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Der Untergang

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HISTORIKER ZUM UNTERGANG Dietmar Kesten 20.9.04 17:47

HISTORIKER ZUM FILM DER UNTERGANG

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 20. SEPTEMBER 2004.

Einleitende Bemerkung des Verfassers.
Der Film „Der Untergang“ ist weiter im Gespräch. Zwar findet hier
kein Historikerstreit statt, der 1986 die Gemüter erhitzte, als
der Historiker Ernst NOLTE mit den Artikel „Zwischen
Geschichtslegende und Revisionismus“ und „Vergangenheit, die
nicht vergehen will“, die Einzigartigkeit des Holocaust scheinbar
verdrängte und ihn mit dem russischen Gulag verglich, doch es zeigt
sich, dass der Film nicht widerspruchslos durchgeht.
Ging es NOLTE einst darum, den Nationalsozialismus zu erklären,
den Völkermord an den Juden möglichst verstehbar zu machen,
so zeigt HIRSCHBIEGEL und sein Produzent eigentlich genau das
Gegenteil, wie ich meine.
Allerdings muss fairerweise hinzugefügt werden, dass dort ja
nur die letzten Tage des Diktators abgehandelt werden.
Trotzdem ist „die Vergangenheit, die nicht vergehen will“ (NOLTE),
ein bleibendes Thema im Film.
Sie ist nicht vergangen, und sie wird nicht vergehen.
Zu den ablehnenden Beiträgen zu diesem Film (vgl. vor allem
Hans MOMMSEN), dürfen natürlich auch die positiven nicht
fehlen. Allen voran ist der Beitrag des HITLER-Foschers
Ian KERSHAW zu nennen, der dem Film beste Noten gibt.
Der Leser auf „filmz. de“ möge sich eine eigene Meinung
bilden.
Zur Kontroverse gibt es von meiner Wenigkeit einige Beiträge
auf dieser Seite. Vielleicht ist es möglich, sachlich im Ton
und fair im Umgang an diesen Punkten weiterzustreiten.

Der Historiker Hans MOMMSEN hat den Film „Der Untergang“
von Oliver HIRSCHBIEGEL scharf kritisiert.
Im Deutschlandradio Berlin sagte MOMMSEN, dass
„die Rekonstruktion bloßer Fakten noch keine Geschichte
ergebe“.
Mit dem Bemühen, „Hitler so lebensgetreu wie möglich
darzustellen, sei noch keine sinnvolle historische Aussage
gemacht“.
Und weiter:
„Die Reduktion von Geschichte auf reine Personengeschichte
ist überhaupt nicht geeignet, um ein Verständnis der großen
historischen Prozesse zu transportieren.“

Interessant ist seine Auffassung zur HITLER-Rhetorik von
GANZ:
„Die nachgemachte Stimme Hitlers heute ist nicht die
Stimme, die sie damals war.
Dadurch kommen ganz falsche Effekte zustande.“

Zu den Medien, die „Den Untergang“ in den Himmel loben,
meinte MOMMSEN:
„Die Medien hätten die Tendenz, Geschichte ohne historische
Interpretation vorzuführen. Dies erzeuge aber kein
politisches Verständnis für die Ereignisse.“

Weitere Äußerungen von ihm:

„Es ist natürlich schön, dass das Publikum mal begreift,
dass Hitler ein mediokres Individuum ist und keineswegs
vorbildlich.“
Die Rolle des Diktators im Dritten Reich „sei stets überbetont
worden“. Dies stelle der Film deutlich heraus, meinte er.
Aber er bezweifle, „ob eine breitere Einsicht für die Ursachen
der Diktatur und deren relative Stabilität erzeugt würde“.

Letztlich erkläre er sich das wachsende Interesse für die
deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts „mit dem Absinken der
Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik“.
Da würden „historische Widerlager“ gesucht. Das habe nichts mit
der „Aufarbeitung des Dritten Reiches zu tun“, so MOMMSEN.
(alle Zitate aus „Deutschlandradio“ 16. 9. 2004).

