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Collateral

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KOLLATERALSCHADEN Dietmar Kesten 24.9.04 17:43

COLLATERAL

ODER KOLLATERALSCHADEN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 24. SEPTEMBER 2004.

Unter Kollateralschaden versteht man in der Regel
die unbeabsichtigte Zerstörung von meist zivilen Objekten
sowie die unbeabsichtigte Tötung von Zivilisten bei einer
militärischen Aktion.
Seit dem Jugoslawienkrieg und dem 2. Golfkrieg hat
dieser Begriff an Bedeutung gewonnen.
Ob Regisseur Michal MANN („Der letzte Mohikaner“, 1992,
„Heat“, 1995, „The Insider“, 1999, “Ali”, 2002) daran
anknüpft?
Selbst wenn dem nicht zugestimmt werden sollte, dann
ist unübersehbar, dass der Film ein Todeskarussell mit
Schäden an Menschen und Material ist und viel von
jenem Sprengstoffwerk hat, das man zur Genüge aus der
Life-Reality kennt.

„Collateral“ mit Tom CRUISE als Hauptdarsteller ist wieder
ein schuftiges Männerdrama, wo mit Gewalt nicht gezaudert
wird, und wo sie der Kompass ist, der im stürmischen Meer
der abstrusen Handlung keinen Ausstieg für Taxifahrer
Max (Jamie FOXX) zulässt.
CRUISE, der mit seinen letzten Filmen nicht zu überzeugen
wusste, spielt den Auftragskiller Vincent, der in Los Angeles
in den Wagen des Taxifahrers Max steigt, ihn mit einem
Bündel Geldscheine darum bittet, zu einer Stadtrundfahrt
aufzubrechen.
Beim ersten Stopp stürzt eine Leiche auf das Autodach und
Max, für den sich sein Leben in diesem Augenblick
verändert, wird nun auch zum Opfer Widerwillen und mehr
unfreiwilliger Komplize von Vincent, der mit
Waffengewalt den Taxifahrer dazu zwingt, ihn auf seiner
Todesfahrt zu begleiten.
Im Angesicht der drohenden Gefahren entwickelt sich eine
zunehmend düstere Stimmung und eine mehr als seltsame
Beziehung der beiden Protagonisten, die den Zuschauern
immer nur einen Finger reichen, niemals alle.
Max wiegt sich in Sicherheit. Vermutlich, weil er mit dem
Leben davonkommen will. Und Vincent, der dies nicht
zulässt, trägt seinen Teil dazu bei, den aufgesetzten
Situationen durch Killermentalität und vermeintlicher
Sicherheitsheuchelei einen verschachtelten Handlungsablauf
zu geben.

„Collateral“ will „Dauerspannung“ erzeugen. Lose
Verbundszenen sollen eine „klaustrophobische Stimmung“
wiedergeben. Die „faszinierende Erzählung eines
Jazzclub-Besitzers über eine Begegnung mit Miles Davis
soll zu einem Gespräch auf Leben und Tod“ einmünden,
schrieb Kay PINNO in der „Westdeutschen Allgemeinen
Zeitung“ (22. September 2004) in seiner Filmbesprechung
über „Collateral“.
Mit dem Spektrum des Lebens kokettieren zu wollen- das ist
e sicherlich nicht, was sich hier niederschlägt und worauf
der Film möglicherweise insistiert.
Und auch nicht eine gewisse bedrohliche Extremsituation,
in der sich Jäger und Gejagter wiederfinden.
Action mit der Jagd über Freeways, in U-Bahnen,
U-Bahnröhren oder auf Rolltreppen erinnern doch stark an
„Mission Impossible“ (Regie: Brian DE PALMA, 1996,
„Mission Impossible II, Regie: John WOO, 2000).
Ob damit „Dauerspannung“ markiert wird, ist und bleibt eine
Frage der Definition.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine fast
alltägliche Geschichte im Film hier zu einem gewissen
menschlichen Drama umfunktioniert werden soll.
Alleine schon die Ansätze der zugespitzten spannungsfördernden
Elemente, sollen womöglich den Eindruck vermitteln,
dass hier mühsam, zeitraubend und nervenzerrend
Männerangst und Männerbedrohung beschrieben wird.
Wenn dann zusätzlich die abgegriffene klaustrophobische
Erzählung ins Spiel kommt, die sich im Inneren eines Taxis
abspielt, fragt man sich, ob jener Selbstbestimmungswunsch,
der sich durch dieses Genre zieht, heute noch eine
Besonderheit von Filmproduktionen sind.
In diesem Sinne ist dieser Film einmal mehr auf CRUISE
zugeschnitten, der selbstverständlich auch die
Konfliktszenen mit Drei-Tage Bart, fieser Mine, Laptop,
perfekt sitzendem Anzug und ständiger Normverletzung
beherrscht.

Das Konzept dieser männlichen Produktion scheint
einmal mehr aufzugehen: CRUISE steht mit an vorderster
Front der traditionellen Rollenklischees in
dieser Männerdomäne.
Max ist zunächst der Naivling, der sich mit
Postkartenidyllen zufrieden gibt, im Taxis eine flüchtige
Begegnung zur Rechtsanwältin Annie
(Jada PINKTETT- SMITH) entwickelt, auf die Vincent
ebenfalls angesetzt ist, dann aber Komplize des
filmischen Systems wird.
Und zwar dadurch, dass er sich der großkalibrigen
Autorität von Vincent unterwirft, gelenkt und kontrolliert.
So scheint der Film nur wenige logischen Zusammenhänge
zu schaffen; denn im wesentlichen versucht er nur die
exemplarische Situation von Vincent wiederzugeben.

