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Road to Perdition

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VON DER REALEN GEWALT IM KINO Dietmar Kesten 25.9.04 14:13

DER PATE III UND ROAD TO PERDITION

REALE GEWALT IM KINO

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 25. SEPTEMBER 2004.

Vorbemerkung des Verfassers.

Jeder Killer im Film trägt seine eigene Handschrift.
Berühmte Serienmörder (vgl. etwa Hannibal Lecter in
„Silence of the lambs“ (Regie: Jonathan DEMME, 1991
werden abgelöst durch Auftragskiller oder Gangster, die sich
im Bankraub üben. Und die anschließenden Szenen diverser
Schießereien zeigt, dass sie zu ihrem ‚Beruf’ ein
scheinbar inniges Verhältnis zu entwickeln
beginnen (vgl. etwa „Heat“, Regie: Michael MANN, 1995)
mit Al PACINO und Robert DE NIRO.
Die Hauptfiguren brauchen sich nicht mehr zu verständigen.
Sie wissen, worum es geht. Neben diversen
Ehe- und Beziehungsgeschichten, gibt es nächtliche
Verfolgungsjagden, Orte, an denen das scheinbare Glück
Wohnt, und die Stoffauswahl der Regisseure ist eine
Überfrachtung mit Sex, Gewalt, Klischees und
Publikumsbuhlerei.
Die Beschwörungen von Freundschaften ist ebenso
präsent wie der Killerinstinkt. Männerträume lösen sich
auf um der Wahrheit oder Realität Platz zu machen.
Manchmal erscheinen diese Filme plumpe
Fortsetzungsromane zu sein. Die Beschreibung der
Verbrechen scheint nur dem einzigen Zweck zu dienen,
nämlich die Bluttaten optisch einzufassen (vgl.
etwa „Collateral“ (Regie: Michael MANN, 2004).
Jäger und Gejagte sind die Hauptfiguren, bloße
Marionetten in einem mörderischen Spiel. Die Abkehr
vom Menschen ist präsenter denn nie. In der Welt
von heute sind sie fast zu einem Anachronismus geworden.
Doch da sind noch die alten Bilder, die alten Geschichten,
von denen das Kino zehrt, aus denen immer wieder
neue Handlungen entstehen, die viele hölzerne
Figuren verschwinden, andere auferstehen lassen.
In „Der Pate III“ und „Road To Perdition“ treten sie aus
dem Schatten ins Licht, reißen die Augen auf und entdecken
das Wirkliche.
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Francis Ford COPPOLA gilt als Meisterregisseur. Er drehte den
Film, der für immer das Maß unserer Vorstellungen vom inneren,
beängstigenden und zerstörenden Dschungelkrieg, bestimmen
wird: „Apocalypse now”. (1)
Ein gigantisches Bilderfeuerwerk. Und er gewährte den
Eindruck, dass Vietnam, der zerbrochene amerikanische
Traum, sich ständig wiederholt; denn was in Vietnam
verloren ging, eroberte das Kino zurück: Helden, Mythen,
Ideale, verratener Patriotismus.
Und wenn Martin SHEEN, der Bezwinger des
‚Höllenfürsten' Kurtz, aus dem Dschungel auftauchte,
dann rechnete Hollywood mit den Lügen, den Klischees,
mit Glanz und Gloria ab.
Es war der siegreiche Film über einen verlorenen Krieg.
Und COPPOLA schuf die amerikanische Sage schlechthin,
die, von den Einwanderern aus Europa, den Familien, die sie
gründeten, und den Verbrechen, aus denen die
neue Welt entsprang: den „Paten“.

Es sind die Filme, mit denen Hollywood womöglich seine
besten Zeiten hatte, es sind Filme, mit denen die goldenen
siebziger Jahre begannen, und es sind die, die mit großem
Erfolg liefen, mit denen sich die amerikanische Filmindustrie
von ihren schlechten und härtesten Zeiten erholte.
Nach Schätzungen spielte „Der Pate“ Hundert Millionen Dollar
ein, und war zum damaligen Zeitpunkt nach „E. T.“ von
Steven SPIELBERG der ‚Heiland' des Filmgeschäfts.
Er wurde auch zur Legende. Für die Industrie und für
das Publikum. Zig Filme spielten später im Kino und im
Fernsehen in der Welt des „Paten“.
Unzählige Male wurden die Handlungsmuster, Darstellung,
Sequenzen, Dialoge, selbst die Kameraführung, Orte des
Geschehens, und last but not least, der Plot, kopiert.
Im Clan von Don Vito Corleone vereinigten sich erstmalig im
amerikanischen Kino die tragischen Gefühle des Vergänglichen,
des Alltäglichen und des Vorüberfliessenden.
In einer Form, die bahnbrechend war, weil „Der Pate“ sein
Eigenleben hatte und dieses verwirklichte.
Und weil er die „Leichtigkeit des Seins“ paraphrasierte.
Und immer, wenn man einem sizilianischen Begräbnis
zuschaute, war der Gedanke nahe, dass sich unter den
ausgebeulten Trenchcoats der Sargträger Batterien von
Thomson-Maschinenpistolen befanden.

