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Apocalypse Now Redux

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KRIEG IST SCHRECKEN. Dietmar Kesten 19.12.04 15:40

APOCALYPSE NOW

KRIEG IST SCHRECKEN, SCHRECKEN IST KRIEG

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 19. DEZEMBER 2004.

Im Vietnamkrieg erhält ein amerikanischer Captain
den Auftrag, einen Colonel zu liquidieren, der nicht
mehr zurechnungsfähig erscheint und sich im Dschungel
von Kambodscha als Herr über Leben und Tod
aufspielt.
Die Fahrt in einem Patrouillenboot konfrontiert ihn
permanent mit dem Krieg, der Härte der Aktionen und
der unsagbaren Schrecken.
Der Krieg nimmt dabei mehr und mehr alptraumhafte
Züge an. Er zeigt die tödlichen Auseinandersetzungen,
in die man mehr und mehr verstrickt wird, eine realistisch
harte Kriegsepisode mit polemischer Note und
glaubhafter psychologischer Darstellung.
„Apocalypse Now“ ist deshalb ein verstörender und
zerstörender Film über die Gräuel des Krieges.
Der Krieg wird von Francis Ford COPOLLA als das gezeigt,
was er ist: als Zerstörung des Menschlichen
schlechthin.

War bereits der 1. imperialistische Krieg (1914 -1918)
die „Urkatastrophe des 20. Jahrhundert“
(George F. KENNAN), so brachten die Krisen der
weltweiten kapitalistischen Modernisierungsgeschichte
den 2. imperialistischen Krieg
(1.September 1939 - 8. Mai 1945) als noch viel größere
kapitalistische Katastrophe hervor.
Das Elend dieser Kriege zeigte das gequälte,
zerfetzte und verstümmelte Leiden der Menschen.
Erich Maria REMARQUE (1898 - 1970) hatte in
seinem Buch „Im Westen nichts Neues“ (1952)
dieses unermesslichen Leiden und den grauenvollen
Schmerz durchleidend beschrieben.
„Es ist der Jammer der Welt, es ist die gemarterte
Kreatur, ein wilder, grauenvoller Schmerz, der da
stöhnt. Wir sind bleich.“
Tatsächlich hatte der Krieg als Missgeburt der Welt
das Licht erblickt. Er sollte noch für lange Zeit die
Erde in die Dunkelheit einhüllen.
Mit dieser blutsvermischenden Frontstellung sollte
sich die „Banalität des Bösen“ (Hanna ARENDT),
was sich nun keineswegs nur im Faschismus
offenbarte, im Wahnsinn des Kapitalismus
unüberbietbar zuspitzen.
Die jüngste globale Modernität ist seit Beendigung
des 2. Krieges zu einem Horrorkatalog geworden,
der jeden Winkel der Erde immer wieder mit Krieg
und kriegerischen Auseinandersetzungen überzieht.

Das paranoide Konstrukt Krieg, der motorisierte
Blitzkrieg brachte im Rüstungswettlauf die Selbstvernichtung
mit sich. Wieder einmal kristallisierte sich der alte
Satz des Vordenkers aller Kriegsstrategen, CLAUSEWITZ,
als richtungsweisend heraus, dass der „Krieg der
Vater aller Dinge ist“ (CLAUSEWITZ: „Vom Kriege“,
Frankfurt/M. 1980) ist.
Nur so konnte auch der fordistische Gedanke des
Arbeitszwangs, Rüstungskonsum und Akkumulation des
Kapitals durchgesetzt werden.
Im Selbstvernichtungsprozess erlebte die Welt ein
kriegerisches Debakel nach dem anderen.
Die totalitäre Weltmarkt-Demokratie hatte bereits im
Korea-Krieg (1950 -1953 mit dem späteren Fall von
Dien Bien Phu am 7. Mai 1954) ihre abscheuliche
Fratze gezeigt.
Im Vietnam-Krieg sahen sich die Amerika erstmalig einer,
zwar nicht militärischen, aber doch ideologisch überlegenen
nationalen Sammlungsbewegung gegenüber, die es im
Guerillakrieg mehr und mehr verstand, sich aus der
Umklammerung zu lösen.
Der Gründung der nationalen Befreiungsfront für
Vietnam (Vietkong) unter HO TSCHI MINH und General
GIAP 1960, setzten die Amerikaner unter KENNEDY und
dem damaligen Verteidigungsminister Robert McNAMARA
eine verstärkte Militärhilfe für Saigon entgegen.
Als Anfang August 1964 der Zwischenfall (ein amerikanisches
Boot soll von vietnamesischen Zerstörern aufgebracht
worden sein) im Golf von Tonking die Welt erschütterte,
antworteten die Amerikaner mit Bombern und flogen
Vergeltungsangriffe auf Vietnam. Die Welt hatte den
Vietnamkrieg.

