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Der Untergang

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GANZ NORMALE MÄNNER Dietmar Kesten 18.9.04 16:44

DER UNTERGANG

GANZ NORMALE MÄNNER?

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 18. SEPTEMBER 2004.

Die mediale HITLER-Welle startet durch.
Das Interesse scheint groß.
Ein deutscher Film über Adolf HITLER kann nur Staunen
hervorrufen. In dichten Großaufnahmen mit expressiven
Schlagschatten fotografiert, schildert die Produktion des
Herrn EICHINGER die letzten Tage des Diktators.
Das gleicht einem naiven psychologischen
Naturalismus, der eigentlich gar nichts erklärt; denn erklären will
der Film bewusst nichts, aber viel illustrieren.
Die Katastrophe der Stadt bildet den Hintergrund zu einem
anderen schaurigen Schauspiel, dem Treiben im unterirdischen
Führerbunker. Die letzten Tage im Leben eines Diktators, der
selbst gar nicht mehr an den Endsieg glaubt, der über Treue
und Verrat labert und Kuchen in sich hineinstopft, von Parkinson
gezeichnet ist, mal wirkt er komplett geistesabwesend, mal
bekommt er seine Wutausbrüche und mal ist er den Frauen
gegenüber wieder ganz charmant.

„Der Untergang“ will ein Film für die Nachkriegsgenerationen
sein. Er wagt den Blick zurück, will das in Bilder fassen, was
eigentlich unvorstellbar ist- nicht nur für die Nachgeborenen.
Er will eine (Kino-)Darstellung geben von Dingen, die mit den
Kategorien von Realismus und Authentizität nicht zu fassen
sind - unsere eigene Geschichte von innen erzählen, sagt
EICHINGER, und auch „Emotionen zulassen“.
Das ist ein absurder und grotesker Totentanz, ein Tanz auf dem
Vulkan, eine Art (historischer) Voyeurismus; denn er zieht den
Deckel vom Bunker, in dem das Dritte Reich mit einem
Sargnagel eingesargt und zugesperrt war.
Doch das Innerste der Geschichte will wieder an die
Oberfläche, bestaunt und begutachtet werden. Dort, wo
sich ihr die Sinnfrage nicht mehr stellt, gehen biedere
Bürger ins Kino und sind dabei, wenn noch einmal
die „Büchse der Pandora“ geöffnet wird. Das Monströse
erscheint im Film als Hass-Karikatur, die sich in den Dienst
des Antisemitismus stellt und zwangsläufig mit dem
Makel der Phantastik und Esoterik behaftet ist.
Mit dieser deutschen Klarheit betreibt er seine
innere Konsolidierung und seinen Expansionsdrang.
Die Wiederkehr des Verdrängen ist hier auf einmal die
innere Logik der Reste des deutschen Denkens; denn
die Rassenpolitik bis hin zum Holocaust war
schließlich eine gewaltsame, entrechtete und
vernichtende Weltanschauung.
Und die Elimination gelang in einem fürchterlichen
hohen Ausmaße, weil die Ideologie sich
vorübergehend eine bedeutsame Machtfülle
verschaffen konnte.
Darauf bezogen, ist „Der Untergang“ eine historische
Pleite; denn er lebt nur vom Monströsen, wie überhaupt
das Kino davon lebt.
Und Monster und Dämonen beglücken seit jeher, sie sind
es, die in der Erinnerung haften bleiben.
Vielleicht ist deshalb EICHINGER geneigt,
„Emotionen zuzulassen“.

