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Fahrenheit 9/11

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AUF ZUM NÄCHSTEN GEFECHT Dietmar Kesten 2.8.04 17:16

FAHRENHEIT 9/11

AUF ZUM NÄCHSTEN GEFECHT

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 2. AUGUST 2004.

In „Fahrenheit 9/11“ untersucht Michael MOORE welche
Konsequenzen ein Verbleiben des Präsidenten der
Vereinigten Staaten, George BUSH jun., in seinem Amt
hätte.
Mit viel Bildmaterial, das schockiert, erhebt MOORE eine
schonungslose Anklage gegen den 43. Präsidenten der
Vereinigten Staaten. Für ihn ist BUSH eine Marionette,
ein Mensch, der durch ein Komplott, durch Wahlbetrug
an die Macht gekommen ist, und der mit Täuschung,
List, der Angst und Argwohn regiert.
Der Film endet mit der Anrufung, oder Ausrufung eines
Zitates von George ORWELL, dass die
„mannigfaltige Verkleidung der Macht zur allgemeinen
Religion geworden ist... dass das wesentliche Problem
heute die Zähmung der Macht sei“ (vgl. „Das George Orwell
Lesebuch“, Zürich 1981). Niemals würden künftige Generationen
die Lügen und die Machtansprüche des George BUSH
vergeben und vergessen, aufgrund deren amerikanische
Soldaten im Irak und anderswo in den Krieg geschickt werden.

Nüchtern betrachtet hat noch nie ein Satiriker einen
Präsidenten so scharf und frontal angegriffen, wie MOORE
es tut. Ziel seiner Kampagne ist, dass die Amerikaner
ihren wahren Präsidenten erkennen mögen, und sie
ihn schleunigst bei der kommenden Präsidentenwahl
abwählen.
Es überrascht daher nicht, dass die Meinungen geteilt
sind. Der amerikanische Kritiker und Schriftsteller
Christopher HITCHENS, meinte, dass MOORE sich
in „billigem Spott ergießt“, er geißelt seine „Paranoia“
und seine „schlichten Lügen“ (alle Zitate „Die Zeit“,
22. Juli 2004).
Selbst führende Vertreter der Demokratischen Partei,
die von MOORE ebenfalls attackiert werden, sind
erschreckt über seine waghalsigen „Extremismus“ (ebd.).
Wie bekannt, hatte sich der Disney Konzern geweigert,
„Fahrenheit 9/11“ ins Programm zu nehmen. Amerikas
offizielle Filmprüfer hatten den Streifen mit „restricted“
bezeichnet.
Aber „nicht jugendfrei“ wären dann auch alle anderen
Gewaltfilme, die von Hollywood aus Europa und die
restliche Welt erreichen, wären auch alle japanischen
Gewaltfilme, die sich damit brüsten, besser als
Hollywood zu sein, da die Gewalt im japanischen Kino
seit jeher fulminant war.
MOORE entkleidet einen Präsidenten.
Und es geht darum, welchen Einfluss tatsächlich sein
Film auf die Wahlen im kommenden November haben
wird.
Da liest man Berichte über den Erfolg von „Fahrenheit 9/11“
in den amerikanischen Gegenden, die dem Demokraten
John KERRY huldigen. Das erscheint merkwürdig.
Es sind die Landstriche, in denen auch der Film von
Mel GIBSON „Die Passion Christi“ zum Renner wurde und
die meisten Besucher hatte.
MOORE soll als Satiriker und Filmemacher in den
Universitätsstädten vorne liegen, an der Ost- und Westküste.
Das kommt bereits einer Wahlauszählung nahe.
Die „New York Times“ hat das als einen Beleg dafür
gedeutet, dass das Land „hoffnungslos gespalten“ sei.

