filmz.de
Closed

Das Leben des David Gale

[ Info ] [ Links ] [ Kommentare ]
BITTER Dietmar Kesten 22.2.06 16:18

DAS LEBEN DES DAVID GALE

BITTER

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 22. FEBRUAR 2006.

Zerrissen in politischer und kultureller Hinsicht ist „Das Leben des David Gale“ (Regie: Alan PARKER, 2002). Was viele Filme nicht erreichen, schafft er mit seinem Drama über den politisch aktiven Philosophieprofessor Dr. David Gale (Kevin SPACEY), der in einem Gefängnis in Texas einsitzt, weil er eine Kollegin ermordet haben soll. Einige Tage vor seiner Hinrichtung gibt er der Journalisten Elizabeth Bloom (Kate WINSLET) ein letztes Interview, um ihr die wahre Geschichte zu erzählen. In Rückblenden recherchiert der Film die Hintergründe des angeblichen Mords.

Nach Filmen wie „Dead Man Walking“ (Regie: Tim ROBBINS, 1995) und „The Green Mile“ (Regie: Frank DARABONT, 1999) mag man nicht mehr über die Todesstrafe reden wollen. Die Filme waren beispielhaft für ein Plädoyer gegen sie. Beispielhaft deswegen, weil sie einen bleibenden Wert für die Zukunft haben und wahrhaft in der Aussage sind, dass sie für alle Zeiten geächtet bleiben muss. David Gale ist ein übergreifendes Gesellschaftsdrama. Es zeigt sich schnell, dass es nicht um eine einfache Justizgeschichte geht, sondern darum, die Ereignisse aufzulösen, die sich unmittelbar mit dem herannahenden Tod von David verknüpfen. Im Wettlauf mit der Zeit wird aus der subjektiven Perspektive sein Leben hinterfragt.
Seinen „Doppelcharakter“ versucht die Reporterin Elizabeth zu enträtseln. Und kommt zu folgenschweren Erkenntnissen, die die Beweisführung des Gerichts ad absurdum führen.

David, der eine Studentin im Alkoholrausch vergewaltigt haben soll, stand schon einmal vor Gericht. Damals wurde er nach einem Justizirrtum frei gesprochen, verlor aber seine Anstellung und seinen guten Ruf. Damit war er vorbelastet. Und eine relativ „leichte“ Beute für die Justiz, die sich nach der Ermordung seiner Mitstreiterin schnell auf ihn einschoss. Doch David gibt sich mit dem Stand der Dinge nicht zufrieden. So präsentiert er Elizabeth sein Innenleben, rational und gradlinig.

Wohltuend ist, dass er sich keine spezifische Strategie zulegt, um sie von seiner Unschuld zu überzeugen. David ist ganz er selbst. Seine einzige Möglichkeit gipfelt darin, das Geschehen noch einmal Revue passieren zu lassen. So offenbart er sich als ganzen gesellschaftlich - kulturellen Menschen, der seine Verletzungen nicht einfach ausheilen konnte, sondern sie als unbewältigte Angst verdrängt hatte, die in seinem Unterbewusstsein brach lagen.

David Gale ist jener Mensch, der sich aus bescheidenen Verhältnissen kommend, hochgearbeitet und geheiratet hatte. Urplötzlich wird er in den Strudel der Verdächtigungen hineingezogen und schließlich angeklagt. Das Schicksal eines vormals unbescholtenen Mannes erscheint auf einmal bis zur Unkenntlichkeit deformiert, als ein Buch mit sieben Siegeln. David ist ein Beispiel für das Verletzende schlechthin, aber auch für die Bemühungen von Elizabeth, das individuell Verdrängte wieder ans Tageslicht zu befördern.

Die Freimütigkeit der Auseinandersetzung mit Davids Leben, das mehr und mehr einer Achterbahn gleicht, ruft in Elizabeth die kämpferische Hoffnung hervor, das Verhältnis von David zu Constanze (Laura LINNEY), die er ermordet haben soll, zu recherchieren. Dabei stößt sie auf jene Widersprüche, die ausschließen, dass David als Täter in Frage kommt. Die Rückblenden, die Constanzes Freundschaft zu David zeigen, machen deutlich, dass diese Freundschaft auch aus Liebe und Treue bestand und sich wie Mosaiksteine zusammensetzten.

„Das Leben des David Gale“ verlässt hier den Punkt aller Standards, die von ähnlichen Dramatiken bekannt sind. Die Geschichte, die einige Schwächen in der Rekonstruktion hat, in der Zuordnung der Personen untereinander, ist nicht immer einfach zu durchschauen. Umso mehr ist sie vom menschlichen - allzumenschlichen
getragen: man gerät manchmal unvermutet und ohne Absicht, unvorhersehbar und
nicht einsehbar in Situationen, die uns bis zum Hals dem Abgrund näher bringen. Durch grobe Fahrlässigkeit der Mitmenschen können sie sogar zu einem dämonischen Unterdrücker werden. Das wird David am Ende leidvoll erfahren müssen.

Die unantastbare Würde des Menschen stellt der Film in den Mittelpunkt. Dieses Menschenbild muss bewahrt bleiben. Doch die perfiden Lieblosen, die immer wissen, ob andere bedeutend oder unbedeutend sind, entziehen sich selbst den letzten Spuren des Lebendigen, indem sie jeden Tag aufs neue ein „Leben des David Gale“ inszenieren. David wird die Paranoia nicht überleben. Man bleibt starr vor Erschütterung in seinem Kinosessel kleben und wünscht sich, dass bald aus den Herzen der Finsternis schlagende Friedenskammern werden.

Fazit:

Ein selbstbewusster Film, der fernab aller Klischees ist. Die Kunst des Lebens besteht darin, miteinander zu reden und nicht aneinander vorbei zu reden.

Dietmar Kesten 22.2.06 16:18