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Harry Potter und der Gefangene von Askaban

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Immer wieder grüßt das Murmeltier Dietmar Kesten 5.6.04 11:19

HARRY POTTER UND DER GEFANGENE VON ASKABAN

UND IMMER WIEDER GRÜßT DAS MURMELTIER

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 5. JUNI 2004.

Und immer wieder grüßt das Murmeltier- so könnte man sagen.
Aber will man das wirklich?
Der Erfolg gibt den Machern recht. Für einen anderen Weg
haben sie sich bekanntlich nicht entschieden. Düstere
Wolken über Hogwarts. Ein neuer Potter-Film, der die
Erfolgsautorin Joanne K. ROWLING, die durch die Geschichten
um den jungen Harry Potter reich und berühmt wurde,
bestätigt. Ein Märchen für jung und alt, so die übereinstimmenden
Kritiken, das Verschlüsselungen beinhalten soll, die in die
Gefühlswelt junger Menschen hineinpassen.
Das sind Aussagen, bei denen man vor Staunen den Mund nicht
mehr zubekommt.

Wenn alle Moden und Revivals im Film durch sind, landet man
bei Potter.
Nichts gegen die Trickbilder, die computerisiert und neu
gemischt, ohne Schnörkel gesteuert, den Zeitgeist atmen, die
die fliegenden Teppiche und die Geister aus der Flasche, die
noch einst die „Sindbad“ Reihe (1947ff.) bestimmten, schnell
vergessen machen lassen.
Doch in all diesem Trubel der Effekte nimmt das unvermeidliche
seinen Lauf, so als wolle man die Scheidung der eigenen
Eltern nicht wahrhaben.
Wenn Geschichten grenzenlos vermixbar sind, wird Potter
(Daniel RADCLIFFE) vielleicht irgendwann nicht mehr
der „Gefangene von Askaban“ sondern der
„Gefangene von Alcatraz“ (abgewandelt von „Flucht von
Alcatraz“, Regie: Don SIEGEL, 1979) sein.

Was soll man also an Potter kritisieren?
Wenn die inkriminierte Kritik sowieso an der Verkaufsstrategie
der Macher abprallt, oder an Alfonso CUARON
(„Little Princess“, 1995, „Große Erwartungen“, 1997), der
Regisseur dieses Potter Films ist, dann fragt man sich,
was denn die ewigen Draufgänger, die sich anschicken, mit
gesellschaftskritischen Seitenhieben dieses Produkt nur
als episodenhaften Einblick in ein gespieltes Psychodrama
zu deuten, eigentlich wollen?
Bei Potter ist es wie bei allen Kinder-, Märchen- oder
Erwachsenenfilmen: sie meinen tendenziell das Gute und
verdammen das Böse.
Der Grat ist indes schmal, auf dem diese Nadeln balancieren.
Wer in diesem dritten Teil ausmachen will, wer Gutes, wer
Böses im Schilde führt, der mag sich abstrampeln.

Die Welt verändert sich in ihren Zuordnungen.
Und die typischen Pubertätserfahrungen sollten nun nicht
ausgerechnet an Potter festgemacht werden, an dem doch
ersichtlich den Kinderschuhen entwachsenen Harry,
der fraulichen Hermine (Emma WATSON), oder denen
nur so von Selbstüberschätzung strotzenden Erwachsenen
Ron Weasley (Rupert GRINT) und Draco Malfoy (Tom FELTON).
Psychologisch betrachtet ist Potter nur die Summe vieler
Kindheitsträume, Dinge zu tun, die man nicht bereut,
und bei denen man niemanden rechenschaftspflichtig ist.
Verführung und Verunsicherung, zwei Traumelemente
von ganz unterschiedlicher Bedeutung, die in den Potter Filmen
mitten unter den Lebenden weilen, obwohl sie
im Unterbewusstsein angesiedelt sind.

