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Spider-Man 2

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Die Maske fällt. Dietmar Kesten 10.7.04 11:01

SPIDER-MAN 2

DIE MASKE FÄLLT, ES BLEIBT DER MENSCH

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 10. JULI 2004.

Natürlich fördert „Spider-Man 2“ die Erfolgsstrategie
Hollywoods, natürlich ist der Film eine Fortsetzungsgeschichte,
die die Nacht in ihre dichteste Enge treibt. Doch im ruhigen
Schlaf findet man keine Ruhe; denn es ist klar, dass
„Spider-Man“ durch die Lüfte schwebt, um die Häuser schleicht
und mit der Sonne tanzt.
Natürlich ist „Spider-Man“ ein Alltagsmärchen, von dem man sich
faszinieren lassen kann; denn auch Erwachsene finden
mitunter am Wiederaufleben der Muster im Film hier und da
Gefallen.
In einer Zeit enttäuschter politischer Hoffnungen, des
gesellschaftlichen Niedergangs und wirtschaftlicher Krisen
könnte man zu „Spider-Man“ aufblicken; denn er dupliziert auf
seltsame Art die Jugendzeit mit ihren Spannungen zwischen
Phantasie und Reife, aber auch jene Unbeschwertheit, mit
der man die Dinge zu sehen vermag, wenn man jung ist.

„Spider-Man 2“ folgt den Teenie- und Fantasyfilmen,
den „Bandits“ (Regie: Katja von GARNIER, 1997),
„Ghostbusters“ (Regie: Ivan REITMAN, 1984,
Teil II, 1989), „Zurück in die Zukunft“ (Regie: Robert ZEMECKIS,
1985, Teil II, 1989, Teil III, 1990), „Gremlins“ (Regie: Joe DANTE,
1984, Teil I, Teil II, 1990).
„Spider-Man“ folgt ebenso den „Highlander“-Filmen: (Regie:
Russell MULCAHY, 1985, II, 1990, Regie bei III
Andy MORAHAN, 1995), den „Matrix“-Fortsetzungen:
(„The Matrix“, 1999, „The Matrix Reloaded”, 2003,
“The Matrix Revolutions”, Regie: Andy und Larry WACHOWSKI),
den “Tomb Raider” Filmen („Lara Croft-Tomb Raider“,
Regie: Simon WEST, 2001, „Tomb Raider - Die Wiege des
Lebens“, 2003), den „Harry-Potter“ Geschichten: „Harry Potter
und der Stein der Weisen“, Regie: Chris COLUMBUS, 2000,
„Harry Potter und die Kammer des Schreckens“, 2002,
Regie bei „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“
Alfonso CUARON, 2004), der „Herr der Ringe“-Saga:
(„Der Herr der Ringe - Die Gefährten“, 2001,
„Der Herr der Ringe - Die zwei Türme“, 2002,
„Der Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs“, 2003,
Regie bei allen: Peter JACKSON), den „Batman“-Filmen:
(„Batman“, 1988, „Batmans Rückkehr“, 1991, Regie:
Tim BURTON, „Batman Forever“, 1995, „Batman & Robin“,
1997, Regie: Joel SCHUMACHER)

Alle hier genannten Filme haben eines gemeinsam: sie
wollen auf ihre Art unterhalten, sie wollen ihre eigene
Geschichte weiterentwickeln, auf konventionelle Weise
Probleme auflösen und/oder mit phantasievollen Fluchten
in andere Welten aufbrechen.
Richard LESTER („Yeah, yeah - A Hard Day’s Night“, 1964,
„Hi, Hi Hilfe (Help)“, 1965, „Wie ich den Krieg gewann“ (1967),
„Die drei Musketiere“ (1973), „Die vier Musketiere“ (1974)
und „Rückkehr der drei Musketiere“ (1988),
„Superman II“ (1980), und „Superman III“ (1983) hatte
es einst vorgemacht.
Er erreichte lange bevor seine Fortsetzungsgeschichten in
die Kinos kamen, dass eine gewisse Vorfreude
vorherrschte, obwohl der Ablauf der „Superman“- Folgen
vorab bekannt war und nach dem gleichen Schema
produziert wurde.
Das tat im übrigen seiner Professionalität und der
visuellen Brisanz keinerlei Abbruch.

