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Der Fluch - The Grudge

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GÖTTERDÄMMERUNG. Dietmar Kesten 4.3.05 13:21

DER FLUCH

GÖTTERDÄMMERUNG

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 4. MÄRZ 2005.

Das Problem des Horrors liegt in der Geschichte selbst.
Ja, das ist es, worauf das Kino seit Jahrzehnten immer drastischer und immer zielloser hinauswill.
Sex und Gewalt, Horror und Ekstase, Schaulust und Überwältigung.
Das Leben ist im Horror ein verdichteter Schock, der sich wie
eine schwere Last auf die ohnehin schon gemarterte Seele legt.
Die Augen der Kunden leuchten im Kino, während die Apokalypse ungehindert die Bahnen zieht.
Wer noch nicht begriffen hat, dass diese Clips unter die Haut eines Menschen schlüpfen, der hat nicht begriffen, dass hier das Ende zelebriert wird, mit einer solchen Inbrunst, dass der Ausdruck des Schreckens zum kalten Weiß der Hölle wird.
Die Übersättigung wirkt als Reise ins Jenseits. Zwischen Falltüren und Schienen gelangt man ins Labyrinth.
Hier (unten) gibt es keine Sprache, keinen Handgriff. Jede Geste entscheidet über Leben und Tod. Man verstummt, überlebt, oder ist dem Tod geweiht.
Das Schweigen des Horrors ist sein Handeln. Das macht die Filme so irreal.
Und weil man sich im Kino als Gejagter vorkommt, ist der Überbau dieser Filme so eingerichtet, dass man noch weit nach dem Kinogang dem Erbrechen näher ist, als der Sprachlosigkeit.
Hier belauern sich Jäger und Gejagte gleichermaßen: sie bewachen einander, stumm und verbissen. Und treiben uns in die unerträgliche Enge. Der Horror ist ein unterirdisches
Ausbildungslager, die den Riesenkäfig Kino abtasten, um mit
bunten Graffitis Medium und Hypnotiseur zu sein.

Nun gibt es wieder eine von unzähligen Horrorgeschichten, die
so wahr erscheinen, wie das Leben selbst, und doch nichts anderes sind, als in den Abgrund zu leuchten, wo sie ihren Ausgangspunkt nehmen.
Auf einem Haus liegt durch den gewaltsamen Tod einer Familie
ein Fluch. Alle Eindringlinge werden mit der Paranoia und dem Tod bestraft. Die Austauschschülerin Karen (Sarah Michelle GELLAR) ist Studentin in Tokio und arbeitet nebenher als
Pflegerin im sozialen Dienst.
Als eine Kollegin nicht zur Arbeit erscheint, erklärt sie sich dazu
bereit, für sie einzuspringen und deren Patientin zu übernehmen.
Sie macht sich auf zu einem Haus, das rein äußerlich völlig
normal erscheint.
Sie findet dort eine alte Frau verwahrlost und in Trance vor. Ein
Junge kauert verstört in einem Wandschrank.
Dann kehrt das Unausweichliche ein: sie hört Geräusche, die vom Dachboden zu kommen scheinen und erlebt nun den Horror „ihres Lebens“.
In einem Zeitraffer (Rückblenden) erfährt der Zuschauer, dass
„übernatürliche Kräfte“ am Werk sind, ihr Unwesen treiben, und
dass schon viele Menschen durch diesen Fluch“ ausgelöscht
wurden. Es scheint so, dass dieses „Geschehen“ durch schreckliche Ereignisse bereits vor Jahren in diesem Haus
geschaffen wurde. Und nun frisst sich „Der Fluch“ wie ein
Virus von Mensch zu Mensch, befällt alle, die das Haus betreten. Und alle müssen qualvoll sterben.
Wie immer gibt es kein Entrinnen. Und die Protagonistin
versucht nun quasi auf eigene Faust diesem Horror auf die
Spur zu kommen.

