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Lord of War - Händler des Todes

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ZWISCHEN ALLMACHT UND OHNMACHT Dietmar Kesten 17.2.06 13:25

LORD OF WAR - HÄNDLER DES TODES

ZWISCHEN ALLMACHT UND OHNMACHT

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 17. FEBRUAR 2006.

Mit dem Beginn der modernen Kriegsführung (seit dem Altertum, Beginn des 4. Jahrhunderts v. Chr.) begann auch deren Kommerzialisierung. Die Durchsetzungsgeschichte des Modernismus war davon geprägt, paramilitärische, zentralstaatlich - zentralistische und parapolizeiliche Organisationsformen stets mit Waffen zu versorgen, um Kriege zu führen. Das Gewaltmonopol des Staates duldete einst keine Privatsache. Eher ging es darum, die (Kriegs-)Technologie nicht aus der Hand zu geben und die Waffe als Träger der „Freiheit“ zu benutzen.

Die Entwicklung der Produktivkräfte machte schnell deutlich, dass die Waffenmonopolisierung Misstrauen hervorbringen musste, die gleichermaßen Unterworfensein und Unterdrückung war, weil jeder Pfeil, jede Lanze und jeder Schuss, der abgeschossen, geschleudert und abgefeuert wurde, im Ergebnis, die Unfreien darin bestärkte, sich selbst mit Waffen zu versorgen. Freie bürgerliche Subjekte begannen, dem Staat dieses Monopol streitig zu machen. Der Handel mit Waffen begann. Er begann dort, wo das Bild der Gerechtigkeit des Staates wankte, wo Schwert und Waage (Konfliktaustragung und Rechtssprechung) sich ideologisieren, instrumentalisieren und in seine Bestandteile auflösten. Die Revolutionen brachten als weltgeschichtliche Realität hervor, dass von nun an Waffen und Kriege für immer und für jedermann lukrative Geschäftigkeit bedeutet.
Der Handel mit Waffen wurde zu einem zeitlosen Phänomen.

Waffenhandel war immer schon ein Schreckgespenst der Globalisierung. Und der weltweit agierende Terrorismus ruft in Erinnerung, dass Waffenkrieg eine Fortsetzung jedweder Politik bleibt, die verbrämt mit affirmativen Glaubenssätzen und ideologischen Schulterschlüssen nun ihrerseits begonnen hat, mit Schwert und Waage eine Art Gegenstaatlichkeit auszuüben. Warlords, bewaffnete Banden und Gruppen, religiös - fundamentalistische Fanatiker, Bandenkrieger, geheimpolizeiliche und nachrichtendienstliche Vereinigungen haben sich ein System der Waffenbeschaffung geschaffen, um unter den Herrschaftsbedingungen der Krisenverwaltung nicht Abseits stehen zu müssen. Die zentrale Idee der Modernisierung ist für sie zu einem Disziplinierungsinstrument geworden, das den Niedergang der Warengesellschaft noch so lange ausfüllen kann, bis die Implosionen der Spannungsfelder von Markt und Staat in den Autokannibalismus übergehen. Die Leidtragenden sind am Ende die „verlorenen Kinder“ der Gesellschaft, weil sie diesen entpersönlichten Zombies und Schlächtern für alle Zeiten ausgeliefert sein werden.

„Lord of War“ (Regie: Andrew NICCOL) ist ein Film über Waffen, Krieg und Waffendealer, über Waffenproduktion, Fabriken, Verbrecher und Verbrechen, Subjekte, die ihre Existenz dem Handel mit Waffen verdanken. Die internationalen Waffenhändler sind die von der Irrsinnigkeit der Moderne „großgezogenen“ barbarischen „Zivilisationskrieger“. Es sind die Amokläufer, die im Nebel der „gesellschaftlichen Normalität“ stets im Verborgenen agieren, und die bestens in die Kultur von Amok und Blindwütigkeit hineinpassen. Es sind die, die die Gewaltkultur mit ihren blutigen Exessen massenhaft verbreiten helfen, die, die sich am postmodernen Zersetzungsprozess, an Plünderungsökonomie in allen Kontinenten, an der Schürung von Massenkriminalität von Banden in den Slums, Ghettos und Favelas beteiligen, die Krieg als Fortsetzung der kapitalistischen Konkurrenz mit anderen Mitteln betrachten. Die, die postmoderne Gewalt verkaufen. Und die, ihren (zivilen) Kriegsalltag in den Normal- und Dauerzustand überführen.

