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The Soul of a Man

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DAS FEUER DER LEIDENSCHAFT Dietmar Kesten 25.8.04 13:36

THE SOUL OF A MAN

DAS FEUER DER LEIDENSCHAFT

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 25. AUGUST 2004

Wim Wenders und seine Filme sind bekannt.
Er drehte Meilensteine wie: „Paris, Texas“ (1984),
„Der Himmel über Berlin“ (1986/87), „Bis ans Ende der
Welt“ (1991), „In weiter Ferne, so nah“ (1993),
„Buena Vista Social Club“ (1999),
“The Million Dollar Hotel” (1999), “Viel passiert - Der
BAP Film“ (2001).

Mit „Buena Vista Social Club“ hatte er gezeigt,
dass in ihm auch viel musikalische Leidenschaft
steckt.
Mit „The Soul Of A Man“ (2003) legt er nun einen
weiteren Dokumentarfilm vor, der teils anhand
historischer Recherche, teils anhand einer fiktiven
Inszenierung die drei Blueslegenden
Skip James, J. B. Lenoir und Blind Willie Johnson
ins musikalische Rampenlicht zurückholt.
Die Musik dieser zu Unrecht in Vergessenheit geratenen
Meister des Blues, spiegelte das Amerika in seinen
Entwicklungsbrüchen, den musikalischen
Strömungen, der amerikanischen Zeitgeschichte, der
wechselnden Moden und Tanzstilen wider.
Gerade der Blues wies die schwarze Musik als
unerschöpfliches Reservoir an Musikern und Songschreibern
aus.
Der Blues war der gemeinsame Nenner aller einstigen
Vokalgruppen und Balladensänger, die mit neuen Klängen
die Erfahrungen aus dem Alltag, aus dem sie hervorgegangen
waren, in eine musikalische Form brachten.
Im Rückblick kann man feststellen, dass der Blues eine
Zeit der tiefgreifenden Umbrüche in der schwarzen
amerikanischen Musik darstellte, und dass es viele Unbekannte
gab, die Musikgeschichte geschrieben hatten.
Hatte Eric Clapton noch jüngst auf seinem Album
„Me and Mr. Johnson” (2004) an die Blueslegende
Robert Johnson erinnert, so macht das Wim Wenders
filmisch.

Wenders zeichnet eine stimmungsvolle musikalische
Reflexion, die vor allem Blind Willie Johnson, Skip James
und J. B. Lenoir porträtiert.
Dazu gibt es immer moderne Interpretationen ihre Stücke
und Songs.
Mit dabei sind: Marc Ribot, Bonnie Raitt, John Mayall und
seine Bluesbreakers, Los Lobos, Lou Reed, Cassandra Wilson
Nick Cave, T-Bone Burnett, Beck oder
The Jon Spencer Blues Explosion.
Und aus dem Jahre 1969 sogar die legendären Cream
um Clapton bei einem Auftritt in der Royal Albert Hall.
Wenders gelingt es eindrucksvoll, Musik als zeitloses
Gefühl ohne die heutigen kalkulierten Arrangements zu vermitteln,
die typisch für die Produktionen seit den 70er Jahren sind.
Man muss sich klar machen, dass das ‚natürliche’ Gefühl
für Rhythmus, nichts anderes war, als die universelle
kulturelle Sprache, unter der sich der Blues als eigenständige
musikalische Richtung etablieren konnte.
Durchlebte Erfahrungen der Musiker waren ihm ebenso
wichtig wie die Nachzeichnung ihrer verschiedenen
Techniken, die auf der Gitarre, oder auf dem Klavier
einfach und revolutionär wirkten.