Die Helden werden im Film älter. Immer wieder laufen ihre
Aktionen und Situationen in den Spiegel hinein und aus diesem
wieder heraus: die Metapher für doppelte Realität, für die
verkehrte Seite der Gegenwart, für das unerreichbare Andere.
Und auch „Spider-Man 2“ setzt auf dieses imaginierte Idealbild
des Spiegels.
Doch die Spiegelungen werden verformt und verzerrt, es ist ein
Urbild im Abbild, das uns entgegentritt.
Ein Film kommt nach 2 Jahren wieder auf die Leinwand.
Beziehungsprobleme aus dem 1. Teil verwandeln sich nun: aus
den einstigen Real-Konflikten entsteht eine Realität.
Zwischen Fiktion und Realität stehend, kehren die Erinnerungen
zurück.
Tobey MAGUIRE und Kirsten DUNST sind älter geworden.
Das kann nicht überraschen. Die Ausstrahlungskraft beider
ist geblieben.
Beide, zwar immer noch verkrampft und nicht hochglanzpoliert,
aber dennoch gereift, kehren immer wieder
auf die Bühne zurück: im Film oder im realen Leben.

Peter Parker, der Comic-Held (einst von Stan LEE und
Steve DITKO seit 1962 erschaffen. Die ersten Geschichten
erschienen in der Serie „Amazing Stories“. Ab März
1963 entschied „Marvel-Comics“, eine Serie aus
„Spider-Man“ zu machen), durchlebte Abenteuer wie
Fulgor, Akim oder Sigurd.
Sie alle waren naiv, märchenhaft, Mythen in ihrer eigenen
Trivialität. Doch Peter Parker, ein Büchermensch, war
derjenige, der schüchtern war, keinen Erfolg bei Mädchen
hatte, sich in seine Erinnerungsfetzen verkroch- bis er
von einer radioaktiven Spinne gebissen wurde und fortan
nun seine Spinnennetze spann und durch sagenhafte
Klettersprünge, Netzattacken, vernetzte Künste auf sich
aufmerksam machte.
Zum eigentlichen Helden wurde er erst durch eine
Comic-Reise in die Vergangenheit, wo er traumatische
Erlebnisse hatte. Von Schuldgefühlen geplagt
(sein bester Onkel Ben kommt ums Leben) taumelt
er hin und her zwischen moralischer und geistiger
Korruption, und spinnt in dieser Wohlanständigkeit
nun sein weiteres Leben.

Seine Gegner sind korrupt, pervers, bisweilen tödlich.
Sie kommen aus dem Kleinbürgertum/Bürgertum.
Und in all seinen Kämpfen mit Schurken aller Art,
fehlen die Zeitsprünge nicht: die Geschichten von
Eifersucht, von der Familie und den erotischen
Phantasien.
Peters Geschichten waren nachvollziehbar, so wie
es heute die Soap-Operas im Fernsehen sind; denn auch
sie basieren primär auf der Subjektivität.
Für Peter Parker, alias „Spider-Man“, der zwischen
Verrückten und gefährlichen Psychopathen aufwuchs,
konnte sich seine eigene Identität nur am seidenen
Faden schwebend herauskristallisieren.
Das Ende seiner sorglosen Jugend, die sich durch die
Kategorie Zeit charakterisieren lässt, wurde eingebettet
in die sprichwörtliche Dramatik des 20. Jahrhunderts.
Erst die Katharsis erlöste ihn hier.
„Spider-Man“ muss nun ernsthafte Dinge tun, sich um seine
Mitmenschen kümmern, die Erfahrungen der Vergangenheit
und der verlorenen Unschuld machen, sich Freiräume
schaffen, die Welt retten, oder sie so sehen, wie sie ist; denn
der Zustand der Kindheit fordert das amerikanische Credo ein:
Macht erfordert auch Verantwortung.