Das alles haben wir Francis Ford COPPOLA zu verdanken.
Nachdem auch der zweite Teil des „Paten“ ein Kassenschlager
wurde, ein Kinohit, ein Publikumsmagnet, ging die
Produktionsgesellschaft Paramount daran, eine Fortsetzung
der Saga zu produzieren.
Mitte der 80er Jahre sollten John TRAVOLTA und
Sylvester STALLONE die Hauptrollen in einem neuen
„Paten“ spielen.
Viele Regisseure interessierten sich für eine Folge,
viele Schauspieler auch.
Nur COPPOLA nicht. Industrien sind eben beständiger als
Individualisten. In jedem Falle die Filmindustrie.
Sie bestimmt die Bedürfnisse nach Unterhaltung, der
Dramaturgie, nach Konflikten und Scheinkonflikten,
der Realität, der Regie, Entrückung, Hoffnung und Isolation,
der Vermarktung und der Sichtung der Gagen für die Darsteller.
Filmproduzenten brauchen manchmal nur zu warten, bis
sich ihre Ideen einlösen.
COPPOLA fiel ihnen von selbst ein, er fiel ihnen sozusagen in
ihren Schoss.
Und er erklärte sich bereit, den dritten Teil des „Paten“ zu
inszenieren. Im Frühjahr 1989 schrieb er mit
Mario PUZZI das Drehbuch.
„The Godfather III“ wurde in Amerika und Italien gedreht.
“Der Pate III“ dürfte für COPPOLA eine Versuchung gewesen sein,
der er nicht widerstehen konnte.
Er wollte keine Anekdoten schreiben, über die sich vielleicht
seine europäischen Kollegen belustigt hätten.
COPPOLA ging es um den Augenblick der Entdeckung,
einer Geschichte, die dem Publikum suggeriert, über das
Leben nachzudenken, über die Schwierigkeiten des Scheins,
und die des Seins.
Denn im Mittelpunkt des Films, der eher ein Schemen war
als ein Monument, eher ein Abenteuer als eine Geschichte über
Männer und Mächte, eher eine Fußnote statt geballtem Inhalt,
eher ein Nachspiel als eine Fortsetzungsvorlage, stand ganz
alleine COPPOLA.

Nicht der alternde Michael Corleone, der noch von dem kürzlich
Verstorbenen Marlon BRANDO so ausgezeichnet gespielt
wurde, sondern der, der seine Wiederauferstehung aus
dem Schuldenturm feierte: COPPOLA!
Irgendwann sagte er einmal, dass „Der Pate“ sein
„König Lear“ sei, den er hätte auferstehen lassen, der
die automatischen Waffen versteht, Killer und Morde, der vom
inneren Zirkel in die Außenwelt zurückkehrt, lebendige
Dialoge schreibt, dem autistischen Wahnsinn nahe ist,
der Verzweifelung, der Unterwelt und dem Tod.
Doch „König Lear“, wenn dieser Vergleich überhaupt statthaft ist,
war der frühvergreiste Don, der des amerikanischen Kinos
müde wurde, und der in seinen abgetragenen Hausschuhen
dahergeschlurft kam.
Verbittert, müde verweint, seine Umwelt nicht mehr
wahrnehmend.

COPPOLA war der Pate der Paten. Mit einer nicht zu
übersehbaren Schwäche für den Vatikan, die engen
italienischen Gassen und Opern, Shakespeare. Doch
der „Pate III“ war weder ein Königsdrama, ein Papstdrama,
und auch kein Aufzug in einer italienischen Oper, sondern
nur ein Sippenbildnis.
Ein bisschen interessant, ein bisschen eitel, fies, peinlich,
schwermütig und poetisch.
Es gab Momente in dem „Paten“, denen niemand widerstehen
konnte, der mit der Welt der Mafia und der Corleone Familie
im Kino aufgewachsen war.
Blicke von Terrassen auf immergrünende Gärten, die scheinbar
unberührt waren, Wolken, die über den Himmel ziehen,
minutenlang.
Mit untermalender Musik, holzgetäfelte Gänge, die die
ganze Melancholie der ‚Vendetta' zum Ausdruck brachten,
geschwärzte Salons, die zwar plump erscheinen, aber einen
Ehrenplatz der Loge sind, tiefe Sessel, die das gesamte
Ambiente des Sprengsatzes der Geschichte dieser Familie
ausfüllten.

