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Die Spielwütigen

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Die Kunst, von der man profitiert. Dietmar Kesten 13.6.04 12:02

DIE SPIELWÜTIGEN

VON DIESER KUNST MÖCHTE’ ICH WAS PROFITIEREN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 13. JUNI 2004.

Wie heißt es noch bei Johann Wolfgang GOETHE im Faust:
„Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich
Taten sehn’... Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht
getan. Und keinen Tag soll man verpassen; (denn) ihr wisst,
auf unseren deutschen Bühnen probiert ein jeder, was er
mag.“ (Johann Wolfgang GOETHE, Faust I, Theaterdirektor).

Andreas VEIEL hat ein Dokumentarfilm über Menschen vorgelegt,
die den Beruf des Schauspielers ergreifen wollen.
In einer Zeit der tiefen ökonomischen und gesellschaftlichen
Krisen, ist diese ‚brotlose Kunst’, wie sie der Volksmund nennt,
schon fast ein Abenteuer.
Man hält diese jungen Menschen für Abenteurer, für ausgefallene
Avantgardisten, die die Abstraktionsebene bestens beherrschen,
und denen man zuweilen mit Ehrfurcht entgegentritt.
Die Schauspielerei mag eine Schimäre sein, die für den
Gebildeten den Eindruck hinterlässt, dass sie eine frappante
Gekonntheit der Inszenierung nach sich zieht, für den Naiven
ist sie vielleicht ein heimatloser Ort, eine Phantasterei, ein wirrer
Traum, der sich irgendwo zwischen „Marienhof“ und
„Wer wird Millionär?“ ansiedelt.
Dabei sind die Vergleichsmuster mit lebenden oder toten
bekannten Schauspielern das originale Vorbild, an dem sich
alles zu messen hätte.
Was bringt junge Menschen dazu, sich diesem Berufsbild,
falls man es denn als ein solches bezeichnen sollte, zu nähern,
was bringt sie dazu, sich einem gnadenlosen Wettbewerb
auszusetzen, sich für die Schauspielschule zu schinden und
zu quälen, auf Stühle zu steigen und mit Inbrunst Texte
und Stücke zu fabulieren und rezitieren?

Andreas VEIEL (“Die Überlebenden”, 1996,
„Black Box BRD“, 2001) ist an Lebensgeschichten interessiert.
Das setzt sich auch unvermindert an seinem neuen Film
„Die Spielwütigen“ fort.
An diesem Film hat er 7 Jahre gearbeitet. Er begleitet hier
vier junge Schauspieler auf dem Weg in ihren phantastischen,
teils wirren, schwierigen und sehr komplexen Wege ins
Schauspielerleben.
Von der Vorbereitung Anfang 1997 auf die Aufnahmeprüfung
bis zum ersten Engagements 2003 begleitete er sie.
Ausgewählt wurde die renommierte Schauspielschule
Ernst BUSCH (bedeutender Interpret von internationalen
Arbeiterliedern, Mitglied der KPD, ab 1920 Schauspieler,
ab 1945 Mitglied des Berliner Ensemble, setzte Maßstäbe
in der Schauspielkunst. Beachtenswert waren seine
BRECHT-Rollen: etwa „Galileo Galilei“, „Mutter Courage und
ihre Kinder“, er spielte den Jago in „Othello“, den Azdak
im „Kaukasischen Kreidekreis“, den Mephisto in „Faust“.
Er war bekannt mit Bertold BRECHT, Erwin PISCATOR,
Ernst TOLLER, Helene WEIGEL und eine tiefe Freundschaft
verband ihn zu Hans EISLER. BUSCH starb 1980).

Alleine schon der Name bürgt also für die Qualität.
Und so verwundert es nicht, dass das Anrennen gegen die
Teils bürokratisch-verkrusteten Institutionen dieser
Elite-Schule, teils fürchterlichen Hatz um die Auswahl
(von ca. 1000 Vorstelligen wurden weniger als 10
genommen) ein fast zum Scheitern verurteiltes Unternehmen
war.
Der Film „Die Spielwütigen“ versucht sich der Schauspielkunst
zu nähern, dem dogmatisch erscheinenden Äußeren,
der laufenden Neuanpassungen in jedem Semester, der
raunenden Stimmen der Tutoren, der Kunst des Ganzen.
Der Film kommt ohne große Namen aus. Und das macht ihn
absolut sehenswert. Er setzt an beim Nachwuchs, bei den
Azubis, die zwischen den Mauern im Nebenraum stehen und
auf die Antworten der Prüfungskommissionen warten.
Vier Schauspielschüler hat VEIEL begleitet. Er filmt
ihr Krisen, ihre Niederlagen, ihre familiäre Geschichte, Träume,
Ideale und Ängste.