Die Massenmedien scheinen sich jedenfalls mit dieser
neuen Herbstoffensive arrangieren zu können.
Manipulativ und bewusst in Szene gesetzt, erscheint dieser
HITLER als Massengeschmack des Publikums.
Nach „Der letzte Samurai“, „Troja“ und „Spider-Man 2“,
sechzig Jahre Invasion in der Normandie,
neunzig Jahre erster Weltkrieg, und vielen anderen
Historienschinken, die schon vorgeplant sind, ist es an der
Zeit für die vielen historischen Spektakel mit
abgehalfterten Männern, spontanen Selbstdarstellungen
und vermutlich naturwüchsigen Gemeinsamkeiten.
Ist es vielleicht hier eine kollektive Regression, die alles
miteinander zu verbinden scheint: die Produzenten, das
Kino, das Publikum?
So gesehen läge das Problem im filmisch verarbeiteten
HITLER in den Wünschen, Bedürfnissen und Tendenzen
der unterschwelligen Sehnsüchte der Deutschen, die
ihre eigene Katastrophe als innere Widersprüchlichkeit
auffassen könnten und mit der Verarbeitung der
Vergangenheit aus der Sphäre der machtpolitischen
Zurichtung in die Verblendung abdriften.
Immer war es der Blick zurück, in die besseren Zeiten,
wenn es im Wirtschaftswunder keine Konjunktur gab.
Dann wurden die, die auf dem Hügel stehend ihr
Reich überblickten, aus der Versenkung geholt und
angepriesen.

Nun sollte man der deutschen Seele nicht unterstellen,
sie sehnten sich den „Anstreicher“ (Bertold BRECHT
über HITLER) wieder herbei.
Doch das Interesse an HITLER ist wie das Interesse
der Filmporträtistin Leni RIEFENSTAHL, die ihre wahre
Freude an diesem Film hätte. Denn auch ihre Biografie
wird wie die von Ernst JÜNGER, zu dessen Literatur
Altbundeskanzler KOHL ein ganz inniges Verhältnis
hatte, gnadenlos vermarktet.
Der Propagandafilm von RIEFENSTAHL „Triumph des Willens“
wurde zur besten Sendezeit ausgestrahlt.
Joachim FEST, auf dessen Vorlage u. a. „Der Untergang“
basiert, sprach das Nachwort. Hier paaren sich pure
Geschmacklosigkeit, Ungläubigkeit mit eine Verhöhnung der
Toten. Es ist auch der FEST, auf dessen gleichnamigen
Sachbuch der Film „Der Untergang“ basiert.
Doch durchaus zeitgemäß, weil sich alles in diesem
globalisierenden Kapitalismus den Regeln des Profits
unterwirft.
Wie ein Schatten folgt die Globalisierung des Kapitals
dieser Prämisse. Es ist ein Prozess der sozialen
Zerrüttung, moralischer Verwilderung, gesellschaftlicher
Paranoia, der wiederum in eine substaatliche
Terror- und Plünderungsökonomie einmündet.
Der Staat als ideeller Gesamtimperialist ruft seine Geister:
die Schurkenstaaten, Gotteskrieger, Ethnobanditen und
Clanmilizen. Hier wird sich das erneute Schicksal
der Menschheit entscheiden: in der gesellschaftlichen
Zersetzung, in der fortschreitenden Desorientierung
des Gesamtsystems, das an seinen inneren
Widersprüchen ersticken wird.

Falls man diese Thesen vorsichtig bejahen sollte, sieht man
sich sogleich der Frage gegenüber, warum
HITLER aus der Versenkung geholt werden muss?
Die deutschen Musterdemokaten im Medienalltag.
Man reibt sich heute die Augen: Hakenkreuze blühen
nicht nur öffentlich, sondern auch nachts im eigenen
Haus.
Es wird nach den Teufelsaustreibern gerufen.
Die NPD erreicht aus dem Stand bei den Landtagswahlen
im Saarland satte 4%- die Barbarisierung des
demokratischen Alltages löst sich nicht in ein demokratisches
Wohlgefallen auf.
Im kleinen Krieg gegen Ausländer, Behinderte, Alte,
der Duldung rechtsextremistischer Organisationen,
rechtsextremes Gewaltpotential mit hoher Dunkelziffer
(weil nicht angezeigt und damit nicht aufgeklärt),
Abschiebepraxis, und im Terror der Glaubenskrieger schwelt
und flackert die alte grassierende Fremdenfeindlichkeit
weiter.
Die Demokraten erschrecken über ihre entarteten Kinder.
Und diesmal entlässt die „Revolution nicht ihre Kinder“
(Wolfgang LEONHARD), sondern erweckt sie irgendwo
wieder.
Sie halten der vermeintlichen Wiederkehr der faschistischen
Vorvergangenheit die abgeschliffenen demokratischen
Gemeinplätze entgegen.
Und sie wollen nicht wahrhaben, dass ein neuer
Rechtsradikalismus ein Produkt und ein Problem
des demokratischen Lebens und der marktwirtschaftlichen
Strukturen selber ist.
Es gilt zu begreifen, dass man sich nicht mit einem
schein-selbstkritischen Alibi zufrieden geben darf, das die
wahren Ursachen immer verschleiert: nämlich die
Verfasstheit des gesellschaftlichen Systems selbst.

