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Rhythm is it!

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DIE NETTEN VON NEBENAN. Dietmar Kesten 19.12.04 15:22

RHYTHM IS IT

DIE NETTEN VON NEBENAN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 19. DEZEMBER 2004.

Pink Floyd besangen in „The Wall“ (1979) die Isoliertheit
und die Bedeutungslosigkeit des (jungen) Menschen in
der Massengesellschaft. Sie seien nur „ein weiterer Stein
in der Mauer“.
„Another Brick In The Wall“, die Singl-Auskopplung aus dem
epochalen Werk, wurde seinerzeit vom englischen
Rundfunksender BBC boykottiert.
Die harten Gesellschaftsfronten, die diese Zeit markierten,
haben sich durchgängig gehalten. Und es gibt keinerlei
Hinweis darauf, dass sie sich irgendwann und irgendwie
verbessern könnten.
An den Pranger wurden in diesem Song Neurosen, Paranoia
und die Abschottung gegen Humanität gestellt.
Und auch die Erziehung bekam ihr Fett weg. „Brecht die
Mauern der Education“ forderten Floyd, und ließen symbolisch
bei ihren Live-Auftritten riesige Kunststeine auf die Bühne
stürzen.
Dieser subversiver Protest, wenn auch zunehmend mehr und
mehr vermarktet und unehrlich, rief hervor, dass die alltäglichen
Konflikte und Fruste in neue Wahrnehmungen einmünden
könnten. Den Anstoß für diesen Aufbruch, so Floyd, gebe die
Musik.

Nun ist „Rhythm Is It“ kein Floydsches Panorama. Und erst recht
wollen aufgebaute Mauern nicht wieder eingerissen werden.
Doch die Erfahrungen mit (klassischer) Musik prägen auch hier
einen gesellschaftlichen Alltag, den Schulalltag von 250 Kindern
und Jugendlichen aus 25 Nationen, die STRAWINSKY proben.
Man befindet sich hier schon mitten im Film.
Der Choreograph Roystone MALDOOM und der Chefdirigent
Sir Simon RATTLE verhalfen diesem zusammengewürfelten
Ensemble innerhalb von wenigen Wochen zur Bühnenreife.
Die Bilder verstecken sich nicht. Sie betonen das Geschehen.
Das sind die zeitlosen Momente, die einen spürbaren Gewinn
mit sich bringen. Was als Abwechselung des Schulalltags eine
Überraschung darstellt, wird urplötzlich zu einem ästhetischen
Geschehen- eines der Leitmotive dieses Films.

Die Regiearbeit von Thomas GRUBE/ Enrique SANCHEZ LANSCH
zeigt das Flackern auf den Gesichtern der jungen Protagonisten,
wenn sie auf die große Entdeckungsreise mit den Berliner
Philharmonikern gehen.
Es gibt keine klotzigen Instrumente, keine schweren Flügel,
keine Engelschöre. Das sind die besten Augenblicke.
Augenblicke der Träume mit unglaublicher Bedächtigkeit.
In solchen Sequenzen erfährt man, wie ein ästhetisches
Räderwerk funktioniert, wie die Ekstase der Handlung sich
uneigennützig zu wiederholen beginnt.
Hier verschmilzt alles zu einer großen Musikfreude. Keine
Kamera löscht das Spiegelbild im Glasrahmen. Die Kraft
der Musik wird zum allegorischen Tiefsinn mit dem
das Geschehen stets neu aufgeladen wird.

Der Film steht für die Sehnsüchte nach zeitlosen Augenblicken,
die aus der Hölle ein Paradies machen können.
Und für einen Augenblick kann man die Tragödien der
Gegenwart verdrängen, wenn die Protagonisten jeder einzelnen
Kinominute den Zauber des Unwiederholbaren geben.
Die Bilder zeigen nichts Heiliges, aber sie heilen das
Alltägliche. Das sind die einfachen Zeichen des Lebens, die
verstanden werden.
Drei jungendliche Teilnehmer, die wie alle anderen zuvor
keine Erfahrungen mit klassischer Musik und Tanz hatten,
werden begleitet.
Mit kraftvoller Ruhe, eisenharter Disziplin, anfänglicher
Skepsis, Engagement und Selbständigkeit, erreichen sie
schließlich ihr Ziel.
Durch den Tanz erfahren sie eine ganz neue Bedeutung
zu ihrem Körper und somit auch zu ihrem eigenen Leben.
Tanz ist Kunst, Musik ist Kunst. Wenn beides miteinander
verschmilzt, dann ist das „Rhythm Is It“.