Jan Oliver-DECKER, Medienexperte der Universität Kiel, erklärte
bei der Podiumsdiskussion im Anschluss an die Filmpräsentation,
er habe „wegen übertriebener Authentizität“ „gähnende Langeweile“
empfunden. Corinna HARFOUCH in der Rolle der Magda Goebbels,
sechs Mal hintereinander Giftkapseln zerdrückend,
das sei einfach ermüdend.

Hermann GRAML, Professor für Geschichte und als ehemaliger
Luftwaffenhelfer in Augsburg ein ausgewiesener Zeitzeuge,
war beeindruckt:
„Ich kenne keinen Film, der die Vergangenheit so eindringlich
und derart quälend lebendig werden lässt.“
Ob der Film kreativ oder innovativ sei, interessiere ihn allerdings
nicht.
Dass Hitler durch die Darstellung von Bruno Ganz zum
Sympathieträger werden könnte, hält GRAML für
unwahrscheinlich.

Und weiter:

„Er wird uns korrekt vorgeführt mit seinem Vernichtungswillen und
seiner Art der Realitätsverweigerung.“
GRAML soll nach eigener Aussage vom Nebeneinander von
Wahnsinn, grausiger Komik und Normalität tief beeindruckt gewesen
sein und betonte schließlich die pädagogischen Qualitäten des
„Untergangs“:
„Ich glaube, dass viele Zuschauer aus diesem Film lernen können
und Einsicht gewinnen in das Wesen des Naziregimes.“
(Zitate aus Spiegel Online 16. September).

Prof. Jost DÜFFLER wertete die Produktion weniger enthusiastisch.
Sie sei als „Akt der Geschichtspolitik“ zu begreifen.
Sie falle in eine Zeit, in der die „Opferrolle der Deutschen im Zweiten
Weltkrieg wieder stärker in den Blick“ gerate.
Der Film setze dieser Entwicklung gewissermaßen die Krone
auf.
Zwar werde Hitler nicht zum Opfer verklärt, aber die vielen
Selbstmorde im Führerbunker kurz vor der Kapitulation
vermittelten den Eindruck einer „Art Opfergang“, so der
Historiker.

Christian HARTMANN, Historiker am Institut für Zeitgeschichte
in München und wissenschaftlicher Berater des Films betonte,
dass es Produktionen gebe, die die Geschichte ausbeuten und
andere, die sich ihr unterwerfen.
Man habe sich „geradezu sklavisch an die Quellen gehalten“,
so HARTMMANN.
Auf diese Weise sei „eine gewisse Sprödigkeit“ entstanden.
Letztlich aber sei dem Film ein Tabubruch gelungen:
„Der Film zeigt Hitler. Kein Monster, keine Karikatur, sondern
einen Menschen.“

Der britische Historiker Ian KERSHAW meinte, in einem
Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, dass ihn Bruno
GANZ überzeugt hätte.

„Von allen Hitler-Porträts ist dies das einzige, das mich
überzeugt. Bruno Ganz beherrscht die Stimme Hitlers fast
vollkommen.“
KERSHAW ist Professor für Neuere Geschichte an der
Universität von Sheffield. Er wurde mit seiner zweibändigen
Hitler-Biographie bekannt, die 1998 in der Deutschen Verlags-Anstalt
erschien.

Weiter schreibt KERSHAW in der „FAZ“:
„Die unheimliche Atmosphäre im Bunker ist wunderbar eingefangen.
Anschaulich wird die verrückte Welt der Insassen.
Die Verhältnisse außerhalb des Bunkers werden jedoch nicht
ausgeblendet.
Jeder bekommt zu sehen, was Hitlers Herrschaft bedeutete.“
(alle Zitate FAT.Net vom 20. September).

Dietmar Kesten 20.9.04 17:47