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Die Reise des jungen Che - The Motorcycle Diaries

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DER MYTHOS BLEIBT Dietmar Kesten 31.10.04 12:51

DIE REISE DES JUNGEN CHE

DER MYTHOS BLEIBT

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 31. OKTOBER 2004.

Der von mit hoch geschätzte Diedrich DIEDERICHSEN
(Buchautor, Plattenkritiker, Feuilletonist, schreibt u. a. für
“Die Zeit“) hat in der jüngsten Ausgabe der „Zeit“ vom
28. 10. 2004 eine Filmbesprechung über „Die Reise des
jungen Che“ geschrieben, die zu einer Erwiderung herausfordert.
Seine entscheidenden Sätze gipfeln in der Behauptung:
„In diesem dünnen Film geht es nämlich wirklich um nichts,
nicht einmal um Abenteuer. Er bleibt an der Beiläufigkeit
von Reiseerinnerungen hängen und kann sie nur sehr selten
und dann ungeschickt mit einer im Nachhinein erworbenen
„historischen Dimension“ verknüpfen. Offensichtlich hatten
der Regisseur und sein prominenter Coproduzent
Robert Redford vor Geschichte und Politik große Angst.
Warum nicht gleich ein offensiv belangloses Sujet, warum
nicht die Interrail-Fahrten des jungen Friedrich Merz?“
(im Anhang die gesamte Kritik).

Schreibt man über diesen Film, dann kann man das nicht
ohne Kenntnisse der Ikone GUEVARA machen.
Herrn DIEDERICHSEN scheint sie nicht mehr präsent zu sein.
„Die Reise des jungen Che“ basiert auf authentische
Tagebucheinträge. 1952 durchquerte der damals 23-jährige
Medizinstudent Ernesto GUEVARA mit seinem 29-jährigen
Freund Alberto GRANADO acht Monate lang den
Lateinamerikanischen Kontinent. Beide hielten die Eindrücke
fest, die Grundlage für den Film wurden.
Gemeinsam war beiden der unstillbare Durst nach
Abenteuern. Aus eher unbekümmerten Reisenden, die
voll von Illusionen sind, werden nach und Menschen, die
beginnen, nachzudenken.
Auf ihrer Reise begegnet ihnen unglaubliche Armut und
soziales Elend.

Im Film geht es um den Versuch einer Darstellung der
persönlichen Entwicklung von GUEVARA, die sich nicht
in einer Art Erleuchtung vollzog, sondern die sich über
ein gutes Jahrzehnt erstreckte.
Das Leben ist auch eine Entwicklungsreise. Man kann
nicht meinen, dass man als Revolutionär geboren
wird, sondern man wird mit dem „gesellschaftlichen
Ensemble“ (Karl MARX) konfrontiert.
Insofern bietet der Film die Möglichkeit, sich in dieses
Denken hineinzuversetzen.

Natürlich ist „Die Reise des jungen Che“ nicht frei
von einem beginnenden charismatischen Denken,
nicht frei von Klischees und die Selbsterkenntnis,
die Selbstfindung kommt einem zu schnell.
Das mag filmisch nicht korrekt sein.
Das Thema ist aber heikel; denn Che muss sich
selbst auf der Filmebene outen.
Der tut das erst am Ende. Das ist eigentlich geglückt,
weil man sonst einen Film über den Revolutionär
GUEVARA hätte machen müssen, der er in seinen
jungen Jahren eben nicht wahr.

So sind die „Beiläufigkeiten“, die DIEDERICHSEN
kritisiert, jene Dominosteine, die das ganze Spiel
ausmachen.
Viele berührende Szenen mögen zu pathetisch
aufgesetzt sein (Che überlässt einer kranken Frau
seine Medizin, Che und die Lepra Kranken,
Che, der bei Asthmaanfällen fast stirbt, Che,
der in letzter Sekunde das rettende Ufer erreicht),
zu berührend.
Wenn man sich jedoch mit seinen späteren
Werken beschäftigt, dann wird klar, wie wichtig
ihm diese Reise gewesen war.

