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Muxmäuschenstill

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Dem Bürger auf's Maul geschaut Dietmar Kesten 17.7.04 13:32

MUXMÄUSCHENSTILL

DEM BÜRGER AUF’S MAUL GESCHAUT

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 17. JULI 2004.

Wer ist Herr Mux?
Deutscher Kleinbürger mit Moral, hochanständig, selbstbewusst,
sauber, adrett, immer zuvorkommend, hilfsbereit, freundlich,
ordnungsliebend und gerecht, manchmal spießig, aber doch
immer konform mit der Norm.
Über einen solchen Menschen hätte Karl KRAUS gesagt:
„Die Moralheuchler sind nicht darum hassenswert, weil sie anders
tun, als sie bekennen, sondern weil sie anders bekennen, als sie
tun.
Wer die Moralheuchelei verdammt, muss peinlich darauf bedacht
sein, dass man ihn nicht für einen Freund der Moral halte, die jene
doch wenigstens insgeheim verraten.
Nicht der Verrat an der Moral ist sträflich, sondern die Moral.
Sie ist Heuchelei an und für sich. Nicht dass jene Wein trinken,
sollte enthüllt werden, sondern dass sie Wasser predigen... Der
Moralist könnte es ernst meinen mit dem Kampf gegen eine
Unmoral, der er selbst zum Opfer gefallen ist. Und wenn einer
Wein predigt, mag man ihm sogar verzeihen, dass er Wasser
trinkt.“ (Karl KRAUS: „Aphorismen“, Frankfurt/M. 1986)

Mir seinem Debütfilm schaut Marcus MITTERMAIER in einem
Kinobild hinter die Kulissen dieser Überzeugungen und
entdeckt durchaus viel von der deutschen Seele wieder und
holt sie im Zeitalter der Moderne auf den Prüfstand, interpretiert
zugleich, liefert eine tollkühne, wenn man so will, selbst
unverschämte Sichtweise des (T-)Deutschtums.
Herr Mux (Jan Henrik STAHLBERG) macht seinem Ruf alle
Ehre. Vielleicht ist er ein Gelegenheitssadist, der es verdient,
dass man ihm über den Mund fährt, vielleicht ist er ein Schurke,
dem man nur mit distanzierter Freundlichkeit begegnen kann,
der mit Tricks arbeitet, andere als hilflose Opfer erscheinen
lässt, obwohl er selbst ein Namenloser ist.
Herr Mux schickt sich auf den Passionsweg, begibt sich in die
Rolle eines komischen Schauspielers, der sein eigenes
Benehmen amüsiert aufnimmt, um dann damit spielerisch
seinen Kontrollzwang der moralischen Macht und des Blockwarts
deutscher Tugenden erkennen zu geben.
Herr Mux erscheint bald als Patient, bald als Therapeut,
verblüffend, ungenießbar. Er ist Zumutung und Herausforderung.
Mit aufrichtiger Verachtung spricht er über andere, verlangt
praktische Übungen zur Bewusstwerdung, die er anderen
aufbürdet.

„Muxmäuschenstill“ hebt sich deutlich von der Lethargie des
deutschen Films ab. Mit seinen wunderbaren scharfsinnigen
Betrachtungen des Istzustandes, ruft er das Fertige inmitten
der Unordnung zur Rechenschaft.
Es geht um Personen, die in ihren heiligsten Momenten aufs
Korn genommen werden. Es geht auch um ihn; denn er ist
Philosoph, ein gelehrter Zeitgenosse, für den die Prämisse
gilt: Ordnung ist das halbe Leben, wer sorgfältig arbeitet,
macht keine Fehler. Achtung und Anstand sind für ihn
keine Fremdwörter. Und überhaupt ist er der scheinbar
perfekte Mensch, der abgrundtief mit selbstherrlicher
Anmaßung blickt.
Herr Mux ist die Doppelbödigkeit in Person. Er ist eine Hydra
mit vielen Gesichtern.
In seiner Eigenschaft als Individualist geht er gegen die
Verantwortungslosigkeit an. Er duldet keinen Tummelplatz
für undurchsichtige Machenschaften neben sich; denn sie
widerstreben seinem Ordnungssinn und seiner Moralität.

