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Anacondas: Die Jagd nach der Blut-Orchidee

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DSCHUNGELFIEBER. Dietmar Kesten 11.12.04 11:12

ANACONDAS: DIE JAGD NACH DER BLUT-ORCHIDEE

DSCHUNGELFIEBER

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 11. DEZEMBER 2004.

Bei einer Dschungelexpedition auf Borneo nach einer
seltenen Orchidee, deren Wirkstoff ewige Jugend
verspricht, werden die Stars, deren Namen niemandem
bekannt sein dürfte, nach und nach von den Titelhelden
aufgefressen.
Sieben Jahre nach dem Erstlingswerk von 1997
(„Anaconda“, Regie: Luis Llosa) mit Jennifer LOPEZ, Ice CUBE,
Jon VOIGHT, Eric STOLTZ und Jonathan HYDE, kommt zur
gefräßigen Schlangenbrut, die hier ihr Unwesen trieb,
nun eine weitere 10 Meter lange Riesenanakonda
auf die Filmbesucher zu.
Regisseur Dwight H. LITTLE (“Bloodstone”, 1987,
“Halloween IV”, 1988, “Zum Töten freigegeben“, 1989,
„Pate von New York“, 1989, „Rapid Fire“, 1992,
“Mord im Weißen Haus”, 1997) begibt sich mit seiner
Truppe mitten ins Schlangennest.

Man kann den Film mit Abstand betrachtet, hysterisch,
demagogisch, fast albern nennen, wie es öfter bei
B-Movie Filmen der Fall ist.
Schon die ersten Szenen im Urwald lösen jene
Beklemmung aus, die sich als wildwüchsige Neuschöpfung
eines neuen bizarren Gruseltiers herausstellen wird.
Dass eine solche Kinowelt, in der die Brut ungezügelt
auftreten darf, pathogen geworden ist, sollte auch
dem allzeit bereiten Kinogänger klar geworden sein.
Wer sich an diesen Dschungelorten einfindet, befindet
sich jenseits eines logischen Ort.
„In unserem Dschungel, da wird es dunkel, in unserem
Urwald, da wird die Nacht kalt.“ Dieses geflügelte Wort
ruft in Erinnerung, dass immer irgendjemand Rache übt.
Wer das hier nicht begreift, ist aus dem Spiel.
Beschämend ist an diesem Streifen, dass er nicht nur
auf Schockeffekte insistiert, die seit dem „Weißen Hai“
(Regie: Steven SPIELBERG, 1974) die Eintrübung des
Gedächtnis sanktioniert hatte, sondern dass er unter
der Hand zu einer scharfen Waffe in der Kampfarena
wird, die ausschließlich im verletzen und töten
angesiedelt ist.

Die Dezimierung der Protagonisten ist im Grunde nur
die Fortsetzung der Kinonormalität, wo sich der
Filmriss in einem Fortsetzungsroman katastrophisch
niederschlägt.
Qualität wird dem Filmbesucher nicht angeboten. Es
sei denn, diese besteht in der puren Lust an der
Unterhaltung, die dann nichts anderes wäre, als die
rabiate Verwahrlosung der letzten Gehirnzellen.
Die Ablenkung, die die Kulturindustrie hier anbietet,
ist mit Sicherheit das Endstadium und die
Selbstzerstörung der Kinofreuden.
Dieses Horror-Kino ist ein Sinnbild des Grauens geworden.
Nicht nur wegen der sich ständig wiederholenden
Storyklischees aus Dschungelreise, Creature-Feature und
Teen-Horror Schocker, sondern weil es zum Spitzenreiter
der eigentlichen Negation von Filminhalten aufzusteigen
beginnt.
Man trifft sich im Dschungel wie zur Hausmusik oder zum
Fußball.
„Anacondas: Auf der Jagd nach der Blut-Orchidee“ ist
die Logik von Zerstörung und Selbstzerstörung in
einem, die man hier über sich ergehen lässt. Das dortige
Sinnbild, das aus allen Tiefen und Untiefen heraus
zuschlägt, ist längst real geworden; denn die Monster und
Aliens sind ja unter uns.

