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Der Anschlag

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ÜBER DAS VERSAGEN DER SPRACHE Dietmar Kesten 24.1.06 17:19

DER ANSCHLAG MIT BEN AFFLECK

ÜBER DAS VERSAGEN DER SPRACHE

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 14. JANUAR 2006.

Im August 2002 kam ein Film in die Kinos, der sich als hemmungslose Unterwanderung des fast schon vergessenen Schocks des 11. September 2001 verstehen wollte, „Der Anschlag“ mit Ben AFFLECK (Regie: Phil Alden ROBINSON). Der Film zielt praktisch auf die innere Sicherheit der USA ab. Und jetzt schon scheint er die Gemütslage Amerikas widerzuspiegeln, als möglicher böser Spuk oder als Albtraum. Was wäre Amerika ohne seine Helden im Film? Die Hälfte dieser Figuren liegt über Jahre hinweg im Koma. Nur wenige werden in die Arena geschickt, die dann die Welt zu retten haben. Doch die Synopsis der Kino - Utopien mit dem Schlachtfeld ist vakant. Mit dem zeitlichen Zusammenfall von realen und fiktionalen Erzählungen, entsteht so etwas wie gespenstische Prophetie, die Ängste einer durch und durch Krisengeschüttelten Nation geschickt zu variieren weiß.

Themen wie: innere Sicherheit, der Kampf gegen den Terror, Kriege, kriegerische Handlungen und immer wieder die pseudopoetischen Männer mit dem Computerhelm, den Navigationssystemen und den schussbereiten Hightech-Gewehren, die alleine einen Panzer abschießen können, bedienen einen Heldenmythos, der sich mit politischer und militärischer Brachialrhetorik und Brachialgewalt problemlos kurzschließen lässt. Eine Flucht in die triviale Wundergläubigkeit von Aufopferung
und Hingabe beginnt. Nicht nur im Film, auch im realen Leben. Dort, wo die mediale Mobilisierung einsetzt, den Verstand ausschaltet, und die Sprache lediglich zum Propagandakrieg erstarrt, werden die Verhaltensweisen des Individuums zerstört und kehren zum pathologischen Muster der Unterhaltungskriegsfilme zurück.

Im „Anschlag“ treten diese Phänomene schlaglichtartig auf. Sie sind so kompakt vereint, dass bei jedem Schritt der seltsame Übergangsbereich zwischen Leben und Tod fast sichtbar am
Horizont erscheint. „Der Anschlag“ bricht mit einem Tabu im Hollywood - Kino, dem Atomanschlag mitten im Herzen Amerikas. Und nur deshalb versagt die Sprache. Sie eignet sich nicht mehr
für diesen Zweck. Die geistvolle Verbindung gelingt erst mit dem Sog der Bilder, mit den unzerstörten Bunkern der US-Unterhaltungsindustrie, die konsequent keinen Neuanfang wagt, sondern sie auf dem Schlachtfeld fortsetzt.

Eine verschwundene Atombombe des israelischen Militärs ist der Schatten im Gesicht.
Das Pentagon schickt seinen besten Mann los, der die Sicherheitszonen umgehen kann. Ben AFFLECK findet schnell heraus, dass die Sprache kein geeignetes Mittel mehr ist, das
westliche Verteidigungssystem zu retten. Mit zunehmender diplomatischer Verwüstung und der
Verkümmerung der Dialoge, tritt dann das Unerwartete ein: die Atombombe explodiert inmitten von Baltimore. Ein hysterisches Trauma, das Krieg ist und beklemmende Bezüge hat. „Der Anschlag“ thematisiert den neuralgischsten Punkt der amerikanischen Gesellschaft: die Anschläge auf das WTC. Er hat den empfindlichsten Bereich der Moderne getroffen.

Die Parallelen sind fast schon einzigartig: Bilder aus New York, Bilder aus Bagdad, Explosionen über Städte, Streubomben, Katastrophen, Elend, Zerstörung, ausradierte Landschaften und apathische Menschen. Die Sprache versagt tatsächlich. Der unausweichliche Katastrophenfilm, der selbst „Independence Day“ von Roland EMMERICH (1996) glatt in den Schatten stellt. Der Film also, der immer als Vergleich herangezogen wird, wenn es um die Zerstörung des WTC geht. ‚Der „Anschlag“ ist ein Film wie kein anderer dieses Genres: er ist die pure kriegerische Unterhaltung. Er lässt die Zerstörung ganz ohne Sprache aufleben und zelebriert sie durch die vermeintliche Unzerstörbarkeit.

Baltimore wird zwecks Wiederbelebung der amerikanischen Moral geopfert. Es geht weiter, immer weiter, selbst dann, wenn die Erde radioaktiv verseucht ist, die Bunkermänner beim Aufstieg an
die Erdoberfläche in die verdunkelte Sonne sehen. Die Soldaten im fernen Bagdad besitzen einen ähnlichen Identifikationsgrad. Was im Film als unabänderlich gilt, ist auf dem Schlachtfeld
der letzte Schritt vor dem Großangriff. Wenn der Film tatsächlich den Glauben vermitteln sollte,
dass der Zweck der Sprache darin besteht, sich selbst oder anderen Ideen zu vermitteln, dann ist das die postmoderne Variante des Schreibens. Hier jedenfalls ist die Sprache eine Fußangel, eine Illusion, sie dient nur der Verfälschung und der Verdunkelung. Die Sprache, ein gesellschaftliches Konstrukt, die Bilder, eine Erzählung, Fragmente. Der Krieg vermengt alles. Doch die Sprache der Vernunft findet niemand.

„In der Sprache, die man am schlechtesten spricht, kann man am wenigsten lügen.“ (Hebbel)

Dietmar Kesten 24.1.06 17:19