filmz.de
Closed

Die Reise des jungen Che - The Motorcycle Diaries

[ Info ] [ Links ] [ Kommentare ]
VENCEREMOS Dietmar Kesten 30.10.04 12:38

DIE REISE DES JUNGEN CHE

VENCEREMOS

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 30. OKTOBER 2004.

Ernesto (Che) GUEVARA (1928-1967) war Idol einer
ganzen Jugend in den 60er Jahren, Revolutionsführer in
Bolivien, Guerillero, Held der Revolution in Lateinamerika,
revolutionärer Mitstreiter von Fidel CASTRO auf Kuba.
Dort war er nach dem Sturz BATISTAs von1959 -1961
Präsident der Nationalbank. GUEVARA zog es nach
Bolivien, wo er in einem Feuergefecht zwischen bolivianischen
Truppen und Partisanen gefangengenommen und
am 8. oder 9. Oktober 1967 erschossen wurde.
Das fehlgeschlagene Experiment der Guerilla hinderte aber
die 68er Bewegung nicht daran, Che und die bolivianische
Revolution zu verehren und mit dem geistigen Slogan
der damaligen Revolutionsführer: „Schafft zwei, drei, viele
Vietnam“ für Furore zu sorgen.
Spätestens mit der Roten Armee Fraktion um BAADER,
MEINHOF, MEINS, JASPE und ENSSLIN, die unhistorisch
und schematisch ihr Konzept der (Stadt-)Guerilla in die
westdeutschen Städte tragen wollten, war diese Bewegung
endgültig obsolet geworden.
GUEVARA war Revolutionär, sicher ein außergewöhnliches
Vorbild. Seine Ideen, sein Name waren Banner des Kampfes
gegen die Ungerechtigkeit, gegen Unterdrückung und Ausbeutung.
Seine Taten riefen Bewunderung hervor. Che repräsentierte
wie vielleicht kein anderer einen internationalistischen Geist
in seiner reinsten und selbstlosesten Art.
Er war ein Soldat der Revolution ohne sich dabei um sein
eigenes Leben zu sorgen.

Die Guerillabewegung in Bolivien war für ihn Teil der
revolutionären Befreiungsbewegung in den Ländern
Südamerikas. Sein Plan war es, eine Bewegung ohne
Sektierertum zu organisieren und im bewaffneten Kampf
die Völker Lateinamerikas vom Yankee-Joch zu
befreien.
Den Internationalismus, für den er stand, fasste er in die
Worte:
„Die Fahne, unter der man kämpft, sei die geheiligte Sache
der Befreiung der Menschheit. Deshalb ist der Tod im
Zeichen von Vietnam, Venezuela, Guatemala, Laos,
Guinea, Bolivien... um nur die Schauplätze der jetzigen,
bewaffneten Kämpfe zu nennen, gleichermaßen
ehrenvoll und wünschenswert für einen Amerikaner,
Asiaten, Afrikaner und sogar für einen Europäer.
Jeder Tropfen Blut, in dem Land vergossen, unter dessen
Fahne man nicht geboren wurde, ist eine Erfahrung, die
jeder, der überlebt, machen soll, um sie dann bei dem
Befreiungskampf seines Geburtslandes zu verwenden.
Und jedes Volk, das sich befreit, ist ein Teil des
Kampfes für die Freiheit des eigenen Volkes, den man
gewonnen hat.“ (Ernesto Guevara: „Bolivianisches
Tagebuch“, München 1968).
Der Guerillakampf in Bolivien sollte weltweit zur Schule
der Revolution werden.
Che war auch als Arzt an diese Sache gebunden.
Selbst leidend unter schweren Asthmaanfällen, die zu
einem schrecklichen Feind wurden, schloss er viele
Kontakte mit den bolivianischen Bauern und lernte so
ihre Mentalität kennen; denn seit seiner frühesten
Jugend wusste er, dass es eine lange und harte Arbeit
werden würde, sie zu überzeugen.

Vermutlich am 7. Oktober 1967 schrieb Che seine
letzten Zeilen in das „Bolivianisches Tagebuch“.
In einer engen Schlucht wurden er und seine Kämpfer
eingekreist, gefangengenommen und erschossen.
Vermutlich war der amerikanische Geheimdienst CIA
an dieser Aktion beteiligt gewesen.
Seine Erlebnisse während dieser Zeit (November
1966- bis zum 8./9. Oktober 1967) hatte er in seinem
später so berühmten „Bolivianischen Tagebuch“
niedergelegt, zu dem Fidel CASTRO einst das
Vorwort schrieb.
„Hasta la Victoria Siempre“- immer bis zum Sieg.
Ohne diesen Hintergrund ist die „Reise des jungen Che“
nicht zu verstehen.