Natürlich stehen keine flackernden HITLER Bilder mehr
in den Stuben und die revanchistischen Altnazis
der 50er und 60er Jahre, ehemalige Veteranen und
die ewig Unbelehrbaren scheinen sich verflüchtigt zu
haben.
Doch das ist es ja auch nicht: es ist der fatale
Erinnerungsprozess, die neurechte Weltsicht, die diese
Massenmörder ans Tageslicht holt.
Es ist die Absurdität und die Menschenverachtung, die
dem nationalistischen Rassenwahn in nichts nachsteht.
Wenn der Zusammenhang zwischen der Krise der
Arbeitsgesellschaft und dem grassierenden
Rechtspopulismus (vgl. auch Jörg HAIDER in
Österreich) hergestellt wird, dann erinnert das natürlich
an den historischen Faschismus.
Denn der Nationalsozialismus war nüchtern betrachtet ein
genuines Krisenprodukt.
Sein Erfolg wird nur verständlich wenn man die Geschichte
des deutschen Nationalstaates hinterfragt, die tiefgreifenden
gesellschaftlichen Umbrüche seit dem 1. Weltkrieg.

Die Grundlagen von Rassismus leben weiter fort.
Es fällt allerdings schwerer, sie zu durchschauen, über die
Ebene des Partialfeindes hinauszukommen, den Gegner
zu fixieren.
Weil die globalisierende Marktgesellschaft durchorganisiert
erscheint, verfällt der gesunde Menschverstand nicht
automatisch diesen Rattenfängern.
Sobald die ‚Natur’ des Menschen anfängt, sich seines
verborgenen Hasspotentials zu erinnern, wird auch das
superdemokratische Deutschland außer Kontrolle
geraten können.
Das ‚Reich des Bösen’ hat ein verborgenes Potential
und ist gleichzeitig in weitreichenden Ideologie- und
Organisationsvorstellungen in weiteren Bereichen der
Marktwirtschaft latent vorhanden.
Der deutsche ‚Sonderfall’ verlangt immer nach dem
sichtbaren Fetisch.
Er wird im „Untergang“ angeboten. Da kann man sich
drehen und wenden, wie man will. Ein deutscher
Spielfilm über HITLER bleibt und gilt als Unding.
Das hätte EICHINGER wissen müssen.
Ein solcher Filmstoff bleibt nicht einfach Filmstoff.
Er ist kein Abenteuergenre wie die Titanic.
„Der Untergang“ bildet nur ab, was schlimm genug ist,
weil Zielgruppen nie aussterben werden.
Der Erfolg des Film „Saving Private Ryan“ von
Steven SPIELBERG (1998) gründete nicht zuletzt
darauf, dass Söhne und Enkel der Nachkriegs- und
Veteranengenerationen nach diesen Bildern und
Erzählungen verlangen. Sie halten die Geschichte
nach allen Seiten offen und sie können binden
und wach halten.