Das Panorama von Lake Tahoe, mit dem der Film beginnt,
die alten Melodien, mit denen der Vorspann unterlegt war, und
die nun zum Finale zu hören waren, die Wiederbegegnung mit
Al PACINO, der seinen Durchbruch nur dem „Paten“ zu
verdanken hatte, und der als Don Michael mit aschgrauem
Haar, faltig und mit erloschenen Augen auftrat, die Schiessereien
in Atlantic City, die Wiederkehr der Instinkte, die Leitbilder
der Mafia-Clans. Blindheit, Abstumpfung und Weigerung.
Bilder und Geschichten, der Horizont des abgetakelten
Weltverständnisses des ‚Lebensgefühls' ganzer Mafiagenerationen
vom Töten und getötet werden, die Innenhöfe in Rom oder
Palermo, die alten Gassen- all das war Pracht des Alten und
funkelndes Neue.
Jeder Film blieb ohne diese Augenblicke, die schon wieder
Realität waren, ein Torso, ein Schleier, unter dem die Bilder
zu ertrinken drohten, ein Schluss ohne Ende, eine Verwandlung
ohne Wiederbelebung.

„Der Pate III“ war auch die Tragödie der Geschlechter und der
Familien gewesen, der Geschwister, die sich liebten.
Alle erzeugten Verlegenheit, Nervositäten. Sie überwachten
einander, stumm und verbissen. Und es begegneten uns
im Kino die Personen, die wir von nebenan kannten, aus
der U-Bahn, oder aus dem Einkaufszentrum.
Hastig eilend, fahrend, den Blick starr und stumm
geradeaus gerichtet.
Das war die Verkörperung des Alltags des „Paten“.
Es war die Rekonstruktion des Wirklichen.
Wörter wurden zu Gesten, der autistische Wahnsinn
feierte Premiere. Nur nicht in dem dramatischen Konflikt,
der die endlosen Fäden des „Paten“ webte und zusammenhalten
konnte. Als Mary von der verirrten Kugel eines Mörders auf
den Stufen des Opernhauses von Palermo getroffen wurde,
erhielt das Drama die gebührende Wendung.
Der Mythos war zerstört. Die Episode begann von vorn.
Der Laufsteg wandelte sich. Das Publikum erhob sich aus
dem Sessel. Und wie in „Casino“ mit
Robert DE NIRO schienen die dort gesprochenen
Sätze, „wenn sie dich anschauen, sehen sie, was sie sein
möchten, wenn sie mich anschauen, was sie wirklich
sind“, den „Paten“ eingeholt zu haben.
Ein Totentraum! Von der Geburt zum Sterbelager.
„Der Pate“ ein Gangster- und Mafiafilm: von irgendwoher
kommt immer ein Mörder.

Die Familie Sullivan ist wie die Familie Corleone
Sie könnte man als das getreue Abbild bezeichnen.
Die ‚anständige' Familie mit Vorgarten, Moralität, den
Träumen, Erinnerungen, Manieren, Verzweifelung,
Tränen.
Und dem Respekt vor dem Leben. Eine Familie, die der
Anständigkeit noch etwas abgewinnen kann, in einer
Welt der Prohibition und der Weltwirtschaftskrise.
So beginnt „Road to Perdition“ mit Tom HANKS,
der den Schattenmann Sullivan spielt.
Tom HANKS, vielleicht in seiner besten Rolle, den jeder
noch aus dem bewegten Drama „Forrest Gump“ kennt,
spielt mit selbstvergessener Routine seine Rolle in einer
Welt jenseits der maßgeschneiderten Anzüge
des „Paten“.
Keine unerträgliche Enge begegnet uns, und auch kein
Mittelmass gewöhnlicher Wahrnehmungen.
Manches, was im „Paten“ aufgesetzt und schal wirkte,
pathetisch, grotesk, raffiniert und selbstverliebt,
wird in „Road to Perdition“ aus dem Stakkato der
Einförmigkeit herausgeholt. Die Bilder der Angst,
die Kamerafahrten in Hüfthöhe, die Blicke auf Hände,
Füße, Waffen, Geräte, Gesichter, Räume und Augen
erzeugen die Tragik, die dem „Paten“ fehlte.
Tom HANKS ist der Killer Vincent aus
„Pulp Fiction“. Er ist cool, die Coolness schlechthin.

Obwohl er immer noch nicht das spielt, was er kann, und
immer noch zu sehr auf Hollywoods besten Saubermann
fixiert, so zieht er Al PACINO aus dem „Paten“ die
Zähne.
„Road to Perdition“ ist ein minimalistischer Mafiafilm.
Seine Episoden scheinen an einem einzigen Tag zu
spielen, so ausgefüllt ist er von der Wirklichkeit.
Er wirkt lebendiger als der „Pate“, ohne dramatische
Monologe, die aus einer Blase der Obsessionen
herausgeholt, und in ‚echte' Ereignisse umgesetzt werden.
Michael Sullivan ist der perfekte bürgerliche
Gangster, der auf die Familie schwört, und der Aufträge
erledigt, der seine Waffen und den Waffenschrank pflegt,
und der auch sonst versucht, sich der Augenlust des „Paten“
zu entziehen.