Unentwegt und leidend, manchmal verzweifelnd, beginnt er,
am Nullpunkt, entrüstet sich mit Berechtigung, um sich dann
den großen Sünden zuzuwenden.
Stichwort: Rüstungskonzerne, Michael SCHUMACHER.
Sie, die exklusiv sind, vom Elend anderer profitieren, keine
Steuern zahlen, geraten in seine Kritik. Natürlich auch die
Politiker, die selbsternannten Fernsehstars, die Gesellschaft,
die das duldet.
Dass sie brach liegt und sich kaum noch selbst mit ihrem
Schopf aus dem Sumpf zu ziehen vermag, stimmt ihn nicht
freudig. Sie hat halt ihre Ideale, den Glauben an sich selbst
verloren.
Und dann stürmt er auch schon los, um selbst als idealer
Held gegen die Verrottetheit, gegen Verwahrlosung, gegen
das ungehörige Benehmen der Zeitgenossen zu Felde
zu ziehen, einzuschreiten.
Mit dem Arbeitslosen Gerd (Fritz ROTH) reitet er gegen die
Windmühlen der Dekadenz an: er überführt Schwarzfahrer,
Schnellfahrer, Kaufhausdiebe, Sprayer, Päderasten,
Familienmörder und Freibadpinkler.

Hier ist er in seiner Sucht, anzuprangern, unstillbar,
gnadenlos, ohne Rührung, ohne Moral, ohne Erbarmen.
Sein empfindliches Innenleben ruft nicht zur stillen Einkehr
auf, sondern zum Moralapostel mit Ehrgeiz.
Wenn die Zivilcourage versagt, das Anrennen gegen die
Dummheit auf der Strecke bleibt, statt dessen die
Verhältnisse in Selbstjustiz einmünden, dann sind die
Worte von Mephistopheles aus dem Faust richtig
gewählt:
„Alles was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“
Und im Umkehrschluss hieße dann seine minimalistische
Prämisse: „der stets das Gute will und doch das Böse
schafft“.

Wie viele möchten das Gesetz sein, die Rache in
Person, die Vergeltung in der Aggression, Polizist und
Staatsanwalt, Richter und ehrenhafter Politiker?
Man erinnere sich an „Chatos Land“ (Regie:
Michael WINNER, 1971), „Ein Mann sieht rot“
(Regie: Michael WINNER, 1974) mit Charles BRONSON,
an „Dirty Harry“ (Regie: Don SIEGEL, 1971) mit Clint
EASWOOD, an „Falling Down“ (Regie: Joel SCHUMACHER, 1993)
mit Michael DOUGLAS, oder auch den jüngsten Streifen
„The Punisher“ (Regie: Jonathan HENSLEIGH, 2004) mit
John TRAVOLTA), wo nicht nur die feige Selbstjustiz
hoffähig gemacht wird, sondern auch die blutigen Hände
für schlimmste Peinlichkeiten sorgen.
Dieser Filmalltag ist abgeschwächt durchaus auch der Alltag
in deutschen Landen, wenn an das eigenmächtige Vorgehen
gedacht wird.
Und wer hätte nicht gerne frei zu erstehende Waffen ohne
Waffenscheinauflagen?
Die Konsequenzen aus dem Handeln von Herrn Mux wäre
genau aus diesem Wahn Tugenden zu machen.
Und Selbstjustiz heißt nicht immer mit der Waffe loszustürmen.
wie man an Herrn Mux sieht.

Er spürt Hundebesitzer auf, die ihre Vierbeiner auf öffentlichen
Wegen kacken lassen, drückt sie mit der Nase dorthin
hinein, sprüht dem Sprayer Farbe ins Gesicht und schraubt
dem Autofahrer, der zu schnell fährt, das Lenkrad ab.
Hier fühlt man sich als Betrachter wohl; denn wer würde hier
nicht selbst Hand anlegen? Hier kann man sich links
und bürgerlich gebärden, aber doch rechts und kleinbürgerlich
handeln.
Die Erde hat ihn wieder, bis zum Ende, bis es still um ihn
wird, Muxmäuschenstill.

Eine Satire, ziemlich ungewöhnlich und sehr gewohnheitsbedürftig.
Dass hier Debütanten spielen, mag nicht überraschen; denn
„da draußen“ meinte MITTERMAIER einmal, laufen „genügend
Debütanten“ herum. Henrik STAHLBERG gehört ebenfalls
dazu.
Die Komik des Films besticht durch den schwarzen Humor,
der sogar tiefschwarz ist.
Er ist passend für STAHLBERG, der wie ein Angriffskrieger
wirkt: er erteilt einem „verdorbenen Mädchen“ die Lektion
fürs Leben, seiner Freundin Kira (Wanda PERDELWITZ)
stammelt er die Opferrolle vor, obwohl er selbst Schluss
machen will mit all den Machenschaften und dem weltlichen
Gerede.
„Muxmäuschenstill“ ist deshalb auch außergewöhnlich, weil
seine Anspielungen mal literarisch, mal philosophisch sind.
GOETHE, KLEIST, KANT und HEGEL sind ebenso
präsent, wie die deutsche Romantik und deren tiefe Sehnsucht
nach der Vollendung, nach Herzensleid und Schau, die
Unmittelbarkeit, die über allem thront.