Regisseur Takashi SHIMIZU („Tomie Re-Birth“, 2001,
„Ju-on: The Grudge“, 2003) nimmt sich wieder einmal
einem Horror-Haus an, einem Spukhaus, das ein gewisses
Eigenleben entwickelt, und das als Schreckensort funktioniert.
Es gibt merkwürdige Geräusche, merkwürdige und eklige
Gesichter, merkwürdige Abläufe.
Wenn man im Kino nichts mehr zu erzählen hat, dann
erzählt man das Nichts. Das ist merkwürdig genug.
Und Horror in Vollendung.
Die Lust wird Angst, der Schock zum Gegenschock.
Wenn es in Immobilien zu spuken beginnt, dann treffen
Serienmörder und lebloses Zelluloid aufeinander: die
Geschichten werden zu schaurigen Clips, und die Versuche,
die Lücken dazwischen zu füllen, werden zu Randgeschichten.
Der ökonomische Umgang mit dem Schock lässt uns zu
bloßen Marionetten erstarren, die mit dem Zuschauer spielen.
Die Schockeffekte funktionieren wie jede neuentdeckte Leiche
als Heimtücke, wie eine Vorhölle, eine graue Wildnis aus
überfüllten Straßen, auf die ein ewiger Regen niedergeht.
Hatten schon „The Ring“ (Regie: Gore VERBINSKI; 2002)
oder „Dark Water“ (Regie: Hideo NAKATA, 2002) mit finsteren Augenblicken die verrotteten Wohnhöhlen dieser neuzeitlichen Zombies gezeigt, so ist „Der Fluch“ der Schritt eines
bewusstlosen Kinos in die Dämmerung des „Jüngsten Tages“.
Kein Triumph des Surrealismus über die Realität,
und kein optisches Juwel, das ohne jede Bluttat auskommt.

Diese Filme sind abgegriffen. Nicht deswegen, weil
die serial killer movies nicht nur die Fortsetzung der Kinderfilme
mit anderen Mitteln sind, sondern weil die Spielzeuge größer,
die Spiele böser und blutiger geworden sind.
Wenn die Balken knirschen und Kinder das Unheil ankündigen,
dann verlöscht im Kino langsam das Leben.
Wir haben uns daran gewöhnt, die Fratzen des Todes auf der
Leinwand zu sehen. Es sind die Bilder, die Tag für Tag
die Nacht zum Horror werden lassen. Es sind die Bilder, die
das Kino vom Horror der Gesellschaft abgekupfert hat.
Jene Bilder, durch die das immergleiche rechteckige Maul
in unsere Räume fluten.
Und wir behandeln sie so, als ob sie schon immer da gewesen
wären. Wir vergessen, dass es sie irgendwann einmal nicht
gegeben hat. Dass es eine Zeit vor dieser Kino-Zeit gegeben hat.
Diese Bilder setzen sich in der Erinnerung fest. Sie saugen die
Zeit auf und verwandeln alles in die Clip-Zeit. Diese Bilder
sind älter als wir. Und die Vervielfachung des Visuellen
bringt nicht nur neue Formen der Produktion hervor, sondern sie züchtet auch ganz neue Lebensläufe.

Die Jungen übergeben den Alten die Bilder und die Töne,
die haften bleiben- Erfahrungen aus einer erfahrungslosen Welt.
Erst erscheinen die blutverschmierten Körper auf der Leinwand,
dann die Leichen. Alles wird wie selbstverständlich konsumiert.
Die Wahrheit ist: Bilder verändern den Menschen. Ein Vierzigjähriger hat andere Filme gesehen als ein Dreißigjähriger. Das ist die Wahrheit. Selbst wenn sie niemand
mehr hören möchte.
Ein Kind hat ein anderes Kino im Kopf, ein Fernsehkino.
So entstehen die Altersunterschiede. Zwischen Schock und
Schock wird sich jedoch niemand erholen können.
So schickt „Der Fluch“ den mündigen Menschen in die
Unmündigkeit.
In die emotionale Vereisung, in die stumpfe Ruhe, in die
Kälte der modernen Städte und den Finsternissen.
Wir erleben eine ordinäre Reise in die Abstumpfung, in die
Langeweile.
Je länger der Film dauert, desto schwerer wird es, das
Blut von den Opfern zu trennen. Die „Vergletscherung der
Gefühle“ (HANEKE) ist in diesem Jahrhundert eine Reise
in die Schrecken des Eises und der Finsternis geworden.
Der ökonomische Terror entspricht spiegelbildlich dem
Terror auf der Leinwand. Ein Kino der Verzweifelung kann
kein Kino der Wahrhaftigkeit sein.

Fazit:

Ohne Würde und Wahrhaftigkeit kann kein Mensch
leben.
Wenn das Kino mit seinen merkwürdigen Genres diese
hohen moralischen Ansprüche zerstören will, dann ist
es besser, diesen toten Bildern den Rücken zu kehren,
als sich auf ewig Tod und Unglück auszusetzen.
Werfen wir sie auf den Grund des Ozeans. Es ist so
still dort unten.

Dietmar Kesten 4.3.05 13:21