filmz.de
Closed

The Italian Job - Jagd auf Millionen

[ Info ] [ Links ] [ Kommentare ]
The Italian Job - Jagd auf Millionen Dietmar Kesten 15.11.03 16:31

THE ITALIAN JOB

ÜBER DEN ZWANG VON WIEDERHOLUNGEN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 15. NOVEMBER 2003.

Bei einem Einbruch erbeutet eine Diebesbande eine Ladung Gold
aus einem vezeneanischen Palazzo.
Nach einer spektakulären Verfolgungsjagd durch die Lagunenstadt
verübt einer der Safeknacker (Edward NORTON) einen Anschlag auf
einen seiner Mitstreiter (Donald SUTHERLAND) und macht sich mit
der Beute nach Los Angeles davon.
Die anderen Gangster ( Mark WAHLBERG, Seth GREEN,
Jason STATHAM, Mos DEF) hecken einen Plan aus, um sich die
Millionen zurückzuholen. Dabei soll ihnen die schöne
Charlize THERON helfen.
Nach einer wilden Jagd durch das verzweigte Kanalsystem
Venedigs endet sie in L. A., wo am Ende Blech und Gummi
siegen.
„The Italian Job“ ist ein gut gemachtes Remake eines britischen
Gangsterfilms mit bekannten Actionszenen, coolen Sprüchen.
Insgesamt: solide Unterhaltung und tatsächlicher Schaulust, die
sich jedoch schnell verflüchtigt, wenn man den Film hinterfragt.

War einst „Rififi“ (Regie: Jules DASSIN, 1954) der Maßstab aller
Dinge, weil er meisterhaft inszeniert und von den Schauspielern
und der Regie generalstabsmäßig vorbereitet worden war, in der
Komplexität ohne Beispiel, in der Ausschmückung und
Phantasie tadellos minutiös ausgeführt, so hatte das nachfolgende
Genre enorme Schwierigkeiten, ihn zu übertrumpfen.
Zwar versuchten etwa Don SIEGEL mit „Baby Face Nelson“ (1957),
William WITNEY MIT „The Bonnie Parker Story“ (1958) und
Richard WILSON mit „Al Capone“ (1959) an den Erfolg von DASSIN
anzuknüpfen, doch ihre Filme, obwohl gut in Szene gesetzt, erreichten
nie den Stellenwert von „Rififi“.
Man musste mehr als ein Jahrzehnt warten, bis Sam PECKINPAHS
seine Gangster-Ballade „Getaway“ (1972) vorlegte, und das Publikum
sich mit der Aussage konfrontiert sah, dass Verbrechen in einer
Gesellschaft, in der Gewalt selbstverständlich geworden ist,
lohnt. (1)
Die abgekupferte Moral dieses Streifens war später in der
Wiederholung mit BALDWIN und BASINGER (Regie: Roger DONALDSON,
1993) zu sehen.
Auch sie wollten mit dem geklauten Geld ein ‚ehrliches’ Leben
beginnen, und scheitern doch.

Man ist geneigt zu sagen, dass „The Italian Job“ von diesen
Vorgängerfilmen sehr viel hat.
Vielleicht ist er sogar ein Versuchslaboratorium, in dem
kommende Filmproduktionen der Kulturtechnologie entwickelt
und getestet werden.
„Die ‚Modernität’, die man ihm durchaus zugestehen kann,
orientiert sich aber nur an schnittigen Autos, gutes Ambiente,
knalliger Schnitttechnik, starken Typen, Effektorgien in der
Lagunenstadt, Lebensstilen, Musikschnipseln.
Inhaltlich bietet daher der Film über eine Safeknackerbande im
dritten Jahrtausend keine spezifische Neuerung.
“Schnappt Shorty“ (Regie: Barry SONNENFELD, 1995),
„L. A. Confidential“ (Regie: Curtis HANSON, 1997),
„Out of Sight“ (Regie: Steven SODERBERGH, 1998) oder
“Ocean’s Eleven” (Regie: Steven SODERBERGH, 2001),
die bei Vergleichen mit „The Italian Job“ immer wieder herhalten
müssen, funktionieren wie dieser nach ein und demselben
Schema. Sie unterwerfen sich der Erzählstruktur der
Massenkultur, die wie keine andere Fernsehen und Kino
erobert hat.

Immer neue Drehbücher, neue und haarsträubende
Geschichten und immer wieder derselbe Sinn. Alle fallen
darauf herein.
So folgt auch „The Italian Job“ den rhetorischen Gesetzen des
Massenfilms und ist dessen stupide Wiederholung.
Er setzt auf die Wahrnehmungsfähigkeit der Filmbesucher,
auf die Identifikation mit den ‚Outlaws’, die keine sind.
Dass, was originell erscheint, löst nur noch Befremden aus,
Unverständnis.
Wohlkalibrierte Bilder, exakt dem Massenmarkt angepasst,
der sich nur an Einspielquoten orientiert, werden widerstandslos
akzeptiert.
Schon längst geht es nicht mehr um pure Unterhaltung, oder
populäres Vergnügen, sondern um die Wahrung der
Beliebigkeit, die auch wichtig für das persönliche
Stimmungsmanagement erscheint.

