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The Day after Tomorrow

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Geschichten von Roland Emmerich Dietmar Kesten 29.5.04 12:00

THE DAY AFTER TOMORROW

GESCHICHTEN VON ROLAND EMMERICH

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 29. MAI 2004.

Dosenpfand Minister Jürgen TRITTIN ließ sich mit
Roland EMMERICH fotografieren. Al GORE kam dazu.
„The Day After Tomorrow“ bekam somit auch einen
politischen Stellenwert.
Im Film gibt es eine Massenflucht von US-Bürgern nach
Mexiko, denen nach anfänglichen Schwierigkeiten die
Einreise erlaubt wird. Dieses sowieso heikle Thema, bei
dem die US-Administration nicht unbedingt souverän
reagiert, erfährt hier eine Wende um 180-Grad.
Die politische Eiszeit wird zugunsten einer angeblichen
Wahrhaftigkeit beendet.
Welch eine Verfälschung der Verhältnisse!

Die Wiederkehr der politischen Unwissenheit wird bei
EMMERICH zum Dauerthema.
In „Independence Day“ (1995) war es der US-Präsident,
der die Versöhnung mit den Aliens anstrebte.
EMMERICH musste sich damals den Vorwurf gefallen
lassen, dass sein Präsident im Besitz der Wahrheit sei,
dürfe aber doch ihr zuliebe übertreiben und Unwahres
verbreiten.
In „Godzilla“ (1998) war es schließlich die halbe US-Army,
die den Feind zur Strecke brachte, und damit einen
heftigen Streit um diese Botschaft auslöste.

Immer dann, wenn EMMERICH dazu ansetzte, in seinen
Filmen politisch Stellung zu beziehen, fiel er auf die Nase.
Aber nicht nur diese direkten oder versteckten Bezüge
zu aktuellen politischen Diskussionen waren es, die ihm
eine Eiszeit bescherten.
Es waren auch die fragwürdigen Moralismen, mit denen er
aneckte.
Sein Patriotismus in seinen letzten Filmen stieß übel auf.
Es war sein Universalismus, der die Welt in relevante
Personen und eher unbekannte Konkursmasse einteilte.
Sein Konsens mit Hollywood ist es, der Amerika als
(immer) siegreiche Nation erscheinen lässt.
Die Freiheitsstatue, die in „The Day After Tomorrow“
im Schlussbild, zwar immer noch bis zu den Hüften in
Eis steckend zeigt, dann doch den Arm siegreich gen
Himmel streckt, kann auch als Symbol für seine
stetige Botschaft funktionieren: die, die überleben, die
allen Widerungen trotzen, in der Familie, in Freunden,
Liebes- oder Lebenspartnern Trost und Hoffnung finden,
werden die Sonne sehen.

EMMERICH erzählt von den Tragödien im Auenland,
wo die letzten Glühwürmchen dem pulsierenden Licht
entgegenstreben, die die versteinerten Verhältnisse
aufzulösen vermögen.
Er erzählt von Rettern, Geretteten und denjenigen,
die sich opfern.
In „The Day After Tomorrow“ schneidet ein Freund
von Jack Hall, der sich auf die Suche nach seinem Sohn
begibt, nach einem Unglücksfall das gemeinsam
verbindende Seil durch.
Das sind die Momente von Roland EMMERICH.
Und sie führen unweigerlich in die Unglaubwürdigkeit.
Im Sprudel des Geschehens operiert er mit legalen
Lüsten, die auf die Augen und Ohren der Zuseher insistieren.

Er bleibt trotz wiederholter Abgrenzung von seinen Kritikern
(„Ich war nie Patriot!“ - Westdeutsche Allgemeine Zeitung
vom 28. Mai 2004) bei seiner adretten Provinzwelt, in der
sich Moral und Geschichte mit Symbolkraft entfalten.
Wenn das Soziale bei ihm zur gläsernen Architektur
wird, dem sich seine Filme unterordnen, der
klassische Katastrophenfilm (denn was anderes ist
„The Day After Tomorrow“ nicht) ins patriotische abdriftet,
dann ist das Künstlichkeit, Oberflächlichkeit und bedient
den Provinzgeschmack.

