filmz.de
Closed

Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen

[ Info ] [ Links ] [ Kommentare ]
Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen Dietmar Kesten 3.10.03 14:18

DIE LIGA DER AUSSERGEWÖHNLICHEN GENTLEMEN

KLIENTEN UND PATIENTEN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 3. OKTOBER 2003.

Die Comicverfilmung und Weltliteratur ist unter sich!
Die hanebüchene Geschichte der ‚Liga’ ist knapp umrissen:
der Wissenschaftler Kapitain Nemo (Naseeruddin SHAH), die
Blutsaugerin Mina Harker (Peta WILSON), der smarte Dieb
Rodney Skinner (Tony CURRAN), Lebemann Dorian Gray
(Stuart TOWNSEND), der Agent Tom Sawyer (Shane WEST),
Dr. Jekyll/ Mr. Hyde (Jason FLEMYNG) begeben sich unter
Führung des Abenteurers Quatermain (Sean CONNERY) mit der
‚Nautilus’ nach Venedig.
Die dort stattfindende Konferenz will ein geheimnisvolles Phantom
nutzen, um die europäischen Staatsmänner zu liquidieren, was
unweigerlich zu einer kriegerischen Auseinandersetzung führen würde.
Die ‚Liga’ startet zum Gegenangriff.

Stephen NORRINGTON („Death Machine“, 1994, „Blade“, 1998)
hat einen Film gemacht, der ein Abenteuerfilm sein will, vielleicht im
Comic-Stil (?), doch wer genauer hinsieht, der entdeckt in ihm die übliche
Strickart der SF-Verfilmungen, die sich an Romanvorlagen der 60er und
70er Jahre anlehnen.
Gedacht ist hier etwa an „Caprona - Das Vergessene Land“,
„Der 6. Kontinent“, „Tauchfahrt des Schreckens“, „Caprona II“
(Regie: Kevin CONNOR), die Jules VERNE Verfilmungen:
„Kapitän Nemo“, „20.000 Meilen unter den Meeren“, „Der Navigator“,
und an die Remakes, die sich in Anlehnung an die „Indianer Jones“
Filme mit Harrison FORD in klassischer Modellmixtur abfilmen
ließen.

Der abstruse und von Ränken geschmiedete Film mit dem ewigen
Greenhorn Sean CONNERY, ist die Wiederbelebung- und Verwertung
der ausgebufften Trivialmythen und ihrer Helden in einer
zusammengeträumten Form, wobei Klischees über Klischees angereichert
werden, um den Film überhaupt noch sehbar zu machen.
Die absurden Kampfszenen, notdürftig aneinandergereihte Cuts,
plumpe Dialoge und eine inhaltsleere Story (wenn man von den oben
genannten Plagiaten absieht), machen kaum Vergnügen.
Es sei denn, man hat ein Faible für jenen CONNERY, der immer noch
von seinem Bond-Mythos zehrt.
Als Schauspieler war jener Mr. Bond keine Größe. In seinem besten
Film „Der Name der Rose“ (Regie: Jean Jacques ANNAUD, 1986 nach
der Romanvorlage von Umberto ECO) zeigte er noch große
schauspielerische Kunst. Seit dieser Zeit hatte er keinen überragenden
Film mehr abgeliefert. Und er hat sich jetzt zu einem jener Filmstatisten
degradieren lassen, die mit über 70 Jahren ihr Filmgnadenbrot genießen
sollten.

CONNERY soll sich nach einer Verlautbarung der Stadtillustrierten
„Prinz“ vom Oktober 2003 von dem Film distanziert haben.
So spielt er auch: lustlos, träge, ohne Spaß. Er passt gar nicht in das
Konzept der finsteren Gestalten. Zu sehr ist er darauf bedacht, dass
seine Gestalt keinen Kratzer abbekommt. CONNERY ist Sand im
Getriebe des Films. Eigentlich interessiert er sich gar nicht für ihn.
Das trifft im übrigen auch auf die anderen agierenden Personen zu.
Und das hat Folgen: Folgen für den Film und Folgen für den
Zuschauer.