Da bekommen natürlich selbst die Bezugspersonen
im Film eine gewisse Aufwertung.
Allen voran Traudl JUNGE, die Sekretärin, oder eine der
Sekretärinnen. Denn HITLER hatte gleich mehrere.
Sie fungiert als Bezugsperson, als Identifikationsfigur, ihrer
Unschuld und ihrer Lernfähigkeit wegen. Sie gehört auch zu
den ‚Guten’ im Film. Sie, die der zweite Star ist, und um die
auch der Film aufgebaut ist, lässt alleine schon durch
ihre zögerlichen Blicke erkennen, dass sie mit all dem nicht
einverstanden war (siehe Gesprächsnotiz im Abspann).
Könnte uns das eine Träne entlocken?
Um es Deutschland nicht ganz so schwer zu
machen, führte EICHINGER auch die Figur eines kritischen
jungen Hauptmanns ein (Oskar WERNER).
Auch ein ‚Guter’; denn davon lebt der Film. EICHINGER
hält eine ganze Batterie identifikationsstiftender und natürlich
selbstloser Nebenfiguren bereit, vom gebeutelten SS-Arzt
Dr. Schenck (Christian BERKEL) über Hitlerjunge
Peter (Donevan GUNIA) bis zum ehrbaren General,
der sich tapfer zur angedrohten Hinrichtung
meldet: „Tun Sie, was Sie nicht lassen können!“
Das gipfelt in falsche Anteilnahme und Melancholie.
Aber wollen das nicht die Zuschauer? Was soll ein Film, der
immer nur die Tränendrüse bemüht?
Filme haben eine enorme Wirkung. Sie zeigen nämlich unsere
wahren Gefühle, die wir nur unschwer anderen offenbaren
möchten und oftmals auch nicht können.
Umso besser versteht es Hollywood sie in schwermütige
Bilder zu pressen, sie aus uns herauszulocken und in
allgemeinverständlich-suggerierender Form wieder an uns
zurückzugeben. Für war wird hier bestens dramatisiert.

Der Film wird Erfolg haben. Doch als filmische
Vergangenheitsbewältigung ist er abzulehnen.
Bruno GANZ, Bühnenschauspieler, wandelt in Berlin,
die Rote Armee rückt vor, Artillerie lässt den Bunker
erzittern, es wird Alkohol konsumiert, getanzt, dem
Scherbenhaufen mit lockeren Liedchen auf den
Lippen. Das hat Tradition im deutschen Film. Schnell
heiratet HITLER Eva Braun (Juliana KÖHLER).
Und noch einmal taucht jene seltsame Farce auf, die
man als Komödie in der Tragödie deuten könnte.
Bruno GANZ ist in den Siebzigern der unvergleichliche
Melancholiker des deutschen Theaters und Kinos gewesen
und hat sich als solcher etabliert.
Mit Peter STEIN und Wim WENDERS hatte er
gearbeitet.
Doch als HTILER erscheint er mir schlichtweg fehlt am
Platz. HITLER kann man nicht spielen.
Die Sprache scheint gekünstelt, das Gesicht ist
verkniffenen, die Last liegt gleichsam wie Eisen
auf ihm. Er passt nicht in die Uniform, sie wirkt wie
ein Korsett, eng anliegend und fast erdrückend.
Sein Blick ist starr und ausdruckslos, glasig.
Er sieht seine Kontrahenten nicht an, teilweise
versteht man ihn gar nicht. Bei den Sätzen
„Morgen schon werden mich Millionen
verfluchen ... aber das Schicksal wollte es nicht anders“,
hat er Mühe, sie anderen Dialogen anzupassen.
Er spricht sie verkrampft, dahingestammelt.
Das alles ist rätselhaft, was uns Herr EICHINGER mit
Bruno GANZ, den man ganz anders in Erinnerung hat,
hier auftischt.
Vielleicht hat GANZ CHAPLIN gesehen. Den
subtilen Tanz mit der Weltkugel?
Als HITLER ist GANZ kompakt wie ein
Kartoffelsack. Der Inhalt ist schwer.
Verführen kann er nicht. GANZ und gar nicht.

