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The Day after Tomorrow

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Die Wetterkarte kehrt zurück. Dietmar Kesten 28.5.04 17:02

THE DAY AFTER TOMORROW

DIE RÜCKKEHR DER WETTERKARE

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 28. MAI 2004.

Am 20 Mai 2004 lief auf RTL „Apokalypse Eis“, ein Effekte
Science Fiction-Film, der im Jahre 2013 angesiedelt ist.
Dort ist nach einem Metoreiteneinschlag auf der nördlichen
Hemisphäre die Welt nicht mehr so, wie man sie kennt.
Europa ist von massiven Schnee- und Eismassen bedeckt.
In einem letzten Flugzeug aus Berlin flüchtet eine
Wissenschaftlerin und ein Sicherheitsbeamter nach Marokko
und wieder nach Berlin zurück, um im Kampf gegen eine Bande von
Kriminellen, einen Satelliten in Stellung zu bringen, der helfen
könnte, den Supergau zu vermeiden.
Am 23. Mai konnte man auf RTL II den Streifen
„Wenn die Welt untergeht - Das Wetter Inferno“ bewundern.
Hier ging es um ein Jahrhundertgewitter mit den üblichen
Verdächtigen und Szenarien.

Bevor Roland EMMERICH („Star Gate”, 1994, „Independence Day”, 1995,
„Godzilla”, 1998, “Der Patriot”, 2000) sein “The Day After Tomorrow“ ins
Kino bringt, nahm das Fernsehen seine filmische Übung vorweg.
Die Fernsehkatastrophen die ins Wohnzimmer kamen, dürfen sicherlich
nicht als Konkurrenz zu EMMERICH betrachtet werden; denn
diese kruden Geschichten um hausgemachte Katastrophen, entpuppten
sich als Sturm im Wasserglas.
Doch wer die Deutzer Brücke und den Kölner Dom von
meterhohen Eismassen bedeckt sehen wollte („Apokalypse Eis“),
und sich mit Kugelblitzen, Hagelunwetter und Überflutungen
(„Das Wetter Inferno“) auseinandersetzen wollte, der bekam schon
einen Vorgeschmack auf die kalte Jahreszeit, die Herr EMMERICH
und der Stab seiner RP-Strategen schon seit Monaten ankündigen.

Roland EMMERICH, der sich am 21. 5. 2004 im Fernsehen (N24 und
Arte) zu seinem Film äußerte, gab sich ausgesprochen optimistisch,
dass die Zuschauer seinen Film annehmen würden.
„Der Film solle warnen... wenn er das erreicht hat, sei
viel gewonnen.“
Wovor soll der Film warnen?
Vor einer globalen Naturkatastrophe, vor dem bioatmosphärischen
Desaster, vor dem Schmelzen der Polarkappen, vor
Hagelstürmen, vor der Gefährlichkeit von Kometen und
Asteroiden, die die Umlaufbahn der Erde kreuzen und
ihr gefährlich nahe kommen können, Taifunen mit meterhohen
Wellen, vor Tornados, vor einer neuen Eiszeit, vor dem
Verschwinden des Ökosystems?
Gewarnt haben vor Roland EMMERICH viele, die unbekannten
Menschen, oder besser, die, die niemand ernst nahm.
Albert EINSTEIN hatte gewarnt, Otto HAHN, Robert OPPENHEIMER,
Fred HOYLE, Steven WEINBERG. Robert JUNGK, der
Zukunftsforscher hatte in seinen Büchern
„Heller als tausend Sonnen“(1956) und „Der Aufstand gegen das
Unerträgliche“ (1983) Gefahren, die dem Planeten durch die
Menschen drohen, drastisch verdeutlicht.
Herbert GRUHL schrieb einst ein Buch mit dem
nachdenklichen Titel „Ein Planet wird geplündert“ (1975).
Hoimar von DITTFURTH betitelte sein 1985 erschienenes
Buch bezeichnenderweise „So lasst uns jetzt ein Apfelbäumchen
pflanzen. Es ist soweit“.
Der verstorbene Carl SAGEN veröffentlichte 1983 sein Buch
über „Atomkrieg und Klimakatastrophe“.
In seiner „Nuklearen Nacht“ (1985) warf er den westlichen
Staaten „verantwortungslosen Hochmut“ vor und rief
zum „Mut und zur Verantwortung“ auf. Erst dann werde es gelingen,
die „geistige Blindheit der Politiker“ zu benennen.
Der Astrophysiker Martin REES schrieb in „Unsere letzte Stunde“ (2003),
dass „die Menschheit sehenden Auges auf „die ökologische
Katastrophe- mit der globalen Klimaerwärmung durch den
Treibhauseffekt, der Zerstörung der Natur, der Ausrottung von
Pflanzen und Tieren“ zusteuert.