Ab Februar 1965 intensivierten sie den Krieg. Die
Amerikaner hatten bis zur Erreichung der Maximalstärke
fast 500. 000 Mann im Einsatz.
Am 29. Januar 1968 begann die große Tet-Offensive
des Vietkong und der Nordvietnamesen.
Am 10. Juni 1969 proklamierte der Vietkong die
Bildung einer Provisorischen Revolutionsregierung
für Südvietnam.
Am 18. März 1970 wurde Prinz SIHANUK gestürzt.
General Lon Nol übernimmt mit amerikanischer
Zustimmung die Macht in Phnom Penh.
Der kambodschanische Bürgerkrieg beginnt.
Ende April 1970 dringen südvietnamesische Verbände
in Kambodscha ein, die von amerikanischen
Boden- und Luftstreitkräften unterstützt werden.
Schließlich ruft im Oktober 1970 Lon Nol in
Kambodscha die Republik aus.

Ab dem März 1970 gibt es neue Großoffensiven
der kommunistischen Divisionen am 17. Breitengrad.
Die Amerikaner antworten darauf mit Napalm und der
Wiederaufnahme des unbeschränkten Luftkriegs gegen
Nordvietnam und der Teilblockade dieses Landes.
Im Juli 1972 finden in Paris die ersten Friedensverhandlungen
statt, die seit dem Mai 1969 unterbrochen waren.
Die ‚Friedensverhandlungen’ der Amerikaner enden mit
massiven Luftangriffen gegen Hanoi ab Dezember 1972, was
in der ganzen Welt eine Protestwelle nach der anderen
nach sich zieht.
Am 27. Januar 1973 wird das Waffenstillstandsabkommen
für Vietnam unterzeichnet.
Ende Februar - bis Anfang März findet die Pariser
Vietnam-Konferenz statt, an der auch die VRCh, die UdSSR,
Frankreich und Großbritannien teilnehmen.
Ende April 1973 ziehen die letzten amerikanischen
Soldaten aus Südvietnam ab.
Im Juli 1974 beginnt die Offensive der ‚Roten Khmer’
gegen Lon Nol in Kambodscha. Im April 1975 ziehen sie
in Phom Penh ein.
Am 30. April 1975 fliehen die letzten Amerikaner unter
spektakulären Einsätzen ihrer Luftwaffe aus Saigon.
Der Einmarsch der kommunistischen Truppen ist nicht
mehr aufzuhalten. Südvietnam kapituliert bedingungslos.
In Dezember 1978 beginnt die vietnamesische
Großoffensive gegen Kambodscha.
Am 7. Januar 1979 erobern vietnamesische Truppen
Phnom Penh. Die Regierung Pol Pot flieht.

Hier irgendwo spielt „Apocalypse Now“, der industrielle
Krieg auf fordistischem Niveau.
Die USA mutierten hier zu einem ‚Weltpolizisten’ und
ihr beginnendes konkurrenzloses Militärpotential in
der gesamten Nachkriegsära der beiden imperialistischen
Kriege bildete auch den Hintergrund für die weitere
Expansion auf dem Weltmarkt.
Der Krieg konnte so zur internationalen Verflechtung
werden, der den totalitären Markt in die
„Modernisierungsverbrechen des 20. Jahrhunderts“
(Robert KURZ: „Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang
auf die Marktwirtschaft“, Frankfurt/M 1999, S. 525)
überführte.
In diesem Sinne war der politische Totalitarismus der
Amerikaner in Vietnam auch auf die spätere Geschichte
dieses Marktes und seiner Durchsetzungsgeschichte
zu beziehen.
Vietnam machte deutlich, dass der Charakter von
Marktwirtschaft und Demokratie immer „kapitalistischer
Selbstzweck“ (ebd., S. 544) ist.