Sam MENDE plündert die Mafia Filme nicht aus.
Mit seinem Streifen setzte er die Duftmarken, die nun
für alle Stoffe, die vor diesem Hintergrund spielen, der
Magnetismus für die Zeit sind.
Über dem Film liegt eine eigentümliche Melancholie.
Der Mord an seiner Familie lässt Sullivan mit einem
überlebenden Sohn zur auseinanderbrechenden Person
werden, der selbst bei Morden Haltung bewahrt.
Das ist schon perfekt inszeniert und gespielt.
Es ist eine verstörte Botschaft, die MENDE dem Publikum
anbietet: wer am Ende rastlos wirkt, ist für alle Zeiten
gedemütigt. Er wird aus dem Verkehr gezogen, früher oder
später. Das ist gewagt! Doch wenn es um das
buchstäbliche Verrecken im Angesicht eines brausendes
Meeres geht, dann gefriert man steif in seinem Sitz.
Und es ist so, als ob die eigenen Knochen und Knorpel
splittern, wenn Sullivan vor einem halbgeöffneten Fenster
den Bildermythos zerbrechen lässt.

Das amerikanische Kino mag nicht mehr viel zu haben, außer
der Idee für das vollendete Bild im Film.
Nur im Western, im Gangster- und Mafiafilm kam es zur
Blüte.
Hier werden Tränen vergossen, dramatische Wendungen
erzeugt, Schauplätze festgelegt. „Der Pate“ tummelte sich
so eine Zeitlang in der Legende, so, als ob er nie gestoppt
werden könne.
Bis “Road to Perdition” kam. Killer und Mafiosos verschmelzen
zu einem Gesicht.
Und ist die Waffe erst draußen, wird alles ganz klar.
Wenn Mike dem Vater stumm und verbissen hilft, dann ist
das wie ein Flugzeug, das am Himmel verschwindet.
„Er war mein Vater“, hat mich gerührt. Eine Reise ins das
autistische ‚Ich' bietet uns MENDE an, in die Welt der
Gleichgültigkeit, in der am Ende nur das Überleben zählt.

„Road to Perdition“ lässt den „Paten“ weit hinter sich.
Er verlässt diese amerikanische Saga konsequent.
Vielleicht ist er sogar die Moralität im Film schlechthin?
Die Familienbande des „Paten“ war die des sich Belauerns,
des Bewachens, der Stummheit, der Verbissenheit.
MENDE schickt die Tiefe der Beziehung eines Sohnes zu
seinem Vater, der ein Killer ist, auf die Reise.
„Wer spricht?“, das ist die entscheidende philosophische Frage,
meinte NIETZSCHE.
Und darin sind Film und alle Fragen eingebettet. Es sind
aber auch die Fragen, die alle Thematiken berühren,
alle gesellschaftlichen Schichten, das Gewaltmonopol
des Staates, im Inneren, sowie im Äußeren.
Nur die Sprachlosen erkennen bei MENDE was Sprache
bedeutet, und nur die Ausgelöschten wissen, was es
heißt, am Leben zu bleiben.

Der Krieg ist weder bei MENDE, noch mit Sullivan zu
gewinnen. Die ‚Helden' von MENDE suchen verzweifelt den
Weg ins Freie.
Ihre Geschichten entschwinden, tauchen unter und machen
sich davon. John Rooney, für den Sullivan Aufträge ‚erledigt' und
den Paul NEWMAN spielt, sind die genauen Abbilder
der Realität. Sie funktionieren auf Zuruf.
Oder nehmen wir Jude LAW (der den Auftragsmörder und
Pressefotografen Maguire spielt), der den Zustand der
Trance absorbiert, indem er, um gute Fotos machen zu
können, den Sterbenden die Augen zudrückt.
Sie alle, ob sie nun augenzwinkernd wirken, oder sich
sonst wie produzieren: sie werden ihrem Schicksal nicht
entgehen.

Fazit:

Böse und gute Bilder sind entweder Versöhnung oder
Grab wie im „Paten oder „Road to Perdition“.
Wenn Gangster im Dauerregen ihr Leben lassen, auf
das Pflaster sinken, dann ist das so, als ob wir in diesen Bildern
ertrinken, so perfekt ist das gemacht. Wer sich die Filme
angeschaut hat, wird verstehen warum!

Dietmar Kesten 25.9.04 14:13