerhaftes Betätigungsfeld, der Einkommen
garantiert, einen Job, den man über die weltweit operierenden
Söldnerfirmen bekommen kann, der religiös, ideologisch, nationalistisch,
oder einfach verbrecherisch motiviert ist- das ist das Kriegsgeschehen
jener Globalisierung, die mit der rasanten Kommunikations- und
Informationstechnik alle Überwartungen übertraf.

Die internationalen Netzwerkorganisationen, wozu auch die
Familie Bin Laden hinzuzuzählen ist, sind in der Zwischenzeit
dazu in der Lage, Kriege durch die veränderten und stets im Umbruch
begriffenen Finanzierungsformen oftmals über Jahre und Jahrzehnte
auf Dauer als Krisenherd stabil zu halten.
Sie kaufen und verkaufen, besitzen Bohr- und Schürfrechte für die von
ihnen in Abhängigkeit gehaltenen Gebiete (ökonomische Plünderungen),
betreiben Drogenhandel, Menschenschmuggel, kontrollieren in einigen
Ländern sogar die Ölvorräte, erpressen im großen Stil über wiederum
in sich verzweigte Netzwerke, Lösegelder, betreiben organisierte
Kriminalität in den Rotlichtbezirken aller großen Städte dieser Welt,
und haben vor allem in den afrikanischen Gebieten auch direkte oder
indirekte Zugänge zu den Flüchtlingslagern, die besonders anfällig
für religiöse oder ideologisch motivierte Terroristen sind.
Die Finanzwege sind unbeschreiblich erträglich, wie MOORE es
angedeutet hat. Hier werden Millionen von Dollars verschoben,
umgelagert, gewaschen. Die Gewinne, die gemacht werden,
sind mit sechsstelligen Ziffern vermutlich noch untertrieben.

Somit verliert der Krieg, der einst „politischer Zweck“ und „wahres
‚politisches Element“ (CLAUSEWITZ) war, auch viel von seiner
ursprünglichen Definition.
Er verlässt mehr und mehr seine alten Konturen: kriegerische Gewalt kann
heute von jedermann durchgeführt werden, der nicht vor Gewaltanwendung
zurückschreckt, sich ideologisch, national oder religiös motivieren kann,
sich mit Gleichgesinnten zusammenschließt, ein Netzwerk aufbaut, und
sich mit der Frage der Geldbeschaffung im großen Stil beschäftigt.
Jede Armee verliert bei diesen Akteuren die Kontrolle über sie.
Operieren sie zusätzlich noch in schwer zugänglichen Gebieten, wie
El Kaida in Afghanistan, dann haben selbst die USA, wie man
gesehen hat, enorme Schwierigkeiten ihren High-Tech-Krieg
gegen sie zu gewinnen.

Vor diesem Hintergrund schwelte der Konflikt zwischen den USA und
dem Irak. Seit dem 1. Golfkrieg plante das Pentagon erneut einen
Schlag gegen den Irak zu führen. Mit dem 11. September
wurde dieses Vorhaben vakant und schnell in die Tat umgesetzt.
Die patriotische Entschlossenheit der BUSH-Regierung, diesen
Netzwerken das Handwerk zu legen, die Rolle der imperialen Hegemonie
bis in den letzten Winkel der Welt zu tragen, lässt zwar die Entschlossenheit
nicht vermissen, und offenbar fühlen sich die USA in der Rolle des
Welt-Sheriffs wieder wohl, doch was auf sie zukommt, und die übrige
westliche Welt, wissen sie und wir nicht.
„No dead“ - keine eigenen Toten, das gilt nicht mehr, für
niemanden, für keine Seite. Die Bilder von Michael MOORE sind
beklemmend. Wenn man tote Amerikaner und tote Iraks sieht,
fühlt man sich an die Plastiksäcke aus dem Vietnamkrieg erinnert.
In Sternenbanner gehüllt werden junge Amerikaner überführt.
Man bleibt im Kinosessel sitzen und ist umgeben mit jener
Schmach des Krieges.
Der Schurkenstaat Irak war BUSH schon lange ein Dorn im Auge.
Nicht nur wegen seiner möglichen Unterstützung dieser weltweit
operierenden Terror-Netzwerke, sondern auch, um sich ungehinderten
Zugang zur gesamten Golfregion zu verschaffen, Kontrolle über die
Ölfelder zu erlangen, der wichtigen Hafenstadt Basra.

Fazit: Über kurz oder lang wurde der Abwehrkampf der USA gegen
„das Böse“, vorbei an allen UN-Resolutionen und allen Berichten von
UN-Waffenkontrolleure womöglich zu einem schicksalhaften Konflikt.
Selbst die Vernichtung der Netzwerke um Bin Ladens und/oder
seiner Organisation El Kaida oder anderer, böten letztlich keine
Gewähr dafür, dass aus der Masse von vielleicht 2 Milliarden
Muslimen nicht immer neue Scharen von Gewalttätern und
“heiligen Märtyrern“ hervorgehen könnten.
Der Irak und die verschiedenen Netzwerke, die dort operieren,
sind voll von ihnen, die den Tod nicht fürchten. Sie können
ihren Krieg in jedes Land der östlichen und westlichen Welt
tragen. Ob der globale Zivilisationsanspruch Amerikas einem
etwaigen konspirativen Aufbäumen dieser unberechenbaren
Kräfteverschiebungen standhalten könnte?
Michael MOORE, der sich zu einem Anti-BUSH Feldzug
anschickt, hätte sich ein Denkmal bauen können, wenn es
ihm gelungen wäre, diese Wahlverwandtschaften herauszuarbeiten.

„Alle Kriege sind nur Raubzüge.“ (Voltaire)

Dietmar Kesten 1.8.04 11:48