Kino und Film sind vor dem 1. Weltkrieg zur Massenkultur
geworden.
Die Filmproduktion wurde schnell ökonomischer, konzentrierter
und technisch rationalisierter.
Der Film wurde zur Ware, Schauspieler zu Leibeigenen der
Filmkonzerne. Die Streifen wurden serienmäßig hergestellt.
Damit begann die Jagd nach dem einzigen und wahren
Grund: dem maximalen Gewinn.
Am Ende der 20er Jahre wurde das Kino der ‚leichten
Unterhaltung’ durch den Übergang zum Tonfilm abgelöst und
durch Texte, Stimme und Geräusche als Ausdrucksmittel,
sowie der durchkomponierten Filmmusik als ausgestattete
Show FÜR ALLE zugänglich gemacht.
Die Traumfabrik Hollywood machte sich diese neuartige Kunst
zu eigen und entwickelte den Unterhaltungsbetrieb quasi mittels
eines revolutionären Antriebes. Die Filmgesellschaften entstanden.
Der sichere Garant für eine faszinierende Mischung aus
Emphase, Macht und Geld.

Irgendwann war das Filmgeschäft ins öffentlichen Bewusstsein
gelangt und ermöglichte so viel an Sichtbarkeit, dass es
zum Showgeschäft wurde.
Die Symbiose zwischen Kino und den Medien hatte zur Folge,
dass die kommerzielle Kultur heute im Kielwasser von
Hollywood-Filmen und deren Publicity segelt, dass heißt im
Kielwasser der wandelnden Metaphern, sprich Filmschauspielern.

Von dort aus ist es nicht mehr weit, die bombastischen
Unterhaltungsfilme, die sich mehr und mehr als Lebensfilme
herauskristallisieren, mit den modernen Hightech-Multiplex-
Kinos zu vergleichen, die in Amerika noch einen ganz anderen
Stellenwert haben als z. B. hier in Europa.
Sie wurden nämlich gebaut, um das fortlaufende kulturelle
Unternehmen mit Lebensfilmen zu versorgen. Die Stars
erscheinen zu Premieren, sichern so Bekanntheitsgrad
und große Kasse.
Diese Prominenz, die ständig erneuert werden muss, und
den Abnutzungserscheinungen aller gesellschaftlichen
Modernitäten unterliegt, kann nur dadurch existieren,
weil sie durch die Medien und damit auch durch das Kino
zu ‚Stars’ mit einer enormen Gewinnmarge gemacht werden.
Ihre bereitwillige Komplizenschaft mit der Unterhaltung
verwandelt sie selbst in Unterhaltung und stetige Wiederholung,
wie es z. B. in der Satire „Und täglich grüßt das
Murmeltier“ (Regie Harold RAMIS, 1992) sehr plastisch
dargestellt wird.

Hier nähern wir uns dann letztendlich den modernen
Gangsterballaden, und finden sie auch in dem Gestrüpp
der Massenkultur, Massenproduktion und Massenideologie
wieder.
Insofern ist auch „The Italian Job“ ein perfektes Symbol für Gier,
Habsucht, Protzigkeit, Ausgebufftheit, Cleverness.
‚Money creates taste’ (Geld erzeugt Geschmack) kann als
Oberbegriff für diese und ähnliche Geschichten gelten.
Er gehorcht einfach den konventionellen Gesetzen linearer
Erzählung. Mit einem Anfang, einem sehr schwachen
Mittelteil, einem vorhersehbaren Ende.
Als Inhalt bietet er an: Erfolg, Fun, Kult, Leistungsgesellschaft,
Flucht aus dem Einerlei.
Wie weit muss die Amerikanisierung im Film noch gehen?
Unsere Köpfe sind bereits dermaßen deformiert, dass wir
uns scheinbar auch jeden Schwachsinn ansehen (meine
Wenigkeit eingeschlossen), und davon träumen, einmal
die Millionen in den Händen halten zu dürfen.
Als ob das alles wäre!!

Kritik an solchen Filmen, auch wenn sie spannend gemacht
sind, und in gewisser Weise der Entspannung dienen,
erscheinen dann in der Wertungsskala von Filmzeitschriften
und Online-Filmbesprechungen auf der obersten Position.
„The Italian Job“ ist technische Reproduzierbarkeit und verliert
schnell die Aura der Einmaligkeit, wenn das Massenpublikum
sich anderen Filmen zuwendet und eine kritische Haltung
einnimmt.
Die Vergnügung im Kino wird schnell zum Menetekel das
im Panorama der Massenkultur keine menschenfreundlichere
Welt zu schaffen vermag.
1917 sagte der Schriftsteller Upton SINCLAIR die großen
Worte:
„Der Kinofilm eint und vereinheitlicht die Welt. Das heißt:
er amerikanisiert sie.“
„The Italian Job“, dem das Flair der Auserwählten und der Nimbus
der Superlative anhängt, ist ein typisches Beispiel dafür, wie weit
menschgewordene Unterhaltung bereits fortgeschritten
ist.
Wir bewegen uns unaufhörlich weiteren, äußerst
verwickelten Lebensfilmen entgegen. Ob Hollywood sich
einmal selbst spielt?

Anmerkungen:

(1) Natürlich ist das nicht die Auffassung des Verfasser.
Ganz im Gegenteil: Verbrechen lohnt nicht. Diese alte
kriminalistische Weisheit sollte zum non plus ultra für
alle Zeiten und für alle Gesellschaften werden.

Dietmar Kesten 15.11.03 16:31