Kritisch muss man allerdings anmerken, dass diese Art
der Dokumentarfilme inzwischen eine Art Selbstläufer
darstellen.
Die zurückliegende Zeit hatte einer Reihe Dokumentarfilme
hervorgebracht, die sich allesamt den verschiedenen
Lebensbereichen verpflichtet sahen.
Von „Super Size Me“ bis zu „Die Spielwütigen“ vermengt
sich augenfällig die Dokumentation des Geflechts aus
Education, sozialem Engagement, Selbsterkennung und
Reflexion über eine sinnvolle Beschäftigung, die nicht
selten auf eine Karriere zusteuert.
Natürlich kann man einwenden, dass hier alles anders
ist. Und der Tanz als Ausdruck, die Musik als
Verinnerlichung, zeige doch die sprengende Kraft.
„Gottes vergessene Kinder“ (Regie: Randa HAINES,
1987/88) hatte bereits mit Jugendlichen gearbeitet.
und ihnen die Methoden und Möglichkeiten eröffnet,
durch Musik und Tanz eine ganz neue Beziehung zur
Außenwelt und zu ihrem Körper zu bekommen.
Der Film, der sich allerdings mit der Gehörschädigung
von Jugendlichen auseinandersetze, zeigte bereits hier,
dass die Bedeutung der Kommunikation in den
Prozess der Verständigung und des Respekts einmünden,
wenn der Gegenstand der Erkenntnis Freude bereitet und
Grenzen zu sprengen vermag.

Die in „Rhythm Is It“ angelegte Trendisierung der Verwandlung,
die Begegnungen mit dem eigenen Körper, das Schwanken der
Gemüter, die Verlockungen und die Zweifel, die Dialoge und
die Maskeraden, vermitteln viele moralische Geschichten, die
für sich genommen zwischen Sprache und Tun hin- und
herschwanken.
Das Wechselspiel der Kamera suggeriert zudem die
bekannte Nachzeichnung zwischen Nähe und Distanz, was
zwar nicht sonderlich stört, aber diese moralischen Geschichten,
selbst wenn sie ganz anders angelegt sind, bringen stets
das gleiche Ergebnis hervor: wir müssen eine Lösung
finden und daran glauben.

Man kehre zu Floyd zurück.
Lässt man sich auf die sprengende Kraft der Musik ein,
dann kann dieses Kino eine Wiederentdeckung der eigenen
Welt bedeuten.
Die „Mauern einzubrechen“, das bisher niemals
Wahrgenommene zu durchleben, spiegelt sich sicher in den
Gesichtern der jungen Darsteller wieder. Das ist Aufbruch
und Beginn zugleich.
Wenn sich das furchtsame Mienenspiel verwandelt, dann
bekommt man im Leben eine Chance, die manchmal
wahrgenommen werden muss.
Insofern ist Floyd auch hier Nostalgie inmitten intimer
Geständnisse. Was für die Freaks dieser einstigen
Supergruppe der ausgelebte Ton war, ist in diesem
Film zwar nur ein Tönchen, aber Berlin ist sowieso
ein Ort der Künstler.

Fazit:

Der Weg der Jugendlichen zeigt den Ausbruch, einen
Neubeginn, die Freude am klassischem Tanz und
der Musik.
Doch überall lauert der Geist der Abnutzung.
Leider können sich in der Zwischenzeit selbst diese
Art von Filmen nicht davon frei machen.
Selbst aus dem kärgsten Angebot werden manchmal
Kinoabenteuer mit dem stetigen Hang zur
Vermehrung.

Dietmar Kesten 19.12.04 15:22