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The Machinist - Der Maschinist

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STIGMATISIERUNG. Dietmar Kesten 13.11.04 12:15

THE MACHINIST

STIGMATISIERUNG

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 13. NOVEMBVER 2004.

Trevor Reznik (Christian BALE), ein Maschinist, wird
von Ivan (John SHARIAN) verfolgt. So scheint es.
Ivan ist Furchteinflössend, ein monströses Monster, wenn man
diese Bezeichnung anwenden sollte: riesige Zähne, mehr als
hundert Kilo Körpergewicht, die linke Hand ist ein vernarbter
Klumpen mit Krüppelfingern.
Trevor ist ein Einzelgänger, der zwischen Arbeitsplatz
und seiner Wohnung pendelt. Seit Monaten hat er nicht mehr
geschlafen, er ist apathisch und traumatisiert. Alles um ihn herum
scheint stillzustehen. Seine Kollegen nehmen ihn nicht ernst.
Leidet er unter Verfolgungswahn, unter einer schlimmen Paranoia
unter abnormalen Verhaltensweisen?
Der Handlungsverlauf scheint keinen Sinn zu ergeben. Die Jagd
nach einem Mann, den niemand außer ihm gesehen haben will,
beginnt. Ist er manisch depressiv erkrankt, leidet der Held unter
jenen besonderen Symptomen, die man mit Dementia praecox
bezeichnet, leidet er unter emotionaler Abstumpfung, Verlust
von Antrieb und Initiative?
Verliert das eigene Ich den Bezug zur Realität, ist die Störung
von Trevor von Wahnvorstellungen durchzogen, wer ist dafür
verantwortlich, halluziniert er?
Der Film „The Machinist“ (Regie: Brad ANDERSON) problematisiert
gleich zu Anfang diese beängstigenden Fragen. Sie sind es doch,
die Trevor bei seinen Nachforschungen begleiten und ebenso
verunsichern. Das Trauma beginnt.

Was ist „The Machinist“: ein (Psycho-)Thriller, ein verwirrendes
Drama um Realität und Wahnsinn, ein Puzzle, das zusammengesetzt
eine bedrohliche Atmosphäre zeigen will, der man unterliegen
kann? ANDERSON („Session 9“, 2001) hält die Katastrophe fest.
Sie wird ungemütlich und gibt ein Rätsel nach dem anderen auf.
Wer hinterlässt jene seltsamen Nachrichten in Trevors Wohnung,
ist er Opfer von Verschwörungen; denn er war Schuld an einem
Unfall, bei dem ein Kollege einen Arm verlor?
Ist es letztlich nur die Schlaflosigkeit, die zermürbt, und die wie
eine Droge nur Facetten der alltäglichen Wahrnehmung zulässt?
So kann man den Verstand verlieren, so kann man jeden Moment
durchdrehen und nicht mehr ins Leben zurückfinden.
Wenn dazu noch die Wohnung, die einem zum existieren bleibt,
trist und marode ist, wenn Straßen und Landschaften monochrom,
eisig und düster sind, wenn sie dazu noch kein Licht zulassen
und wie ein felsiger Steilhang wirken, dann sind die Abgründe,
die sich auftun finster und erschrecklich.

Man erinnert sich gerne an Franz KAFKA.
In seinem Roman „Der Prozess“ (1914/15) heißt es an einer
Stelle:
„Jemand muss Josef K. verleumdet haben; denn ohne dass er
etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“
War es die Täuschung oder die Einbildung, die dieser Verhaftung
zugrunde lag? Was wollte KAFKA ausdrücken?
War es der Schock der Verhaftung, der hier unmittelbar
hervorbrach, und der die beklemmenden Vorgänge in eine
unerträgliche Widersprüchlichkeit hineinführte?
Sind es Strafvisionen, oder in Anlehnung an KAFKA
„Strafkolonien“, in der prophetische Visionen der
unvorstellbaren Grausamkeiten wahr werden, Strafphantasien,
die als psychoanalytisches Defensive gedeutet werden können,
oder ist es letztlich nur ein gescheiterter Existenzentwurf, der
sich hier herauskristallisiert, und der sich zum allgemeinen
menschlichen Desaster der Protagonisten emporschwingt?
KAFKA hatte diese Ebene des allgemeinen menschlichen
Versagens, wenn man so will, beschrieben.