Der wahre Platz im Leben: wo ist er, worin besteht er,
wo setzt man sich nieder um ihn zu finden?
Ernesto GUEVARA (Geal Garcia BERNAL) und sein
Freund Alberto Granada (Rodrigo de la SERNA) wollen
sich einen Jugendtraum erfüllen. Mit einem altersschwachen
Motorrad quer durch Südamerika zu reisen ist ihr Ziel.
Sie strotzen vor jugendlichem Übermut und Naivität.
Die beiden jungen Männer stürzen sich, als gelte es
noch einmal voll zu leben, in das Abenteuer der
Entdeckung ihres Kontinents.
Und sie sind entschlossen, die Frauenherzen aller Länder
zu erobern.
Mit ihrer kargen Ausrüstung machen sie sich auf. Ihr
Weg führt sie durch die Anden, an Chiles Küste entlang,
durch die Atacama Wüste bis nach Peru und dem
Amazonas. Von dort geht ihr Weg weiter nach Venezuela.
Um ihre Reisekasse aufzufrischen, müssen sie ihren
Intellekt einsetzen.
Sie gehen unbeschwert ihren Träumen nach, träumen sich
in rosige Fernen, fantasieren von Krankenhäusern, die sie
bauen könnten, oder Menschen, denen sie helfen
würden.

Doch vielmehr die alltäglichen Erfahrungen sind es, die
diese Träume immer wieder in Frage stellen.
Als ihr Motorrad endgültig den Geist aufgibt,
müssen sie per Anhalter weiterreisen
Auf diese Art kommen sie ihrer Umgebung und den Menschen,
die sie treffen, näher.
Mehr und mehr ändern sich die Verhältnisse.
Sie sind nun auf einmal mit anderen Situationen konfrontiert.
Und kommen nun nicht mehr als Bittsteller, sondern ihre
Hilfe selbst wird benötigt.
Sie werden zu Kranken gerufen, nehmen an Schicksalen
teil, gewinnen neue Bekannte und Freunde und lernen
letztendlich Südamerika von einer ganz anderen Seite
kennen, das von Ausgrenzung und Ungerechtigkeit nur so
durchzogen ist.
So spitzt sich das Denken zu.
Aus vielen Einzelepisoden setzt sich ein ganzes Mosaik
zusammen.
Die Moralität obsiegt. Die eigentliche Odyssee des
Ernesto GUEVARA beginnt hier.
Er beginnt, sich mit den Armen, den Unterdrückten und
Ausgestoßenen zu solidarisieren.
Er wird am Ende seiner Reise mehr und mehr nachdenklich.
Er stellt die Weichen für sein zukünftiges Leben.
Aus Hirngespinsten, verwirrtem Idealismus und Illusionen
wird später einer der meist gehassten Männer Boliviens.

„Der Traum ist aus, aber ich werde alles geben, dass er
Wirklichkeit wird“, dichtete Rio REISER.
Und so wird aus einer Road-Movie-Romanze eine
Geschichte, die sich lyrisch, poetisch und sonettenhaft
verdichtet, die sich nicht auf ein politisches Geplänkel
einlässt, sondern voll von Menschlichkeit und tiefen
Gefühlen ist.
Hier ist Che noch kein Revolutionär. Das wird er erst
später.
Er lernt das Land kennen, lieben, er lernt hassen und
verdammen.
Zunächst altmodisch und durchaus konventionell schaut
er durch das kühle Gemäuer seines Landes. Es sind
magische und verzückende Blicke, inspirierende und
glückliche, traurige, ernste und strafende.
Das Elend des Kontinents.
Der Blick darauf erklärt warum Che Guerillero wurde.
Die Verhältnisse mögen sich seit damals kaum geändert
haben. Das Land ist karg, arm, von Modernisierung und
Globalisierung gezeichnet, es liegt brach, sozial danieder.
Es wird von einer Oligarchie beherrscht, deren einziges
Ziel darin besteht, die schreienden Verhältnisse zu
sanktionieren.
So betrachtet, führt uns Walter SALLES („Central Station“,
1997/8, „Hinter der Sonne“, 2001) als Regisseur die alten
und die neuen Verhältnisse vor Augen.
Und der verkorkste, verletzliche und emotionalisierte
Che merkt, dass er erwachsen wird, wie sich Dinge
entwickeln, was mit seinem Land passiert.
Er denkt über Veränderungen nach, spürt das, was in
ihm aufzukeimen beginnt: das revolutionäre Denken,
die Selbstfindung und der unstillbare Drang, das Banner
der Revolution zu hissen.