Und die Summe kann nur die Bereitwilligkeit der Filmbranche
sein, sich hier wiederzuerkennen, oder zu begreifen,
dass die meisten Menschen im Kino „gut funktionierende
Idioten“ sind (Robert LEVINE: „Die großen Verführer.
Psychologie der Manipulation“, München 2003).
Diese These hat etwas: zeigt sie doch, dass das
Unterbewusstsein genauso verführbar ist, wie das
Tagträumen.
Zeigt sie auch mehr, dass wir andauernd unzufrieden sind,
mit dem, was das Kino zeigt.
Sie zeigt noch viel mehr: lässt der Filmbetrachter sich auf
Potter ein, auf die märchenhaften Elemente, wenn er
will, und wenn die Türen zur Erwachsenenwelt weit
aufgestoßen werden, dann ist das ein Novum.
Ist das aber dann auch das Neue im Kino?
Ist dass das Kino, das die Unzufriedenheit endlich
abschlägig betrachtet, den Kritiker in seinen Turm
befördert?

Wer Filmerfahrungen darauf reduziert, dass letztlich nur
die Eichhörnchen die Bösen sind, der lässt sich auf
viele schmerzhafte Momente ein.
Was ist Harry Potter?
Ausdruck menschlicher Freiheit, sittliche Tugend,
Vorschein der versöhnten Gesellschaft- nur ein Märchen
am Beginn des Erwachsenwerdens?
Über Potter scheint die soziale Bewunderung zu schweben,
die großen Erwartungen, der Kultstatus, in den er
jetzt schon erhoben wird, der Bann, in den nicht nur Harry
gerät.
Der verheißungsvolle Titel hält seinen dunklen Unterton
aufrecht; denn nur so kann Potter das Projekt von allen
Zwängen befreien. So kann der Eindruck entstehen,
dass sich hier eine klassisch-romantische Trauer über den
Verlust der eigenen Kindheit niederschlägt.
Doch Potter poltert im Wechselbad seiner Gefühle in das
eingangs beleuchtete Stimmungsbild, in die
schön-hässlich verführerischen Bilder, um sie dann zu
reflektieren.

Um das Vorurteil einzudämmen, dass hier eine gewagte
Interpretation erfolgt, soll daran erinnert sein, dass das
Kino überhaupt in Permanenz gewagt ist.
So zieht es auch jene Interpretationen nach sich, die
manchem Filmbetrachter verborgen bleiben, weil sie
die Handlungsfiguren und deren Mittelmäßigkeit in
keinen Zusammenhang bringen können.
Und Potter erscheint nicht als Ausnahme.
Der Film wurzelt in keiner spezifischen Kultur im eigentlichen
Sinne.
In seiner Lesbarkeit gibt es nichts, was man nicht von
ähnlichen Potter Filmen kennt.
Dieselbe Struktur, Konventionalität, Klischees,
zwar formal gekonnt, stilistisch erprobt, doch insgesamt
der Ausradierung von Widersprüchen unterliegend mittels
neuer Geschichten, aber immer wieder mit demselben Sinn.

Für die einen mag Potter ein Meisterwerk mit einem
Meisterregisseur sein, der den Filmreigen jetzt schon
in einen „Kultstatus“ (so Michael VAUPEL in der
Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 3. Juni 2004)
erhebt, für die anderen ist Potter nur ein Zustand, der
vorübergeht. Und genau hier muss man es lernen, die
diametral entgegengesetzten Positionen zu akzeptieren.

Fazit: Ist Potter nur eine Geschichte von Glück und Unglück,
Schicksal oder Selbstbestimmung, idealistischen
Prämissen und mythologischen Botschaften, oder doch
nur ein Spiel mit Wahrheit und Fälschung?
Potter bleibt in der Familie. Das anschauliche Bild
ist in die Jahre gekommen. Da wird es in jener Eintracht
bewahrt, die sich goldammergleich in die Lüfte
schwingt: sie fliegt oder bleibt. Das ist Konfliktware oder
Konfekt.
Eine Beurteilung des Films muss dann auch vor diesem
Hintergrund letztlich unterbleiben.

Dietmar Kesten 5.6.04 11:19