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The Door in the Floor - Die Tür der Versuchung

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EIN KLEINES MANIFEST Dietmar Kesten 23.10.04 12:15

THE DOOR IN THE FLOOR

EIN KLEINES MANIFEST

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 23. OKTOBER 2004.

Der 16-jährige Eddie O’Hare (Jon FOSTER) will sich
schriftstellerisch fortbilden. Er nimmt einen Ferienjob als Assistent
bei Ted Cole (Jeff BRIDGES), einem Kinderbuchautor an.
Den Sommer über verbringt er bei Coles auf dem Land.
Noch ahnt er nicht, dass er seine Finger und Hände, die eigentlich
für das Schreiben gedacht sind, anders gebrauchen wird.
Zunächst wird er von Ted nur als Chauffeur benutzt, weil dieser
keinen Führerschein mehr besitzt, den er versoffen hat.
Der tragische Tod der Söhne führt Ted und seine Frau Marion
(Kim BASINGER) auf die Verlustschiene und verschärft die
Ehekrise mit Macht.
Ruth Cole (Elle FANNING) muss mit ansehen, dass sich die
Eltern mehr und mehr auch von ihr entfremden.
Marion will den Sommer nutzen, Eddie zum Mann werden
zu lassen.
Es scheint so, als ob ihm seine Dichterqualitäten abhanden
kommen; denn Marion führt ihn in die Liebe ein.

Auf den ersten Blick erscheint „The Door in the Floor“
als hausbackenes Familiendrama. Doch man täuscht sich
schnell.
Eine gescheiterte Ehe führt zur seelischen Dramatik.
Die gedankliche Betrügerei scheint auf der Tagesordnung
zu stehen.
Bei sich findet man immer Milderungsgründe, bei den
anderen immer strafverschärfende.
Es ist wie mit Seitensprungagenturen, über die man
offiziell betrogen werden kann, was weh tun kann; denn
man betrügt und verrät.
Der Betrüger und der Verräter wiegen sich vermeintlich im
Recht. Wir haben dafür immer die guten Gründe auf unserer
Seite und lassen den anderen die schlechten.
Man erinnert sich nur daran, in der Beziehung nichts falsch
gemacht zu haben, was eine sehr angenehme Art des
Nichterinnerns ist.
Jeder erinnert sich in diesen Beziehungsdramen nur an das,
was ihm in den Kram passt.

So sind wir! Uns selbst blind. Man hält sich für besser als
andere, für intelligenter, für jünger. Meistens hat man kaum
Kriterien, um zu überprüfen und Maß zu nehmen.
Mit anderen Worten: man hat kein abgewogenes Urteil über
sich.
Eine Beziehung erscheint einem öfter wie ein Fisch, der
im Netz zappelt. Man ist hoffnungslos monadologisch
konstruiert: so riesig von außen, aber klein von innen.
Wir sehen nur die anderen, wie sie Intrigen spinnen.
Die Bosheit erschlägt uns. Doch: wir sind gut,
wahrhaftig, vielleicht kleingläubig. Krisen erscheinen uns
als Legenden, als Mythos. Es wird schon wieder.
Und nach überstandenem Geschlechtsakt kitten sich
die Verhältnisse wie von alleine zu, auch dann, wenn
wir nur schallendes Gelächter dafür ernten.

Ted und Marion bewegen sich augenscheinlich auf diesen
Abgrund zu.
Die Familie zerbricht nicht nur an diesen Umständen,
sondern auch an den Grabenkriegen und der Bigotterie.
Man lebt mit Illusionen und Träumereien. Man lebt mit
höllischen Jahren und den wenigen paradiesischen
Augenblicken, als ob sich diese haarsträubende Realität
zwischen Glück und Unglück zugunsten des Glücks
verbessern könnte.
Das vor allem ist der blinde Fleck dieser Erinnerungen, die
wie nicht zuende erzählte Geschichten in uns leben.
Was wir anderen angetan haben, scheint kein Gewicht
zu haben.
Eifersucht und sexuelle Begierde ist so ein Gefühl, dass
einen seltsam umschleicht, wenn man Ted und Marion
bei ihren täglichen Verrichtungen zusieht.

Kann man sich über die einfachsten Alltagsdinge
einigen? Mit welchen Erinnerungen leben sie?
Jeder von ihnen hält sich für besonders reich und
wertvoll. Je trister die Gegenwart in den Beziehungsdramen
erscheint, desto mehr wendet man ihnen den Rücken zu
und beschwört die alten Tugenden. Melancholie und
Destruktivität- die Reize, die Unverdorbenheit, die junge
Liebe, das sich fließen lassen. Man beschwört die Jugend,
die eine ganze Zeitepoche zu einem einzigen Augenblick
schrumpfen lässt. So kann sich auch Ted jener Romantik
hingeben, die er auslotet und durchaus amüsierend
verdeutlicht, wenn er sich der Aktmalerei zuwendet.

