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Ten Minutes Older - The Cello

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Ten Minutes Older - The Cello
"Enlightenment" (V. Schlöndorff)
Deutschland / Großbritannien 2002 - Regie: Bernardo Bertolucci, Mike Figgis, Jiri Menzel, Istvan Szabo, Claire Denis, Volker Schlöndorff, Michael Radford, Jean-Luc Godard - Darsteller: Valeria Bruni-Tedeschi, Jean-Luc Nancy - FSK: ab 12 - Länge: 109 min. - Start: 26.6.2003
Beschreibung

Dieses Vorhaben sucht seinesgleichen: renommierte Regisseure des unabhängigen Gegenwartskinos realisieren ihre persönlichen Interpretationen des Themas Zeit: Bernardo Bertolucci, Mike Figgis, Jiri Menzel, Istvan Szabo, Claire Denis, Volker Schlöndorff, Michael Radford, Jean-Luc Godard. Die individuellen Kurzfilme – höchst unterschiedlich in Stil, Temperament und Inhalt – finden Eingang in einer Kompilationen von Spielfilmlänge: TEN MINUTES OLDER – THE CELLO.

Das Projekt TEN MINUTES OLDER – THE CELLO formt das Genre des Episodenfilms neu: die Arbeiten der einzelnen Regisseure werden gleichermaßen getrennt wie zusammengehalten von meditativen und ausdrucksstarken Zwischensequenzen. Die Musiken zu THE TRUMPET hat der junge britische Komponist Paul Englishby geschrieben. Der Solist ist Claudio Bohórquez (Cello).

TEN MINUTES OLDER – THE CELLO ist die Weiterführung des Projektes TEN MINUTES OLDER – THE TRUMPET, bei dem sich die Regisseure Victór Erice, Werner Herzog, Jim Jarmusch, Chen Kaige, Aki Kaurismäki, Spike Lee und Wim Wenders ebenfalls mit dem Thema Zeit auseinander setzten.

Das Projekt wurde initiiert von Nicholas McClintock (Odyssey Films), Nigel Thomas (Matador Pictures) und Ulrich Felsberg (Road Movies). Die Einladung der drei Produzenten an die Filmemacher lautete: TEN MINUTES OLDER bietet den teilnehmenden Filmemachern Gelegenheit und Rahmen, in jeweils zehn Minuten und auf der Basis völliger kreativer Freiheit filmische Erzählungen, Fantasien, Visionen, Essays, Erinnerungen oder Experimente auf die Leinwand zu bringen.

Bernardo Bertolucci: HISTOIRE D’EAUX
mit: Amit Rayani Arroz, Valeria Bruni Tedeschi, Tarun Bedi

Ein Fantasiestück über einen kleinen Moment, der zur Ewigkeit wird – aus Zerstreutheit, Mutwillen, Leichtsinn, oder was der möglichen Gründe mehr sind. Darüber hinaus: die unbekümmerte Variation einer indischen Parabel, die sich wie selbstverständlich in einer schwarzweißen, neorealistisch anmutenden Wirklichkeit am Rande italienischer Landstraßen entspinnt.

Ein Meister und sein Schüler Narada ziehen über Land bis sich der Meister erschöpft unter einem Baum niederlässt und seinen Schüler bittet, ihm etwas Wasser zu holen. Der Junge macht sich auf den Weg zum unweit gelegenen Brunnen und trifft dort auf ein Mädchen. Er verliebt sich auf der Stelle, heiratet sie und bekommt Kinder. Die Kinder werden groß. Die Zeit vergeht.

Nach einem Unfall mit dem neuen Auto erinnert sich Narada wieder an seinen Meister. Voll schlechtem Gewissen sucht er die Stelle auf, an der er ihn zurückgelassen hat. „So lange, um ein bisschen Wasser zu holen?“ begrüßt ihn der Alte in ironisch, gleichmütigem Tonfall und streckt ihm die Hände entgegen.

Mike Figgis: A STAIRCASE – ABOUT TIME 2
mit: Dominic West, Alexandra Staden, Mark Lang, Howard Goorney, Maria Charles

Ein Film über die Diskontinuität der Erinnerung. Er erforscht Vergangenheit und Zukunft durch die Gegenwart.

Die Leinwand ist viergeteilt. 4 Kameras in 4 miteinander verbundenen Räumen zeigen 10 Minuten lang Bilder aus 4 verschiedenen Dekaden des 20. und 21. Jahrhunderts.

Räume verbinden sich selbständig. Perspektiven und Sichtweisen wechseln. Mal laufen die erinnerten Bilder in schwarzweiß, mal in Farbe. Mal sind sie medial verfremdet, ein anderes Mal scheinen sie hyper-realistisch – und wir selbst mittendrin. Erinnerung ist eine persönliche Angelegenheit, angefüllt mit Glücksgefühlen und sexueller Nostalgie oder mit Schmerz, Trauer und Reue. Es kommt auf den Standpunkt an.

Jirí Menzel: ONE MOMENT
mit: Rudolf Hrušínský

Eine Zehn-Minuten-Passage, so als blättere man in einem Fotoalbum, durch das Leben und die Karriere des tschechischen Schauspielers Rudolf Hrušínský.