EICHINGER macht laufend Zugeständnisse an den
dramatischen Dokumentarfilm; denn der Kinobesucher folgt
den Bildern auf der Leinwand in einem traumartigen
Zustand als fragmentarische Momente der sichtbaren
Realität, die aber keine ist, sondern nur eine von
Unbestimmter Bedeutung.
Und in dieser Eigenschaft löst sich der Film von der
Geschichte ab. Indem er uns die HITLER-Welt
erschließt, fördert er Phänomene zutage, die
entweder bestätigen oder Lügen strafen.
Das unsichtbare Grauen zu gestalten, was zu diesen
Phänomenen gehört, hat hier den Charakter von
Spiegelbildern. Das Kino hält uns im gewissen Sinne
den Spiegel vor, damit so die Reflexion von
Ereignissen möglich ist.
Weil wir die wirklichen Greuel nicht sehen können und auch
nicht sehen wollen, weil die Angst, die sie erregen, uns
lähmt und blind macht, sind diese Bilder Mittel zum
Zweck. So kann man sich unbekümmert reinwaschen.
Und auch nur dann, wenn man etwas tiefer in die Geschichte
des Dritten Reiches geblickt hat. Doch ewige Schuld lässt
sich nicht abwaschen. Sie lastet schwer auf einem Land,
das sich in zwei Weltkriegen verzehrte und mit dem
Jugoslawienkrieg endgültig ihre militärische Unschuld
verloren hat.
Der Judenmord an 6 Millionen Menschen kommt nur im
„Untergang“ in ein paar Sätzen vor. Das ist gelinde
gesagt unfassbar.

Im Filmerzählstil sind wir nachhaltig von Hollywoodstandards
beeinflusst. EICHINGER hat sich natürlich auch dort
umgesehen. In den USA hat es während der Kriegsjahre und
danach unzählige HITLER-Filme gegeben. Sie haben alle
Erfolg gehabt, weil sie den Massengeschmack des Publikums
bedienten.
In Deutschland lehnten Publikum und Kritik diese Form
filmischer Vergangenheitsbewältigung einhellig ab.
G. W. PABST, der Regisseur von „Die Büchse der Pandora“
(1929) hatte mit der Figur ‚Lulu’ die leere Verführungskraft
umschrieben. Sie hatte die Unschuld präsentiert.
Und sie setzte sie ein wenn sie den Sohn gegen den
Vater ausspielt, wenn sie die sie begehrende Gräfin
Geschwitz in manipulatorischer Absicht bezirzt, wenn sie
den Auftritt vor der designierten Ehefrau
des Geliebten verweigert und diesen dann, an seiner
Schwäche für sie packend, triumphal vorführt.
PABST, der mit vielen seinen Filmen („Der Prozeß“,
„Es geschah am 20. Juli“) den Wahnsinn vor EICHINGER
vorwegnahm, hatte mit seinem Film „Der letzte Akt“ (1955)
das Gewaltige, das Übermenschliche, welches
triumphiert, nachgezeichnet.
Schon bei PABST wurde HITLER zum Autor der Tat,
„die einen repräsentativen Querschnitt der überlebenden Berliner
Bevölkerung aus Frauen, Kindern, Greisen und verwundeten
Soldaten auslöscht.
Und was bei Lang erhaben aussah, die Zerstörung der
Arbeiterquartiere tief unter der Zukunftsstadt, wirkt bei Pabst
erbärmlich: Menschentrauben aus Verletzten, Erniedrigten,
Ausgehungerten, die wie Ratten ersaufen“, meinte
Andreas KILB in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“
vom 18. September. Wie eine Ratte im Keller- so die
HITLER-Darstellung. Und man kann sich des Eindrucks
wicht erwehren, dass Bernd EICHINGER den alten
Ufa-Stil modernistisch interpretierte.

Im „letzten Akt“ ist mit man HITLER bei Caligari. Das deutsche
Kino der Stummfilmzeit wird rückwärts entziffert, mit dem
Blick des Wahnsinns, den es vorwegnahm.
Werner KRAUß, der Darsteller des Caligari - und, später, aller
jüdischen Figuren in „Jud Süß“ -, sollte den Diktator ursprünglich
spielen. Auf Vorhaltungen, KRAUß sei weit über sechzig Jahre
alt und daher für die Rolle ungeeignet, entgegnete PABST,
entscheidend sei nicht das Aussehen, sondern die Kunst
der „inneren Metamorphose“. Schließlich erhielt der
Burg-Schauspieler Albin SKODA die Rolle.
„Der letzte Akt“ war durch protokollierte Zeugenaussagen
inspiriert - den dokumentarischen Bericht des amerikanischen
Richters Michael MUSMANO, der die Überlebenden des
Führerbunkers verhört hatte. Kein geringerer als
Erich Maria REMARQUE bekam den Auftrag, das Drehbuch zu
schreiben, doch was er ablieferte war eine Filmnovelle, die ein
weiteres Mal dramatisiert werden musste; denn schon zu
Zeiten des „Letzten Akts“ gab es in Deutschland
Schwierigkeiten, HITLER abzubilden.

