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A Beautiful Mind - Genie und Wahnsinn

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EINE MAßGESCHNEIDERTE ERZÄHLUNG. Dietmar Kesten 12.1.05 16:52

A BEAUTIFUL MIND

EINE MAßGESCHNEIDERTE ERZÄHLUNG

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 12. JANUAR 2005.

John Forbes NASH ist jener Mathematiker, der mit seinen
Beiträgen zur Spieltheorie die Wirtschaftswissenschaften
revolutionierte und schnell eine akademische Karriere machte.
Im Alter von 30 Jahren erkrankte er an paranoider
Schizophrenie. Es folgten Jahrzehnte der Krankheit, des
Wahnsinns. NASH geriet in Vergessenheit. Doch er wird
geheilt, beginnt zu arbeiten und erhält 1994 den Nobelpreis
für Wirtschaftswissenschaften.
Ron HOWARD („Backdraft - Männer, die durchs Feuer gehen“, 1991,
„In einem fernen Land“, 1992, „Apollo 13“, 1994,
„Grinch“, 2000, „The Missing“, 2003) hat mit
„A Beautiful Mind“ jene Geschichte verfilmt, die an
NASH (gespielt von Russell CROWE) erinnern soll. (1)

Lebensgeschichten zu verfilmen, das hat was.
Alle großen Männer durften sich in unzähligen Filmen
verewigen.
Gerade in jüngster Zeit hat eine Schwemme eingesetzt,
die weit über die Meere hinaus das Publikum
entzücken soll. In den kleinsten Ecken des Planeten
werden verstaubte Schinken gezeigt, die an Mitleid,
Rührseligkeit und Verständnis appellieren, und die über
alle Kanäle hinweg durch immer wieder neu
entstehende Bilder in unsere Wahrnehmung dringen.
Die ‚global players’ auf dem zusammenwachsenden
Kinoweltmarkt haben ein Gespür dafür, wie man am
besten das Publikum faszinieren kann, und mit welchen
Filmen man Befindlichkeiten erzeugen, sie ausbauen
kann, und wie ein sog. Massengeschmack erzeugt wird.

Sieht man sich vor diesem Hintergrund
„A Beautiful Mind“ noch einmal an, so springt ins Auge,
dass das endgültige Reich der medialen Supermächte
sich leider auch in anspruchsvollen Filmen festzusetzen
beginnt, dass das gigantische mediale Verdauungssystem
offenbar immer wieder Lücken findet, wo es ungehindert
hineinstoßen kann.
Dieser Rhythmus ist uns durch zig Fernseh- und Kinostunden
ins Fleisch übergegangen.
Liest man sich die Kritiken zu dem Film heute noch einmal
durch, so ist festzustellen, das besonders die großen
Feuilletons sich mit gegenseitiger schulterklopfenden
Bestätigung nur so überschütteten.
Ein Gang in die Online-Film Foren bestätigt das.
„A Beautiful Mind“ kommt in der Regel gut weg. Und
allein 8 Oscar-Nominierungen können nicht täuschen.
In der Tat bekam der Film einen Oscar für den besten
Film 2001. Jennifer CONNELLY (als Alicia NASH)
bekam ihn für die beste Nebendarstellerin,
Ron HOWARD einen für die beste Regie. Außerdem
erreichte CROWE eine Nominierung für den besten
Hauptdarsteller. Und es gab weitere Nominierungen.
Alles in Butter!
Der Film kann nicht schlecht sein. Und wehe, wer es
wagt, die heilige Ikone ‚Oscar’ anzukratzen. Und außerdem:
einen guten Film schlechtreden, das tun nur diejenigen, die
weit ab von Hollywood urteilen, und die ihre eigenen
Befindlichkeiten in diesen Film hineininterpretieren.
Da mag man von Selbsthilfegruppen reden, Verfolgungswahn,
Schüben oder sonst was.
Nur: eine immer wieder kehrende Auffassung macht eine
Sache nicht richtiger. Vor allem dann nicht, wenn der
Filmvorrat mit diesen Geschichten aufgebraucht ist

Nun ist „A Beautiful Mind“ nicht eine x-beliebige Geschichte.
Weil es sich um einen Mathematiker höchstens Ranges
handelt, und weil dieser an paranoider Schizophrenie
erkrankte, muss die ganze Publikumsaufmerksamkeit
diesem Mann geschenkt werden.
Gerade in Amerika wird immer wieder um die Gunst des
Publikum mit Männern oder Frauen aus der
Öffentlichkeit gebuhlt. Ihr Leben wird bis ins kleinste
hinein recherchiert, durchleuchtet, hinterfragt, abgeklärt,
offengelegt und nachgezeichnet.
In den letzten 40 Jahren gab es nicht eine Peson von
Rang und Namen, die nicht diese Prozedur über sich
hat ergehen lassen müssen.
Manchmal, wenn die historische Wahrheit nicht
genügend Stoff hergab, wurde nachgeholfen.
Filmisch gab es einer Katastrophe nach der anderen.
Angefangen von „Ali“ (Regie: Michael MANN, 2002)
über Erin BROCKOVICH (Regie: Steven SODERBERGH,
2002) und Rubin „Hurricane“ CARTER
(Regie: Norman JEWISON, 1999) bis zum deutschen
Film über die Boxerlegende Gustav SCHOLZ
(„Die Bubi-Scholz-Story“, Regie:
Roland Suso RICHTER, 1997). Es interessierten nur
Skandale, reißerische Geschichten, Fälschungen,
Stoffe für die Boulevardpresse, Frauen- oder
Männergeschichten.

