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Das geheime Fenster

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Das geheime Fenster Dietmar Kesten 2.5.04 13:04

DAS GEHEIME FENSTER

DIE KUNST DER BASTELEI

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 2. MAI 2004.

Für den Schriftsteller Mort Rainey (Johnny DEPP) brechen schwere
Zeiten an.
In einem Ferienhaus am See leidet er unter einer sogenannten
Schreibblockade, die durch die Scheidung von seiner
Frau Amy (Maria BELLO) hervorgerufen wurde.
Von einem Unbekannten, namens John Shooter (John TURTURRO),
wird er gezwungen, in kürzester Zeit den Nachweis zu erbringen,
dass seine Horrorgeschichten keine Plagiate sind, und er verlangt
Rechenschaft über eine Romanidee, die ihm Rainey angeblich
gestohlen hat.
Als Shooters Nachstellungen an Intensität zunehmen, schaltet
Rainey einen Privatdetektiv (Ving RHAMES) ein.
Horrormeister Stephen KING schrieb die
Originalvorlage für das „Das geheime Fenster“. Bereits hier muss man
sagen, dass der Film, der als Horrorthriller konzipiert ist,
an seiner Story scheitert. Und der Hauptdarsteller trägt dazu bei,
dass sich die Spannung in Grenzen hält.

Die Geschichte von „Misery“ (Regie: Rob REINER, 1990) beginnt
damit, dass der Bestseller Autor Paul Sheldon (James CAAN) nach
einem schweren Autounfall in einer abgelegenen Gegend im Haus der
Ex-Krankenschwester Annie Wilkes (gespielt von der hervorragenden
Kathy BATES) landet. Sie erweist sich als große Verehrerin seiner
Werke.
Als sie erfährt, dass der Autor ihre Lieblingsheldin in seinem jüngsten
Werk sterben lässt, dreht die Frau durch. Sie entwickelt sich mehr und
mehr zu einer Psychopathin, die Sheldon gefangen hält, von ihm
verlangt, den Schluss der Geschichte umzuschreiben, und sie schreckt
selbst vor Misshandlungen nicht zurück.
Für den Autor beginnt eine Zeit des Grauens.

Mort Rainey und Paul Sheldon gleichen sich fast wie ein Ei dem anderen.
Und auch diese beide Geschichten sind von Stephen KING, was sicherlich
nicht als Zufall interpretiert werden darf.
Dazu kommt, dass beide Filme ihre Spannungen aus der
klaustrophobischen Situation ziehen; denn auf Gedeih und Verderb sind
sie Fremden, der Situation, den Handlungsorten, der Idylle, den Gesten
und den Regieeinfällen ausgeliefert.
„Misery“, ein Psychothriller“, „Das geheime Fenster“, ein Horrorthriller.
Unterhaltsam sind beide. Und so lange die Handlung nicht
verkümmert, ist es legitim, sich wie schüchterne Voyeure zu bewegen.
DEPP zeigt in den ersten Szenen, dass er es wie BATES versteht,
sich großen Respekt zu verschaffen. In „Misery“ gelang es ihr,
sich als mürrische Frau mit menschlichem Einschlag durch die
Geschichte zu balancieren; DEPP gelingt es, stets verkniffen und
unter Gemurmel sich in Erinnerung zu rufen.
Er zeigt, dass er das Komödienfach (vgl. auch „Fluch der Karibik“,
Regie: Gore VERBINSKI, 2003) bestens beherrscht.
Doch je deutlicher er sich als Hauptdarsteller profiliert, desto
geringer wird sein eigentliches Interesse an dem Film.
Das hat etwas damit zu tun, dass die Geschichte langweilig wird,
sie sich unter dem Zwang der Handlung, ein Bravourstück abliefern zu
wollen, selbst opfert.
DEPP spielt wie BATES. Das mag an KING liegen, den
wohlkalkulierten Regieeinfällen, dem magischen Schlüssel,
der Überschneidungen mit ähnlichen Filmen.

KING, der Protagonist seiner Zunft, hat in seinen Büchern auf
diese Figuren gesetzt. Liebe, Tod, Verfolgung, Spionage,
Glücksspiel, Verführung, Aufopferung, Hass, Gefühllosigkeit
und (wärmende) Menschlichkeit feierten in seinen Werken
ein Fest des Wiedersehens.
Mit verbissener mystischer Energie brachte er einen Erfolgsroman
nach dem anderen heraus, die verfilmt wurden, oder als zu
noch verfilmende Vorlagen auf Regisseure warten.
KING hat Figuren wie Anni Wilkes oder Mort Rainey am liebsten.
Womöglich ist hier deshalb eine Parallele der mystischen
Schaffens- oder Wissenskrise nur zu deutlich.

