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Spider

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DER URGRUND DES SCHMERZES Dietmar Kesten 24.7.04 11:53

SPIDER

DER URGRUND DES SCHMERZES

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 24. JULI 2004.

Offenbar hält man heutzutage die psychische Gestörtheit von Menschen
in der Außenwelt nicht für weiter gefährlich. CRONENBERG ist ein
Meister darin, zu verdeutlichen, was sich in der „wahren Welt“ abspielt.
Generell geht es um die Thematik „Gedächtnis“ und „Erinnerung“.
Es ist wohltuend, dass CRONENBERG darauf verzichtet,
„frischblutende Körperorgane“ zu zeigen, womit der normale Zuschauer
im Kino ständig konfrontiert wird.
Es scheint aber so, dass diese Auffassung vom Hollywood Kino
verinnerlicht wird; denn die Gewalt- und die Gewaltverherrlichung
hat in einem unerträglichen Maße zugenommen, die auch
die Gewalt in der Gesellschaft widerspiegelt.
„Spider“ gehört zu den meistdiskutierten Filmen. Der Grund:
CRONENBERG illustriert nicht nur den Leidensdruck durch
Verdrängung; denn die Subjektivität allen Gedächtnisses zeigt,
dass man manches eben nicht vergessen kann.
Weil das so ist, und weil Vergessen und Verdrängung in der
Philosophie engstens zusammengehören (vor allem in der
Existenzphilosophie), hat sie einen herausragenden
Platz (so bei JASPERS, HEIDEGGER), ebenso in der Psychologie,
Erinnert werden soll an FREUD, ADLER, JUNG, BREUER,
KHELLA.

CRONENBERG plädiert zugleich gegen die Verklärung jedweder
Form von Erinnerung. Etwas Verdrängtes ins Bewusstsein
zurückzuholen, kann nicht nur schmerzhaft sein, es kann einen
Menschen vernichten.
„Verrückten“, kann man diesen Film nicht erzählen, weil er sehr
viele Voraussetzungen macht, die offenbar vielen Menschen nicht
zur Hand sind.
Die zwingende Aktualisierung des Films ergibt sich aus
der Aufmerksamkeit einer philosophischen Ebene, die des
Existentialismus mit seinen eindringlichen Bildern von der menschlichen
Existenz unter den Bedingungen des Spätkapitalismus.
Wahrscheinlich wird es vergessen, dass wir in einem geschlossenen
System leben (vgl. CAMUS). Diese eindringlichen Bilder können
vermutlich auch nur Psychopathen verinnerlichen, die sie nicht
an die Außenwelt dringen lassen. Wenn sie es tun, dann sind es die,
die Ralph FIENNES hochaktuell rüberbringt.
Das Spinnennetz ist übertragen die Gefangenheit des
Menschen (vgl. SARTRE). CRONENBERG macht aus seinen
philosophischen Vorlieben keinen Hehl. Und das ist gut so, weil nach
all der nicht mehr zu ertragenen Blutrünstigkeit im Kino hier ein
Film ist, der die Tiefen menschlichen Seins und des Urgrundes
der Verletzlichkeit auslotet.
Es gibt keine Freiheit mehr, wir haben sie verspielt. Zu verantworten
haben wir das. CRONENBERG zeichnet sich ja hier gerade dadurch
aus, dass der ROHRSCHACH Test als Hinweis auf das Gefangen sein
(ohne Freiheit) nur eine untergeordnete Rolle einnimmt.
In der Eingangssequenz sehen wir die Farbtupfer auf einen
geronnenen Tapetenmuster. Er ist nur ein Hinweis auf den
Ödipus-Komplex, darauf, dass wir selbst die Mutter-Vater,
die Vater-Mutter Beziehung (je nach Sichtweise) bis zum Grab mit uns herumschleppen. Niemand kann sich davon lösen.
Das sind dann im übrigen auch keine antiödipalen Unternehmungen
der Postmoderne, sondern einfache Fakten.

Was erwartet man von CRONENBERG? Action, billiges Remake,
Humor, Slapsticks, blutiges Kino und Ballerei?
CRONENBERG ist nur aus der oben beschriebenen Sicht zu verstehen,
so wie LYNCH, HITCHCOCK, KUBRICK und viele andere, die
jeweils eine andere Interpretation verlangen.
Und weil CRONENBERG, den ich für einen der besten
Regisseure halte, wunderbar postmodern erzählen kann, hat er
mit den landläufigen Vorlieben im Kino wenig gemeinsam.
Das zeigt sich dann leider auch an der Tatsache, dass der Film
nur noch in kleinen Kinos gespielt wird (den Kommunalen
Kinos) und nach 1 Woche aus den großen Kinohäusern
(z. B. Dortmund „Cine Star“, Essen „Cinemax“,
Bochum „UCI“, Duisburg „UCI“) wieder verschwunden war.
CRONENBERG ist eben nicht an Körpermedien und
neuem Fleisch interessiert. Das sollte man wissen, wenn man
sich den Film ansieht.

Fazit: „Spider“ ist ein Fremder unter Fremden. Das zu begreifen, wäre,
„Der Ekel“. Die einfachste Alltagshandlung für schizophrene
Menschen wird durch zum Bezug zu dieser Welt zum Problem,
da sie durch Absurdität bestimmt ist. Faszinierend, um das noch einmal
klar zu machen, ist FIENNES, der mit fast schweigender
Schmerzintensität entstehende Schizophrenie vermittelt.

Dietmar Kesten 24.7.04 11:53