Kulturideologie und Kulturproduktion bringt mehr und mehr
diese widerwärtige Form der Zertrümmerung hervor.
De facto ist der Film ein Paradebeispiel für den Rückfall
in die vormodernen Kinoschrecken, wo schon beim Anblick
einer Ratte die heile Welt zur Hölle wurde. Das
zivilisatorische Mäntelchen fällt schnell ab, wenn die
Schnapper erst einmal zugeschlagen haben. Und die
Vegetation zeigt, dass Jäger zu Gejagten werden, die
wie in der Zivilisation den Machenschaften der
Gesellschaft ausgesetzt sind, wenn sie eingekreist
werden und ihnen drohend die Luft zum atmen
genommen wird.

Hollywood ist eine Schlage, die sich häutet, indem sie
mit ihrer Heimtücke triumphiert.
Ein unbekanntes Terrain ist schnell gefunden. Ein
Niemandsland mit Gefahren und Tod. Beides ist die
Saga Hollywoods vom Töten und Getötetwerden.
Einst schuf William GOLDING im „Herrn der Fliegen“ ein
terroristisches Über-Ich, einen ideologischen Totem, dem
man huldigte und ausgesetzt war. Jetzt tritt an diese
Stelle die rücksichtslose Liquidation, die alles Störende
zermalmt.
Was sich hier offenbart, ist geradewegs eine Lust auf
Gewalt, wenn auch dieses Getier letztlich an der eigenen
Unfähigkeit scheitert. Man könnte auch sagen: das Minenfeld
des Dschungels ist hier jene Heimat für die
computerisierten Fallensteller, die gewieft und scheinbar
taktisch vorgehen, wenn sie auf Menschenjagd gehen.
Doch sind sie nichts anderes als die Reste des
Destruktionspotentials des scheinbar spannenden Kinos,
wo es den Machern gleichgültig geworden zu sein scheint,
dass sich die Terrorakte der Moderne nun auch ungehindert
im Film fortsetzen können. Hauptsache, es wird Geld
verdient.

Der Tendenz nach kann im Film alles überfallen werden,
was Rang und Namen hat.
Es ist ein inquisitorisches Spiel mit dem Ritual der
Angsteinflössung. Man könnte auch sagen: hier zelebriert
sich die Farce der Farce, die durch den Film huscht.
Die Hardcore-Zumutung ist ein trauriges Kapitel im Kino.
Unzählige Streifen haben diesen Wahnsinn als
Neuauflage der Neuauflage verinnerlicht.
Eine Ungeheuerlichkeit nach der anderen wird uns hier
gefräßig vorgesetzt. Der Film wird als „spannend“,
„nervenaufreibend“, als „Schocker-Movie“ mit
„Gänsehautgarantie“, sogar als „Dschungel-Horror“
verkauft.
Die restlose Zerschlagung der Hirne des mündigen
Kinobesuchers hat schon längst begonnen.
Und bei gleichzeitiger Eliminierung der Spielzeuggewehre
und Bomberatrappen bleibt die wachsende Bereitschaft
über, die Kompromisslosigkeit als neue Form der
formierten Kinogesellschaft einzuführen.

Heute geht es auch um das Ausleben dieser Gewaltphantasien,
im Kino, um Mord und Zerstörung.
Gnadenlos entlässt die Kulturindustrie einen Horrorstreifen
nach dem anderen aus ihrer bürgerlich-plüschigen
Behaglichkeit, um sie als Architektur des neuen Kinos zu
feiern. Zur verwalteten Welt gehört schon längst das Kino.
Die dort entstehende seelische Uniformität, die totale
Entfremdung, mit der sich der Kinofreak im Einklang sieht,
beginnt sich unaufhörlich mit den Unterhaltungsmedien
der 3. technologischen Revolution zu vermischen.
Mit dieser triumphalen Hässlichkeit wird das gewaltige
Panorama des Horrors nur noch mehr hofiert.
Die Spaltungslinien verlaufen eindeutig zwischen dem
Kino der Vernunft und dem Kino der Unvernunft.
Insofern ist dieses neue Bruchstück sozial und kulturell
betrachtet, der Ausverkauf des guten Geschmacks.

Fazit:

Was auf dem Minenfeld des vampiristischen
Schock-Kinos vorangetrieben wird, hat wie die
Schlangenbrut ein gigantisches Verdauungssystem.
Im Unterschied zu ihr, hat sie ein mediales.
Ein solches Reich, dass der totalen Verdauung
unterworfen ist, kann kein Kino-Bild für die
Zukunft sein.

Dietmar Kesten 11.12.04 11:12