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NICHOLSON IST NICHOLSON. Dietmar Kesten 9.1.05 13:42

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NICHOLSON IST NICHOLSON

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 9. JANUAR 2005.

Warren Schmidt (Jack NICHOLSON) ist ein 66jähriger
Versicherungsangestellter, der in den Ruhestand versetzt
wird.
Nach dem Verlust seiner Arbeit und dem plötzlichen Tod
seiner Frau fragt er sich nach dem Sinn des Lebens.
Er sucht nach seinen Wurzeln, nach den Stätten seiner
Kindheit. Eine Reise zur seiner Tochter, die ihm längst
entfremdet schien, wird zu einer Odyssee, zu einer
Gratwanderung zwischen Wahrheit, Lüge, Komik, Tragik,
Verzweifelung, Hoffnung, Selbstfindung, Verzweifelung,
Lieblosigkeit, Einsamkeit und Entrückung.
Jack NICHOLSON begegnet uns als Abbild des amerikanischen
Westens.

Alexander PAYNE („Citizen Ruth“, 1996, „Election“, 1996,
Drehbuch zu “Jurassic Park III”) erzählt die Geschichte von
einem Mann, der durch die Lebensumstände und den Verlust
seiner Frau zu einem vereinsamten Menschen wird.
Durch eine Reise bindet er gesammelte Erfahrungen, die
sich in Bildern und Stimmungen niederschlagen.
Jack NICHOLSON kehrt zur Landstraße zurück. Dorthin,
wohin ihn einst „Easy Rider“ (Regie: Dennis HOPPER, 1969)
führte, begegnet er uns ein weiteres Mal mit seinen Träumen
auf einer Reise.
Allerdings dürfte ihm mittlerweile das rebellische
Lebensgefühl dieser Generation, der Rock-Generation der
60er Jahre abhanden gekommen sein.
Eine Fortschreibung des „Born To Be Wild“ (STEPPENWOLF)
dürfte daher kaum möglich sein.
Doch ist „About Schmidt“ ein Road-Movie. Die Kamera fängt
die Straße ein, Landschaften, Licht und Stille, Bewegungen,
Plätze, Städte, Blicke aus Fenstern. Visionen der Zeit, die
verfließt, und der Dinge, die bleiben.

Warren Schmidt verbrachte sein Leben mit Routine,
mit einer Kreisbewegung, die ihn immer wieder zum
Ausgangspunkt zurückführte. Das sind seine Schwächen und
seine Stärken. Seine Existenz hatte kein dramatisches
Kalkül entwickeln können. Seine Geschichten waren zugleich
bitter und tröstlich, mit tiefer Melancholie unterlegt.
Jahrzehntelang war er auf seiner Arbeitsstelle der
Disziplinfreak, der mit der Uhr auf Du und Du stand. Und er
vergaß darüber, dass das Leben mehr zu bieten hat als
nur Routine oder Disziplin.
Er stürzt sich in Abenteuer und versucht eine neue
Perspektive zu entwickeln.
Mit dem Tod seiner Frau die an einem Gehirnschlag stirbt,
zieht er sich auf sich zurück. Das Bild, das entsteht, ist das
Bild eins Davongekommenen.
Mit Trauer erleben wird das Leben eines Mannes, dem
urplötzlich die Liebe genommen wird.
Der Zuschauer durchläuft mit NICHOLSON eine
ebenso wunderbare wie schreckliche Amnesie.

Warren Schmidts Weg ist ein Rendezvous mit der
Tradition, den eingefahrenen Bahnen und den fremden
Träumen. Manche sind wie ein bunter Abend, andere wie
eine endlose Seance. Im ersten Fall wird die Langeweile
überspielt, im zweiten Fall wird sie ausgebreitet.
So explodieren sie, manchmal unverhofft und unerwartet.
Ein Schleier von Abwesenheit und Tagträumerei liegt
über jeder seiner Gesten: Schmidt geht durch seine
Geschichte, als wäre er nicht da. Sein Gesicht drückt
nichts aus, oder alles; denn er horcht in sich hinein.
Er will wissen, was noch möglich ist, und was ihn nicht
mehr tangiert.
Seine Daseinsberechtigung zu definieren fällt ihm
schwerer und schwerer.
Er kauert sich zusammen wie ein Embryo: leblos und
rein, unschuldig, seine Umwelt nicht wahrnehmend.
Und doch möchte er dem Mutterleib so schnell als
möglich entfliehen; denn er tastet sich aus seiner
Gedankenwelt heraus. Erst zögernd, dann sprunghaft,
einmal leise, einmal schnell.