Herr Mux hält nichts von MADONNA oder Reinhard MAY.
Auf seinem Nachttisch liegt KANT.
Manch radikale Position möge hier präsent sein: die von
der Allgemeingültigkeit des kategorischen Imperativs,
der sauberen Spießer, oder die moralischen Gesetze.
Er drängt Schwarzfahrer dazu, überteure Tickets
zu kaufen, verdient selbst Geld damit und überführt so die
Straftäter („60 bis 80 in der Woche“) in eigener Sache.
Selbst ins Fernsehen kommt er, weil er will. Und er schafft
sich so Gehör und Ansehen.
Er gründet die „Gesellschaft für Gemeinsinnpflege“,
wird mit Angestellten bundesweit aktiv. Sie ist für ihn ein
Fanal gegen die deutsche Behäbigkeit.
So gedenkt Herr Mux Löcher in die Wohlstandsgesellschaft
zu graben, ihr tiefe Wunden zuzufügen.

Mehr Demokratie! Perestrojka mit Durchsichtigkeit!
Man hört ihn förmlich rufen.
Wenn er den Menschen das Blaue vom Himmel verspricht,
dann soll seine Botschaft dazu beitragen, das politisch
Korrekte zu finden.
Der harte Herr Mux ist dann doch kein Eisenmann.
Im Freundeskreis singt er Curd JÜRGENS
„60 Jahre und kein bisschen weise“, erfüllt einer alten
Nachbarin den Herzenswunsch, will sie mitnehmen nach
Capri, wo die Sonne versinkt.
Sie stirbt und sieht sie niemals.
Romantik, Rührung, ja Poesie. Hier ist Herr Mux er selbst.
Er ist die Negation der Negation, um Transparenz bemüht.
Und doch ist sein Gehabe nur die halbe Wahrheit.

Womöglich ist das entscheidende Thema von
„Muxmäuschenstill“ gar nicht die Moral, auch nicht die
Ethik im allgemeinen, deren hohe Ansprüche sowieso
niemand verwirklichen kann, sondern die Entfremdung.
Das deutsche Land ist zur stillen Einkehr verdammt.
Da kommt jemand aus der Diaspora und sagt:
Schluss mit lustig!
Die bürgerliche Kälte, die Eiszeit der Gefühle,
verbotene Nähe, Duckmäusertum, verspielte Offenheit,
verlorene Sprache und verlorene Ideen, kastrierte
Wahrnehmungen: Nosce te ipsum!

Das Leiden des Herrn Mux. Sein Leiden kann auch
unser Leiden sein.
So wie er wollen wir nicht sein, obwohl wir so vielleicht
sind.
Der Kleinbürger hingerissen zwischen Alltagssorgen
und Weltverbesserei at all.
Er wird allen nicht gerecht. Der Normalität nicht, der
Liebe nicht, der Gerechtigkeit nicht. Die Einsamkeit ist
Normalität, obwohl er sie abstreifen möchte.
Das Auge wacht: das ist seine Tragödie, das sind seine
Erfahrungen, in die er alles hineininterpretiert.
So auch seine Erwartungen an das Leben, an die Liebe.
Doch zu helfen ist ihm nicht.

Fazit: Das kritische Denken bleibt als Nachrichtendienst
über.
Wie einst Gretchen den Faust fragte „Heinrich, wie
hältst Du es mit der Religion“, so fragt er Kira
„kennst Du den Faust“? Deutsches Misere.
Man kann aus sich nicht heraus. Man ist berechnend,
vergleichend, dokumentierend, glatt, eitel, überlegen,
regungslos und kalt.
Übrig bleibt die Entfremdung, die Entfernung zwischen
den Menschen, die unendlich abzudriften scheint.
Wie in der Romantik kann nur die Liebe rettend und
erlösend sein. Doch sie stirbt am Ende- die heile
Welt ist in der Verzweifelung aufgelöst.
Ratlos stehen wir vor jemandem, der uns den Spiegel
vor die Augen hält.
Romantik oder Modernität, Hass oder Liebe,
verweltlicht oder weltlich. Wer die Wahl hat, hat die Qual.

Dietmar Kesten 17.7.04 13:32