Zwischen den Schicksalen im Film liegt überdies sein
bekannter Leerlauf.
In „Independence Day“ war es das lange Warten auf die
Außerirdischen, die später halb New York platt machten.
In „Godzilla“ war die theatralische Thematik zwischen
den einzelnen Sequenzen, die mehr als Langeweile
aufkommen liessen, in „The Day After Tomorrow“
ist fast ein Drittel des Films mit Episoden aus den
Städten, Beschreibung der Fakten, Konferenzschaltungen,
eingeschobener Dramaturgie (Hubschrauberabsturz,
Einbruch einer Wetterstation, Schaltungen zu einer
Raumstation etc.) angereichert, ehe der Film zur Klimax
ansetzt.

Die Verdichtung des Bildervorrates darf nicht
darüber hinwegtäuschen, das sie nur seiner eigenen
Kultur dienen.
Der Zweck heiligt die Mittel.
Filmisch ist Amerika, vor allem New York, bei ihm ein
Dauerrenner.
New York, New York!
Diedrich DIEDERICHSEN meinte in “Der Zeit” dazu:
„Diese und andere Weltstädte mit ihren
Spektakelarchitekturen und Signature-Skylines werden
gerne als... reine Repräsentation des allmächtigen
toten Kapitals gelesen.“ („Die Zeit“ Nr. 23/2004)
In der Tat schrillen die Alarmglocken, wenn EMMERICH
zum Husarenritt antritt.

Selbst seine Musik ist orakelhaft.
Seine Sopranchöre erinnern an David LYNCH, der
damit gerne seine Filme begleitete.
Bei EMMERICH hören sie sich wie eine
schrullende Harmonie an, kühl und glatt.
Hier sind sie nur ein Alarmismus, der nicht viel Sinn
macht.
Der schon zitierte DIEDERICHSEN meinte weiter dazu:
„Dies ist nun der erste Old-School-Katastrophenfilm,
der die Bilder des 11. September reintegriert in den
Hollywood-Fundus.
Die sich langsam durch die Straßenschlucht
Manhattans wälzende Flutwelle ähnelt der Staubwolke
nach dem Einsturz der Twin Towers fast bis zum
Zitat.“
„Oh, my God“, das hört sich an wie
„Mörderspinnen greifen an“, oder „28 Days Later“,
hört sich an wie „Independence Day“ oder
„September“.

Und seine Umweltschelte verliert sich um das
kunstvolle Tete-a-tete mit der Natur. Die Aussagen
in „The Day After Tomorrow“ haben bei näherem
Hinsehen nun fast gar nichts mit dem tatsächlichen
Stellenwert der Fragen einer Klimaveränderung zu
tun.
Dass ein Stehenbleiben des wärmenden Golfstroms
mit nachfolgender Vereisung der Welt Fakt werden
könnte, ist nach dem derzeitigen Stand der Dinge,
Humbug, gilt unter Ozeanografen als
phantastische Idee.
Doch EMMERICH setzt weiter stur auf diese Karte.
Er wollte der Aufklärung dienen und kann doch
keine Erklärungen anbieten.
Dabei herausgekommen ist ein B-Movie Film,
ein drittklassiger Katastrophenfilm mit einigen
spektakulären Bildern.

Fazit: Wer ein Katastrophendrama verfilmt,
der pfeift auch auf Genauigkeit und Recherche.
Ernsthaftigkeit ist nicht angesagt.
Stattdessen schwimmt man auf der Welle mit.
Die mediale Kultur hat den Realitätssinn
zersetzt.
Das Publikum giert nach immer neuen Sensationen.
„The Day After Tomorrow“ ist deshalb
eine Doku-Soap, eine Reality-Show mit verfälschenden
Ergebnissen.

Dietmar Kesten 29.5.04 12:00