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Höllentour

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Mit Zabel auf Du und Du Dietmar Kesten 3.7.04 14:08

HÖLLENTOUR

MIT ZABEL AUF DU UND DU

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 3. JULI 2004.

Der Dokumentarfilmer Pepe DANQUART hat einen Radsport-Film
gemacht.
„Höllentour“ heißt dieses Epos.
Im Mittelpunkt steht das größte Radsport-Ereignis,
die Tour de France, die wichtigste sportliche Veranstaltung
im Jahr, der Mythos des Radsports, die Geldmaschine,
der Egotrip, der seine Popularität aus den Helden
der 100 Jahren alten Tour zieht.
Die Sieger der Tour des France haben Sportgeschichte
geschrieben. Viele Namen sind in Erinnerung geblieben,
Toursieger, Tourverlierer, Einsteiger, Aussteiger, Männer,
die wie Kinder weinten, denen die Strapazen buchstäblich
ins Gesicht geschrieben waren, die tief fielen, hoch
hinauskamen. NENCINI (Italien), ANQUETIL (Frankreich),
GIMONDI (Italien), PINGEON (Frankreich),
JANSSEN (Niederlande), MERCKX (Belgien),
THEVENET (Frankreich), HINAULT (Frankreich),
ZOTEMELK (Niederlande), FIGNON (Frankreich),
LeMOND (USA), DELGADO (Spanien), INDURAIN (Spanien),
RIIS (Dänemark), ULLRICH (Deutschland), PATANI
(Italien) und ARMSTRONG (USA), das sind nur einige
Namen der Toursieger, die fast jeder kennt.

Zweite, Drittplazierte, Wasserträger, Helfer, Teamfahrer,
all die, die sich herausgefordert fühlen, für die Tour trainieren,
sind von Selbstzweifel geplagt, aber auch vom
unbändigen Siegeswillen durchdrungen.
Wer sich mit der Tourgeschichte beschäftigt hat, dem
gehen zwei Namen nicht mehr aus der Erinnerung:
Fausto COPPI, der begnadete Radrennfahrer aus
Italien, lieferte sich mit seinem Landsmann Gino BARTALI
seit 1938 herausragende sportliche Wettkämpfe.
Beide gewannen fast alles, was es hier zu gewinnen
gibt: BARTALI gewann die Tour 1938 und 1948,
COPPI 1949.
Aber es war auch Marco PATANI, der Italiener, der
die Tour 1998 gewann und am 15. Februar 2004 im
Alter von nur 34 Jahren verstarb, dessen Tod für
Nachdenklichkeit sorgte.

Jede Etappe bei der Tour wird neu geschrieben.
Jede Sportzeitung überhöht ihre Helden, wartet mit
Geschichten auf, die das Publikum lesen will, in
zahllosen Reportagen werden die Rennen in ein
mythisches Licht getaucht, die Kameras tragen dazu bei,
das Ereignis wieder zu entmystifizieren, um den
Fahrern dann wieder so nahe zu rücken, dass die Leidenschaft
mit dem ersten Bild schon erneut verklärt wird.
Die Verdopplung ist es, die aus den verzerrten Gesichtern,
mal in der Zeitlupe, im Schlussspurt, in der Gesamtwertung,
bei den Bergetappen oder im Einzelzeitfahren eine Art
Veranstaltung macht, atavistische Instinkte hervorbringt.

„Höllentour“ begleitet die Fahrer drei Wochen lang bei
der Tour 2003.
Fahrer, Helfer, Betreuer, Logistiker, Fans- sie alle kommen zu
Wort.
Mit drei Kameras verfolgt der Film alle wichtigen Etappen und
man bekommt Bilder zu sehen, die man im Fernsehen vergeblich
sucht. Die Kamera ist dabei, wenn die Details vorgestellt werden,
die der Räder und der Menschen. Trikots werden festgezurrt,
der windschnittige Helm noch einmal enger gestellt, Monteure
überprüfen ein letztes Mal die Räder, die Pedale im Anschlag,
der Zeitnehmer zählt die Sekunden bis zum Start- und ab
gehts.
Bei dem Tempo, das die Fahrer und das Feld vorlegen, ist es
schon ein Wunder, dass die Bilder überhaupt ins Kino gelangen.
Zielvorgabe des Regisseurs soll es gewesen sein, aus den
genialsten Schüssen am Tag die besten Bilder herauszufiltern.
Das ist ihm eigentlich bis auf das letzte Filmdrittel gelungen,
wo er nur noch auf Fernsehbilder zurückgreift.