Andrew NICCOL (Regie: „Gattaca“, 1997, Drehbuch: „The Truman Show“, 1998, „S1mOne”, 2002) hat einen Film über diese „Dauerhändler des Todes” gemacht. Im Mittelpunkt steht die Orlov - Familie, die aus der Ukraine kommend, ihr Domizil in New York aufgeschlagen hat. Dort betreiben sie ein koscheres Restaurant. Hier beginnt die Geschichte von Yuri (Nicolas CAGE), dem älteren Sohn, der bald erkennen muss, dass sein Lebensweg und sein Lebenskreis dem Selbsterhaltungstrieb der modernen Gesellschaft dient; denn alles, was „Risiko“ ist, kann dem „verdinglichten Gott“ (das zum Selbstzweck erhobene Geld) geopfert werden. Anders ausgedrückt: „Freedom and democracy“ gibt es nur durch Krieg. Krieg gibt es immer wieder. Und mit diesem lässt sich jede Menge Geld machen. Frei nach COLUMBUS: „Geld ist ein wunderbares Ding. Wer dies besitzt, ist Herr von allem.“

Und so arbeitet sich Yuri hoch. Als Alleinunterhalter. Nicht aus individueller Verzweiflung heraus, sondern als historischer „Missionar“ der Idee, dass alles kaufbar und verkaufbar ist. Eins teilt sich in zwei. Selbst Anstand, Moral, Ethik und Wahrhaftigkeit. Yuri ist Täter, der nicht selbst richtet, sondern richten lässt. Seine Taten reifen wie alter Wein, sie sind an keinen speziellen Ort in der Welt gebunden. Frieden oder Krieg, das kann ihn nicht stoppen. Und er reagiert erzürnt auf Waffenstillstand und Machtwechsel. Dann verkaufe ich eben „auf dem Balkan“.

NICCOL inszeniert den „normalen“ und „gut angepassten“ Yuri bravourös. Er ist sogar moralisch: als sein Bruder Vitaly (Jared LETO) bei einem Waffendeal erschossen wird, treibt es ihm die Tränen in die Augen. Yuri ist aber auch Pragmatiker. Und voll von bittererer Weisheit. Wir etablieren eine Kriegswelt, die wir nicht mehr fassen können. Und diese „Entmenschlichung“ (Günther ANDERS) schreitet Tag für Tag voran. Yuri ist Hirte seines eigenen Selbst, die Unerbittlichkeit seines Tuns, die Strahlkraft seiner eigenen Härte. Und seine Tätigkeit in der Barbarei ist das Produkt der Verirrungen eines Mannes, der auf dem Schlachtfeld der Verherrlichung des Krieges wie eine (politische) Goldader ist: skrupellos, zynisch, verbrecherisch, reaktionär, mit versteinerten Glaubenssätzen, wenn es darum geht, Krisengesellschaft und Globalisierung seinen Bedürfnissen und seiner Tätigkeit
anzupassen.

Doch klar ist auch, dass Yuri nur ein (kleines) Rädchen im staatlichen Kriegsmaschineriegewerbe ist, das bis ins Detail hinein den kriegerischen Alltag der Subjekte verwaltet. Dass die Zivilisation Parteinahme für jede kapitalistische Weltpolizei ergreift, die „Frieden, Freiheit und Wohlstand“ für alle verspricht, ist nicht erst seit den beiden imperialistischen Kriegen zum Allgemeingut geworden. So kann sich auch Yuri ständig aufs Neue legitimieren. Selbst der Interpolagent Jack Valentine (Ethan HAWKE) kann ihm nichts anhaben; denn Yuri setzt auf die Karte seiner internationalen Bekanntheit und Verzahnung der internationalen Waffenkartelle, die kein Interesse daran haben, ihn verhaftet zu sehen. In diesem Todesspiel scheint jeder seinen Platz zu haben: der Pazifist, Politiker Gerechtigkeitsfanatiker und der Aggressor. Wer das Gewaltmonopol hat, setzt unaufhaltsam jene Tötungsmaschine in Gang, an deren Ende die käufliche Kriegsgewalt zum festen Bestandteil jeder bürgerlichen Ordnung wird.

Der Film liefert Zündstoff genug um nachzudenken über die größten Waffenhändler unserer Zeit, über die modernen Gewaltadepten. Das zynisch - böse, kompromisslose, sarkastische und faktenreiche Filmstück setzt sich allerdings auch der Gefahr aus, zu „ehrlich“ zu sein. Krieg und Moral, das verträgt sich nicht. Wenn Yuri seinem Sohn die Waffe wegnimmt, oder seiner Frau Ava Fontaine (Bridget MOYNAHAN) verspricht, „clean“ zu werden, dann setzt er sich damit einer gewissen Doppelbödigkeit aus. Seine Läuterung am Ende „Ziehe niemals in den Krieg, besonders nicht gegen dich selbst“, mag ein filmisches Risiko sein. Doch man lernt, mit dieser Schwäche umzugehen. „Lord of War“ gehört zu den besten Filmen, die jemals über diese Thematik gemacht wurden. Und woran sich gerade der jüngste Film von Sam MENDE („Jarhead“) zu messen hätte.

Fazit:

Brillant. Über viele Strecken eine bitterböse Wahrheit. Der Kreislauf der Waffenproduktion bis zur Vernichtung eines Menschen ist drastisch dargestellt und überzeugt. Über die genannten Schwächen sieht man gerne hinweg. Auch über drapiertes Blut und abgehackte Arme. Cage liefert seit „Leaving Las Vegas“ (1995)
seine beste Rolle ab. Der Abspann nennt im übrigen die größten Waffenexporteure dieser Welt. Zu Amerika, China, Frankreich und Großbritannien müssten aber noch die GUS - Staaten hinzukommen, die das AK - 47 (Avtomat Kalashnikov), die meist verkaufte Waffe dieser Welt, einst entwickelt hatten.

Dietmar Kesten 17.2.06 13:25