Filmszenen wechseln und mit ihnen die Motive, die Zeiten, die Stimmungen. Schwarzweiß-Bilder werden zu Farbbildern, der junge Held und stürmische Liebhaber wechselt mit dem erfahrenen Gentleman, der verzweifelt Einsame mit dem lebenslustigen Clown, ein älteres Gesicht schiebt sich über ein jüngeres. Es ist eine Geschichte des Kinos, erzählt über die unterschiedlichsten Filmcharaktere eines Akteurs.

Wie viele Identitäten besitzt ein Mensch? Wie weit reicht das Spektrum?

Zehn Minuten sind eine kurze Zeit.

István Szabó: TEN MINUTES AFTER
mit: Ildiko Bansagi, Gabor Mate

Die Verwirklichung eines Traums: einen Film in einer einzigen Einstellung zu drehen. Manchmal ‚schleicht sich’ ein Ereignis ins Leben von Menschen – unmerklich, vielleicht sogar ungewollt – , und danach ist nichts ist mehr wie es einmal war. Der Moment selbst vergeht wie ein Augenaufschlag. Was davon bleibt hält unter Umständen ein ganzes Leben lang an.

Eine Frau deckt sorgfältig und liebevoll eine Kaffeetafel für zwei. Die Geburtstagstorte ist schon angeschnitten. Kerzen müssen noch entzündet werden. Sie freut sich als es klingelt und öffnet aufgeregt die Tür. Der Mann ist betrunken. Sie streiten.

Die nächsten zehn Minuten werden das Leben der Frau umkrempeln. Danach wird man sie wegen versuchten Gattenmordes in Gewahrsam nehmen.

Claire Denis: VERS NANCY
mit: Jean-Luc Nancy, Ana Samardzija, Alex Descas

Ein schwarz-weißes Kammerstück in einem Zugabteil während der Fahrt. Was Gefühl und Stil betrifft, eine zugeneigte aber auch ironische Verbeugung vor dem Stil der Nouvelle Vague:

Der Philosophielehrer Jean-Luc Nancy und eine Studentin, Ana Samardzija, führen einen Dialog über Homogenität und Vielfalt. Jean-Luc definiert den ‚Fremden’ als ‚Eindringling’. Ihr Gespräch kreist um diese These und um die Frage, wann und auf welche Weise der Fremde heimisch wird.

Dann setzt sich ein Eindringling zu ihnen ins Abteil – ein Schwarzer, der den größten Teil der Fahrt auf dem Gang verbracht hatte. Wann der Zug in Straßburg ankommen wird, will er wissen: „In zehn Minuten.“

Volker Schlöndorff: ENLIGHTENMENT
mit: Bibiana Beglau, Irm Hermann, Mario Irrek

Die Sicht einer alten und weisen Stechmücke auf die Rätselhaftigkeit der Zeit. Je gründlicher sie die Zeit betrachtet, desto ferner rückt sie ihr: lustvolle Ratlosigkeit.

Beheimatet auf einem Campingplatz an einem brandenburgischen See beobachtet die Mücke Szenen aus dem Leben einer deutschen Familie vor und nach der Wende.

Am Ende steht die Erleuchtung.

Ein Aufglühen.

Das Ineinandergehen und Zerfließen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Danach: die Ewigkeit.

Michael Radford: ADDICTED TO THE STARS
mit: Daniel Craig, Roland Gift, Claire Adamson

Ein Science-Fiction Film über die Relativität des Zeitempfindens.

Ein Raumfahrtpilot kehrt von seiner achtzig Lichtjahre dauernden Reise durch fremde Galaxien zurück auf die Erde. Als er nach der Landung zu seinem routinemäßigen medizinischen Check kommt, erfährt er vom Arzt, dass sein Körper nach all der Zeit um nur zehn Minuten gealtert ist. Theoretisch war er gar nicht weg ...

Als er danach durch seine Stadt läuft, zum Haus seiner Familie, ist nichts mehr wie es war. Alles hat sich verändert, er bewegt sich durch eine Stadt der Zukunft. Er sucht seinen Sohn auf und trifft auf einen sehr alten Mann.

Was sind zehn Minuten? Zehn Minuten sind ein ganzes Leben.

Jean-Luc Godard: DANS LE NOIR DU TEMPS

Ein melancholischer Essay aus bereits existierenden, zum Teil stark bearbeiteten und verfremdeten Filmsequenzen. Ein Sinn-Gedicht von provozierender Schönheit.

Viele Schlüsselmomente der Zeit. Szenen, die Vorstellungen von den letzten Minuten der Jugend, des Mutes, des Denkens, der Erinnerung, der Liebe, der Stille, der Geschichte, der Angst, der Ewigkeit und des Kinos entwickeln bzw. skizzieren.

Jede Skizze auch ein Versuch der (De)Konstruktion von Querverweisen zur Geschichte des Kinos, der Politik, der Kunst, des Denkens und Empfindens. Auch eine Geschichte der Geschichte(n) seit Filmbilder sich ihrer annehmen.
Text & Foto: Ottfilm