Das Medienphänomen HITLER wurde erst später
geboren. Die 13-Millionen-Euro-Produktion „Der Untergang“
ist nur der Höhepunkt eines Booms, der bereits
länger anhält.
Wie immer stehen Buchpublikationen am Anfang des Interesses.
Auf Joachim C. FEST „Hitler“ (1973) folgten einige Jahre später
„Anmerkungen zu Hitler“ (1977). FEST hatte zu dieser Zeit
seiner Biografie den Dokumentarfilm „Hitler - eine Karriere“ (1977)
beigestellt, der relativ erfolgreiche war und den sogenannte neue
deutsche Filmwelle in den Schatten stellte.
Jürgen SYBERBERG legte 1977 „Hitler - Ein Film aus
Deutschland“ vor. Der Film kreiste um eine Figur, die es lange
nicht auf deutsche Leinwände gegeben hatte.
Inmitten eines Sogs surrealer Episoden zwischen Travestie und
Propaganda sah man Hitler als ein jedem Zugriff weichender
Ungeist, besetzt mit dem verstorbenen Heinz SCHUBERT
(„Ein Herz und eine Seele“). SCHUBERT spielte den
Massenmörder als sein eigenes Massenmedium: ein ewiger
Schatten seiner selbst.

Filmgeschichte: alles schon mal dagewesen! Alles
wiederholt sich auch auf dieser Ebene. Dort geflutete
Tunnel, hier Kantine im Führerbunker, dort Piratenkneipe
hier Totentanz mit Schnapsflasche und barbusigen
Frauen, dort Evakuierungen, hier Durchhalteschlager mit
Zarah LEANDER („Ich weiß, es wird einmal ein Wunder
gescheh’n).
Fassade im Film, Tragödie in den Herzen. Die letzten
Aufnahmen von HITLER wirken wie ein Gebirge, ein
Schatten, der langsam den Berg frei gibt.
Die Schluchten sind nichts anderes als tiefe
Aufwerfungen der deutschen Vergangenheit
wo sich der deutsche Blick zu verlaufen scheint, immer
wiederkehrt. Das bunte Tableau bei HIRSCHBIEGEL
verkündet, dass der Krieg für immer verloren ist.
Die Wahrheit sieht anders aus.
Das 21. Jahrhundert hat es nicht geschafft, ihn zu
ächten, und vor allem nicht aus den Köpfen zu verbannen.
Wer den Dokumentarfilm von Erwin LEISER
„Mein Kampf“ (1959/60) noch nicht gesehen hat, dem sei
er als eindrucksvolle Studie empfohlen.
Seine Leistung bestand in seinem Vermögen, aus den
schier unüberschaubaren Bilderfluten zeitgenössischer
Wochenschauen und Spielfilme Ausschnitte so
auszuwählen und zusammenzufügen, dass etwas sichtbar
wurde, was mehr als die Summe der Einzelteile war.
Er vermittelte hier mit seinen Kompilationen nicht bloß
emotionale Betroffenheit, sondern durch die Präzision von
Kommentar und Montage eine viel weiter reichende
Betroffenheit des Denkens.