Tom Sawyer, Kapitän Nemo und seine Nautilus, Dr. Jekyll/Mr. Hyde
kämpfen gegen die Frühnazis, die dem legendären „Indiana Jones“
aus „Faith of Atlantnis“, dem „letzten Kreuzzug“ oder dem „Tempel
des Todes“ nacheifern.
Doch Heldentum und Abenteuer bringen einen Stoff nicht unbedingt
zum Sprechen, und nicht immer zwangsläufig zum funktionieren.
Die Haudrauf-Mentalität mit den unwahrscheinlichen Geschichten
schwelgt nur in den Bildern, die das Monumentalkino dazu benutzt,
beinahe nichts zu erzählen.
Deshalb ist es auch auf jene Bilder fixiert, die in der Phantasie entstehen.
Davon hat der Film viel. Weil die Ausstattung opulent ist, die
Kronleuchter gleich dutzendweise den Kontrast erhellen, das filigrane
Mobiliar zwischen Tristesse und Chaos eine Insel in der untergehenden
Landschaft darstellt, und die prächtigen Bibliotheken, Gold und Marmor,
ein anmutendes Venedig den kitschigen Kleinkunstnachmittag
vergessen lassen, können die kämpfenden Bataillone samt ihren
Schergen dem Abgrund entgegenstreben. Es kümmert niemand!

Alle Bond-Abenteuer werden bis zum letzten ausgereizt. Nicht einfach
so. Vielmehr ist die Schurkerei ein Abklatsch der alten Abenteuer.
Nur die neuen ‚Helden’ müssen sich noch emanzipieren.
Ihre persönlichen Projekte lassen sie lustvoll im bunten Abend, der
an der Kinokasse beginnt und im Bus aufhört, hin- und herwabern.
Venedig kann man mit diesen Herren und einer Dame mit
Leichtigkeit retten.
Die Nautilus als Synonym für die Schnelligkeit, der Weitblick nebst
Erfahrungen des Quatermain, die Hartnäckigkeit von Mia Harker,
gepaart mit Draufgängertum und der „Hulk“ Adaption - so lässt sich
die Welt retten. Der Weltgipfel allerdings war gar nicht existent.
Ein Verräter in den eigenen Reihen offenbart, dass jener Auftrag,
der die Ereignisse ins rollen brachte, eine Finte war: Intrigen auf
höchster Ebene.

Seit Monaten läuft der Werbe-Trailer für die „Liga“ in den Kinos.
Sozusagen als Herzschrittmacher für den altersschwachen CONNERY.
Die Kinomaschine hat ihn jetzt entzaubert. Und es ist auch kein
Ausrutscher, dem man da begegnet.
Weil das Kino keine Grenzen kennt, wird man sicherlich nicht müde,
dieses Genre immer wieder neu entstehen zu lassen. Weil Klienten und
Patienten den Leerlauf gebucht haben, müssen sich die
Abenteuerfilme aus sich selbst heraus erneuern. Wie ein Feuerwerk,
das aus Effekten aufsteigt, um dann in sich selbst zu verglühen.
Den wahren Begriff von der Nutzlosigkeit solcher Filme hätte
ein Karl MAY in die Worte gefasst:
„Käme doch bald die Zeit, da man solche blutigen Geschichten
nur noch als alte Sagen kennt.“ (Winnetou III)
Anything goes, alles ist möglich, selbst die Peinlichkeit, der Flop,
die Kassenpleite.
Aus CONNERY ist mit seinem orgastischen Blick nur noch eine
Schaufensterpuppe und lieblose Nebenfigur in einem verkümmerten
Streifen übrig geblieben.
Wie er, so sind auch die anderen Darsteller: Jenseits von Venedig!!
Der Film, der keinen einzigen inneren Zusammenhang bietet, ist dann
auch mit den Designern, den Schnitten und der Action durchgegangen.
Vielleicht ist er sogar unerträglich?
Die „Liga“ wird kein Vorbild sein. Die Geschichte ist deshalb schon
aus der Erinnerung.

Fazit: Es gibt keins! Die „Liga“ ist so schwach wie der gesamte
Abenteuerfilm der 90er Jahre.
Er ist ein Film über Davongelaufene; rückwärts zum Anfang und
vorwärts zum Versuch der Genrebelebung.
Selbst die sakrale Musik des Filmmusikkomponisten
Trevor JONES („Merlin“, „die Akte Jane“) passt sich diesem
gestellten Gruppenbild an. Im übrigen bieten die alten Filme
über die „Nautilus“, die SF-Märchen über „Caprona“ tausendfach
bessere Unterhaltung. Auf Video oder im Fernsehen lassen sie
sich bestens bei Chips und Bier konsumieren.

Dietmar Kesten 3.10.03 14:18