Peter Parker, Till der Junge von nebenan, ist nun wieder
unterwegs. Er lebt allein in seinem Appartement, in
Manhattan, Peter Parker, immer noch ein Looser, kämpft
sich als Pizza-Lieferant durch den Verkehr und kommt wie
immer zu spät. Peter Parker, der immer versagt, mit starren
Augen in den Abgrund blickt, im College unaufmerksam
ist, weil er sich vor lauter Sorgen und aufsteigender
Müdigkeit nicht konzentrieren mag. Und ihn drücken
genau wie seine Tante May Finanznöte. Er kommt
zu Mary Janes Theateraufführung zu spät, zu seinen
Terminen als Zeitungsfotograf und vermag nicht die
trennenden Gitterstäbe zur wahren Wirklichkeit durchschreiten.
Er verschwimmt bis zur Unsichtbarkeit und wird
auf einmal mit Mary Jane konfrontiert, die kurz vor ihrer
Hochzeit mit einem Astronauten (Daniel GILLIES) steht.
Die Liebe gehört fortan nun mit zu einem Superhelden.
Die, die noch im 1. Teil für den Ausgang der Geschichte fast
unerheblich war; denn sie gehörte nicht zu einem Superhelden,
greift nun Besitz von ihm.

Es ist Mary Jane Watson, die er zurückgewinnen will, die
überdies noch auf allen Plakaten, die in der Stadt
aufgehängt sind, auf ihn herunterlächelt.
Peter Parker ist im Maskenfieber, ein Triebtäter der
Masken: Maske auf, Maske runter, Maskenball und
Maskenbildnis, er ist eine einzige Maskerade.
Das Spinnenkostüm, die Maske, das macht stark. Es gibt auch
überall Demaskierungen: vor der Geliebten, vor
Harry Osborn (James FRANCO), Peter Parkers Freund und
Feind, der auf einem manisch-panischen Rachefeldzug
gegen „Spider-Man“ ist, dem er die Schuld am Tod seines
Vaters gibt.
Die Zukunft ist nach oben offen: „Spider-Man“ rettet eine
voll besetzte U-Bahn und der Geheimnisträger entledigt sich
seiner Verpuppung: zum Vorschein kommt ein
Nachbarsjunge. Doch Hoffnungen, die entstehen können,
sind gefährlich, nämlich dann, wenn die Demaskierung
zu öffentlich ist, sie sich in Nebel auflöst.

Krisen kommen, Krisen gehen. Wie bei „Spider-Man“!
Der Wissenschaftler Dr. Otto Octavius (Alfred MOLINA)
weiß ein Lied davon zu singen.
Mit seinen Tentakeln sorgt er für akute Bedrohung.
Bei seinen Versuchen mit Energiemengen geht ein
Experiment daneben und er verwandelt sich in ein
Supermonster, das sechs Arme hat, zwei aus Fleisch
und Blut, Vier aus Stahl.
Sie übernehmen die Herrschaft über seinen Geist.
Von nun an liegt es an Peter, sich seiner eigentlichen
Bestimmung, seines Seins, zu erinnern und sich durch
New York zu schwingen, um Gutes zu tun.
Das unentrinnbare Seinsgeschick holt ihn ein, ganz so,
als sei die Gegenwart das Opfer, so als ob am Ende der
Moderne wieder ein neuer Anfang steht: das nackte
und schutzlose Leben, das es zu retten gilt.
Die Psyche von „Spider-Man“ ist dann auch wahrlich
ein Projekt der Moderne: hier werden Legenden zur
Wahrheit, hier erwächst neues Selbstvertrauen heran
und schrittweise verlagert sich sein abstraktes Leben
in den Kampf und in die Abwehr des Gegners.

Das mag in eine gewisse gesellschaftspolitische
Romantik einmünden; denn Parker ist ein schwärmerischer
Held und besetzt die Leerstellen, die sein Traum wären,
wenn er nur gekonnt hätte.
Doch es geht nicht alleine darum, sondern um das Überleben
in einer verzweifelten Welt für ein Dasein ohne
fortwährenden Ausnahmezustand.
‚Doc Ock’ lässt „Spider-Man“ nicht zur Ruhe kommen: es
kommt zu Kämpfen zwischen beiden: Kraft gegen
Schnelligkeit, Moral gegen Zorn, Frustration gegen
Wildheit- mit belebender Streitlust und entsprechender
Rücksichtslosigkeit. Ein Findungsprozess gegen
Identitätsverlustigkeit und lose herumliegende Enden der
Vergessenheit.
Am Ende besiegt „Spider-Man“ seinen Erzfeind nicht. Doch
er hat ihn belehrt: spiel nicht mit dem Feuer; denn Du
könntest darin umkommen. Er hat ‚Doc Ock’ zur
Einsicht gebracht, dass sich mit schierer Gewalt eine Idee
nicht zerfetzen lässt, oder besser, das den Fragmenten
einer Idee nicht so einfach der Zahn gezogen werden
kann.