Bedenkt man, dass zu Beginn der 60er Jahre ganze Generationen
gegen den Vietnam, gegen Rassismus antraten, indem sie auch
mit Musik und Rhythmus zur Stärkung des Selbstbewusstseins
beitrugen, dann wird klar, welche Rolle diese vergessenen
Musiker und ihre Musikformen spielten.
Die fortschreitenden Ideale untermauerten auch den
Protestcharakter dieser Zeit.
Dieser schlug sich z. B. auch auf dem Newport - Folk-Festival von
1964 nieder. Skip James spielte hier vor ca. 18.000 Leuten.
Der Blues währt ewiglich. Zwar wurde ihm hier nur noch ein wenig
Ehre zuteil; denn er starb fünf Jahre später an Krebs, doch sein
individueller Eigensinn, seine Begegnung mit einer schweren
Zeit, Kontakte und Freundschaften überdauerte alles.
„The Soul of a Man“ ist eine treffende Collage aus Distanz und
Nähe, aus Verehrung und Verneigung, Stille und Schrei,
Erregung und Demut, Erzählung und Beobachtung.
Wenn Cream „I’m So Glad“ von Skip James spielen, dann
ist das viel Ehrfurcht, ein Teil einer kleinen
und dramatischen Gesichte mit bemerkenswerten
Wirkungen.

Mit Rezeptionen verbinden sich oft seltsame Dinge.
Wenders zeigt das am Beispiel von J. B. Lenoir
Berühmt wurde er erst, als ihm John Mayall 1967 eine
Nachruf-Ode schrieb. Doch schon ein paar Jahre vorher, hatte
ein Kunststudentenpaar aus Chicago versucht, ihm ein Denkmal
zu setzen: mit einem Dokumentarfilm für das schwedische
Fernsehen. Bei Wenders treten sie noch einmal auf.
Hier bekommt man auch ein Gespür dafür, warum der Beitrag
nie ausgestrahlt wurde: der Sound ist katastrophal schlecht,
die Situationen sind peinlich. Auf der Couch sitzen ein schwarzer
Herr mit Gitarre umrahmt von zwei weißen Freaks.
Und doch spürt man ein seltsames Feeling.
Es durchzieht eben den gesamten Film: das virtuos konstruierte
Dokument von Tragik und Triumph, dessen einziger Fehler im
Zuviel der Musik aus heutigen Sängerkehlen liegen könnte.
Wie es den wahren Stars des Films erging, erzählt
Laurence Fishburne: Blind Willie Johnson verstarb, völlig
verarmt, an den Folgen einer unbehandelten Lungenentzündung.
J.B. Lenoir wurde angefahren und erlag seinen Verletzungen, weil
man ihn im Krankenhaus abwies, die Geschichte von Skip James
ist bekannt.

„The Soul of a Man“ ist ein überraschender Film.
Ein Film, den man gesehen haben sollte, wenn auch die
Voyager mit ihren allzu pathetischen Mission penetrant wirkt.
Aber Wenders ist ein Botschafter des guten Geschmacks,
der auf die Stärken der Bluesmusik setzt.
Die Protagonisten sind edle Zeugen, die Hochachtung
hervorrufen.
Skip James, der 1931 für die Plattenfirma Paramount
Schallplatten einspielte und dafür nur 40 Dollar Spesen erhielt,
kehrte der Musik und ihrer beginnenden
Vermarktungsmaschinerie enttäuscht den Rücken.
Erst 1964 zum Newport Festival sah man ihn wieder.
Wenders Filmtechniken, das historische Bildmaterial
aufzuarbeiten, ist bestechend, wenn auch nicht gänzlich neu.
Das mag dem Film etwas von der Aura nehmen, die mit den
drei Herren verknüpft ist. Der eindrucksvolle Film ist
nicht nur etwas für Bluesfreunde, sondern auch etwas
für diejenigen, die nach musikalischen Alternativen im
Musikbusiness suchen.

Fazit: „Im Grunde mag ich jede Musik, die einfach
bleibt, und ich habe das Gefühl, dass in ihr das
Geheimnis liegt.“ (Otis Redding)

Dietmar Kesten 25.8.04 13:36