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The Day after Tomorrow

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Versuch über einen Endzeitfilm. Dietmar Kesten 20.7.04 16:50

THE DAY AFTER TOMORROW

VERSUCH ÜBER EINEN ENDZEITFILM

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 20. JULI 2004.

Alles kommt wieder, alles geschieht noch einmal, alles
durchleben wir noch einmal: den Augenblick des Schreckens,
das Ringen mit dem Tod.
Die Geister der Verstorbenen sind auf einmal wieder
sichtbar. Das Grauen setzt sich zu Tisch. Götter sterben,
Aliens verfolgen uns, Zombies reißen uns in die Tiefe.
Die Mysterien nehmen kein Ende.
Im apokalyptischen Film besetzen wie in
„Independence Day“ (1996) Außerirdische unseren Heimatplaneten,
und planen die Übernahme. Übermächtige Tornados zerreißen
uns, Eiswüsten bedecken den Planeten wie in „The Day After
Tomorrow“.
Nur das Schicksal bleibt übrig, die blutige Schrift der
Geschichte, die sich wie ein roter Faden durch die
Handlungsstränge zieht.
Und alles bleibt dabei seltsam, in ein grelles, blenden
mystisches Licht gehüllt, von einer derartigen Intention,
die nur in der Phantasie sichtbar wird.
Die einfachsten Zeichen des Kinos sind Bilder, die haften
bleiben: die Lichtbeugung über dem Meer, die Wandlung
eines Buddha-Bildnisses, die Freiheitsstatue im Eis, eine
milchige Sonne im atomaren Fallout.

Die Endzeit im Kino ist die Ausweglosigkeit, der totale
Krieg gegen alles und für alles. In ihm gibt es nur eine Waffe:
die todbringende, der Blick in die Freude am Untergang.
Für ihn gilt vorweggenommen ‚We Came in Peace’,
obwohl das Böse und die Zerstörung kreiert wird.
Jede Geste der Barmherzigkeit mutiert im Augenblick
zu einem Weltspektakel. Die Zuckungen einer
Schiffsplanke entpuppen sich als monströse Gestalten,
die mir nichts, dir nichts aus dem Nebel aufsteigen und
erbarmungslos zuschlagen, ihr Werk vollenden, das in
Wirklichkeit der Menschen Werk ist.
Der Endzeitfilm kolportiert nur die Prophezeiungen
in raffinierter und geschickter Weise, die Katalepsie
nach sich ziehend, und mit einer derartigen Inbrunst,
dass sein Mystizismus schon Pathologie der
Gedächtniskunst ist.

Mit gnadenloser Gewalt hämmert er sein Stakkato
in uns ein: Kino Alpträume in Dolby, Dolby-Stereo,
den ganzen Raum ausfüllend. Die Katakomben, die
Arenen der Spätantike sind nur Spielbälle der Natur.
Köpfe rollen, Leiber zerbersten, Eingeweide verbrennen,
Flutwellen zerstören alles, der Klimagau lässt selbst
den Atem einfrieren.
Der Schrecken muss so schrecklich sein, dass wir uns
nie davon erholen mögen: mal mitleidig, dann wieder
hasserfüllt, mit triefenden Augen und zerrissenen Herzen.
Der apokalyptische Film hat den Kriege der Menschen
gut verstanden, er hat ihn individualisiert, ihn in uns
gesetzt, die Ganzheit angesprochen, den Körper
zerstört und den Geist eingenommen. Er hat die
Doppelnatur genau erkannt, ein Fanal gesetzt. Aus dem
surrealistischen Urvieh wurden Horror-Visionen, der Mythos,
die Science Fiction, die Agression.
Hingerissen von den bombastischen Bildern reißen sich
unsere Helden, die uns alle verteidigen wenn die Welt
in Gefahr ist, nicht mehr los. Dafür nehmen wir gerne zerstöre
Städte, zerborstene Wolkenkratzer, Hurrikans, brechende
Deiche wie in „The Day After Tomorrow” in Kauf, die
¾ des Planeten auslöschen, die Vegetation beseitigen, keinen
Raum mehr für irgendwelche Sozialstrukturen lassen.

Im endzeitlichen Film gibt es vielleicht drei Charaktere, drei
Überlebende, die beispielhaft das Eisen aus dem Feuer holen
sollen: einen starker Mann, eine gebärfähige junge Frau, ein
weiser alter Übervater, der weiß, wo es lang geht.
Sie sind es, die über die weiteren Wege der dezimierten
Menschheit oder anderer Arten entscheiden, die Nomaden des
Unterbaus, stets auf dem Sprung, das Material zu identifizieren,
die Außerirdischen wie in „Independence Day“ zu
kontaktieren, oder wie in „The Day After Tomorrow“
der Natur, die gnadenlos zuschlägt, zügellos wird, dann aber
sich selbst Mäßigung auferlegt, ein Schnippchen schlagen.
Symbolisch betrachtet tritt in ihm die gesellschaftliche Vermittlung
zwischen Politik und Ökonomie hervor.
Den Naturkatastrophen auf diesem Planeten folgt demonstrativ
die Schau ins Wunderland, das nicht ohne Gegenleistung zu haben
Ist.
Weil seine Fiktion die vermeintliche Realität ist, greift er
auf die rührenden Geschehnisse am Rande zurück, die uns die
Träne ins Auge treibt.
EMMERICH, der mit einer eigentümlichen Klimakatastrophe
spielt, lässt den Wissenschaftler Jack Hall nach seinem Sohn
suchen, der in New York festsitzt.
Der alberne Versuch, diese Vater-Sohn Beziehung in
ein Naturschockdrama einzubinden, ist zwar gelungen, aber
doch nur ein Trick, weil EMMERICH nur den Schock des
Diesseits bestens abbildet und nur mit einer fiktiven
Geschichte spielt, die er von Anfang an ins Spiel bringt.