Die Coles gleichen uns. Nichts ist dem Menschen
natürlicher als in den alternden Beziehungen reaktionär
zu werden. Erst waren die Füße leicht, dann sind sie
schwer. In der abgerieselten Vergangenheit sucht man
Trost, Flitter, Orgasmen und unerfüllte Verheißungen.
Das Leben als Sanddüne. Das panisch aufgerissene
Auge wird in einen Strudel hineingerissen. Die Bilder
fließen wie ein Durchfall durch uns hindurch.
Und doch bleiben die Coles nicht mehr als Meyer und
Mozart nicht mehr als Müller. Sie stehen vor dem
Trümmerhaufen einer Ehe, die Hoffnung in sich trug,
bis sie jäh zerstört wurde.
„Witwe für ein Jahr“ von John IRVING wirkt auf
„The Door in the Floor“ wie eine Tragödie ohne
wirkliches Happy End.
Tod WILLIAMS kreiert die Destruktion.
Man lebt und ist noch nicht tot. Im Leben und im Tod
hat man wenig Freunde. Man wird vergessen und
bleibt vergessen. Man zieht sich zurück und verdrängt.
Die wenigen, die man im Leben hat, wenn man sie
benötigt, verliert man schnell wieder. Durch Intoleranz,
Dummheit und Arroganz. Die Erinnerung daran
wach zu halten, gleicht dem Höhlengleichnis von
PLATON. Der geblendete Mensch will noch einmal
seine Vergangenheit vergessen. Er hatte nie im Greis, den
er beiseite stieß, sein Ebenbild gesehen. Und glaubt
sich unsterblich.
Nun will er bleiben. Bleiben, obwohl er schon stirbt.
Bleiben, obschon er nicht mehr da ist. Bleiben in der
Familie, bleiben bei Ruth, bei den verstorbenen Söhnen,
bleiben im Partner, in der Erinnerung, nicht ganz
fort sein, obwohl sie (die Beziehung) schon mausetot
ist.

Was kann einen noch retten? Der Alkohol, eine junge
Liebe, eine neue Herausforderung?
Sie kommt durch Eddie, durch die Jugendlichkeit.
Der lange Schatten der traumatischen Vergangenheit
ist nun vergegenwärtigt. Und da sie nichts anderes ist,
als das Hineinholen der Vergangenheit in die Gegenwart,
ist auch der Film ständig dadurch ausgezeichnet.
Durch Verlust, Verdrängung, Veränderung und
Verselbständigung. Es ist die Hektik dieser Jahre, die es
nicht zulassen, den Punkt des Heute in Ruhe und
Harmonie zu verbringen.
Ein Melodrama vom feinsten ist dieser Film, der sich zwar
unterschwellig vieler Klischees und Mythen bedient,
einem manchmal als Zeitgeschichte mit Lichtbildern
erscheint, sich sogar selbst in vielen Facetten
dekonstruiert, mal zu burlesk mit schrillen Untertönen
ist, wie man es von IRVING schon kennt, mal die
Gratwanderung aus anderen Familiendramen
adaptierend.
Doch der junge Eddie bringt das Ergebnis hervor, dass
im allgemeinen für alle gilt: der Sieger benötigt
keine Moral. Marion kann mit ihm den Schmerz
vergessen. So sieht sie die einzige Möglichkeit, sich
ins Leben zurückzubringen und Eddie mit einem
verstorbenen Sohn zu identifizieren.

Der Sommer ist für ihn eine Findung, eine Suche.
Es ist die Suche nach dem richtigen Wort, das Ersetzen
der Interpunktion durch das Leben und die Liebe.
Geschichtenerzähler sind wie Bildhauer, die ihre
Gesichter in Stein hauen und sich ihre Dialoge
überlegen. Die Selbstreflexion darüber sind bedeutende
Details, die Eddie nach und nach erkennt.
Aus diesen Sätzen, deren Deklinierung und Akzentuierung,
den sorgfältig gesetzten Ergänzungen, ergibt sich eine
rudimentäre Fassung: ein mehr als trauriger Einblick
übe die Liebe, die von den Schatten der Vergangenheit
eingeholt werden, und die von den Traumata dieser
erdrückt zu werden scheinen oder schon erdrückt
worden sind.

Sollten die Protagonisten bis in alle Ewigkeiten immer
das gleiche Denken, die gleichen schlechten Erfahrungen
machen, die alten Lieder leiern?
Worauf warten sie: auf den Prinzen, auf die Prinzessin,
warten sie auf die Liebe, auf den Zustand etwaiger
Erneuerungen, etwas Aufregendes zu lernen, zu erleben,
oder nur selbstgefällig im Lehnstuhl sitzen und zu
kommentieren und Hülsen von sich zu geben?
Die Sprachlosigkeit von Ted überträgt sich schnell auf
Marion. Während sie mit beschaulicher Lust aus dem
Vergessen eine Erinnerungsgeschichte machen will,
sind Teds subtile Gesten Zuflucht und Dramatik.
Überhaupt ist es er, der für Kontrast sorgt, der obsolet,
unergründlich und forschend ist, der sich aber auch
durch erzwungene Verfälschung auszeichnet.

