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House of Flying Daggers

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UMWERFEND SCHÖN. Dietmar Kesten 8.1.05 11:00

HOUSE OF FLYING DAGGERS

UMWERFEND SCHÖN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 8. JANUAR 2005.

Hatten schon „Tiger & Dragon“ (Regie: Ang LEE, 2000)
und „Hero“ (Regie: Zhang YIMOU, 2002) für Verzückung
gesorgt, so ist das „Haus der fliegenden Messer“ eine
atemberaubende Verbeugung vor Tanz, Rhythmen,
Choreographie, opulenter Bildgestaltung und
faszinierender Körperbeherrschung.
Der chinesische Regisseur, der schon mit „Hero“ die
Freiheit des Frischen, des Neuen, der Leichtigkeit und
der hellen Federn ins Kino brachte, hat mit diesem Film
einen Ehrenplatz verdient.
„House of Flying Daggers“, ist eine Rebellengruppe, die
in der Tang-Dynastie 859 wie Robin Hood agiert- den
Reichen nehmen um den Armen zu geben.
Als ein Anführer dieser Gruppe wird Mei (Zhang ZIYI), die
scheinbar blind ist, vermutet, eine Tänzerin aus einem
Nobelbordell.
Als sie gefangen genommen wird, schweigt sie beharrlich
und gibt niemanden aus der Gruppe preis.
Deshalb sind die Rebellen den örtlichen Vertretern ein
Dorn im Auge. Die Offiziere Leo (Andy Lau TAK WAH)
und Jin (Takeshi KANESHIRO) greifen zu einer List,
um Mei umzudrehen.
Jin gibt sich als Überläufer aus, befreit Mei und hofft
darauf, dass sie ihn in den Inner Circle der Gruppe
bringt, damit sie zerschlagen werden kann. Er verliebt
sich in sie. Und auch Leo liebt Mei. Er und die
kaiserlichen Krieger folgen den beiden.
„House of Flying Daggers” ist ein Drama um
Liebe, Intrige, Treue, Hass: kurz eine klassische
Dreierbeziehung nimmt seinen Lauf.

Es gibt noch gutes Kino. Kino muss auch ein
Versuchslabor sein, in dem verschiedene Strömungen
aufeinanderprallen und wo experimentiert, inszeniert
und rebelliert wird.
Eine Reihe von Filmen in den letzten Jahren haben
gezeigt, dass man sich dem Mainstream und den
Blockbustern verschließen und entgegenstellen
kann.
Angefangen von „Dogville“ (Regie: Lars von TRIER, 2003)
bis zu den neueren Dokumentarfilmen (etwa:
„Die Spielwütigen“, Regie: Andres VEIEL, 2003, oder
„Super Size Me“, Regie: Morgan SPURLOCK, 2004)
konnte das Kino erfreuliches zeigen. Und nicht alles, was
von den Kritikern zerrissen wurde, war auch tatsächlich ein
Verriss. Während gleichzeitig die Ideologie der kalten
Filmmarktführer jeden Film mit Starbesetzung in den Himmel
log, waren es die stillen und leisen Filme, die wie der
Phönix aus der Asche auftauchten und für Furore sorgten.
Und da die Betrachtungen von Filmen zu allen Zeiten eine
subjektive Angelegenheit bleiben wird, stellte sich auch
öfter heraus, dass sich an diesen Punkten die Geister
scheiden.

Nun ist es beim asiatischen Kino so, dass es eine
revolutionäre Auffrischung sein kann, oder in der
totalen Überzeichnung nur einen Hollywoodabklatsch
darstellt.
Schaut man etwa auf aktuelle Inszenierungen (etwa:
„Zatoichi - Der blinde Samurai“, Regie: Takeshi KITANO,
2003), dann wird deutlich, dass das allzu blinde
Vertrauen in dieses Kino überwiegen mag.
Und nur weil es sich um asiatische Superstars
(vgl. auch „Ong Bak“, Regie: Prachya PINKAEW, 2004)
handelt, die es auf ihre Weise dominieren und Ideologien
weitergeben, sollte der Blick durchaus auch den
Schwachstellen des Martial Arts und der vermeintlichen
Perfektion gelten.

Es gibt indes Filme, die von allen Traditionen befreien,
die Betrug, Rebellion, Unterdrückung und Tod in
ein Melodrama einfassen und aus der erstarrten
Finsternis einen blühenden Morgen machen.
Zu diesen gehört „House of Flying Daggers“,
deren Bilder in Fotoalben gehören. Und dazu noch
Zhang YIMOU. Perfekter könnte ein solches Album
nicht aussehen.
Der Regisseur ist kein Unbekannter.
Bereits mit seiner „Roten Laterne“ (1992) zeigte er
sein ganzes Können. Das Haus muss in Ordnung
gehalten werden. Der Film war ein Attentat auf die
Schönheit der Farbe rot. Die Farben waren rein, grell
und blendend. Die Bilder geometrisch. Die Wandmalerei
war wie eine Verwandlung. Und sie verpuppte sich bei der
Wahrnehmung zu immer neuen Facetten. Hier zerbrach
die kalte Ordnung der Kinoclips, der moralisierenden
Besserwisser, der konventionellen Kinogeschichten und
der audiovisuellen Marktführer.
Die vollkommene Ästhetik war wie ein Abbild der
vollkommenen Macht. Der Film hatte ein Gesicht,
war Maske und Form zugleich.
Das war der Beginn der Meisterschaft.

