filmz.de
Closed

Der Untergang

[ Info ] [ Links ] [ Kommentare ]
WIRKUNGSMECHANISMEN Dietmar Kesten 24.10.04 10:07

DER UNTERGANG

WIRKUNGSMECHANISMEN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 23. OKTOBER 2004.

Mich hat sehr verwundert, dass selbst ein
Joachim FEST, auf dessen Beschreibung die
letzten Tage des „Führers“ im Bunker ja basiert,
den „Untergang“ für „absolut empfehlenswert“
hielt. Es gibt weitere viele Ungereimtheiten
über den Film, die man in den jüngst erschienenen
Artikel von Wim WENDERS in der „Zeit“ nachlesen
kann. Nehmen wir noch einmal Albert SPEER,
über den FEST schrieb:
"Zwar war er dabei (SPEER, d. Vf.) von Skrupeln
nicht frei gewesen; alle inzwischen eingetretenen
Entfremdung hatte ihm das Gefühl nicht
verschütten können, Hitler viel zu verdanken: die
Auszeichnung persönlicher Sympathie, die generösen
künstlerischen Möglichkeiten, Einfluss, Ruhm,
Macht...“ (Joachim FEST: „Hitler“, Berlin 1987).
Einer der „Guten" im Bunker, die so funktionieren,
wie der Film zu suggerieren scheint.
Ich persönlich halte das für sehr gefährlich, weil der
Eindruck entstehen könnte, dass nur das Brot mit
verdorbenem Mehl gebacken war.
Um ihn herum (um HITLER, d. Vf.) schien die Nazi-Welt
voller Widerstand gegen ihn zu sein.
Das ausgerechnet immer wieder SPEER genannt wird,
ist hintergründig ein Beweis dafür, dass man ihn
durch Weglassen seiner Taten, seiner Nazi-Ideologie
und seiner unnachgiebigen Loyalität gegenüber
HITLER nachträglich in einen kritischen Geist
verwandeln will.
Sicher hatte SPEER sich zum Kriegsende gegen die
Zerstörung wichtiger technischer Anlagen
(auch HITLER gegenüber in der Reichskanzlei)
ausgesprochen, und wenn man so will, auch seinem
Befehl vom 19. März 1945 widersprochen, es ändert aber
nichts an der Tatsache, dass SPEER die Kriegswirtschaft
des Nazi-Regimes in führenden Positionen terroristisch
unterstützte und für gut hieß. Zudem war ein gewiefter
Taktiker.
Das verhinderte seinen Tod durch den Strang in
Nürnberg 1945.
Wenn ein Film diese eklatanten Tatsachen
verschweigt, um beim Beispiel zu bleiben, dann
wird entweder mit der Unwissenheit der Zuschauer
gespielt, oder es ist tatsächlich so, dass
der „nordische Geist“ ungewollt weiter herumgeistert.

Nun möchte ich das keinesfalls EICHINGER und
HIRSCHBIEGEL unterstellen wollen. Und ich hoffe,
dass ich nicht missverstanden werde. Aber ich
kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass
hier schlecht recherchiert wurde, undifferenziert
Fakten gegen mögliche „gute“ Ansätze eingetauscht
wurden, Illusionen gegenüber Nazizeit und
Faschismus erzeugt werden, und vor allem die
nationalsozialistische Weltanschauung nicht genuin
hinterfragt wurde.
Die Folge davon ist ein Film, der HITLER zusehendst
zu einer Figur macht, die plötzlich aus dem
Niemandsland in die deutsche Geschichte eintaucht und
ebenso wieder verschwindet.

Hier werden nur die Tage vor seinem Tod behandelt.
Alles andere bleibt tatsächlich außen vor.
Will man sich damit arrangieren, oder besser: kann
man sich damit arrangieren?
Ich glaube kaum. Die Reichskanzlei in den letzten
Tagen war die Endphase eines imperialistischen
Krieges. Der eigentliche Krieg begann mit
dem Einmarsch in Polen (1. September 1939).
Der sich anschließende Oststurm und die schwere
Niederlage der deutschen Armee bei Stalingrad
(ab Dezember 1941)und der möglichen Wende
des Krieges, der Genozid, die Endlösung mit
über 6 Millionen Toten Juden, 50 Millionen
Kriegstoter, zerstörtes Land, zerstörte Städte
sind DIE entscheidenden Phasen des Krieges
gewesen.
Das wird unterschlagen. Um es salopp zu sagen:
verdrängt. Es ist nicht existent. Die Macher
des Films legen darauf auch keinen Wert in der
Darstellung. Die Juden kommen nur einmal in einem
Nebensatz vor. Das ist schlicht unbegreiflich.
Der Sturm der Roten Armee auf Berlin kann nur
als Geschichtsklitterung bezeichnet werden.
SHUKOW brach am 20. April 1945 nach Berlin durch.
Die Einschließung der Stadt bis zum 22./23. April
war das Ergebnis einer Reihe entscheidender
Schlachten an der Elbefront und der Vereinigung
verschiedener Truppenteile der Roten Armee unter
KONJEW.
Im „Untergang“ erscheint die Rote Armee (im übrigen
nur durch Rote Fahnen und Uniform von der
Nazi-Armee zu unterscheiden!) als vorrückendes
Etwas.
Es wird gar nicht klar, was hier passiert war.
Es wird nicht deutlich, dass das Vorrücken auf
Berlin DAS eigentliche Ende des Faschismus war.
Und über das OKW schweigt man lieber besser.
Eine richtigere Darstellung kann man im
„Kriegstagebuch des OKW“ nachlesen.
Das lässt auch nur einen Schluss zu: hier wurde
eine reißerische Darstellung einer historischen
Darstellung gegenüber vorgezogen.

Anleihen an Guido KNOPP, dem Geschichtenschreiber
des Fernsehens, sind unübersehbar.
Es ist ein aussichtsloses Unternehmen Geschichte
zwischen Popcorn und Cola zu vermitteln.
Zumal der Kinosessel sich hier in nichts vom
Fernsehsessel unterscheidet.
Währenddessen sitzt HITLER in der Reichskanzlei
und empört sich irgendwie und über irgendwen.
Die Naziideologie zu ächten und sie in den
Zusammenhang einzuordnen- das wäre unbestritten
eine filmische Aufgabe, die noch ansteht.
Doch stattdessen einen Aufguss abzuliefern, der
bei einem so weiträumigen und umfassenden Stoff in
sich nur widersprüchlich sein kann, ist der
eigentliche Irrtum des Films.

Dietmar Kesten 24.10.04 10:07