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Sturz ins Leere

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Sturz ins Leere Dietmar Kesten 9.5.04 11:51

STURZ INS LEERE

EIN BERGSTEIGERDRAMA.

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 9. MAI 2004.

Bei meinem Besuch des Films „Sturz ins Leere“ im
Dortmunder Kino ‚Cine Star’ traf ich mehr durch Zufall
einen Bergfreund.
Wir unterhielten uns vor dem Film sehr angeregt über
die Dolomiten, die Marmolada, Kaisergarten und
Dachstein, über Touren an den ‚Drei Zinnen’, am
Matterhorn, versicherte Klettersteige und Bergwanderungen
im Mount- Blanc Massive.
Die Erinnerungen kamen an die Erstbesteigung
der Eiger Nordwand 1938 auf, als es Heinrich HARRER (vgl.
das Buch „Die weiße Spinne“, Berlin, 2001) mit
Anderl HECKMAIR und anderen gelang, diese schwierige Wand
zu durchsteigen, an das Drama um Andreas HINTERSTOISSER
und Toni KURZ, die im Juli 1936 qualvoll im Eiger starben,
oder an Reinhold MESSNER und Peter HABELER, die als
erste Menschen 1978 ohne Sauerstoffgerät auf dem
Mount Everest standen.
Die Tragödie am Nanga Parbat (1970), als MESSNER
seinen Bruder Günther verlor, ist vielen bekannt.
Auch das Drama am Mount Everest 1996
(vgl. das Buch von Jon KRAKAUER „In eisiger
Höhe“, München 1998), als die bekannten Bergsteiger
Scott FISCHER und Rob HALL ihr Leben beim Abstieg
lassen mussten, hinterlässt tiefe Wunden.

Bergsteigerfilme gibt es viele.
Der Eiger wurde verfilmt, der K2, das Matterhorn,
der Everest, Berge in allen Kategorien, auf allen
Kontinenten dieser Welt.
2000 sorgte der Film „Vertical Limit“ (Regie:
Martin CAMPBELL) für Furore.
Ein Actionfilm inmitten der anmutenden Bergwelt.
Nun ist „Sturz ins Leere“ in die Kinos gekommen.
Der Film handelt von der Erstbegehung
der Westwand des 6356 Meter hohen ‚Siula Grande’
in den peruanischen Anden.
Joe SIMPSON und Simon YATES brechen im Mai 1985
auf, um die Wand zu durchsteigen.
Als die beiden Bergsteiger den Gipfel erreichen, todmüde,
erschöpft, am Ende ihrer Kräfte, bahnt sich beim
Abstieg das Unheil an. Joe stürzt schwer. Er bricht
sich sein Kniegelenk und ist in aussichtsloser Situation.
Simon schneidet, um sich selbst zu retten, das beide
verbindende Seil durch. Joe überlebt diesen ungewollte
Aktion, und macht sich auf, sich selbst zu retten.

Kevin MacDONALD hat einen Film gemacht, der sich mit
der Frage des Überlebens in aussichtsloser Situation
am Berg beschäftigt, über Bergfreundschaft, über Menschen
in Extremsituationen, ihr Durchhaltevermögen, über Angst,
Eis, über die Philosophie des Überlebenden, und desjenigen,
der den Tod vor Augen hat. Er hat ein (filmisches) Tagebuch über
diese Tage in der Wand geschrieben, einen Dokumentar -Thriller.
Dieser Überlebenskampf der beiden Bergsteiger gilt für
Experten als herausragend.
Obwohl Simon YATES später in England heftigst angegriffen
wurde, so waren seine folgenschweren Entscheidungen
doch außergewöhnlich, und sind nur aus der Distanz zu
betrachten.

Der Film mag ein Bergsteigerepos sein.
Er offenbart aber, dass die Frage des Überlebens die
Summe aller Bemühungen am Berg ist, und er zeigt, was
Überlebenskampf heißt, und wirft die Frage auf, was in
in Extremsituationen lebensrettend sein kann.
Dass auch Profis falsche Entscheidungen treffen, ist
spätestens seit Rob HALL bekannt.
Und das Dilemma der modernen Bergbesteigungen liegt
einerseits an der Weiterentwicklung der modernen
Hilfsmittel, und andererseits an den Profitgründen.
Heute kann jeder Laie, der vom Bergsteigen nichts
versteht, auf dem Himalaja gebracht werden, und heute
sind die Großexpeditionen zum Umweltproblem geworden.
Ein Überleben in großen Höhen (mit Sauerstoff,
den planerischen, technischen und logistischen Mitteln
folgend, mit Basislagern und Funkkontakt) kann trotz
Verlust an körperlicher und geistiger Kraft zum Erfolg
führen, kann aber auch mehr Risiko sein, als oftmals
angenommen.

Beide Bergsteiger haben 1985 das ‚Glück’ herausgefordert.
Sie haben überlebt. Das war reine ‚Glücksache’.
In den Zwischenschnitten wird deutlich, dass sie der
Blindheit, der Abgestumpftheit, der Weigerung, aufzugeben,
trotzen.
Um diese Geschichte zu begreifen, muss man die Bilder
einwirken lassen.
Es sind farbenprächtige, prachtvolle Bilder über die Anden,
Bilder, die weit über sie hinausreichen, weil es darum geht,
sie und die Geschichte zu begreifen, und weil sich hier
trotz aller Philosophie, eine Einstellung widerspiegelt,
die nicht einfach über Bord geworfen werden sollte:
jeder hängt an seinem Leben!!
Die Berge sind eine Attraktion für viele Menschen. Es ist
de Herausforderung, die sie dazu treibt, Entbehrungen
auf sich zu nehmen, es sich zu beweisen, über ihre
eigenen Kräfte hinauszugehen.

Es mag sein, dass das idealisiert wird, was man
akzeptieren muss.
Es mag aber auch sein, dass hier Chancen liegen, etwas
über sich zu lernen, über Freundschaft, Moral, Chancen
das Außergewöhnliche zu erreichen, wie im übrigen bei
allen anderen Sportarten auch.
Wie im normalen Leben, das herausfordert, so ist man auch
in diesen Situationen ständig mit dem Hingezogensein
konfrontiert.

Die Moral ist die, das man durch das Bild hinein in
den Alltag tritt, in sich selbst schaut, wo es nicht minder
problematisch zugeht.
Dass das ‚Abenteuer Berg’ auch das ‚Abenteuer Alltag’
nach sich zieht, ergibt sich zwangsläufig.
Dort wie hier sind die Sitze, auf denen uns wir mal zufrieden
oder unzufrieden niederlassen, kein Garantie dafür, dass
sie für alle Zeiten stabil bleiben.
Es kommt darauf an, sie ständig zu erneuern, damit man
nicht ins Uferlose fällt.

Fazit: Das Spiel ist nicht aus. Der Film ist die spanische
Wand, hinter der sich nicht nur Bergsteiger bewegen.
Der Film zeigt es uns.
Erstmalig ein Film, der nicht immer die alten Klischees
bemüht.
Ein trotziger Film, der uns das Nachdenken über uns
nicht abnimmt.

Dietmar Kesten 9.5.04 11:51