„A Beautiful Mind“ macht eigentlich keine Ausnahme.
Bereits zu Anfang wird klar, dass es nicht um den begabten
NASH geht, sondern um seine Schizophrenie.
Der gesamte Film nimmt diese Krankheit zum Anlass, um
erst sachte, dann immer deutlicher, und zum Schluss
schon dramaturgisch das obligate Taschentuch zu
strapazieren.
Nein, das kann keinen Freigeist zu Jubelchören ausbrechen
lassen. Hollywood produziert Filme, die gerade mit
Sentimentalitäten ungeheuer erfolgreich sind. Und das seit
mehr als 80 Jahren. Die grandiose Traum-Maschine läuft
trotz aller Krisen immer noch auf Hochtouren. Es produziert
die Imagination für den täglichen Gebrauch, für die Welt,
für unser Gemüt und unsere seelische Verfassung. Das
Angebot von Hollywood sind seine Lügen. Und aus diesem
Grunde kann es das Gemüt der Zuschauer auch immer wieder
zum Schmelzen bringen.
Die Manipulation, die schwer durchschaubar ist, ist das eine,
das andere, dass es ihr aber gerade dort, wo sie durchschaubar
wird, gelingt, in unser Innerstes einzudringen.
Man unterhält sich dabei und bezahlt Geld dafür.
Hollywood übt so eine ungemeine Macht als älteste Kunst
des Märchens aus, vielleicht übersetzt in die Form der
„technischen Reproduzierbarkeit“ (Walter BENJAMIN).

Die ‚wahren Geschichten“, die erzählt werden, sind die
uralten Erzählungen, die meistens weit von den realen
Ereignissen entfernt sind (deshalb Märchen), und die
als weltumspannende Erzählung unter falschem Namen
zum Schicksal werden.
Dass NASH während des Kalten Krieges unter einem
Codenamen mit der Sowjetunion in Kontakt gestanden
haben soll, ist jene Fabel, die vielleicht nur für das Drehbuch
interessant war. Doch in Wirklichkeit gab es diese
Kontakte wohl nicht.
Die Ebenen, die beschritten werden, sind allerdings
doppelschneidig: NASH als liebender Mensch
(hatte er tatsächlich ein uneheliches Kind, war
er homosexuell?), NASH als Professor, NASH als
Geheimdienstler.
Perfekter kann man eine Stimmungslage, die diese
Ebenen umfasst, nicht hervorrufen.
So hat der Zuschauer dauernd diese penetrante Geschichte
im Kopf, die sich, wie in einem Vakuum, um sein Gehirn
legt.
Die Seelenscherben, die hier entstehen, kann man dann
nach dem Kinogang an der Kasse abgeben; denn der
nächste Tränengau kommt bestimmt.

Die Romantisierung, die Melodramatik, die
Legendenbildung und die Klischeestreuung- das sind Dinge,
die in diesem Film wie ein Zauberkino wirken.
Man braucht nur die Augen zu schließen, und schon
erschließt sich diese trostlose Welt von alleine.
Hier wird eine Krankheit abgefilmt. So, wie ein
Tornado mit der Filmkamera eingefangen wird, oder
Kriegsereignisse dem Fernsehkonsumenten dargeboten
werden.
NASH interessiert nicht wirklich, nur am Rande. Weil
der Film auf die reißerischen Momente insistiert, bekommt
auch niemand etwas von dem Wissenschaftler NASH
mit, von seiner Spieltheorie, von seinen neuen
Fragen, die er aufgeworfen hatte, und vor allem: niemand
bekommt mit, wofür er eigentlich 1994 den Nobelpreis
bekommen hat.
Hier begegnet uns die ganze Armut eines Films, der
die Wirklichkeit leugnet, so wie es für das amerikanische
Kino üblich ist.
Das Unterhaltungskino erstarrt in marktkonformer
Monotonie. Das gesamte Ensemble setzt sich aus
unscheinbaren Gestalten zusammen, die ihre
Abschieds- oder Spätwerke vorlegen.
Dieser Film ist ein Monolith. Verloren und allein.

Fazit: Allein Russell Crowe ist es zu verdanken, dass
der Film nicht gänzlich in der Versenkung verschwindet.
Ansonsten gibt es nur eine Bezeichnung für ihn:
blamabel und kitschig.

(1) Anmerkung des Autors:

Das Buch zum Film ist von
Sylvia Nasar: „Auf den fremden Meeren des Denkens.
Das Leben des genialen Mathematiker John Nash“,
Zürich 1999.
Eine Rezension darüber ist nachzulesen in der
Zeit:
 http://www.zeit.de/archiv/2002/10/fischermann_newyork17.xml
und bei Perlentaucher:
 http://www.perlentaucher.de/buch/75.html

Dietmar Kesten 12.1.05 16:52