Die erst im Nachhinein erworbene „historische
Dimension“ kann so nicht akzeptiert werden.
Der Film hütet sich nahezu davor, Che in die
Mütze mit Stern zu stecken, ihm einen Bart
zu verpassen.
Allerdings ist der junge Che gutaussehend,
der Wirkung auf Frauen zeigt. Das mag im
Hinterkopf herumgeistern, wenn man sich den
Film ansieht. Über diese Schwäche(n) sollte
man hinwegsehen. Seine „historische Dimension“
gipfelte sicherlich im illusionären Versuch, im
Hochland Boliviens ein „zweites Vietnam zu
schaffen“.
Die Kritik daran steht bekanntlich.
Zu begreifen gilt es, dass nach der Eskalation in
Vietnam 1966/67 mit einer Ausweitung der
Flächenbombardements und der Entsendung einer
halben Million GIs, die Theorien der Guerilleros
für die jugendlichen Rebellen zu einer weltpolitischen
Auseinandersetzung wurden.
GUEVARA hatte im April 1967 in Havanna die
„Botschaft an die Tricontinentale“ verlesen.
Den Vietnamkonflikt weitere er dort zum dritten und
letzten Weltkrieg aus. So ungeheuerlich das war,
so war das auch grandios.
Denn über Vietnam führte die Weltrevolution, aber
auch die „tragische Einsamkeit“, wie er später
notierte.
Letztlich war erst hier zu begreifen, welche Erfahrungen
er auf seiner langen Reise machte, und wie sie
ihn veränderte.
Jetzt erst müsse die Devise heißen: „Schafft zwei, drei,
viele Vietnam.“

Den Mythos Che gibt es in Lateinamerika im übrigen
nicht mehr.
Er erfüllt dort auch keine Funktion mehr. Che ist nahezu
von der Bildoberfläche verschwunden.
Die „verhassten Yankees“, denen sein Kampf galt,
haben politisch und ökonomisch weitgehend die Kontrolle
übernommen. Eine eigenständige und von Erfolg geprägte
Guerillabewegung konnte sich dort nie mehr etablieren.
Che taucht vielleicht nur noch bei einigen versprengten
Gruppen auf, die seine Theorie des bewaffneten Kampfes
übernommen haben, doch an der alltäglichen
Auseinandersetzung mit dem Staatsapparat scheitern.
Eigentlich beruft sich nur noch der „Leuchtende Pfad“ in
Peru auf Che, wie auch auf viele andere Revolutionäre.
Hier haben Guerilleros ca. seit 1970 durch eine Reihe
spektakulärer Aktionen den bewaffneten Kampf aus dem
Hinterland heraus in die Metropole getragen.
Nur hier mag Che „für die Idee eines spezifisch
lateinamerikanischen Weges aus der Abhängigkeit von
den USA“ stehen, wie Herr DIEDERICHSEN schreibt.

Wie man den „charismatischen Che“ in die grüne
Uniform hineinbekommt, wie man ihn in die Pose des
Revolutionär steckt, beantwortet der Film nicht.
Mit der Schwierigkeit hat der Film zu kämpfen. Das
herbeigesehnte Armageddon bleibt aus.
Die Verklärung bleibt.
„Che lebt“- der Ruhm der Toten, den selbst der
abgehalfterte BIERMANN nicht erklären konnte. Insofern
ist der Rekurs auf ihn unwirksam.
Denn sein Martyrium (das von Che) war auch die
Bedingung dafür, dass die Jugend der Welt mobilisiert
werden konnte.

Wenn Che schrieb: “Wir werden den Menschen
des 21. Jahrhunderts hervorbringen. Uns selbst.“
(Che GUEVARA: „Der Sozialismus und der Mensch
in Kuba“, in: Ernesto Che GUEVARA: „Ökonomie
und neues Bewusstsein”, Berlin 1969), dann war
das Programm für eine kulturrevolutionäre
Linke. Zwar nicht frei von Dilletantismus, aber immerhin
Identifikationsparole, die DIEDERICHSEN letztlich
ablehnt, weil sie doch mehr „melancholische Blicke“
suggeriert.

„Die Reise des jungen Che“ ist Sturm und Drang.
Der Film zeigt die erste Konfrontation mit
Großgrundbesitzern, den Kontinent, das durch
Ausbeutung und Unterdrückung geschundene Land,
entwurzelte Menschen. Eben eine menschenverachtende
Klassengesellschaft.
Hautnahe Erfahrungen kann man im Leben niemanden
nehmen. Ob er Revolutionär wird oder Reaktionär.
Das scheint egal.
Für GUEVARA galt, dass vermutlich diese Erfahrungen
der Auslöser schlechthin waren.
Der Film zeigt uns den jungen, nahezu unschuldigen,
jungfräulichen und charismatischen Romantiker.
Kaum zu glauben, dass er später einen weltumspannenden
Einfluss ausüben sollte.

 http://www.zeit.de/2004/45/Che

Dietmar Kesten 31.10.04 12:51