Nun kommt Roland EMMERICH mit seinem Sommer-Blockbuster
und holt die Wetterkarte zurück.
Einmal davon abgesehen, dass es EMMERICH kaum gelingt,
tatsächlich die Dimensionen, die der Erde längerfristig den
Garaus machen könnten, zu benennen (etwa Nuklearenergie,
abrupte Klimawechsel, Asteroideneinschläge, verheerende
Erdbeben, Biotechnologie, vulkanische Supereruptionen,
Technologieschock, Kollision von Materie im interstellaren
Raum), und nur auf Effekthascherei aus ist, so ist auch der
Ablauf seiner Geschichte eine einzige Schlamperei.
Der Klimatologe Jack Hall (Dennis QUAID) warnt vor den Folgen
der globalen Ausbeutung der Ressourcen und dem damit
einhergehenden Eingriff in das Klimagefüge der Erde.
Nach seiner Theorie steht der Menschheit (sogar) eine neue
Eiszeit bevor.
Allerdings rechnet er damit erst in Jahrzehnten, wenn nicht gar
Jahrhunderten.
Die Realität holt den Wissenschaftler schneller ein als erwartet.
Innerhalb von Wochen gerät das Weltklima außer Kontrolle.
Erste Anzeichen sind schon zu erkennen: Fußballgroße Hagelkörner
über Tokio, in Shanghai fallen faustgroße Eiskristalle vom Himmel,
ein Dutzend gleichzeitig wütender Tornados in Los Angeles,
gigantische Sturmfronten peitschen den Atlantik auf, die
Wassertemperaturen sinken, in Neu-Delhi schneit es,
Dauerregen in New York und dann ein Blitzeis von Minus
100 Grad Celsius über Schottland, dass sogar Benzin gefrieren
lässt.
Doch außer Hall und seinem britischen Kollegen
Tery Rapson (Ian HOLM) will niemand an die nahende Katastrophe
glauben.

Die amerikanische Regierung sieht keinen Grund zum Handeln.
Sie nimmt seine Vorhersagen nicht ernst.
Als es schon fast zu spät ist, sollen Hall und sein Team, retten, was
zu retten ist. Evakuierungen im großen Stil sind angesagt.
Während der Professor, der nie Zeit für seine Frau (Sela WARD)
hat, mit der Koordination der Maßnahmen, die getroffen werden sollen,
beschäftigt ist, muss er sich auch noch mit den Problemen seines
Sohnes (Jake GYLLENHAAL) beschäftigen, der in New York ist,
das von einer gigantischen Flutwelle heimgesucht wurde.
Durch einen Kälteeinbruch droht der Big Apple zum Gefrierschrank
zu werden.
Der Klimatologe kann sein Versprechen nicht brechen, seinen
Sohn aus dieser Eishöhle herauszuholen...

Roland EMMERICH, der ‚Katastrophenfilmer’, bewies schon
mit „Independence Day“, dass im Super-Kino der Zukunft
nicht gekleckert, sondern geklotzt wird.
Die Zerstörung und Rettung der amerikanischen Kultur, die
dort manifestiert wurde, kostete 70 Millionen Dollar, spielte
weltweit mehr als 900 Millionen Dollar ein.
„Godzilla“ und „Der Patriot“ strotzen nur so von nationalem
Pathos. Und es verwunderte niemanden, dass
sein Hurra-Patriotismus auch auf internationale Kritik stieß.
EMMERICH schuf Filme der Untergangsbilder, Bilder,
in denen das wiedergefundene Glück zu einer Story wurde,
Geschichten von verlorenen Söhnen, die heimkehren,
die im Chaos wiedergefunden werden, von Amerikaner,
die sich stolz hinter ihre Führung stellen, die, wie in
„Independence Day“, zu einem verzweifelten Gegenschlag
ausholen.