Es beginnt mit Spaghettis zum Frühstück. Man sieht rasierte
Männerbeine, hört Handygesprächen zu, blickt auf die
Masseure, den Mannschaftsbus, ist dabei, wenn die müden
Männer sich zur Ruhe legen, wenn bei der Mannschaftsbesprechung
im Tourbus die letzten Details festgelegt werden. Hier herrscht nur
noch Ruhe und Anspannung.
DANQUART hat seine Fersen an das Team Deutsche Telekom geheftet.
Die Spitzenfahrer sind bekannt: ZABEL, ALDAG, KLÖDEN,
WINOKUROW. Sie fahren für Punkte, für den Etappensieg, fürs grüne
oder gelbe Trikot und natürlich für Geld.
KLÖDEN, der gleich zu Beginn der Tour schwer stürzte, und sich
dann bis fast zum Ende schleppt, ist bemitleidenswert.
Sie rechnen sich Chancen aus: ZABEL philosophiert über einen
möglichen Sieg auf einer Flachetappe. Beide üben sich in
verhaltenem Optimismus. WINUKUROW gelingt es, eine schwere
Bergetappe zu gewinnen. Im Mannschaftsbus herrscht trotz
der Niedergeschlagenheit Freude.
ZABEL stürzt bei einer Abfahrt, verletzt sich schwer an der Hand
und fährt dennoch zu den Besten auf.
Die Besten waren 2003 ARMSTRONG, ULLRICH, WINOKUROW.

Der Film zeigt ungeschminkt die Gesichter der Teamfahrer, teils
missmutig, erschöpft und gnadenlos ausgepowert.
Dieter RUTHENBERG, der Masseur, hat ein Gespür für den
Zustand seiner Sieger und Verlierer. Unter seinen knetenden
Händen blühen sie wieder auf.
Doch wenn ein Zeitfahren verloren geht, sich Verletzungen häufen,
dann sieht man, wie die Strapazen sich auch in seinem Gesicht
widerspiegeln.
Die Tour schafft Nähe und Distanz, zum Geschehen, zum
Massenspektakel, zum unsäglichen Reklame-Tross,
Sponsoren, zum Profisport, zur Berichterstattung, zu Doping und
Dopingsperren.
Tag für Tag zeigt der Film die Wasserträger, die die führenden
Fahrer versorgen, helfen, die Lücken zufahren, die manchmal die
eigentliche Arbeit leisten.
Die Versäumnisse des Films liegen hierbei auf der Hand:
indem er nur die Leistungsträger zeigt, werden die anderen
vernachlässigt. Die, die nach einer Bergetappe (Alp d’Huez)
nicht mehr aufs Rad steigen, von Reifenpannen geplagt
werden, oder wegen Erschöpfung aufgeben müssen.

Der Marktwert ist wichtig. Und darum geht es um das große
Geld.
Der Profisport fängt dort an, wo er längst aufgehört hat,
gesund zu sein. Er gibt in verkürzter Form den Inhalt des
Kommerzialismus wieder.
Denn die Geschäftemacher waren gezwungen, verschiedene
sportliche Einrichtungen zu schaffen, Trainer heranzuziehen
sportliche Talente zu sichten und große Summen für
Sportpropaganda zu verausgaben.
Die Tour ist dabei keine Ausnahme. Sie drückte dem Radsport
ihre kommerziellen Bedürfnisse auf und machte ihn dadurch
einseitig, weil sie nur auf Schaustellung und Profit
orientiert ist. So diskreditiert auch sie die Idee der
allgemeinen Gültigkeit des Sports.
Radprofisport ist wie Fußball, Formel 1, Boxen, Golf,
Basketball usw. eine Ware, die gekauft und verkauft wird.
Auch mit der Tour entstand ein internationaler Markt
für Sportartikel, Sportgrößen, Zubehör, Fachsportgeschäften,
Zeitungen und Vereine.
Die Käuflichkeit ist zur gesellschaftlichen Erscheinung
geworden, und deshalb verwundert es auch nicht, wenn der
Film (leider!) sich nur auf die Spitzensportler konzentriert.
Man bekommt den Eindruck, hier wird unterschwellig
Propaganda für das Team Telekom (2004 T-Mobile) gemacht,
für die Sponsoren und für den Professionalismus.

Der Film kippt.
Nach dem letzten Zeitfahren liegt ULLRICH einige Sekunden
vor ARMSTRONG und stürzt in einer Kurve. Wer selbst
fährt, kann hier mitempfinden. Die Hatz um Sekunden, um
den Poker, hält an. ULLRICH fährt tapfer weiter und wird
noch Zweiter. Seine Klasse, die auch von ZABEL neidlos
anerkannt wird, reicht jedoch nicht. Der Film fängt noch einmal
diese Dramatik ein. Die Montagen, die Zusammenschnitte
von Fernsehbildern, der Kampf um die Spitze- gut gemacht,
jedoch nicht gut genug für eine kritische Reportage.
Der Mythos wird eben doch nicht entmystifiziert. Die einstige
Rasanz der Außenaufnahmen, wie noch zu Beginn des Films
gezeigt, gehen verloren
Der pathetische Appell an Leidensbereitschaft und Willenskraft
bleibt bestehen, jene soldatische Tugenden, die mit jeder
Sportart verbunden sind.

Fazit: Die besten Momente hat der Film dort, wo er unkommentiert
Bilder einfängt, die der Fernsehzuschauer vergeblich sucht.
Die Show Tour de France taugt eben kaum zur Mythenzertrümmerung.
Wenn ALDAG und ZABEL nach Paris müde vom Sattel steigen,
dann blitzt nur einmal jene Unvorstellbarkeit hervor, die Außenstehende
kaum für möglich halten: sie haben durchgehalten!
Aber wie sagte schon Hennes JUNKERMANN: „Ein Radrennfahrer,
der sich nur auf die Tour konzentriert, ist eben kein Radrennfahrer.“

Dietmar Kesten 3.7.04 14:08