Die Moderne hat sich selbst mit allen Gegensätzen, die das
Leben parat hält, in Szene gesetzt, und sie ist jetzt dabei,
sich weniger mit Ironie und Sentimentalitäten, sondern
mit Zynismus, der Obsession, der Urkraft des Urschrecks
zu beschäftigen.
Das ist soviel vom Wahn, dass die sonderbaren Ereignisse,
die laufend transparent sind, gar nicht mehr wahrgenommen
werden, von allein ertrinken, weil Kino perfekte
Inszenierung ist, eine zur Alltäglichkeit vorgedrungene
Metapher, das die Zivilisationsschäden geschickt
eindimensionalisiert.
Ein fataler Totalitarismus, der irgendwo immer irgendein
Halluzinogen ist.
Wenn schon ein Ende, dann bitteschön irgendwo romantisch,
weil der brave Konsument sich ja mit der guten Seite des
Films, oder den Guten überhaupt, identifizieren möchte.
Das Böse dagegen, selbst wenn es in Gestalt der Natur
auftaucht, ist zu verabscheuen.

Nicht diese neue endzeitliche kulturelle Wertsetzung ist
meilensteinhaft, vielmehr die überlieferten Gehalte.
Je schwieriger die ökonomische und politische Lage auf
der Welt wird, desto deutlicher treten alle gesellschaftlichen
und naturbedingten Widersprüche offen auf.
Zugleich wird überhaupt nicht erkannt, dass ein irrationales
Potential des Cinema mit Bedrohungen, Beschwörungsformeln,
der Nichtidentifizierbarkeit der Spezies, oder des globalen
Naturschocks nun gar nichts aus dem Nichts heraus entstanden
ist, sondern Tradition hat.
Ein Blick in die 100-jährige Filmgeschichte bestätigt das.
Und das zeigt auch, dass der Spaß an dem Untergang und das
Spiel mit den Tiefen der menschlichen Psyche auch immer eine
Entsprechung in gesellschaftlichen Zuständen hatte.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts liegt das Kino eindeutig im
Trend des symbolhaften, der Orientierung auf den Untergang,
ganz gleich, in welcher Form er auch auftreten mag.

Bei EMMERICH ist das Bewusstseinsmassage. Jedoch ist
nicht nur er der cineastische Untergangsmonteur, der den
Wahnsinn zelebriert. Das Kino ist voll von diesen
Absurditäten, den abstrusen Rückfällen ins Mittelalter,
wo man meinte, mit der Gedankenkraft die Realitäten
verändern zu können.
Der endzeitliche Film nimmt eine gewisse Vermittlerfunktion
zwischen der ökonomischen Rationalität und dem
Subjekt-Privatistischen ein.
Soll so vielleicht die entsprechende politische Form, die
die Quasi-Naturgesetzlichkeit des warenproduzierenden
Systems zum Alptraum werden lässt, hofiert werden?
Filme bekommen ihre Authentizität durch die Gegenstände,
die sie versuchen, bildhaft darzustellen.
Science Fiction, Endzeitfilme sind wie Raketenantriebe,
sie sind Kampfmaschinen, primär aus Eisen und Stahl,
oder wie in „The Day After Tomorrow“ aus Eis, Wasser,
Sturm oder extremer Kälte.
Auf dieser Ebene ist er eine Kampfgalaxie, die sich rasend
schnell ausbreite, so das Jack Hall kaum Zeit hat,
sich im Film richtig auf die Verhältnisse einzustellen.

Eigentlich gibt es ist filmgeschichtlich betrachtet, den Endzeitfilm
nicht. Ursprünglich war er ein simpler Zukunftsfilm.
Doch dort, wo er sich kulturgeschichtlich wandelte, seinen Fuß
in die filmische Darstellung des Katastrophenszenarios
setzte, brach auch die Zeit des Phantasiereiches an.
Er trat in der Maske der Science Fiction auf, war von Anfang
an bestrebt, die Mysterien der Natur zu entschlüsseln.
Der Mythos von „unfriendly takeover“ aus dem All hielt sich
hartnäckig, bis SPIELBERG mit seiner
„Unheimlichen Begegnung der 3. Art“ (1977) seinen Entwurf
von den friedlichen Aliens vorstellte.
Vielleicht ein Ausnahmefilm, ein Kinderfilm mit
Erwachsenenträumen, aber doch angsteinflößend.
Das waren Kinogeschichten ohne Ende. Seine verbissen
erzeugten Trugwelten sind es, die das schlechte Gewissen
der Erdbewohner in die bekannten Klischees umschlagen
lassen: wir brauchen nur die Botschaften zu entschlüsseln,
Wunder erleben.
Aber das war zu einfach, den Endzeitfilm nur aus
Abfackelei oder Mutation bestehen zu lassen, oder ihn so
zu interpretieren.