EMMERICH erzählte von der Angst, die seit DARWIN
und dem „Ursprung der Arten“ durch die Weltgeschichte
huscht, davon, dass der Mensch die Krone der Schöpfung
ist, und davon, dass es einen planetarischen Zweikampf
zwischen der Natur und den Menschen gibt.
Seine Botschaften waren stets: gemeinsam sind wir
stark, wir trotzen jeder Bedrohung, wir schaffen das
Unmögliche!! Wir sind beseelt von Opfermut und
Tatkraft. Ein krebskranker Junge wird inmitten
von Schnee und Eisschock zum Fanal für einen
tränenrührenden Rettungsversuch.
Dem schließt sich nahtlos die Geschichte vom Vater
und Sohn an, die sich wie eine Dokumentarstudie
durch „The Day After Tomorrow“ zieht.
Das ist die Modifikation aller seiner Filme.
Auf der Suche nach ihm, hindurch durch Eis und Schnee,
fügen sich alle Story-Module aus dem Hollywood-Baukasten
bestens ineinander.

EMMERICH bedient wieder einmal alle Klischees, denen
er habhaft werden konnte.
Nahezu beutet er alle Filme aus, und verbrennt deren
geistige Energie, er verfeuert die Filmgeschichte zu einem
gigantischen Inferno:
Er verfeuert „Top Gun“ (Regie: Tony SCOTT, 1986),
„Krieg der Sterne“ (Regie: Georg LUCAS, 1977/1996),
„Kampf der Welten“ (Regie: Byron HASKIN, 1953),
„Das Arche Noah Prinzip“ (Regie: Roland EMMERICH, 1983),
„Stargate“ (Regie: Roland EMMERICH, 1994),
„Independence Day“ (Regie: Roland EMMERICH, 1995)
„Twister“ (Regie: Jan DE BONT, 1996) und viele andere.
Bei EMMERICH sind all diese Filme ein erstklassiger Brennstoff
für „The Day After Tomorrow“, der mit ca. 125 Millionen Dollar
fürstlich budgetiert ist.
Sie sind ein gefällig beigewirktes Unterfutter, um die
spektakulären Sequenzen mit nachhaltig wirkenden
Bildereindrücken festzuhalten.

Inmitten all dieser Filmmonumente stand die Story
der Reißbrettgeschichten, aus denen sich der Meister mit
Vorliebe bediente.
Diesmal hat er sogar, um Scharten des Scripts
auszumerzen, mit Jeffrey NACHMANOFF am Drehbuch
gearbeitet.
Doch besser ist dadurch die Story nicht geworden.
In Ermangelung eines menschlichen (oder wie in
„Independence Day“ außerirdischen) Feindes, wollten sie
scheinbar andere inhaltliche Reizpunkte setzen.
Die sind so platt geraten, dass man EMMERICH
einen Zirkus der Effekte vorwerfen muss, ein wildes,
aufregendes Spiel. Seine Figuren sind grob geschnitzt,
sogar platt, haben keinerlei Aussagekraft.
Das lässt ihn hier völlig verarmt aussehen.
Und wie der Präsident in seinem Science Fiction Epos
vor dem Weißen Haus warnend die Stimme erhob:
„Schiessen sie nicht auf die Außerirdischen“ (Bill PULLMAN),
so ist es auch hier jener stoische körperlose
Nachbar (Kenneth WEISH), der unrealistisch, stellvertretend für
die Menschheit, mit trüben Schmerzenstränen ein Land (fast) in
die Katastrophe führt, so dass es schon dokumentarisch
wirkt.