Marlon BRANDO als der Höllenfürst Kurtz und Willard
(Martin SHEEN) sind ehrenhafte Männer mit
(selbst-)zerstörerischen Dimensionen. Währen der
eine (BRANDO) die Tabugrenzen überschreitet, ist
der andere (SHEEN) von der Moral überzeugt, die
sich aber in Wahrheit als Unmoral entpuppt; denn
der Krieg hat kein freundliches Gesicht. Was für den
einen ein Massaker darstellt, ist für den anderen
die doppelbödige Perspektive, sich lediglich nur aus
der offenkundigen Subversion von Kurtz zu befreien.
Das lässt in gewisser Weise die eigentliche Antwort,
die COPPOLA geben wollte, in die Desillusionierung
einmünden.
Die Waffen des Leidens in der realen Welt sind nicht
anders als die im Krieg.
Wenn sie mit grausamer Unerbittlichkeit vorgeführt
werden, dann sind das die Widersprüche, die sich
trotz der Nachzeichnung gelungener ‚Kriegscharaktere’
nur an konventionellen Erzählmustern reiben.

Die Sprengung des Films besteht in der Einmaligkeit
des noch nie gezeigten. Der Film hat auch eine lange
Tradition (Vorarbeiten liefen bereits ab 1976), und er war
erst kurz vor der Uraufführung im Oktober 1979 fertig.
Er setzt die Kenntnis der Vietnamgeschichte voraus,
weil sonst nie deutlich wird, warum es Massaker wie
Thuy Bo (Januar 1967) und My Lai (16. März 1968)
gegeben hat. Jeder Vietnamese war ein mutmaßlicher
Vietkong, was sich zielsicher durch „Apocalypse Now“
zieht.
COPPOLA erzählt vom Absturz des amerikanischen
Riesenreiches. Er stellte die äußere Gewalt als die
„ultimative Form der Dekadenz dar“ (Ignacio RAMONET:
„Liebesgrüsse aus Hollywood. Die versteckten
Botschaften der bewegten Bilder“, Zürich, 2002, S. 164).
Die Hölle wird zur Apokalypse, die Apokalypse zur
Hölle. Alle Werte werden hinweggefegt, die blutrünstig,
verräterisch, korrupt und lasterhaft sind.
Auf jene ‚historischen Werte’ hat sich seit jeher der
amerikanische Patriotismus begründet. COPPOLA
kann deren Scheitern aufzeigen, wenn er auch keinen
eigentlichen neuen Platz schafft, denn dafür sind
seine grauenvollen Bilder zu überzeichnet, die zu
intensiv aus Effekthascherei und Zwiespältigkeit
bestehen.
Der neue Pazifismus, der nach „Apocalypse Now“
folgen sollte, folgte nicht.
Aber der Film setzte ein Fanal gegen den Krieg.
Und das mit aller Deutlichkeit.
Der Krieg erscheint als total irreal. Die amerikanische
Gewaltbereitschaft verdeutlicht sich hier wie vielleicht
in keinem anderen Anti-Kriegsfilm.
Er ist ein Requiem. COPPOLA bemüht sich
Menschenrechte zu finden und sich gegen das
kriegerische Männlichkeitsgetue zur Wehr zu setzen.

Allerdings war der Film auch ein Beispiel für die
Vermarktungsstrategie.
Die Produktion verschlang ca. 30 Millionen Dollar.
„Apocalypse Now“ ist auch so die Zusammenfassung
der filmischen Modernität über den Krieg bis zu dieser
Zeit. Genau das machte ihn auch zu einem gewissen
Risiko.
Die Häufung visueller Effekte war nun nicht mehr aus
dem Kriegsgeschehen im Film wegzudenken, und auch
alle anderen Elemente, die dort zum Ausdruck
kamen (angefangen von der Kamera bis zur WAGNER
Musik) gehörten von nun an zu Hollywoodstandards.
Selbst die irrwitzige Verdichtung der Darsteller
und die halluzinoge Welt versetzte alle kommenden
Filmemacher und Regisseure in Verzückung.
Was wirklich in Vietnam geschah, kann jedoch kein Film
abbilden.
Sollte das ‚Erleben’ der Vietnamerfahrung in uns
Katastrophenstimmung auslösen?
Das Kino kann darauf insistieren. Mit dem Hubschrauber
zu fliegen und Krieg spielen, konnte nicht das Leiden
von Millionen Vietnamesen rückgängig machen.