Seine Strickmuster waren immer die gleichen. Ob
bei „Twister“ (Regie: Jan de BONT, 1996),
„Godzilla“ (Regie: Roland EMMERICH, 1998), oder
„Armageddon“ (Regie: Michael BAY, 1998). Stets
waren es die Gewitterwolken und Naturängste, Riesenräder,
Tornados, Schmarotzer, der serial Killer,
Klaustrophobie, ein kapitalistischer Krieg mit
Computeranimationen.
Der Endzeitfilm ist Narzissmus, er hat sich in sich selbst
verliebt, in das Sterben, in die Art und Weise wie gestorben
wird, er zerlegt das Sterben, und zeigt, dass sein kultureller
Sinn etwas mit sozialgeschichtlichen Konflikten zu tun hat
in denen das „kulturelle Klima“ (Alexander MISCHERLICH)
zerstört, zerbrochen und vergraben wird.
Daher kann „The Day After Tomorrow“ durchaus als Angstfilm
bezeichnet werden, der bar jeder Wissenschaftlichkeit ist.
Er kann infolgedessen als ein verzweifelter Versuch angesehen
werden, eine Erklärung für gesellschaftliches und
naturhaftes Unglück anzubieten, ähnlich der
Beschwörungen von Naturgöttern in der primitiven Naturwissenschaft.
Sündenböcke sollen die Schuld am Übel tragen, bei EMMERICH
ist es der Raubbau an der Natur.
Das von den bösen Menschen gemachte soll mit ihrer
Vernichtung verschwinden.
Die aufkommende Eschatologie trägt deshalb archaische,
gewaltsame Züge, weil in ihr alle aggressive Energie aufgewandt
wird, die gleichermaßen infantil, manichäisch und paranoide
Bewusstseinszüge trägt.

Man erinnere sich nur an „Blade Runner“ (Regie: Ridley SCOTT, 1982).
Die Ruinenstädte gleichen den durch die Atombomben
vernichteten Städte Hiroshima und Nagasaki: nur weite Öde, soweit
das Auge reicht.
Bei EMMERICH sind es die Sinnfluten, die den Untergang
(re-)präsentieren und niemanden mehr verschonen.
Die Botschaft: man kann durch Charisma gerettet werden.
Da ist es nur konsequent, wenn am Ende von „The Day After Tomorrow“
der Mensch vor den Gletscherspalten der Natur bewahrt wird, selbst
wenn er dieses letzte Stück verspielt haben sollte.
Feuerstürme, Erdbeben, Flutwellen: hier bricht sich
das Delirium Bahn, die Finsternis des apokalyptischen
Feuerreiters kreuzt mit mächtigem Getöse die sphärischen
Bahnen der Erdenkugel.
Das alles vernichtende Gauklerbild leitet den Verlust des
Paradieses ein. COLUMBUS wollte es wiedergewinnen und
erreichte trotz bemerkenswerter Passagen und Winden nur
den verlorenen Garten Eden.
Der Endzeitfilm ist postmodern ausgestattet, aber gleichzeitig
wieder altmodisch und ohne wirkliche Alternative, deshalb
vermutlich sogleich wieder antipostmodern.
Denn der Rausch der Verblendung, die Finsternis und
Morgendämmerung, Apokalypse und Schicksalsschläge
für tausende Filmmenschen können nicht darüber
hinwegtäuschen, dass wir an einer Filmschwelle stehen,
wo der Schiffbruch unerlässlich sein wird und die
Instabilität zur Filmtür hereinkommt.

Fazit: Die Paranoia von Filmen wie
„Independence Day“ und „The Day After Tomorrow“
sind Paradebeispiele für die Beschränktheit von
Grundstimmungen, die die Filme angesichts realer Fiktionen
spiegeln.
Schließlich ziehen sie ihre Nahrung aus der ehrgeizigen
Zerstörungswut und (Natur-)Gewaltanwendungen.
Hier liegt das Potential des heutigen Kinos.
Der apokalyptische Film kann somit im entferntesten Sinne
als Manifestation, Vorbild und Chaos-Unbill gedeutet werden.
Welch fataler Schluss: die Verzweifelung eines Ehepaars
aus „Deep Impact“ (Regie Mimi LEDER, 1998), das auf die
große Welle wartet, ist den apokalyptischen Visionen aus
„The Day After Tomorrow“ ebenbürtig.

Dietmar Kesten 20.7.04 16:50