Mit seinem Wohnwagen macht sich Schmidt auf zu einer
Reise in die (eigene) Vergangenheit.
Doch die Kindheitserinnerungen, die er ansteuert, erweisen
sich zunehmend als Abstumpfung, als Weigerung, diesen
Bildern noch etwas positives abgewinnen zu können.
So dünn und durchsichtig ist die Aura.
Das Aufschlussreichste, dass nichts dem Menschen
imponieren kann, wenn es um Vergangenheit und Größe
geht; alle geschriebenen und ungeschriebenen Wörter sind
die schrecklichsten Invasionen, Schablonen, Abstraktionen.
Davor wird Schmidt Angst und Bange, vor dem Enthusiasmus
der eingefahrenen Bahnen. Wann wird alles zum Abfall,
was ist aufzubewahren, wer speichert, wer archiviert,
wodurch ersetzt er sein Verlangen? Ob NICHOLSON erneut
in die verhängnisvollen Absurditäten des Irrgartens, wie
in „Shining“ (Regie: Stanley KUBRICK, 1979) grandios
dargestellt, hineinzugeraten droht?

Als Schmidt in die Hochzeitsfeierlichkeiten seiner Tochter
hineingerät, passiert das, was sich täglich dutzende Male
wiederholt: man bleibt ein Fremder unter Fremden.
Er schleppt sich durch diese Feier wie ein dünnhäutiger
Kolumnenschreiber.
Die Attitüden sprießen. Die Feier entartet zu einer
Selbsthilfegruppe, zu einer Bedürfnisanstalt des
Zeitgeistes, wo jede/r meint, seine Befindlichkeiten
wie Wasser abschlagen zu können. Was einer ist, was
einer war- im Quatschen wird es offenbar. Über den
alten Wirrwarr der Gefühle stülpt sich das Lallen der
Betroffenheit.
Aber in Wahrheit scheint alles gleichgeblieben zu sein.
Abstrakte Wahrheiten werden von Generation zu
Generation eigentlich immer weitergegeben.
So ist das Alltagsleben wie das der Liebesbeziehungen:
hier gesteht man seine Gedanken, da die Verbrechen,
gesteht man seine Sünden, die des Begehrens in der
Kindheit, und im Alter die Krankheit mit seinen Leiden.

Genau darum geht es in „About Schmidt“. Die lange
Heimfahrt ist ein zynisches Eingeständnis. Die
Lebenslüge, das sich alles zum positiven zu ändern
vermag, das man sich von innen Verletzungen heilen
kann, verabschiedet sich mit der stupiden Alltäglichkeit.
Wenn Schmidt erzählt, dann ziehen die Alpträume
vorüber, doch die Tagträume bleiben. In diesen Träumen
geht die Welt unter, in diesen Träumen steht sie wieder
auf. In der Erinnerung von Schmidt sind alle Tage gleich.
Treten langsame allmähliche Normalitäten ein, Besserungen,
dann sei danach zu fragen, ob seinem Leben als letztem
Prüfstein jede Lebensfähigkeit genommen wird?
Normalitäten, ein naiver Selbstbetrug? Erfahrenes, Erlerntes,
Erlebtes- das sind nur Gedächtnisaffären, gewöhnliche
Instruktionen eines Versuchsleiters, der dann das Experiment
abbricht, wenn die Tabellen mit Zahlen und Buchstaben
ausgefüllt sind.
Das ist tatsächlich das, was uns mehr als beunruhigen sollte;
denn seine illusionäre Kurzsichtigkeit und introvertierte
Gedankenlosigkeit wird unaufhörlich weitergetragen.
Beides entzieht sich unserer Kontrolle, der Vernunft, des
Geistes, der Willenskraft. Das Vergessen heilt keine Wunden,
es kann uns nicht aus der Dunkelheit ins Licht führen,
es verdunkelt die Gegenwart, ein Phantasiewerk, wie
eine Steinfigur, die aus dem Fenster geworfen wird.