Was immer Michael MOORE sagen will: er hat ein
Embargo durchbrochen. Das untröstliche Leid des
11. September zieht er auf die Linie der amerikanischen
„Kollateralschäden“ im Irak, während man im
Hintergrund Donald RUMSFELD hört, der seine
These von der „Menschlichkeit“ verficht. Colin POWELL
erklärt unterdessen der Uno die vermuteten
irakischen fahrbaren Transporte für Giftgas.
MOORE unterbricht sehr streitbar den Versuch,
amerikanische Soldaten einzuschüchtern, die sich
nicht mehr für den Wehrdienst bei den Marines,
Air Force oder der Navy bewerben wollen.
Er interviewt im Militärhospital, zeigt Krüppel und
aufgebrachte Soldaten, die sich beschweren, dass
ihnen noch zusätzlich ihr Wehrsold gekürzt wurde.

Er konfrontiert uns mit der Apocalypse Irak, zeigt
Amerikaner, die im Blutrausch getötet und ihre
Seele im Gemetzel verloren haben.
Das ist gruselig. Es zeigt aber einmal mehr, dass
der Krieg durch den Automatismus bestimmt wird,
der in den Kommandozentralen vorbereitet wird,
Jeder noch so ‚perfekte’ Krieg wird die Leiden der
Menschen nicht mindern.
Im „Nebel des Krieges“ (CLAUSEWITZ) kommt vieles anders.
Verstümmelte Zivilisten, Massaker, Tote auf beiden Seiten,
lassen sicherlich in „Fahrenheit 9/11“ an Vietnam erinnern.
Das ist die Fortschreibung des Krieges „mit anderen
Mitteln“ (CLAUSEWITZ). Der Krieg sucht sich seine Opfer.
Jeder Tote, der zu beklagen ist, ist einer zuviel.
Darüber gibt es nichts zu streiten.
Das ist die Botschaft, die MOORE trotz aller Widersprüche
zu seinem Film vermittelt.

MOORE als Satiriker erscheint als Phänomen.
Es ruft den Menschen die Schandtaten eines
Präsidenten zu. Rhetorische ist das perfekt. So
macht man Propaganda, so agitiert man, so zieht man
die Menschen in seinen Bann.
Er muss sich jedoch den Vorwurf gefallen lassen,
dass seine Recherchen über die geheimen
Verbindungen des BUSH-Clans, der Familie
bin Laden und des Halliburton-Konzerns schlechte
Enthüllungen sind, die in sich logisch und faktisch
viele Widersprüche aufweisen.

MOORE ist sich vermutlich gewiss, dass sich hier
eine große Verschwörungstheorie widerspiegelt.
In Deutschland sind es vor allem
Mathias BRÖCKERS, Horst MAHLER,
Andreas von BÜLOW, Gerhard WISNEWSKI und
viele andere, die nicht der offiziellen amerikanischen
Berichterstattung trauen.
Der Hang zu Verschwörungstheorien ist sicherlich
auch eine journalistische Tradition, teils sogar
populistische in Amerika, wo seit dem Kennedy Mord
(22. November 1963) die Gerüchte über ein
Komplott nicht abreißen wollen, und auf die noch
einmal der Film „J.F.K. - Tatort Dallas“ (Regie:
Oliver STONE, 1991) aufmerksam machte.
MOORE reiht sich hier ein, was nicht gegen ihn
spricht, aber auch an diesem konkreten Punkt
nicht für ihn.

Trivial und kaum nachzuvollziehen, bleibt sein
Vorwurf an BUSH, er hätte Amerika für harte Dollars
an die Saudis verkauft, die dort schalten und walten,
wie sie wollen. Dazu holt er sich Experten zusammen,
die belegen sollten, was passieren könnte, wenn auf einen
Schlag die Saudis ihr Vermögen aus Amerika
abziehen würden. Die Antwort: „dann hätte Amerika
ernsthafte Schwierigkeiten“. MOORE und Ökonomie:
das wäre hier ein eigenes Thema, was nicht vertieft
werden soll.

Fazit: Alles in allem: MOORE ist ein Pionier des
Dokumentarfilms.
Doch zwischen Fakten und Fanatismus läuft oft der
schmale Grat des Niemandslandes.
Es wäre wünschenswert, MOORE könnte seine
nächsten Filme anders angehen.

Dietmar Kesten 2.8.04 17:16