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Das Meer in mir

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LEBEN UND STERBEN. Dietmar Kesten 11.3.05 14:28

DAS MEER IN MIR

WENN DU LEBEN WILLST, WILLST DU AUCH STERBEN.

ODER DU BEGREIFST NICHT, WAS LEBEN IST (Paul VALERY)

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 11. MÄRZ 2005.

Ramon Sampedro (Javier BARDEM) ist seit einem Badeunfall
vollständig gelähmt.
Er liebte das Meer, die Atlantikküste in Nordspanien.
In seinem Träumen fliegt er über das Meer, über die Berge und
die Küstenlandschaften. Bis eines Tages das Drama geschieht,
das ihm mit fast 27 Jahren das Leben nimmt.
Von seiner Familie und seinen Freunden umsorgt, lebt er nun
fortan in dem Haus seiner Familie.
Nahezu bewegungslos liegt er in seinem Bett. Er hat nur einen
einzigen Wunsch: seinem Leben ein Ende zu setzen.
Seine Ausstrahlung und seine Güte führen dazu, dass er bald
eine Anzahl von Verehrerinnen hat, die in ihm den Mann fürs
Leben sehen.
Die Rechtsanwältin Julia (Belen RUEDA) will ihm helfen, seine
Gedichte zu veröffentlichen, während Rosa (Lola DUENAS)
eine tiefe Liebe zu ihm empfindet.
Sein Gesuch auf aktive Sterbehilfe wird von den spanischen
Gerichten abgelehnt. Doch Ramon findet schon längst keine
Würde mehr im Leben. Er beschließt, freiwillig aus dem Leben
zu scheiden.

Dass vor allem der Klerus sich diesem Film verweigern wird,
liegt auf der Hand.
Denn schließlich ist er ein „Skandal“, weil er das Recht auf
einen „würdevollen Tod“ einfordert, den die Kirche verweigern
muss.
Es war zu erwarten, dass Spaniens Kirchen, die Speerspitze
des Vatikans, sich über diesen Film empören. Offenbar deshalb,
weil sie gesellschaftliche Wirkungen fürchten. Sie starteten
schon lange vor dem Film eine aktive Kampagne gegen
die dort angesprochene Sterbehilfe.
Das „Leben habe seinen Ursprung in Gott“. Diese
moraltheologischen Aspekte werden sicherlich bei denjenigen
Menschen verfangen, die sich von vornherein dieser
Möglichkeit, aus dem Leben zu scheiden, verweigern.
Dass aber gerade sie helfen könnte, das nicht endenwollende
Leid der Betroffenen zu verkürzen, wird sie selbst mit dem
elendsten Leben nicht überzeugen können.
Alejandro AMENABAR („Open Your Eyes“, 1997,
“The Others”, 2001) hat die Geschichte mit Ramon Sampedro
eineinfühlsam verfilmt. Der Film stellt einen beeindruckenden
Kampf eines integeren Menschen dar, der das Recht, sein
Leben zu beenden, einfordert.

Was bis an die Grenze der Tiefen unserer Seele geht,
das spiegelt dieser Film beeindruckend wider.
Wie verhalten wir uns in ähnlichen Situationen? Haben wir
das Recht, selbst in diesen katastrophalen Lebenslagen
unserem Leben ein Ende zu bereiten?
Wer sich dem Film zu nähern beginnt, der erfährt viel vom
Leben und vom Tod, der erfährt, dass trotz aller nur erdenklichen
aufopfernden Pflege irgendwann eine Situation eintritt, die
nicht mehr überschaubar ist, und die die einzig mögliche
Konsequenz, den Freitod, hervorruft.
Obwohl Ramon dem Tode geweiht ist, so will er doch leben.
Das erscheint hier als nicht auflösbarer Widerspruch.
Ramon will leben, um seine Rechte bei Gericht einzufordern,
Ramon will sterben, weil er sein Leben nicht weiterführen
will. Das Tragische und das Melodramatische vermengen
sich hier unlösbar miteinander.
Bisweilen ist Ramon sogar lebensfroh, arbeitet mit seiner Anwältin
an der Herausgabe seines Gedichtbandes. Und findet
sogar ‚Lebensmut’, wenn er beginnt zu lieben.
Doch das Unausweichliche naht.
Trotzt seiner Lebensenergie ist er dem Tode näher als dem
Leben. Und er ist getrieben von der Tiefe nach der
Todessehnsucht. Und immer dann, wenn er aus dem Fenster
auf das Meer schaut, beginnt seine Traumreise des Todes.
Ein zutiefst menschlicher Film, der nicht mit den
üblichen Sentimentalitäten, die man kennt, kokettiert.
Er ist auch kein einfacher Film über eine nur reine Sterbehilfe,
sondern einer, der in sich eher paradox ist.
Er vermittelt Lebensmut im Angesicht des Todes.

Ein Höhepunkt ist sicher die Auseinandersetzung mit einem
gelähmten Jesuitenpater, der Ramon besucht.
Hier spiegelt sich die ganze Verwerflichkeit des Klerus
wider, der anscheinend aus mehr als 2000 Jahren
Kirchengeschichte nichts gelernt hat, oder lernen will.
Diese abgehalfterte Ideologie, die nur darauf aus ist, den
Menschen ein Lebens im Jenseits zu suggerieren, ist
hier beispielhaft demonstriert.
Allerdings betont Ramon auch immer wieder, dass es nur
um ihn geht, und dass keineswegs der eigene Wunsch
Allgemeingültigkeit besitzt.

Die zwischenmenschlichen Gefühle, die in „Das Meer in
Meer“ eingewoben werden, rufen einmal mehr
die Liebe als Ausgangs- und Endpunkt des menschlichen
Strebens in Erinnerung, die Sanftmut, die Trauer und die
Zuneigung zu einem Menschen in unmittelbarer
Todesnähe.
Selbst wenn es sich hier nur um eine mögliche Variante
des Suizids handelt, so hat dennoch die Liebe, die Ramon
empfindet, etwas ausströmendes an sich.
Es ist die Suche nach ihr, nach einem Stück
Lebensauthentizität in schwierigsten Zeiten. Diese Liebe
zu suchen und zu finden, schafft neuen Lebensmut.
Selbst dann, wenn man die schwierigsten Hürden
zu überwinden hat, wird man am Ende belohnt.
Nicht nur fürstlich, sondern königlich. Es gibt nur einen
Tod. Aber es gibt viele Arten der Liebe.
Liebe ist eben ein ‚Wunder’, ein Gewinn, ein lebendiger
Gewinn. Liebe ist das einzige und ewige Fundament.

Fazit:

Der Film ist ein unbedingtes Muss.
Ein bewegendes Drama, das sich dem umstrittenen
Thema nähert.
Beeindruckend sind alle Darsteller, allen voran
Javier BARDEM, Belen RUEDA und Lola DUENAS.

Dietmar Kesten 11.3.05 14:28