Vielleicht ist dies das äußerte, was man von einem Regisseur
abverlangen kann, wenn er von Reisen berichtet?
Die Reise ist eines der beliebtesten Motive des Kinos.
Von der Gegenwart in die Erinnerung, Gratwandlung zwischen
Wahrheit und Schein, Satire und Komödie, Hoffnung und
Verzweifelung, Übertreibung und Poesie.
NICHOLSON findet sich in diesem Balanceakt vollkommen
gut zurecht.
Von der Realität in die Phantasie und zurück. Ein Blick
durch seine Zeiten. Ein Flug und ein tiefer Fall.
Die unauslöschlichen Bilder suchen nach den Stimmungen,
der Pracht des vergänglichen Augenblicks.
Schmidt ist Schmidt. Durch die Genauigkeit des Erzählens
bleiben wir keine Außenseiter, sondern werden ins
Geschehen einbezogen. Alle Geschichten, die erzählt werden,
sind schnell vergessen, die, die wir anderen erzählen,
die tradierten, die vom Wirbel der Zeit fortgerissen sind bis
nur noch ein Torso übrigbleibt. Wenn 'die Sonne sinkt'
durchschreitet Schmidt die Täler seiner Wünsche,
die 'großen Momente', scharrt alles rastlos zusammen,
Gestalten, den Zeitaufenthalt, die Gegenstände,
die Begebenheiten, die voller Konfrontation sind. Er will
das Vergessen rückgängig machen, das gegenwärtige und
beschwichtigende Handeln.

Die Dialoge des Films sind von betörender Eindringlichkeit.
Das liegt nicht nur an Jack NICHOLSON, sondern auch
an Kathy BATES („Misery“, Regie: Rob REINER, 1995,
„Dolores“, Regie: Taylor HACKFORD, 1995,
„Titanic“, Regie: James CAMERON, 1997,
„Mit aller Macht“, Regie: Mike NICHOLS, 1998,
„American Outlaw, Regie: Les MAYFIELD, 2001,
“Im Zeichen der Libelle”, Regie: Tom SHADYAC, 2002).
Hier wird nach der alten Filmweisheit verfahren, das alles, was
im Bild zu sehen ist, auch gesagt werden muss.
Die Rückblende zeigt uns, dass wir nur mit der Erinnerung
leben können.
Schmidt führt uns das vor, was wir noch nicht verstanden
haben, aber verstehen müssen, damit wir der Zukunft
aufrichtig begegnen.
Wir kriechen in die Auster, die Schmidt für uns öffnet,
hinein. Die Schale des Lebens, hier wird sie uns förmlich
überreicht.
Und obwohl jedes Leben anders verläuft, sind alle
Parallelen zu unserem Alltag nicht von der Hand zu weisen.
Die Leitmotive von Schmidt sind vibrierende Bekenntnisse.
Voller Melancholie hat er sich dazu entschlossen, sein
Schicksal anzunehmen.

Warren Schmidt verkörpert den Durchschnittsmenschen,
dem der Boden unter den Füßen wegbricht.
Was war und was ist- das stürmt für alle Zeiten auf uns
ein. Der Film mag zwei Ausgänge haben, einen in der Realität,
einen anderen im Traum.
Im einzelnen sind sie austauschbar. Das Gefühl eines
erfüllten Lebens gibt es nur im Traum. Die Realität zerstört
dieses täglich und unaufhörlich.
Das Wertegefühl bricht unter dieser Last zusammen. Der
Einzelne im Gestrüpp der Macht kann daran zerbrechen
Schmidt ist ein Sinnbild der Zeit.
Und während man sich dem Abspann konfrontiert
sieht, begegnet uns vor dem Kino eben dieser Schmidt.
Diese Geschichte ist nur eine von unzähligen, die wir
erfahren. Andere erfahren wir nie. So sind sie alle:
Inseln der Nacht.

Fazit:

Ein famoser, totaler überzeugender Nicholson.
Während er in der Dunkelheit verschwindet, sind wir
in diesem Augenblick der einsamste Mensch der
Welt. Die Uhr bleibt im Kino stehen. Bald wird
es hell.

Dietmar Kesten 9.1.05 13:42