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Fahrenheit 9/11

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FIGURENBEZIEHUNGEN Dietmar Kesten 1.8.04 14:04

DIE MEDIEN LASSEN NICHT LOCKER

FIGURENBEZIEHUNGEN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 1. AUGUST 2004.

Sind CNN, ntv oder N24 die kommenden Vorbilder für den
Alptraum Krieg im Fernsehen, in den Medien?
Jeden Tag und rund um die Uhr berichteten nun diese Sender
von den Ereignissen des Krieges im März 2003.
Die Berichte vom Tod amerikanischer und britischer Soldaten
geben sich mit den vorrückenden Infanterieregimentern die
Hand.
Bilder aus Basra, Bagdad oder Kirkuk, die Schießereien zeigen,
Reportagen mit Soldaten, das waren die Highlights der
Sendungen. Auf den Straßen tote Iraker, US-Amerikaner,
die von einer Granate getroffen werden und im Leichentuch
weggetragen werden, zeigte Michael MOORE.
Dazu gibt es jede Menge Informationen, Wiederholungen,
Kriegstagebücher, Live-Sendungen, Einschätzungen,
Interviews mit Soldaten, die über ihre Panzerfahrten in
Bagdad mit Rockmusikbeschall berichteten.

Die Sucht nach Kriegsbildern verstärkt den Trend im
Fernsehen, den Zuseher in seinen Bann zu ziehen.
Die Sender haben gemerkt, dass der „Krieg der Sterne“
der „Krieg im Irak“ war und dass sich mit diesem Riesenprojekt
jede Menge Geld verdienen lässt.
Der Erfolg gerade dieser Fernsehanstalten wird mehr und mehr
berechenbar.
Neueste Übertragungstechnik hilft mit, den Angreifer und das
Bild des Guten zu bewahren, den Verteidiger mit jener Mischung
aus Untergangsangst darzustellen, die an die großen
Hollywoodfilme erinnern.

CNN, ntv und N24 betreiben Fernsehen wie die amerikanische
Filmindustrie, die den Weltmarkt beherrscht.
Krieg ist gutgemachte Produktion mit Darstellern, die siegen und
sterben.
Es sind jene Unterhaltungen, die mit einer Augenlust sondergleichen
unterlegt sind, die dem kriegerischen seine eigentliche
Faszination verleihen.
Das, was man Jahr für Jahr auf der Leinwand bewundern kann,
setzt sich hier konsequent fort.
Die Herzen werden wie bei der befreiten Jessica gerührt, die
großen Mythen und die ewigen Symbole beschworen.

Das schreiende Unrecht, das diese Welt zusammenhält,
entwertet nicht den Kriegsglanz, sondern steigert ihn noch.
Der Geist des 21. Jahrhunderts feiert wieder die Starken.
Und der Zenit der amerikanischen Weltgeltung ist noch längst
nicht überschritten.
Die bewaffnete Konfrontation ist auch der riesige digitale
Aufwand, der betrieben wird, um die Verteilungskämpfe und
die Krisen publikumswirksam darzustellen.
Diese Sender sind im kriegerischen Jahrtausend ganz oben.
Sie liefern Bilder, die nicht mehr in kleine Gedankengebäude
zu fassen sind. Krieg im Kopf: nur als Bild, als Videoclip können
wir diese Welt noch verstehen.

In einer Welt elektronischer Technologien, gibt es keine
Inselkontinente mehr, sind keine Orte übriggeblieben,
wo man sich dem Fernsehen entziehen könnte.
Bilder haben eben eine größere Wirkung als Wörter. Die
Geschichten, die ein Bild erzählt, begreift man sofort.
Das macht die Faszination von „Fahrenheit 9/11“ aus.
Diese Bilder sind gutgläubig, sie stehen aber auch in
der Tradition der amerikanischen Linken, die seit eh
und je behaupten, dass politische Filme nicht erzählen,
sondern ausdrücken sollen. Und die Darstellung von
Gefühlslagen, hier hat MOORE seine besten Momente,
gehört ohne wenn und aber dazu. Die Befindlichkeiten
entsprechen den Qualitäten der Bilder, Töne und
Farben.

Aus diesem Grunde liefern uns die Fernsehsender,
aber auch das Kino Dutzende Bilder, die über eine
lange Zeitspanne verteilt sind. Das ist womöglich ein
Beleg dafür, dass hier vielleicht die letzten Relikte des
traditionellen Journalismus ausgelöscht werden: der Kontext.
Das Leben, ein einziges Bild, mit dem Krieg verknüpft, mit
dem Tod, dem Sterben.
Krieg als wahrhaftiger Informationsgehalt, so könnte man das
Stakkato der fortlaufenden Geschichten im Fernsehen und im
Kino interpretieren. MOORE zeigt Bilder vom Sterben, die
aufrütteln sollen. Aber es sind nur mittelbare Bilder, die
den Krieg ächten, da die Unmittelbarkeit des gezeigten
die BUSH Administration treffen soll. Es sind dramaturgische
Bilder, die erst dann von der Bildfläche verschwinden,
wenn die Figuren auf ihre Ranch in Texas zurückkehren,
oder wenn Aufnahmen des BUSH Konvois auf der Fahrt
zum Capitol gezeigt werden.