Fazit: Immer wieder kommt im „Untergang“ das Böse
ins Licht. Im Selbstmord erlangt es gleichzeitig Größe
und Würde. Das ist eine merkwürdige Bildersprache, die
vom modernen islamischen Terrorismus entlehnt sein
könnte, wenn die Thematik Drittes Reich nicht so ernst
wäre. Die deutsche Erlösung ist die Wiedergeburt des
‚Guten’ in der Gestalt von Traudl Junge, die, die noch
zuförderst von HITLER mit einem EK dekoriert worden
war, entkommt mit Peter durch die Reihen der
Roten Armee spazierend dem Desaster.
Sie fliehen vor der neuen Gefahr- deutsche Selbstbefreiung?
Der Film ist ein Maskenbildnis, Eindrücke eines
montierten Auges.
Hier versteckt man sich, so als ob man Angst davor hat,
das Ungeheuer endlich filmisch zu enthaupten.

Anmerkungen zu Albert SPEER:

Unter dem Eindruck dieses totalen Weichbildes
ist die Selbstdarstellung anderer Nazi Größen
um HITLER Zynismus.
Beispielhaft demonstriert das die Figur
Albert SPEER (Heino FERCH). SPEER, der
als Architekt lückenlos in das Organisationsschema
und der Planung im Geiste der ‚nüchternen’
Zweckmäßigkeit des Nationalsozialismus
hineinpasste, und der vom Nürnberger Gerichtshof
am 1. Oktober 1946 zu 20 Jahren Gefängnis
verurteilt worden war, ist hier jemand, der HITLER
Widerstand entgegensetzt.
Der ‚gute’ SPEER, der der zweiter SCHINKEL werden
wollte, der seine Parteikarriere 1932 begann, war
bis zur letzten Stunde dem NS-Staat treu ergeben.
Im Februar 1942 wurde er sogar Reichsminister
für Bewaffnung und Munition.
Vor allem die letzten drei Jahre seiner Tätigkeit
in der Parteispitze für den NS-Staat
„trugen zu jener Modernisierungstheorie über den
Faschismus bei, die behauptete, der Nationalsozialismus
sei zwar rabiater, aber notwendiger und erfolgreicher
Geburtshelfer der modernen deutschen
Industriegesellschaft gewesen“. (Zitiert nach:
Reinhard MERKER: „Die bildenden Künste im
Nationalsozialismus“, Köln 1983, S. 223).
Durch organisatorisches Können und wirtschaftspolitischem
Überblick gelang SPEER, an der industriellen Front jenen
totalen Kriegseinsatz zu erzielen, den GOEBBELS
propagandistisch anstrebte und die SS absicherte.

Albert SPEER kommt in diesem Film ohne Ausnahme
gut weg.
Wer hier verharmlost und mit einem vergänglichen
Erkenntnisstand der Zuschauer spielt, der hat nicht
begriffen, dass SPEER trotz gegenteiliger Behauptungen
die Kriegsproduktion auftragsgemäß in Gang gehalten
hatte.
Er akzeptierte die Befehle, die ihm von HITLER
erteilt worden waren, verlangte nach KZ-Häftlingen, wenn
Arbeitsplätze vakant waren. Und er trug letztlich dazu bei,
dass die Arbeitskraft „entrechteter und verschleppter
Ausländer schonungslos in deutschen Werken
ausgebeutet wurde“. (vgl. MERKER, S. 234).
Ob SPEER ein Verfechter der ‚Endlösung’ war, kann
hier nicht beantwortet werden, aber das Prinzip
„des terroristisch erzwungenen und aufrechterhaltenen
Arbeitseinsatzes war ihm keineswegs fremd“.
(vgl. MERKER, ebd.).
Dass er sich dem ‚Nero-Befehl’ vom 19. März 1945,
dem Zerstörungsbefehl aller wichtigen technischen
Anlagen (Fabriken, Brücken, Großgebäude) in
militärisch nicht mehr haltbaren Gebieten
widersetzte, mag ihm in Nürnberg dazu verholfen haben,
sich vor dem Tod durch den Strang zu entziehen.
Das könnte (vgl. auch Albert SPEER: „Erinnerungen“,
Frankfurt/M. 1969) m. E. allerdings auch als taktisches
Manöver gedeutet werden; denn er äußerte sich
in Nürnberg schuldbewusst.
Es bleibt die Schuld, Mittäter des Nationalsozialismus
in führender Position gewesen zu sein.

Dietmar Kesten 18.9.04 16:44