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11'09''01 - September 11

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WOHIN GEHEN WIR? Dietmar Kesten 12.9.04 14:27

11. 9. 2001

WOHIN GENE WIR?

BARBARISIERUNG UND DAS ENDE DER SOUVERENITÄT

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 12. SEPTEMBER 2004.

11 Regisseure und Regisseurinnen aus verschiedenen
Ländern hatten 2002 die Möglichkeit bekommen, ihre Eindrücke
zum Terrorangriff am 11. September 2001, die in New York City
stattfanden, filmisch zu verarbeiten.
Es waren 11 Blickwinkel, die sie vollkommen frei gestalten
konnten. Sie waren nur ihrem Gewissen verpflichtet
Die Filmbeiträge aus Großbritannien/Frankreich unter der
Regie von Samira MAKHMALBAF, Claude LELOUCH,
Youssef CHAHINE, Danis TANOVIC, Idrissa OUEDRAOGO,
Ken LOACH, Alejandro GONZALES, Iñárritu, AMOS,
GITAI, Mira NAIR und Sean PENN spiegeln die Trauer nach
dem barbarischen Angriff des Terrorismus wider.
Sie sind ein Aufstand gegen jede Form der Gewalt, die jetzt
ihre Spuren bis in die Zentren der Weltgesellschaft legt.
Natürlich muss die weltkapitalistische Entwicklung angesichts
dieser Ereignisse begriffen werden; denn anders wird es
nicht möglich sein, den Terror als eine der politischen
Hauptgefahren des 21. Jahrhunderts zu begreifen.
Doch es geht auch darum, sich persönlich in die Entwicklung
einzuordnen, und sich zu fragen: wohin gehen wir?
Die Beiträge der Autoren rufen in Erinnerung, dass sie
ihre Trauer und ihren Schmerz nicht verbergen können.
Ein Jahr nach dem Angriff entschlossen sie sich, ganz
selbständig und mit unbekanntem Material die
Ereignisse zu hinterfragen. Dabei herausgekommen ist
eine eindrucksvolle Studie, die Mitten ins Herz geht.
Einzelne Beiträge zu erwähnen, wäre nicht sinnvoll, weil
man damit andere hinten anstellen würde.
Sollte man dennoch diesen Schritt wagen und einen
einzelnen herausheben wollen, dann ist das sicherlich der
Beitrag von Ken LOACH, der den Militärputsch in
Chile vom September 1973 mit den New Yorker Ereignissen
vergleicht, und der mich seltsam berührte, weil ich diese
Ereignisse in guter Erinnerung habe.

Im August 2002 hatte ich für einige Zeitungen einen
persönlichen Beitrag zum 11. September 2001 geschrieben.
Damals hatte ich mich mit neuerschienenen Alben unten
genannter Musiker beschäftigt.
Ich stelle diesen Text als meinen persönlichen Beitrag
zum 11. September 2001 zur Verfügung. 3 Jahre ‚Danach’
muss man sich erinnern; denn sonst kommt das
Vergessen

Der Film „11. 09. 2001” war im übrigen jüngst auf “arte”
zu sehen. Und er hat von seiner Aktualität nichts
eingebüßt, wenn an die Terrorangriffe des internationalen
Terrorismus in den letzten Monaten gedacht wird.

WOHIN GEHEN WIR?

DREI SONGWRIGHTER ZUM 11. SEPTEMBER 2001.

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, AUGUST 2002.

„La terreur, das sind großenteils nutzlose Grausamkeiten, begangen von Leuten, die selbst Angst haben...”schrieb Engels einst an Marx.

