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Before Sunset

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ohne Titel Dietmar Kesten 12.7.04 17:00

Es ist ja Ihr gutes Recht, eine andere
Meinung öffenlich zu äußern.
Ich muss Ihnen widersprechen (siehe meine Kritik).
Als "Before Sunrise" (1995) in die Kinos kam,
gab es den magischen Moment, den es selten im
Kino gibt. Richard LINKLATER inszenierte einen
Film, der fernab der Schmachtfetzen (u. a.
"Die Brücken am Fluss" mit EASTWOOD und STREEP)
für einen kurzen Augenblick die Liebe ins Kino
brachte.
Er besetzte diese Rolle mit zwei Schauspielern,
die sich fremd waren, zufällig in einem Zug
begegneten, eine Nacht in Wien verbringen,
Geschichten also, die das Leben schreibt, und die
jede/r auf seine Weise erlebt hat.
Sie trennen sich wieder. Auch das sind Dinge, die
alltäglich sind, ja mehr noch: 2/3 aller Ehen
werden wieder geschieden, jede Beziehung geht innerhalb
kürzester Frist wieder die Brüche usw.
Der Film war romantisch, ohne kitschig zu sein,
ohne aufgesetzt zu wirken, einfach real.
Irgendwann bekommt man solche Filme nicht mehr aus
dem Kopf, da wir uns auf irgendeine Weise damit
identifizieren: Hollywood machte es möglich.

Die Frage, die sich mir aufdrängte "Before Sunset"
aufdränge, war die: was passiert während einer
solchen Zeit, in der man keinerlei Kontakt zueinander
hat, welche Geschichten schreibt das Leben, wie
werden wir mit Trennungen fertig, wollen oder
wollten wir sie, was ist der Augenblicks des
wenigen Glücks?
Und was passiert, wenn an diesem Tag alles anders
gelaufen wäre? Ich gebe zu, dass ist spekulativ.
Aber genau so wäre es auch, wenn ich diese Fragen
nicht stellen würde, und so tue, als ob sie mich
nicht tangieren. Da besteht also ein Widerspruch,
den man nicht so leicht lösen kann.

Julie DELPY und Ethan HAWKE, zwei Schauspieler,
die ich sehr schätze, haben versucht, dort anzuknüpfen,
wo sie gescheitert waren, oder fast gescheitert
wären; denn sie versprachen sich ja, sich
wiederzusehen.
Denn auch sie ließ die Frage nicht mehr los,
was zwischen Jesse und Celine, den beiden
Liebenden, passiert, passieren könnte.
Jedem die zweite Chance, auch der Liebe, so
abgegriffen das klingen mag; denn sie ist der
"Endzweck der Weltgeschichte" (Camisso).

Man trifft sich, kommt ins Gespräch (im
übrigen sind die Dialoge sehr gut), und man
erlebt diese Gefühlsüberwältigung.
Seit jener Begegnung in Wien sind 9 Jahre vergangen.
Es ist kaum zu glauben, dass Liebe solange anhalten
kann. Aber wer weiß das schon, sind wir vor ihr
abgeschottet?
Am Ende der Lesung in Paris entdeckt Jesse unter
den Zuhörern seine Geliebte, jene Frau, der er
damals begegnete, die ihm nicht mehr aus dem
Kopf ging.
Die Zeit drängt, in der man erklären kann,
warum der Kontakt abgerissen ist, und warum man
jetzt diese Zeit noch einmal Revue passieren
lässt. Eine Romanze in Echtzeit, in der Realität,
die täglich abertausend Mal passiert.
Deswegen ist sie, die Liebelei, oder die tiefe
Liebe kaum länger als 1 1/2 Stunden.
Manchmal dauert sie halt nur so lange, aber manchmal
eben auch viele Jahre.

Was verbindet uns, was trennt uns, was hält
zusammen? Man spürt förmlich, mit welcher
Leidenschaft hier zwei Schauspieler an ihr
Tagwerk gehen. HAWKE, von dem man weiß, dass
er unter der Trennung von Uma THURMAN sehr
leidet, versteht es glänzend, seine Gefühle
zu offenbaren, bei DELPY spürt man förmlich,
dass sie das, was sie einst versprach,
rückgängig machen möchte.
Sie wollen es so belassen, wie es ist:
"Leben und leben lassen" (SCHOPENHAUER).
Doch da bleibt die ungeklärte Frage, was
ist perfekt, was weniger?
Und trotz vieler Worte, die sie verlieren,
viele im übrigen auch nicht, bleiben die
wesentlichen Fragen unausgesprochen.
Sie scheinen Tabu zu sein.

Und doch: könnte es mit uns noch klappen?
Vor dem Hintergrund der ständig scheiternden
Beziehungen in der Gesellschaft, ist es hier
ein Fanal: es immer wieder zu versuchen,
auf das ein wenig zu hoffen, was uns abhanden
gekommen ist: ein wenig Gefühle, sie zu bewahren,
festzuhalten, und wenn sie uns ereilen,
zuzupacken.

"Before Sunset" ist jene ortsetzung einer Liebesgeschichte, wie sie realistisch sein
kann, ich sage nicht sein muss.
Insofern ist LINKLATER hier ein großer Dialektiker,
der an Spekulationen nicht sonderlich
interessiert ist.
Sie verkennen, dass die pointierten Dialoge hier
das Salz in der Suppe sind, sie verkennen, die eher
zurückhaltenden Darsteller, die Kamera.
Das wohlbehütete Ende fällt ganz anders aus, als
die Zuschauer erwarten, oder, das wir erwarten.
Der Film beantwortet nämlich gar nicht die Frage,
ob sie "sich kriegen", sondern er lässt sie
offen. Ein offener Schluß, in den man vieles
hineininterpretieren kann, aber nicht braucht.
Schlussendlich erweist sich das Sequel als
bewegende Hommage an jene Gefühle, die uns
durchdringen, wenn wir lieben.
Das Unerwartete, die Zufälle, die Zeit, das
Leben selbst schreibt die besten Geschichten.

Dietmar Kesten 12.7.04 17:00