Die Namen dieser „Spielwütigen“ sind eigentlich unwichtig;
denn so oder so ähnlich finden monatlich irgendwo in deutschen
Landen Bewerbungen an Schauspielschulen statt.
Und alle durchlaufen das gleiche Drama: Bewährungsproben,
Proben im elterlichen Heim, Alpträume, Schicksale,
Entfremdungen, schließlich die Aufnahmeprüfung. Eine
kulturelle Veranstaltung, die keine ist, sein sollte, aber dafür
die ganze Identitätskrise der jungen Menschen zum Vorschein
bringt: bange Hoffnungen, Auslese, Triumphe, Niedergeschlagenheit,
Debatten, Schweigen, Tragödien, Tränen und grenzenlose
Freude.
Hier denkt man zwangsläufig an seine eigenen großen Momente,
an die Last, die einem vom Herzen fiel, als nach vielen Stunden
des Wartens der Professor kam, und einem verkündete, dass
man sein Ziel erreicht habe.
Zwar gab es noch das berühmte ‚aber’, doch in der Regel nahm
man es gar nicht mehr war: man war trunken vor Freude!

Hier hat der Film beachtliche Stärken, weil er ohne
Schminke zeigt und ohne aufgesetzt zu wirken, was eine Form der
Existenz ist: Leben ist Spiel, Spiel ist Leben! Das ganze Leben
ist ein Theater. Hier spielen wir unsere Stücke, unsere Rollen,
bis der Vorhang fällt.
Der Ernst des Films verkommt nicht im Ritual des ganzen
Drumherums. Er zeigt die Realität an der Eliteakademie, wo
bereits ein Zuspätkommen von 1 Minute mit dem Bann belegt
wird. Er zeigt die psychologische Malträtierung der Kandidaten,
der Selbstfindung, die Mühle der Ausbilder.
„Die Spielwütigen“ beschäftigt sich mit dem Alltag der
Ausbildung, mit dem Ereignis, mit der Show, mit den
verborgenen Verheißungen, mit der Introspektion, den blanken
Nerven, mit der Suche nach der eigenen Konzeption,
mit Extremen- und Extremsituationen, wo man bereit ist,
aufzugeben und unterzutauchen. VEIEL zeigt die Situation, so wie
sie ist: ein stetiges Ringen mit dem Ich, dem tätigen Schaffen,
dem Verhältnis zur Gesellschaftlichkeit (wenn etwa
Prodomos Antoniadis im Pfandhaus seine Gitarre versetzt, um
seine Miete bezahlen zu können), der Selbstkontrolle und der
Selbstbeherrschung.

Die Gängelung, das ewige Gezeter, der Wettbewerb und das
Konkurrenzverhalten werden gnadenlos auf den Prüfstand gebracht.
Es ist ein Spiel, das bis an die Wurzeln aushöhlt. Alles wird auf
Normalmaß gesetzt, wobei jede einzelne Szene bis zum erbrechen
stetig wiederholt werden muss. Gewiss, wer zusieht, wie sich andere
quälen, wird den Film für eine schlechte Parodie halten.
Und die Streitlust, die öfter zwischen den Schauspielschülern und
ihren Ausbildern aufflammt, kann einem als Absicht oder Täuschung
vorkommen.
Doch das ist es nicht.
VEIEL filmt Menschen, die sich bei Abwägung aller Argumente
für die Schauspielkunst entschieden haben, die dem Spott
trotzen, und in der Sprache sprechen, mit der sie seit dem ersten
Vorsprechen bekannt wurden.
VEIEL filmt den Film im Film: Schauspieler, die Schauspieler
spielen, Schüler, die von dieser Kunst was’ profitieren möchten,
fürs Leben, für das Ideal.

Deswegen ist „Die Spielwütigen“ sehr aufrichtig. Und als
Dokumentarfilm bricht er mit dem pathetischen Off-Dauerton.
Die, die zu Wort kommen, sind die, die es geschafft haben:
Stephanie Stremler, Constanze Becker, Karin Plachetka
und Prodomos Antoniadis.
„Die Spielwütigen“ ist vieldeutig: Porträt von angehenden
Schauspielern, ein tiefer Blick in die Schauspielerkaderschmiede,
ein ewiger Trip ins Unterbewusstsein, künstlerische Vervielfältigung-
und Produktion, Ernsthaftigkeit, verbale Ausfälle und individuelles
Mysterium bei Lehrern und Schülern.
Ungeschminkt verfolgt die Kamera diesem Melodrama.
Und am Ende zollt man ihnen Respekt, Anerkennung, viel Lob,
und wünscht Ihnen, dass sie sich auch im Leben wie an der
Schauspielschule durchsetzen.

Fazit: Alles im Leben darf nicht aus Plackerei bestehen.
Auch nicht, den ewigen Illusionen hinterherzulaufen.
Die vier jungen Menschen zeigen, dass man viel erreichen
kann, wenn man den Mut aufbringt, sich für seine Ideale
einzusetzen, auch dann, wenn die ganze Welt gegen einen
ist.

Dietmar Kesten 13.6.04 12:02