Jüngst spielten die Musiker Paul McCARTNEY „Driving Rain“ ein,
Neil YOUNG “Are You Passionate?” und Bruce SPRINGSTEEN
“The Rising”.
Paul McCARTNEY dem immer unberechtigterweise ein Hang
zur musikalischen Sentimentalität vorgeworfen wurde, der
„Yesterday“ (1965), mit John LENNON „All you need is love“ (1968),
„ Let it Be“ (1970) gesungen hatte, Paul, der ewig Junggebliebene,
der zwar immer eine Abneigung zu harten Gitarrenriffs hatte,
sich auch auf seinen letzten Alben wenig experimentierfreudig
zeigte, sich lieber auf altbewährte Balladen verließ, zeigt zumindest
bei zwei Songs aus „Driving Rain“, dass es ihm um eine sehr
persönliche Verarbeitung der September-Ereignisse geht,
die auch bei 'Sir' Paul einen bleibenden Eindruck
hinterließen.
„From A Lover To A Friend“ und „Freedom“ mögen für einige
als Ausrutscher gelten, sogar als „peinlich“ wie es
Konrad HEIDKAMP in der Zeit Nr. 33/2002 formulierte, als
Versuch, dem Songs in der Verwertungsmaschine des
Pop-Geschäftes einen Vermarktungsplatz zu verschaffen,
als Gospelhymne oder Betroffenheitsballade.
Doch das ist zu einfach, weil man ihm damit kaum gerecht wird.
Es bleibt unter dem Strich festzuhalten, dass seine Songs als
einfache Reaktion auf die Ereignisse des 11. September und
deren historische Nachwirkungen, einen nicht zu
unterschätzenden Stellenwert in den musikalischen
Nachbetrachtungen, die sich mit dem Terrorereignis
auseinandersetzen, besitzen, die Gänsehaut erzeugen und
viel Tränen.
Wenn Bob Dylan einst „The Time They Are A-Changin“ sang,
dann ist ihm nur beizupflichten.
Paul McCARTNEY nimmt den Faden auf. Er setzt den
Konflikt mit dem Vergessensmaterial in den Urschrei
nach Frieden um.
„Es kommen härtere Tage. Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont“, dichtete einst Ingeborg BACHMANN.
Und es ist ein Warnruf, ein Aufruf an die Fairness, (endlich!) friedvoll
miteinander umzugehen, für die Zusammengehörigkeit,
gegen Identitätszertrümmerung und gegen brüchige Frieden.
Paul McCARTNEY weiß auch worüber er singt; denn diese
lebenswichtigen Wahrheiten fordern das letztlich ein.

Im Oktober 2001 präsentierte Neil YOUNG seinen Song
„Let's Roll“, der als Glanzstück des Albums
„Are You Passionate?“, das einige Monate später erschien,
gilt.
YOUNG, einst mit CROSBY, STILLS and NASH verbunden,
später mit den „Crazy Horse“, die auf seinen vielen Alben
und seinen Live-Konzerten fast schon Kultstatus
erreichten, bringt mit seinem Album, vor allem aber
mit „Let's Roll“, komplizierte Gefühle mit wenigen Akkorden
in ein paar Minuten auf den Punkt.
Es ist auch eine Hommage an den Mut und an die Zivilcourage
jener Passagiere des United Airlines Fluges 93, die die
Terroristen daran hinderten, den Jet in weitere Ziele
zu steuern.
Neil YOUNG liegt jedes falsche Pathos fern. Das zeigte er
auch auf der öffentlichen Trauerfeier für die Opfer des
11. September, bei der er John Lennons Song „Imagine“ tief
ergreifend interpretierte.
Wer seine Musik kennt, dem dürfte bekannt sein, dass
der 56-jährige von seiner Leidenschaft getrieben wird, der
immer noch die Essenz des Rock ,n' Roll erlebt und ihn durch
seine verzerrten Gitarren zelebriert.
„Are You Passionate?“ zeigt ihn ungewöhnlich ruhig.
Das tut dem Album sehr gut. Die Stimmung die aufkommt,
macht nachdenklich und unruhig.
Vielleicht lieg es auch daran, dass er dieses mal mit
Musikern wie Booker T. JONES (Chef der Formation
„Booker T. MG's“, die schon Mitte der 60er Jahre einen
fabelhaften Ruf hatten), Steve POTS (Drums),
Donald DUNNS (Bass) und dem Gitarristen
Frank SAMPREDO von „Crazy Horse“ ins Studio ging.
Die blinden Flecke der Erinnerung versucht Neil YOUNG zu
zerschlagen.
Das schafft Platz. Denn nichts ist schwieriger in der Welt als
die eigene Demontage.
Denn die Zeitreise gegen das Vergessen beginnt erst,
wenn neue Gedanken in Hautnähe rücken.
Neil YOUNG hat ein Album vorgelegt, das den ganzen
Schmerz des 11. September in zeitlose Musik umsetzt.
„Are you Passionat?“ ist ein sehr gelungenes Album.