Und gerade diese Hubschrauberszene hat sich
eingeprägt, die wie die Flussfahrt berauschend wirkt,
benebelnd, verzückend.
Hier nehmen wir selbst am Krieg teil, wir sitzen am
MG und warten auf Charlie.
Das ist schon seltsam. Kriegerische Karikatur?
Währen das Innerste der äußersten Verblendung
zustrebt, nehmen uns die zynischen Winkelzüge
der subjektiven Kamerafahrten gefangen.
Sie bemächtigt sich der Zuschauer. Sie führt uns in
einer Labyrinth aus Unterbewusstsein und fiktiver
Realität, die sich verschmelzen. Beunruhigende
und unangenehme Gefühle kommen auf uns zu.
Die ganze Situation gerät außer Kontrolle.
Und während wir selbst auf unserem Platz getroffen
werden, surft Robert DUVALL mit Leidenschaft.
Was für eine Kino!
Die Elemente der Todesverachtung inmitten von
Schlachten erinnern an einen Ausnahmezustand,
der keiner ist, weil von irgendwoher immer eine
Lösung angeboten wird.

Ob der Krieg bei COPPOLA zur Findung der
solidarischen Völkerverständigung beitragen konnte,
kann nicht beantwortet werden.
Das amerikanische Militär war eben nicht, wie
von COPPOLA dargestellt, Moralapostel.
Wer wie Kurtz vom Militärcodex abwich, wurde in
der Regel nicht zur Rechenschaft gezogen.
Im Film allerdings ist die Tendenz unübersehbar,
dass Willard ein Exempel statuieren muss. Und
die moralisch saubere Kriegsführung, die durch
„Apocalypse Now“ huscht, war nichts anderes als
einen kontrollierten Sektor zu befrieden.
Tiefes Verständnis findet indes Willard für Kurtz.
Kurtz hat Recht, das ist seine Quintessenz.
Das gibt dem Film eine gewisse Überraschungsnote.
Er bleibt an diesem Punkt zweideutig.
Die Interpretationen darüber fließen auseinander.
Vielleicht konnte sich COPPOLA nicht entscheiden.
Ist Kurtz der Höllenfürst oder nicht?

Fazit:

Der Film ist nicht gänzlich frei von militärischer Moral.
Das amerikanische Kriegsrecht, das in den begangenen
Grausamkeiten die Dimension eines Völkermordes
annahm, wird von Coppola genuin nicht hinterfragt.
Hatte doch einst McNamara ausgeführt:
„Wenn wir Indochina verlieren, werden wir den Pazifik
verlieren. Und dann sind wir noch eine Insel in
einer kommunistischen Welt.“
Es war auch diese Kolonialschlacht, die sich die
amerikanische Politik und ihr militärische Generalstab
wünschten.
Die US-Armee ist im Film kein schwaches Glied, obwohl
sie als schwächelnd erscheint.
Sie kann als völlig rein, unbeschadet und kindlich
naiv agieren.
Mit dem Versuch der Darstellung ihrer Tugendhaftigkeit
verlässt Coppola das Antikriegsdekret: die eigentlichen
Schuldigen werden nicht benannt.
Wenn niemand mehr für diese Politik verantwortlich
war, dann kann „Apocalypse Now“ mit seinen dauernden Siegen
der US-Armee, wo es in Vietnam doch nur eine Niederlage
nach der anderen gab, nur in ein Vakuum von vielschichtigen
Ideologien und permanent schwankenden
Standpunkten bezüglich seines Militarismus und
Kolonialismus einmünden.
Letztendlich verteidigte m. E. Coppola die politischen
Standpunkt der damaligen US-Führung.

Dietmar Kesten 19.12.04 15:40