Das Inferno, dass EMMMERICH zeichnet, seine Inszenierung
des Untergangs, ist womöglich das, was der Kinogänger sehen
will. Deswegen hat er wohl auch das Geld ausgegeben und auch
die notwendige Naivität geopfert, um einen solchen Film
zu präsentieren.
Wer sich der Klimakatastrophe im Film, die über die
Nordhalbkugel rollt, nicht entziehen will, den spektakulären
(aber wenig realistischen!) Bildern, der wird auf seine Kosten
kommen. Spannend ist das allemal, wie vieles im Kino.
Aber genau das ist, was die Achillesferse von EMMERICH
(dass er sich hier mit PETERSEN trifft, sei nebenbei
angemerkt) ausmacht: EMMERICH weidet sich am optischen
Vergnügen, an der knalligen Dekonstruktionsorgie, an den
sichtbaren und unsichtbaren Bildern, an den Bildern, die
zusammenprallen. Der Voyeurismus entfaltet hier seine
Stärke. Man kostet die Katastrophe aus, isst Chips,
trinkt Cola oder Bier dazu. Hier kann sich jeder sein
eigenes Untergangsszenario basteln. Hurra, wir leben
noch! Es ist wieder Weltuntergangs, und wir sitzen
im trockenen!
Seine Helden suchen den verzweifelten Weg ins Freie, ins
Meer, ins Licht, in die Unterwelt, in den Tod, oder wohin
auch immer. Es sind die üblichen Verdächtigen, die sich
aus dem Bild stehlen, sich zusammenfinden, oder
ganz in der Versenkung verschwinden, das
obligatorische Leinwandschicksal erleiden.

Mojib LATIF, Wissenschaftler am Hamburger
Max Planck Institut für Meteorologie, hat eine eigene
Meinung über „The Day After Tomorrow“.
Meinte er doch jüngst im „Stern“ dass das dort „inszenierte Szenario
einer neuen Eiszeit“ „wissenschaftlich nicht haltbar“ sei.
In der Tat ist seine gesamte Geschichte ein einziges Ärgernis.
Sein vordergründiger Zeigefinger ist unernst; denn es geht ihm um
ein Leinwand-Inferno, um einen kommerziellen Erfolg,
um Effekthascherei, um Kino-Fernsehen im Großformat.
Dass die Ereignisse, die der Film kolportiert, binnen kürzester
Frist stattfinden, setzt das Unterbewusste frei: hier wird auf
eine Art und Weise mit den Ängsten der Zuschauer gespielt.
die man als wenig originell bezeichnen muss.
Hier ist das Drehbuch dermaßen schwach, dass die Logiklöcher
einen auf Schritt und Tritt verfolgen.

Diese Hohlkörper kennt man von EMMERICH.
„The Day After Tomorrow“ ist deshalb ein zweifelhaftes
Vergnügen. Nicht also nur wegen der hanebüchenen
Geschichte, der Rettungsmission, des typischen
EMMERICH Patriotismus (inklusive flatternder Fahnen),
sondern auch wegen der inhaltlichen Leere des
Films, wegen der Ereignislosigkeit, wegen des
fotogenen Freizeitvergnügens.
Roland EMMERICH und seine Glaubwürdigkeit: ein
ewiger Bruch. Um das Treiben der universalen
Filmmaschine zur Wahrnehmung zu verhelfen,
mag es hier die ästhetisierende Konstellation sein,
die den Film konsumierbar macht.
Unsere sprichwörtliche Bereitschaft, der Dauerästhetisierung
des Unheils zuzuschauen, ist das, was „The Day After
Tomorrow“ injiziert.

Fazit: Vielleicht hängt dieser Effekt mit dem eigenen Sehen
zusammen, des Konsumierens der Welt in aufbereiteten
Bilderströmen?
Emotionalisiert der Film?
Er stellt nicht mehr als Realitätsbruchstücke zusammen.
Er synthetisiert kühl. Er wird zum Stoff einer Kamera,
die alles registriert.
Kühle Bilder in geometrische Symmetrien gefasst.
Das sozusagen ‚übernatürliche’ Verbrechen spielt
sich nur in Montagen ab.
Diesem Gespenstertableau kann nur begegnet werden,
wenn man diese futurologische Basis verlässt und
damit beginnt, sich selbst ein Bild über die Natur
zu machen.

Dietmar Kesten 28.5.04 17:02