Man träumt sich in rosige Fernen mit beschaulichen
Handlungsorten. Sommerlicht und Atlantikküste.
Im Vordergrund jungfräuliches Ambiente, im
Hintergrund Botanik. Die Gegenwart zu genießen,
fällt allen schwer genug.
Die Waage des Glücks, die die Philosophen suchen:
wer könnte sie finden?
Es mag keine Liebe und kein Glück mehr auf Erden
geben.
Doch es gibt Glücksaugenblicke, die man ins Leben
schlägt. Etwas über sich selbst lernen, das wird der
Lohn für alle Zeiten sein.
The Time is Near! The Love is Near! Selbst wenn
Wir von ihr fortrennen und an ihr vorbeitanzen, sollten
w ihr öfter in die Arme fallen und sie öfter am
Schopfe erwischen.

Jeff BRIDGES („Die Fabelhaften Baker Boys“,
Regie: Steve KLOVES, 1989), „König der
Fischer“ (Regie: Terry GILLIAM, 1991),
„Spurlos“ (Regie: George SLUIZER, 1992),
„The Big Lebowski“ (Regie: Joel COEN, 1997),
“Arlington Road” (Regie: Mark PELLINGTON, 1999),
“Seabiscuit” (Regie: Gary ROSS, 2003)
Kim BASINGER („Getaway“, Regie: Roger DONALDSON),
„Pret a Porter“ (Regie: Robert ALTMAN, 1995),
“L. A. Confidential” (Regie: Curtis HANSEN, 1997),
“Ich träumte von Afrika” (Regie: Hugh HUDSON, 2000),
„8 Mile“ (Regie: Curtis HANSON, 2003)
und Jon FOSTER ( „Thirteen Days“, Regie:
Ronald DONALDSON, 2000) lassen den Film als
ausgewogen erscheinen.
Jeff BRIDGES, meist unterschätzt, beweist einmal
mehr sein komödiantisches Können und seine
mitunter tief unter die Haut gehende Ernsthaftigkeit.
BRIDGES, der hier sehr oscarverdächtig auftritt,
ist einmal der ‚Dude“ aus „Big Lebowski“, der im
Bademantel oder halbnackt herumirrt, einmal Jack Baker
aus den „Fabelhaften Baker Boys“ und einmal der
kenntnisreiche Historiker Michael Faraday aus
„Arlington Road“.
BRIDGES darf hier das ausleben, was uns eigentlich
verwehrt bleibt: die Grenzen zu überschreiten.
Seine dichte Körperlichkeit und seine Ambiguität werden
im Film selten erreicht.
BRIDGES ruft in Erinnerung, dass noch viel Potenzial
in ihm schlummert. Wenn er Eddie die tragische
Geschichte vom Unfall seiner Söhne erzählt, dann
ist man bei diesem Grauen, das sich in jeder Falte seines
bärtigen Gesichts niederschlägt dabei.

Kim BASINGER knüpft nahtlos an ihre famose Rolle
als Veronica Lake aus „L.A. Confidential“ an.
Ihre vergangene Schönheit, mit der sie niemals kokettierte,
blüht hier neu auf. Die 50jährige ist verletzliche und tragische
Heldin zugleich.
Sie ist mit ihren körperlichen Reizen, die sie dezent
zur Schau stellt, eine von Diskretion umgebene
Augenweide. Sie ist das Salz in der Suppe, atemberaubend
schön anzusehen, eine Versuchung, die sich in
zarten Linien porträtiert.
Mit nachdenklichem oder traurigem Blick betört sie und
ist dabei immer sinnlich. Sie ist die Schöne der Nacht.
Mit ihrer Ausrucksfähigkeit muss sie Jon FOSTER
faszinieren, der an ihrer Seite wegzuschmelzen scheint.
Sie steht für Frauen, deren Gesichter gezeichnet werden
müssen. Mit all diesen Details entstehen in den Köpfen
Bilder, die wir nicht so leicht wieder loswerden.
Die zentralen Geheimnisse werden am Schluss
erzählt. Wenn hier dann eine „Träne auf Reisen geht“
sollte man sie nicht unterdrücken.

Fazit: Ein Film, der aus vielen Erzähl- und Bewegungsphasen
besteht, der gewöhnungsbedürftig ist.
Der Vorhang geht auf: man sieht sich einer Geschichte
gegenüber, die die Entwicklung einer gescheiterten Ehe
dokumentiert.
Die Jugendlichkeit klopft überraschend an die Haustür.
Das Leben verändert sich. Und mit ihm die Liebe, das
Leiden, die Geschichten über das Vergessen, das
Leben und auch den Tod.
Mit großem Einfühlungsvermögen erzählt der Film ein
Stück Geschichte über uns. Das Leben erstarrt
manchmal zum Film. Wenn der Film das Leben
widerspiegelt, dann kann das auch manchmal Genuss
sein.
Überragend sind Kim Basinger und Jeff Bridges.

Dietmar Kesten 23.10.04 12:15