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Spider

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SPIDER - KEIN DRECK Dietmar Kesten 24.7.04 11:13

>Der Film ist was für frisch promovierte Psychologiestudenten, die werden da Ihre helle >Freude haben, und darüber diskutieren was wann wie wo gemeint war und gleich eine >Dissertation darüber schreiben, der normale Kinozuseher der frischblutende Körperorgane >sehen will wie diese durch die Luft mit Schallgeschwindigkeit geschnipselt werden, werden >sich bei dem Film fadisieren, darum nur.... (hier haben Sie abgebrochen)

Ich kann Ihnen nicht zustimmen. Auf gar keinen Fall.

1. Offenbar hält man die psychische Gestörtheit von Menschen
in der Außenwelt nicht für weiter gefährlich. CRONENBERG ist ein
Meister darin, dass zu verdeutlichen, um verständlich zu machen,
was sich in der „wahren Welt“ abspielt. Ihre Süffisance, mit der Sie
den Film abschlägig interpretieren, lässt vermuten, dass Sie sich nicht
die Mühe gemacht haben, ihn hinsichtlich der Frage „Gedächtnis“
und „Erinnerung“ zu betrachten.

2. Es kann doch nicht ihre wahre Meinung sein, zu behaupten,
dass „der normale Kinozuseher frischblutende Körperorgane sehen will“?
Was verstehen Sie bitte unter einem „normalen Zuschauer“.
Für eine detaillierte Antwort wäre ich Ihnen sehr verbunden.
Sollten diese Auffassung verinnerlicht haben, dann ist allerdings
dem Kino der Gewalt- und der Gewaltverherrlichung nicht mehr zu
helfen, und der Zuseher kann sich getrost auf Pro7 einklingen,
um „Die Alm“ zu sehen, wo es weniger blutrünstig zugeht.

3. Sie verkennen, dass der Film zu den zur Zeit meistdiskutierten
akademischen Themen gehört; denn CRONENBERG illustriert
nicht nur den Leidensdruck durch Verdrängung; denn die
Subjektivität allen Gedächtnisses zeigt, dass man manches eben
nicht vergessen kann. Vergessen und Verdrängung gehören in der
Philosophie engstens zusammen, vor allem in der Existenzphilosophie
hat sie einen herausragenden Platz (so bei JASPERS, HEIDEGGER),
ebenso in der Psychologie, die Sie mit einem Federwisch
abtun („was für frisch promovierte Psychologiestudenten“).
Erinnert werden soll an FREUD, ADLER, JUNG, BREUER,
KHELLA.

3. CRONENBERG plädiert zugleich gegen die Verklärung jedweder
Form von Erinnerung. Etwas Verdrängtes ins Bewusstsein
zurückzuholen, kann nicht nur schmerzhaft sein, es kann einen
Menschen vernichten. Das, was mit „a Dreck“ bezeichnet haben
(so Ihre Titelüberschrift) lässt darauf schließen, das Ihnen der Film
äußerst unbehaglich erscheint.
„Verrückten“, womit ich Sie keinesfalls meine, kann man diesen
Film nicht erzählen, weil er sehr viele Voraussetzungen macht, die
Ihnen beim zusehen des Films offenbar nicht zur Hand waren
(was aber nicht gegen Sie spricht, aber es ist nun mal so).
Hätten Sie sie gehabt, wäre Ihre Kritik, da bin ich mir sicher,
anders ausgefallen.

4. Die zwingende Aktualisierung des Films ergibt sich aus
der Aufmerksamkeit einer philosophischen Ebene, die des
Existentialismus mit seinen eindringlichen Bildern von der menschlichen
Existenz unter den Bedingungen des Spätkapitalismus.
Wahrscheinlich wird es vergessen, dass wir in einem geschlossenen
System leben (vgl. CAMUS). Diese eindringlichen Bilder können
vermutlich auch nur Psychopathen verinnerlichen, die sie nicht
an die Außenwelt dringen lassen. Wenn sie es tun, dann sind es die,
die Ralph FIENNES hochaktuell rüberbringt.

5. Das Spinnennetz ist übertragen die Gefangenheit des
Menschen (vgl. SARTRE). CRONENBERG macht aus seinen
Philosophischen Vorlieben keinen Hehl. Und das ist gut so, weil nach
all der nicht mehr zu ertragenen Blutrünstigkeit im Kino hier ein
Film ist, der die Tiefen menschlichen Seins und des Urgrundes
der Verletzlichkeit auslotet.
Es gibt keine Freiheit mehr, wir haben sie verspielt. Zu verantworten
haben wir das. CRONENBERG zeichnet sich ja hier gerade dadurch
aus, dass der ROHRSCHACH Test nur eine untergeordnete Rolle
einnimmt. In der Eingangssequenz sehen Sie die Farbtupfer auf einen
geronnenen Tapetenmuster. Er wird gar nicht bis zum Schluss
interpretiert. Er ist nur ein Hinweis auf den Ödipus-Komplex, darauf,
dass wir selbst die Mutter-Vater, die Vater-Mutter Beziehung
(je nach Sichtweise) bis zum Grab mit uns herumschleppen.
Niemand kann sich davon lösen.
Das sind dann im übrigen auch keine antiödipalen Unternehmungen
der Postmoderne, sondern einfache Fakten.

6. Sie finden den Film „saulangweilig, weil da eben nur gesprochen
wird, weil der Typ einfach krank ist, weil ich im Kino nichts sehen will
das noch kränker ist als ich, es kenne, von anderen Leuten natürlich und
weil ich nicht so einen Schizophrenen Typen, egal wie gut er ihn spielt die
ganze Zeit langweilig...“
Was erwarten Sie von CRONENBERG? Action, billiges Remake,
Humor, Slapsticks, blutiges Kino und Ballerei?
CRONENBERG ist nur aus der oben beschriebenen Sicht zu verstehen,
so wie LYNCH, HITCHCOCK, KUBRICK und viele andere.
Und weil CRONENBERG, den ich für einen der besten
Regisseure halte, wunderbar postmodern erzählen kann, hat er eben Ihren
Vorlieben kaum etwas gemeinsam. An Körpermedien und
neuem Fleisch ist er eben nicht interessiert.

7. „Spider“ ist ein Fremder unter Fremden. Das zu begreifen, wäre,
„Der Ekel“. Die einfachste Alltagshandlung für schizophrene
Menschen wird durch zum Bezug zu dieser Welt zum Problem,
da sie durch Absurdität bestimmt ist. Faszinierend, um das noch einmal
klar zu machen, ist FIENNES, der mit fast schweigender
Schmerzintensität Ihre saloppen Verweise auf die Schizophrenie im
allgemeinen vergessen machen lässt. Ich hoffe, dass Sie und ich niemals
zu den Menschen gehören werden, die innerlich verbrennen.

Dietmar Kesten 24.7.04 11:13