Auch Bruce SPRINGSTEEN gedenkt mit seinem neuen
Album „The Rising“ den Opfern und Hinterbliebenen
des 11. September.
SPRINGSTEEN, der den Rock auf der Bühne arbeitete,
dessen Konzerte länger als 3 Stunden dauerten,
der 'Boss', der sich seit Jahren rar machte, ist wieder
da.
Und seit der legendären 4 CD-Box (Live 1975-1985), die
er mit der nicht weniger legendären „E-Street Band“
einspielte, hält er jetzt reale Geschichten über
Terror, Tod, Witwen und Männer bereit.
Eine Umarmung an all diejenigen, die heldenhaft genug
waren, ohne zu zögern zu helfen, der Katastrophe den
Kampf anzusagen, der Verzweifelung eine Chance
zum Neuanfang zu bieten.
SPRINGSTEEN blickt zurück. Er ist wie ein Off-Sprecher,
der seine Stimme musikalisch von weniger prominenten
Studiomusikern, aber auch gestandenen Größen seiner
ehemaligen Begleitband untermalen lässt.
Dazu Streicher, ein pakistanisches Ensemble.
SPRINGSTEEN kommentiert, zeichnet nach, ist
literarisch.
Seine Bekenntnisse sind wie ein Felsen in der
Brandung. Und er verarbeitet auch viele persönliche
Schicksalsschläge, die er immer mit dem New Yorker
Desaster vergleicht:
„Lasst uns zurück ins Leben!“
Bereichernd wirkt ein Booklet, das der CD in deutscher
Sprache beigefügt ist.
So kann der Hörer sich auch ganz der Musik hingeben,
ohne beständig die Texte zu hinterfragen.
SPRINGSTEEN hat von seinem Pathos nichts
eingebüsst. Seine Nachrufe auf den 11. September reißen
die Verpackung auf.
Die Suche nach der Wahrhaftigkeit im Leben geht bis in
den Alltag hinein. Jedes zu Unrecht geopferte Leben bleibt
eine Herausforderung an alle, die Verhältnisse zu ändern
und sich nicht ewig die simplen Sprüche plumper Demagogen
anzuhören.
Wenn auch die „FAZ“ dem Album einen „Betroffenheitsklang“
unterstellt, es sei zu „poliert“ , nicht „differenziert genug“,
so erzeugt „The Rising“ viele Emotionen, die es notwendig
machen, den Terror und das Leben unter ihm zu reflektieren.

Fazit: allen drei Musikern geht es darum, dem 11. September
die Stirn zu bieten.
Das Ereignis möge sich nicht wiederholen, dass die Welt in
ein Tränenmeer stürzte und uns so nachhaltig verändert hat.
Heute bedarf es nicht mehr der großen Kriege, um Elend,
Angst und Schrecken zu verbreiten.
Hochmotivierte und technologisch hochgerüstete Gruppen,
die das eigene Leben und das anderer Menschen verachten,
sind dazu in der Lage, an jedem Ort und zu jeder Zeit Mord
und Terror zu verbreiten.
„Wehret den Anfängen!“
Paul McCARTNEY, Neil YOUNG und Bruce SPRINGSTEEN
versuchen dazu einen musikalischen Beitrag zu leisten.
Jeder auf seine Weise. Wer sollte dem etwas entgegenzusetzen
haben?

„Die Wahrheit reicht manchmal nicht aus
Oder ist sie wie jetzt
einfach zu viel.
Werfen wir sie fort
denn in diesem Kuss
ist sie zu finden,
im Herzschlag,
Haut an Haut
Lasst uns hinein ihr Lebenden,
eh' die Toten uns zerreißen.“
(Bruce Springsteen).

Dietmar Kesten 12.9.04 14:27