Die Episoden auf diesem Weg sind heftig und krass.
Sie werden aus einer Stadt gejagt, finden keinen
Schlafplatz, das Motorrad geht kaputt. Während sie auf
die Reparatur warten, wird GUEVARA zu einer kranken Frau
gerufen, der er seine Medikamente überlässt.
So geht es weiter: kranke Menschen, ausgehungerte und
ausgemergelte Gestalten treten ihnen entgegen.
Sie stoßen auch auf Menschen, die hilfsbereit sind, die ihnen
Unterkunft anbieten, die mit ihnen Mahlzeiten teilen und
die Herzenswärme besitzen. Wie der Lepra Arzt
Hugo Pesce in Peru.
GUEVARA, der immer an Asthmaanfällen leidete, stirbt
fast bei der Fahrt zu einer Insel, wo Lepra-Kranke leben.
Schmerz und Schicksal, Verstörung, Mut und
Schicksalhaftigkeit scheinen sich hier die Hand zu geben.
Er schien sehr frustriert, gewann jedoch die Einsicht,
wie er später notierte, dass die „ernsthaftesten und
kampfbereitesten Leute auf unserer Seite stehen werden,
auch wenn sie mehr oder minder schwere
Gewissenskrisen durchmachen müssen“. (Eintrag vom
30. Januar 1967).

„Die Reise des jungen Che“ ist kein Routine-Erzeugnis.
Der Film ist Kunst auf hohem Niveau. Er steht zwischen
Tradition und Modernisierung, zwischen einem
künstlerisch-anspruchsvollem Experimentalfilm und
dem uns bekannten US-Independent Kino.
Die Metaphern sind einfach, der Trend zu einem
halb-dokumentarischen Film ist nicht von der Hand zu
weisen, das Rohmaterial lebt vielleicht von filmischen
Vorbildern. In der Tiefe des Films ist die Story doch
ein wenig zu sehr inszeniert.
Wenn Che zu Lepra-Kranken schwimmt und nur mit
letzter Kraft das rettende Ufer erreicht, dann ist man
zu verliebt in diese Szenen.
Dass er über existenzielle Fragen beginnt nachzudenken,
ist ein langer Prozess gewesen.
So auch die Dynamik der Agitation, die nicht so ohne
weiteres aus dem hohlen Bauch heraus entstand.
Wenn er gegen die soziale Ungerechtigkeit zu wettern
beginnt, dann nimmt man das stillschweigend hin.
Womöglich auch den Prozess seiner Selbstfindung, seiner
(Selbst-)Erkenntnis; denn Heilung, Rebellion und gutes
Leben lässt sich selbst im Film nicht so einfach unter einen
Hut bringen.
Wie man allerdings filmisch den Übergang zu schaffen
vermag, um GUEVARA in die Kampfarena zu katapultieren,
das wird niemand so recht beantworten können.
Vielleicht hilft eine Tagebucheintragung weiter?
„Ich spüre, ich bin nicht mehr derselbe“ notiert am Ende
seiner Reise in Venezuela.

Die als Globalisierung bezeichnete Bewegung des
kapitalistischen Systems ist unaufhaltsam.
Das blieb ihm in seinen Jugendjahren verschlossen. In dieser
Bewegung des Kapitals hatte Che jedoch seine
unstrittige Bedeutung.
Er fand nicht den Weg heraus aus der „selbstverschuldeten
Unmündigkeit“. (KANT).
Erst später wird aus seinen Aufzeichnungen klar, dass sie
ihn lähmte und hinderte.
So hat man gewisse Schwierigkeiten mit dem Film,
der Kenntnisse über GUEVARA voraussetzt, die jede/r anders
interpretieren mag. Das muss konzediert werden.
„Die Reise des jungen Che“, als Road-Movie gehandelt,
sucht die Verbindung und Kontakt zu den ständigen
Problemen des Lebens.
War dieses junge Leben eine außerordentliche
Bewährungsprobe für den späteren Revolutionär?
Der Zuschauer mag selbst entscheiden.

Fazit: Die Geschichte ist mutig, gut, zeitlos, nicht
plakativ. Sie reißt mit, ist lehrreich und verlangt ein
tieferes Eindringen in die Fragen, die ihn
berührten.
Der Film ist Herausforderung. Er ist ein Stück
Wirklichkeit und bestens dazu geeignet, die
Empfindlichkeiten des späteren Guerilleros
zu begreifen. Die poetischen Bilder reißen mit.
Berauschend und leidenschaftlich ruft er seine
immer wieder kehrende Botschaft heraus:
Venceremos!

Dietmar Kesten 30.10.04 12:38