Sie sind wie Seriensagas, die immer abgespult und erst
dann enden, wenn sie durch die nächste Geschichte und die
nächsten Bilder ersetzt werden.
Kriegs als Lebensfilm ist ein Fernsehereignis am Horizont.
Das Fernsehen hat wie das Kino, dass ein visuelles Medium
darstellt und eine Affinität zu sinnlicher Unterhaltung hat,
begriffen, dass seine Bildhaftigkeit das ideale Werkzeug
darstellt, den alten Traum der Boulevardpresse zu
verwirklichen, einen Weg zu finden, um Nachrichten so
unterhaltsam zu gestalten, dass sie dem Kino Konkurrenz
machen kann.

Fernsehen macht vor diesem Hintergrund aus jedem
Bericht eine ganze Wagenladung von Botschaften.
Es verbessert die Lebensfilme, und gestaltet den Krieg
nach diesem Muster.
Wie der Film, so liebt auch das Fernsehen Action und Spannung.
Einmal mehr im Krieg, der die Realität mit Bildern versorgt.
Kriegsfernsehen, die aufwendigste inszenierte Show des
21. Jahrhunderts?
War schon der Golfkrieg im Jahre 1991 eine bizarre
Serie gewesen, so wird das jetzt noch von den genannten Sendern
übertroffen.
Sie fassen den jetzigen Krieg offenbar so auf wie ihr übliches
Unterhaltungsprogramm, garniert mit Werbeblöcken und Sport.

Krieg als endloser Unterhaltungsfilm, die Gier nach Showbusiness.
So gelingt es den Sendern, die Realität zu überhöhen und ihren
Unterhaltungswert zu steigern.
Eine grauenerregende Vorstellung: Krieg als Ganztagsereignis!
Die Menschen sitzen den ganzen Tag vor riesigen Fernsehbildschirmen,
auf denen endlose Kriegsspektakel gezeigt werden.
Wer hätte geahnt, dass der Krieg einmal die allerbeste
Fernsehshow sein würde?

In dem Film „Wag the Dog“, (Regie: Barry LEVINSON, 1997)
hat ein amerikanischer Präsident eine Sexaffäre.
Um ihn vor einer Wahlschlappe zu retten, erfindet
sein Mitarbeiterstab mit einem Filmregisseur einen Krieg gegen
Albanien. Sensationsstorys geben sich die Hand, bunte Bilder,
verängstige Kinder, Tabellen und Graphiken, erfundene Geschichten,
und das Bedürfnis, den Bürger zufrieden zustellen, das ist eine
überaus gut gelungene Satire auf die amerikanischen Verhältnisse.
Michael MOORE setzt hier eigentlich an und verknüpft sein politisches
Statement mit Elementen aus der Privatsphäre von George BUSH:
BUSH beim Reiten, beim Golfen, BUSH auf seiner Ranch, bei
einem Besuch auf einem US Flugzeugträger während des
Golfkrieges usw.
Es entsteht der Eindruck, dass diese bunten Bilder der
Inkarnation des (Kino-)Helden James BOND gleichen. Und noch
mehr: trotz der Tatsache, dass der Film tatsächlich gelungen
ist, reduziert er sich auf „Gut und Böse“.
In der Anfangsszene von „Fahrenheit 9/11“ reitet BUSH mit
seiner Administration auf die Kamera zu. Das, was Ronald REAGAN,
der als Kinowesternheld begann, einst unterstellt wurde, nun wieder
eine (politische) Westernfigur zu sein, kommt in gleicher
Aufmachung bei MOORE vor. Das hatte er nicht nötig. Leider
suggeriert er dann (wahrscheinlich ungewollt), dass das
schnelle Verschwinden aus der Geschichte besser ist, als im
Todesballett auf einem Pferd abzuleben.

Es ist die Manifestation eines kollektiven Glaubens, dass es
möglich ist, durch die Macht der Bilder auf politische
Entscheidungen einwirken zu können.
Ob es der Volkswillen ist, wird man sehen!
In „Wag the Dog“ erscheint zuletzt der Präsident
als wahrer Sieger, währen der Regisseur unter mysteriösen
Umständen stirbt.
Fernsehen und Film formen Nachrichten so um, dass sie
dramatisch wirken, unterhaltsam. So dringt es in die
zugänglichen Wohnzimmer ein und überschüttet das lechzende
Publikum mit der größten Story überhaupt: mit dem Krieg, oder
mit denen, die ihn führen.
Wer dieses gemeinschaftliche Fenster öffnet, der
begibt sich unweigerlich auf die ideale Bühne von
“Wag the Dog”.

Fazit: Wer letztlich Wahlkämpfe führt oder gewinnt,
und sie mit politischen Botschaften verknüpft, der kann
auch sämtliche Kriege als Showbusiness stets neu verpacken.
Michael MOORE wird das begreifen müssen; denn sonst
ergeht es ihm nicht anders, als anderen Filmemachern.

Dietmar Kesten 1.8.04 14:04