Es ist das Verborgene, das unter dem Schleier unserer
Wahrnehmung liegt, darauf wartet, geweckt zu werden.
Konsequent zeichnet Sam RAIMI (Regie) die psychische
Entwicklung von „Spider-Man“ mit martialischer Kraft.
Sie ist schnell und trickreich, ohne Rast, mit Tempo und
spielerischem Witz.
Die Vorzeitigkeit um dieses Wissens wirkt keinesfalls
spannungshemmend, ganz im Gegenteil.
Je mehr der Film auf das Finale zusteuert, um so
furioser wird er.
Richtig glücklich ist aber Peter Parker nie.
Vielleicht will er es auch gar nicht werden?
Seine Auftritte handeln vom Konflikt, vom (Liebes-)Schmerz,
von Prophezeiungen, Demütigungen, Demaskierungen,
dem Erwachsenwerden, all den Dingen, die unsere
Psyche verhüllt und enthüllen mag, wenn sie sich denn
entkleiden lässt.
Die Spiegelbilder, die er durchaus zahlreich und durchdacht
entwirft, sind darum auch die Spiegelbilder der Zuschauer,
die sich selbst erkennen, oder die eigene Fremdheit erfahren.
Das Spinnenkostüm im Alltag abzulegen, die Netze zu
zerschlagen, hilft, das Alte zu entschlacken und sich dem
Neuen, dem gesellschaftlichen Aufbruch zuzuwenden, der
eigenen Identität fernab jeglicher Demütigung und Gängelung.

Fazit: Fürwahr ist der Film eine große moralische
Herausforderung.
„Spider-Man“ ruft in Erinnerung, dass wir aus unserem
Leben noch was machen können, machen müssen:
der Selbstverletzungen- und Verstümmelungen
mit Würde und Anstand entgegentreten, Verantwortung
zu übernehmen, gegen Wut und Racheakte
Woodstock und nicht Waterloo setzen, die Fäden des
Geschehens in der Hand zu behalten.
Das mag schwülstig klingen. Vermutlich ist es das auch.
Das, was übrig bleibt, ist die Botschaft: die Wege
zur Findung sind steinig, sie verlaufen nicht
widerspruchsfrei. Im Gegenteil!
Der Film beeindruckt nicht nur mit diesen Aussagen,
sondern auch durch die Konstellation zwischen
Action und Poesie, Ästhetik und Ironie, Erwartungen
und Entfremdungen, Humor und Utopie.
Der Rekurs auf die atemberaubende Action gestattet
mit Hilfe der Realismus-Elemente (Stadt-Szenen)
die Grenzüberschreitung zwischen Kinofilm und
voyeuristischen Wünschen außerhalb des Kinos.
Hier treffen sich Intimitäten und Mythos,
Illusion und Experiment, Provokation und
Coming-out.
Der Film mag zu artifiziell sein, die Szenen zwischen
Peter und Mary zu kitschig angelegt.
Überdies mag die Rolle von Otto Octavius nur auf die
eines mechanischen Wissenschaftlers, der mit wenig
Kommunikationsbedürfnis ausgestattet ist, reduziert
sein. Der Film über den Mann mit der Maske könnte
nur ein kurzlebiges, filmhistorisches Ereignis sein, ein
Versatzstück für filmische und populärkulturelle Mythen.
Unter dem Strich bleibt aber immer eine dramatische
Handlungsstruktur übrig, die in Parkers Entwicklungsprozess
eingebunden zu sein scheint.

„Manchmal muss man auch im Leben dazu bereit sein,
seine Wünsche aufzugeben.“ (Peter Parker)

Dietmar Kesten 10.7.04 11:01