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Der menschliche Makel

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Der menschliche Makel Dietmar Kesten 20.12.03 14:06

DER MENSCHLICHE MAKEL

SCHICKSALSTRÄUME

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 20. DEZMEBER 2003.

Der Altphilologe Professor Coleman Silk (Anthony HOPKINS), leitet an
einem College Seminare zu ‚Athena’, zum Achilles-Mythos.
Eine missverständliche Äußerung über abwesende Studenten („dunkle
Gestalten“) bringt ihm den Vorwurf des Rassismus ein.
Silk legt daraufhin seine Professur nieder.
Als er seiner Frau von diesen Vorwürfen erzählt, erleidet sie einen
Herzinfarkt und stirbt.
Silks Leben, zur Aussichtslosigkeit verurteilt, bekommt eine neue
Wendung durch die Freundschaft zu dem Schriftsteller
Nathan Zuckerman (Gary SINISE), und Faunia (Nicole KIDMAN),
der er begegnet.
Silk blüht neu auf und schöpft aus der Freundschaft mit Faunia,
die von ihrem Ex-Mann Les (Ed HARRIS) terrorisiert wird, neuen
Lebensmut. Damit endet die Spurensuche nicht.
Die Tragik um Coleman Silk wird erst später deutlich, als der Film in
seine Jugend zurückblendet. Der Professor, der in Wirklichkeit ein
hellhäutiger Afroamerikaner ist, verleugnet seine Herkunft, legt sich
eine neue Identität zu und heiratet. Seine Vergangenheit unterlegt
der Film mit jener Liebesgeschichte, die ins Heute projiziert wird.

Im Reich der Wünsche, im innersten Traum der Ruine, soll jeder
bekommen, wovon der träumt.
Hier kommt niemand an, niemand betritt das eigene Zimmer, in dem
das Kino zu Ende wäre. Manchmal ist es jenes Bilderlose, vor dem
die Bilder kapitulieren müssten. Doch wenn sie sich verwandeln, sich
mit Ereignissen aus der Vergangenheit und der Gegenwart beschäftigen,
die bitter und tröstlich sein können, dann begegnet man der Wirklichkeit
des Lebens.
Was quält einen Menschen mehr: ist es der Makel, den jeder sieht, die
Schwäche, oder oftmals die Doppelbödigkeit der Moralität?

„Der menschliche Makel“ (nach dem gleichnamigen Roman
von Philip ROTH), ist die Geschichte vom Entkommen
und Ankommen, von der Vergangenheit, von Davongelaufenen
und Suchenden.
Das ist ein schmaler Pfad, weil so Klischees entstehen, die an den
Rändern des Kulturbetriebes wabern.
Aber es ist auch einfaches Glück im Kino: das Wiedererkennen
seines eigenen Lebens, die die Bilder widerspiegeln.
Bilder reden von Erlösung. Sie heben die Unterschiede und Grenzen
auf.
Manche Bilder sind Erinnerungen, Impulse der Erneuerung, Phantasie
und ästhetische Setzung. Damit die Routine nicht tödlich wird,
wird sie vom Auge des Träumers im Traum erdrückt.
Walter BENJAMIN würde dazu vielleicht sagen, dass „hier die
geschlossene Endlichkeit eines profanen Schicksalstraumes“
beginnt.
In der Tat ist jede Geschichte, die sich um Vorurteile dreht, um
Bestimmung, Besessenheit, soziale Grenzen, um Blasen des
Glücks, um Schicksale, um Zynismus, Unschuld und
Sentimentalitäten, die sich an der Außenwelt stoßen, ein ewiger
Kampf zwischen Gewinnern und Verlierern.

‚Opfer’ sind meistens diejenigen, die in der Phantasie das
Bilderlose zu bebildern wissen, und die mit ihrer ästhetischen
Anstrengung die Geschichten zwischen Wahrscheinlichkeit, der
Absurdität und der Unglaublichkeit real erscheinen lassen.
„One Hour Photo“ mit Robin WILLIAMS (Regie: Mark ROMANEK, 2003),
diese geniale Fiktion der Wiederkehr, die das Spiegelbild im Glasrahmen
einmal in die Hölle und einmal in ein Paradies verwandelt, findet seine
Entsprechung im „Menschlichen Makel“, in der Sehnsucht nach dem
zeitlosen Augenblick und dem der Träume.

Der Film, der beständig zwischen den vergangenen und aktuellen
Ereignissen springt, operiert mit Bildern, die für den Hauptdarsteller
nahezu geschaffen scheinen. Wenn am Anfang und am Ende des
Films die verschneite Landschaft auftaucht, die schwarz-weiß
Idylle, durch die Silk mit Faunia fährt, um am Ende zu Tode zu
kommen, dann lässt Regisseur Robert BENTON („Kramer gegen
Kramer“, 1978, „Im Zwielicht“, 1998) die besten Bilder zurück.
Am Anfang war nicht das Wort, am Anfang war das Bild!
Und da es von HOPKINS lebt, vergisst man schnell die
Ratlosigkeit, die im Plot übrig bleibt.
Die Strukturen des Streifens sind schematisch aneinandergereiht,
vorhersehbar, Dekoration und Kostümierung. Dramatik und
Dynamik der Rückblenden gehen in der zarten, bisweilen
sogar sehr bitteren Romantik unter. Das ist ärgerlich.

Ein Mann beherrscht aber die Szenerie. Wie ein Film von einer
grandiosen Figur lebt und atmen kann, sieht man im „Menschlichen Makel“.
Einen Augenblick lang vergisst man Nicole KIDMAN, weil sie
„Dogville“ kaum noch überbieten kann. Für den Film ist sie eigentlich
hinderlich, zu klinisch, durchschaubar, steril. Die Putzfrau nimmt man
ihr leider nicht ab.
Man konzentriert sich voll auf Silk. Der tragikkomische Traum
eines Mannes, der im Rentenalter die Liebe zu einer jungen Frau
erfährt, ist ein Tagtraum, der sich über die Figur und den Begierden
in der Obsession niederschlägt, in den Gefühlen, den Schmerzen und
den erotischen Freuden.

Manche Filme leben nur von ihren Darstellern.
Diesen Standpunkt kann man für ‚unfilmisch’ halten, weil sie keine
Aussagen enthalten. Wenn dem so wäre, dann dürfte es keine Filme
mehr geben.
Ein guter Film ist der, der Bilder illustrieren kann, der sich am schönen
Schein seiner Bilder klammert.
Wenn das Konzept in Ratlosigkeit umschlägt, ist das hybride
Filmgewächs zu einem Bilderrätsel entartet.
Tausende bunte Bilder waren in „One Hour Photo“ das Rätsel.
Die intimen Momente von HOPKINS, der in „Was vom Tage
übrig blieb“ (Regie: James IVORY, 1993) und „Nixon“ (Regie:
Oliver STONE, 1995) vielleicht seine besten Rollen spielte, erreichen
erneut einen sehbaren Höhepunkt.
Seine Sensibilität, seine Tränenrührigkeit, die intime Psychologie
mit den wunderschönen Einstellungen ist kaum kitschig
und abgegriffen, sondern ehrlich und sehr nachvollziehbar dargestellt.
Er bricht einem fast das Herz.

Fazit: Zwar wird heute jeder Kinosaal ein Fenster zum Hof, jede
Einstellung ein gelüftetes Geheimnis. Wenn die Darsteller
Anthony HOPKINS heißen, dann geht man aus einem
anderen Grunde ins Kino: man entdeckt sich selbst, die eigenen
Wünsche bleiben nicht mehr Vergangenheit.

Dietmar Kesten 20.12.03 14:06