Annie, die ebenfalls auf der Todesliste von Vincent
steht, und vor dem Max sie warnen will, ist nur
Füllsel im Film, Zuträger für die gedankenspielerische
Weltausdeutung. Die Welt des modernen Action-Film ist
aus einem ähnlichen Stoff wie das Leben der Menschen:
Medienprägung wird im Menschenbild und Rollenverhalten
berücksichtigt.
Ein Film wie „Collateral“ trifft eben auf dieses
medienerfahrene Publikum, das mit ihren Helden im Kino
bereits durch alle Höhen und Tiefen gegangen ist.
Der Zuschauer selbst kommt in diesem Rollenverhalten auch
vor; denn er wird beständig mit dem romantisierenden Duell
Mann gegen Mann (vgl. auch „Enemy At The Gates“, Regie:
Jacques ANNAUD, 2001) konfrontiert.
Martialisch ist dann auch die Flächenhaftigkeit des Werks.
Sympathie- und Antipathieträger werden sich im Publikum
etwa gleichmäßig verteilen dürfen. Deshalb ist Annie
auch ein gewisser Knotenpunkt. Sie wird zwar von der
höchst suggestiv angelegten Handlung angesaugt,
ist aber nichts anderes als ein Montagestück, das bestens
dort hineinpasst.

Zwar ist „Collateral“ nicht „Collateral Damage“
(Regie: Andrew DAVIS, 2001) mit Arnold SCHWARZENEGGER,
der seinerzeit wegen der Anschläge vom 11. September 2001
auf den 21. 2. 2002 verschoben wurde, doch der dortige
spielerische Sieg des Besseren, weil Stärkeren, setzt sich
auch hier eigentümlich fort, selbst wenn am Ende die
Theatralik siegt.
Das Taxi wird zur psychoanalytischen Sicht, die aber nicht
verfängt, weil man CRUISE die ungeordneten Bilder
des Killers Vincent nicht abnimmt. Er will Coolness,
ausstrahlen, Misstrauen, drohend wirken, lauernd sein,
geduldig und ohne Hast. Ihn treibt aber nur sein Minenspiel.
Eigentlich konnte er all diese Elemente nur in
„Magnolia“ (Regie: Paul THOMAS-ANDERSEN, 2000)
und „Eyes Wide Shut“ (Regie: Stanley KUBRICK, 1999)
verwirklichen. Hier ist er wiederum, wie in vielen anderen
Filmen auch, ein aus dem Videoclip entstehender Fighter,
der mit seinem eigentlichen Grundwiderspruch als
Killer auch Moral zu besitzen, nichts rechtes anzufangen
weiß. Perfekt hatte diese Rolle eigentlich nur Tom HANKS
als Auftragskiller Michael Sullivan in „Road to Perdition“
(Regie: Sam MENDE, 2000) ausgefüllt.

Das der Film auf konventionelle Weise aufgelöst wird, mag hier
nicht überraschen.
Die Verfolgungsjagd am Ende kommt einem vor wie
die Oase nach unzähligen Marschtagen durch die Wüste.
Endlich hat der nichtssagende Dialogsatz im Film ein Ende.
Nur einmal kommt so etwas wie eine beruhigende Stimmung
und surreale Szenen zugleich auf.
Auf der Jagd nach dem Killer fangen Hubschrauber das
nächtliche Los Angeles weit weg vom eigentlichen Geschehen
ein. Diese Bilder sind vortrefflich.
Als ein Kojote durch die Straßenschluchten streift,
zeigt diese Stadt dadurch in gewisser Weise auch ihre
Absurdität.
Ob „Collateral“ „einer der (ent-)spannendsten Thriller seit
langem ist“ (so Elke BANKERT in der „Westdeutschen
Allgemeinen Zeitung“ vom 24. September 2004), muss jede/r
für sich entscheiden.

Fazit:

Filmisch gesehen ist der traditionelle Supermarkt des
Thrillers geradezu eine Fundgrube für immer neue
Spektakel. Doch gegenüber diesen gradlinigen Konstruktionen
ist Skepsis angebracht.
Die Geschichte des Films ist reich an Utopien, aber auch reich
an Visionen und Konzepten, die für dieses Medium nur
schädlich sein können.
Denn am Ende stehen die, die es entworfen haben.
Ihr Verwertungsinteresse, das eine immer weitere Entfaltung
der technischen Systeme auslöst, stellt im Kino die Welt
zu, so dass eine wirkliche Welt dort nur noch als Schatten
herumgeistert.
Das „Leben aus zweiter Hand“ (Lothar MIKOS) erweckt
Misstrauen. Die Illusionierung des Zuschauers wird durch
das Dabeisein mit der Übertragung des Geschehens
in abgeschottete Orte audiovisuell gesteigert.
Diese gefälschte Realitätsabbildung mutiert zu einer
synthetischen Raumsuggestion (Taxi), die wie eine
Irrfahrt anmutet.

Dietmar Kesten 24.9.04 17:43