Jack Torrance (gespielt von Jack NICHOLSON) in
„Shining“ (Regie: Stanley KUBRICK, 1979), ein weiterer berühmter
Prophet von KING, der sein Verhältnis zum Übernatürlichen
deutlich werden lässt, wählte die (totale) Isolation, die Abgeschiedenheit,
das Fenster zu seinen Tiefen, die mystischen Reproduktionen.
Der Rückgriff auch auf diesem Film, die Allegorien, mit denen er
„Das geheime Fenster“ anreichert, sind krampfhaft abgekupfert.
Auch hier werden z. B. Bluttaten durch Buchstaben angekündigt.
NICHOLSON begegnet in einer Szene sich selbst; DEPP
tut es ihm gleich. Der neurotische Übergang zwischen dem am Ende
des Films hervortretenden psychopathischen DEPP und der
Demenz von NICHOLSON, liegt gar nicht weit auseinander; denn
Luxushotel und Ferienhäuschen sind sich hier in der Summe gleich.
Erschreckendes und Faszinierendes haben beide Filme gemeinsam,
und etwas aus dem Nichts anzunehmen ist geheimnisvoll, mystisch
eben. Die Existenz- oder Nichtexistenz von Personen ist
bei KING im übrigen ein Dauerthema.
Und wenn am Ende DEPP ein Grab aushebt, oder nur so tut,
so ist das wiederum die Entsprechung zu „Dolores“ mit
Kathy BATES (Regie: Taylor HACKFORD, 1995).

Bleibt noch der direkte Vergleich zwischen NICHOLSON,
BATES und DEPP.
In allen Darstellern entdeckt man das Verwaistsein, die
Enttäuschung, die Entfremdung, die Phänomene, weltliche
Mystiker spielen zu müssen.
Bestens gelang dies, Jack NICHOLSON. Seine Gestik und
Mimik (durch seine Grimassen dargestellt) zeigen, was
auf diesem Sektor künstlerisch möglich ist, mit welchen
Signalen wir konfrontiert werden, und das Kommunikation
durchaus paradox sein kann.
DEPP bedient sich anderer Mittel, eher ergänzend zu
NICHOLSON, aber deutlich alternativ. Drohungen begegnet
er mit reduzierter Mimik und seine beiläufig eingestreuten
Gags sind immer ein Stück des Urbildkinos.
Das sieht manchmal wie eine billige Imitation aus, doch
wenn DEPP die Mundwinkel hängen lässt, scheu in die
Kamera blickt, dann ist das perfektioniert.

Doch nicht perfektioniert genug; denn sein Part
wird einmal mehr von der traditionellen Machart des
Film eingeholt. Und man kann sich des Eindrucks nicht
erwehren, dass er sich an seine Rolle in „Sleepy Hollow“
(Regie: Tim BURTON 1999/2000) bestens erinnert.
Dort spielte er den drogensüchtigen Polizisten Crane,
der sich vor der Lösung seiner Fälle auf der Couch
lümmelte, sich gehen lässt, dem Müßiggang frönt,
und auch sonst vom Erscheinungsbild her eher
unlustig, unmotiviert und ungepflegt ist.
Seine theatralischen Blicke, stets hingeworfen, der
verweilende kurze Augenblick, die verlorene Ruhe, die
Ergriffenheit- das sind trotz aller Kritik die besten
Momente von DEPP.

Für BATES hatte KING ein altgewohntes Gesicht gewählt,
verblüffend und kenntnisreich was den Umgang mit
der Literatur von Paul Sheldon anbelangt.
Von Streitgesprächen mit ihm aus den Fugen gerissen, wird
sie zur Furie, die Amok läuft. Sie tut nur das Nötigste, damit
Sheldon den Roman für sie umschreibt. Sie beherrscht die
Verhältnisse, die Verhältnisse beherrschen nicht sie.
So ist der eigentliche Unterschied zwischen diesen
KING - Repräsentanten die eher makabere Vorstellung,
dass die Festung der Einsamkeit manchmal wahnsinnig
machen kann. Wenn sie pausenlos vorgeführt wird,
dann ist das Unwillkürliche präsent, und es gilt die populäre
Sensibilität zu finden.

Das Frappierende an diesem Film ist der Plot, der nun gar nichts
mit irgendeinem Fenster zu tun hat.
Regisseur David KOEPP (Drehbuch für „Apartment Zero“, 1988,
„Boy Soldiers“, 1991, „Carlito’s Way“, 1993 und Regie
bei “Echoes”, 1999) hat ihn fühlbar zerfleddert, zerstellt.
Wie bei einem gefälschten Bild, so ist es auch hier das
artifizielle Gefüge, die die Fälschung übergangslos mit dem
Echten verbindet.
Nirgendwo wird ein Fleck hinterlassen, der hier nicht an
irgendetwas erinnert. Und folglich resultiert aus einer vom
Horror geprägte Bastelei die Reproduktion des Films
„Das geheime Fenster“. Die Spannung bleibt im Keller oder
im Irrgarten, wo die KING seine Staffelein aufgebaut hat.
Seine ‚großen Meisterwerke’ werden in der Zwischenzeit
leider Marmorkopien.

Fazit: Alleine Johnny Depp rettet den Film, der sich nie
entscheiden kann, zu welchem Genre er gehören will.
Der müde Stoff lebt von und mit Depp. Er selbst verkörpert
die dramatischen Zuspitzung des Stoffs, der allerdings
kaum die Spannung halten kann, obwohl der Zuschauer
am Ende sich eine filmische (Ent-)Spannung auch ohne
ihn vorstellen könnte.

Dietmar Kesten 2.5.04 13:04