So, wie Zhang YIMOU alles in Bild setzt, es in ständiger
Bewegung hält und seine Bilder aus allen möglichen
Perspektiven erzählen lässt (überragend ist die
Kamera von Zhao XIAODING), erzählt man Geschichten
der Leidenschaft.
Der liebevoll gestaltete Film ist ein Feuerwerk für die
Augen, wobei die Actionszenen und die
Kampf-Choreografie mehr spielerisch eingesetzt werden
und der ekstatischen Unterhaltung dienen.
Die grandiosen und prächtigen Kostüme, die
atemberaubenden Landschaftsaufnahmen und die
immer wieder erfinderischen und perfekten Tanzeinlagen
geben dem Film eine überwältigende Aura.
Die katzenhafte Kämpferin Mei ist die vollendete
Bewegung an sich. Für sich genommen zelebriert sie
die vollkommene Ästhetik. Es gibt Momente, da bekommt
man vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Mai
kämpft mit einem langen Bambusrohr gegen die
Übermacht der kaiserlichen Krieger, die hoch oben
im Gehölz angerauscht kommen. Eine perfektere
Kampfchoreographie kann es wohl nicht mehr geben.
Es passt einfach alles. In diesen Sequenzen
steckt das ganze Kino von Zhang YIMOU.
Er macht uns zu Zeugen unserer Überwältigung.

Interessant scheint der Zusammenhang zwischen
Seide, Blut und Bewegung zu sein.
Rot ist die Farbe der Revolution, die filmische
Sprache des Regisseurs, des alten Chinas und
des Chinas der Kulturevolution.
In China dürfte die Farbe Rot lange Zeit über die
des Fortschritts gewesen sein.
In Joris IVENS Dokumentarfilm „Die Geschichte des
Windes“ (1990) tragen die Pioniere rote Tücher,
die rote Fahne schwenkend ziehen sie durch das
Land. Rot sind bis heute noch Bänder und Schleifen
des Theaters, rot sind die Abzeichen der Parteigänger,
der Armee.
Rot ist jedoch auch ein anderes China, das älter ist als
die Revolution.
Rot sind die alten Gewänder, die Farbe der Braut,
der Hut der Sängerin und die Lampions der ländlichen
Feste.
Rot waren die Mauern des Kaiserpalastes (der sog.
Verbotenen Stadt) .
Und immer noch ist Rot die Farbe der Freude, des
Glücks, der Fruchtbarkeit und der Lust. Rot ist die
Farbe des Blutes, der Kollisionen. Und manchmal
auch der Weg ins Freie.
Selbst die Seide ist mitunter rot eingefärbt.
Wenn Mei ihre Schleier tief fallen lässt, damit herumwirbelt,
dann tanzt sie filmisch um ihr Leben.
Das Requisit vermittelt ihr eine Würde, die sie
bewahrt, den staunenden, um sie herumgruppierenden
Trommlern als ihr eigenes Spiegelbild offeriert.
Zhang YIMOU hat seit seiner „Roten Laterne“ aus
dieser Farbe den Rausch gemacht, ein
Frühlingserwachen. Er setzt seinen Weg konsequent
fort.

Das Farbenspiel kann sich indes im Laufe des Filmes
ungehindert durchsetzen. Nicht nur das Rote bringt die
flammenden Herzen hervor. Mit einem roten Farbtupfer
beginnt die Geschichte, und sie endet mit der
blutüberströmten Mei.
Alles ist an Farben gebunden, der Film ist wie ein
Programm, das mittels Farben vermittelt wird.
Sie sind programmatisch für alle Szenen, für jeden
Dialog und für das Bildergewebe.
Und erst die Grundierung schafft es, aus diesem Film
ein Festival zu machen, einen Meilenstein in der jüngeren
Filmgeschichte.
Es ist Waldesgrün, satte Brauntöne, alle Herbstfarben,
das Blaue des Himmels, die Wiesen, die Bambuswälder
und das Weiße (in China die Farbe der Trauer) ist der
Winter, der tragische Ausgang der ‚Fliegenden Messer’.
Selbst die Innenwelt passt sich der farbigen Außenwelt an.
Wenn Mei in die Wälder flieht, so sind ihre grünen Kleider
mit den Bäumen und den Zweigen wie auf wundersame
Weise eins geworden.

Der Film ist, wenn man so will, vielleicht ein destruktiver
Lebensentwurf!
Was ist Verrat, was ist Liebe? Alles wird hier in Frage
gestellt, aufgehoben, verworfen und wieder
zusammengebunden.
Der Zuschauer ahnt nie, welcher Figur er vertrauen
sollte, oder könnte.
In der Tat stellt sich Zhang YIMOU damit die Frage
nach der Illusion, nach dem Wahrheitsgehalt seiner
eigenen Bilder.
Die individuelle Hoffnung mag sich zerschlagen.
Die großen Fronten sind abgesteckt. Die Parteien,
die Rebellengruppe und die Machtverhältnisse verhindern
die große Liebe.
Sie zerstören das Glück, kehren die Eifersucht hervor
und lassen das Patriarchat triumphieren.
Um Macht und Liebe ging es auch in der „Roten Laterne“.
Auch hier ist der Ausgangspunkt das Bild der
Mächtigen, die zwar an ihrer kalten Ordnung zerbrechen,
aber in Mei wird die Würde der Frau bewahrt.
„Man muss Filme politisch machen“, schrieb einst
GODARD. Ob das hier zutreffen mag?

Fazit:

Das Filmjahr 2005 beginnt mit einem Paukenschlag.
Die Liebesgeschichte inmitten toller Landschaften,
mit spektakulären Kampszenen und einem
opulenten Bilderreigen geben dem Film die
funkelnden Augenblicke eines Leuchtfeuers in der
Nacht. Absolutes sehenswert!

Dietmar Kesten 8.1.05 11:00