Die menschliche Gesellschaft würde nach ADORNO zu nichts
anderem gut sein, als die „Verschleppung“ der Menschen zu
organisieren. „Der Prozess“ sein so die Verkörperung der
„bösen Welt“, sozialpolitische Realität der „modernen
Weltwirklichkeit“.
Tatsächlich erscheint sie uns als blinde Kettenreaktion,
mit immer neuen Verhaftungen, scheinbaren Freisprechungen,
Anklagen, sklavischer Abhängigkeit, ermüdenden
Beziehungen, Überrumpelungen, Quälereien, Demütigungen,
bitterster (Ent-)Täuschungen, Schockzuständen und
Barbarei.
Trevors Gedankengänge scheinen in seiner „bösen Welt“
gestört zu sein.
Die Routine der Wahrnehmung ist endgültig dahin. Der
Versuch der Wahrheitsfindung erweckt falsche
Vertrautheit. Er nimmt womöglich nur noch die
Gebrechlichkeit wahr.
Sein Denken wird unbestimmt und die plötzliche
Unterbrechung seiner Gedankenabläufe scheinen sich
gegen ihn selbst zu richten.
Trevor sucht die Spuren seiner Lebendigkeit, findet sie
aber nicht.
Er notiert seine Körpergewichte: 134, 124, 119 Pfund!
„Wenn du noch dünner würdest, würde dich man nicht
mehr sehen“, sagt Stevie (Jennifer JASON-LEIGH)
die Prostituierte. Trevor ist ihr bester Kunde.
Ihr vertraut er sich an und der Flughafenkellnerin
Marie (Aitana SANCHEZ-GIJON).

Verachtung, Demütigung, Zweideutigkeit und
Konfusion. KAFKA lässt nicht nur grüßen: filmisch
spricht er auch. Aus jedem Bild, aus den Dialogen, aus dem
düsteren Ambiente, aus der Abgründigkeit. Der Trip
ist präzise beklemmend.
Deshalb mag Trevors latente Stimmung auch launisch und
unausgewogen sein. Er scheint in Schüben zu halluzinieren.
Der völlige Schlafentzug führt zu auditiven und visuellen
Gedächtnislücken. Der fortschreitende Wachzustand
fällt zusammen mit der absoluten Einsamkeit.
Beides bewirkt den Wahn, der in zusammenhangslose
oftmals auch bizarre Erlebnisse einmündet.
Wenn Trevor diese Stadien durchläuft, erinnert man sich
an „Spider“.
Die Depression ist dort wie hier gleich. In der
Katalepsie muss auch Trevor den Verlust seines Ich
miterleben.

Die Selbstenthauptung, der er unterliegt, zerstört
auch die menschliche Einbildungskraft, in der
alle Regeln eingebunden zu sein scheinen: die
Spielarten der Kommunikation, Wahrnehmung
Begehren, Wünsche, Träume, Ideale, Phantasien,
Konsum, Veränderungen im großen und kleinen.
Sind sie doch nichts anderes als Hokuspokus des
global agierenden Kapitalismus. Dass seine
Lebensformen unentrinnbar in die Irre führen
müssen, erscheint plausibel.
Dieser Sinnesverlust steht Trevor buchstäblich ins
Gesicht geschrieben. Man kommt ohne aberwitzige
Dialoge aus, die wie Selbstgespräche dröhnen wenn
aus dem diensthabenden Körper jene
Sprechblasen entweichen, die Verständigung
hervorrufen sollten, aber doch mehr wechselseitige
Verachtung erzeugen.

Trevor lässt das alles in seiner Paranoia verdampfen.
Durch seine Welt schwebt ein unsichtbares Band,
eine zweite Haut, eine jähe und letzte Umarmung, die
für einen Todgeweihten bestimmt ist. Die undefinierte
Linie eines Getriebenen ohne analytische Rettung.
Doch es lässt sich nicht immer das Scheidewasser
finden, das den Schlamm vom Gold trennt, die reale
von der finsteren und fiktiven Welt.
Die Wachphasen sind ebenso ein Alptraum wie
Vernichtungspotentiale des Gedächtnis.
So kann es passieren, dass man auf der Suche nach
dem subversiven Zentrum den Wettlauf verliert.
„The Machinist“ hält alle Gegensätze parat, die dem
Betroffenen keine Kraft zur Reflexion seines Zustandes
lassen.

Filmisch betrachtet, ist die notgedrungene Wendung
von Trevor, seine Findung, der Rückzug auf die intensive
Beschäftigung mit sich selbst.
Bei „Spider“ war die radikale Selbstbezogenheit
jene Bewegungsart, die den Film von Anfang bis zum
bitteren Ende beherrschte.
Aber „Spider“ war nun auch kein psychologischer
Horrorfilm, der „The Machinist“ sein soll, könnte,
vermutlich ist, oder doch nicht, weil das Unwirkliche doch
besonders exzessiv dargestellt ist. Den Halt zu
verlieren, mit den Erinnerungen zu leben, mit denen man
nicht leben kann, ist wie ein schlechtes Gewissen,
das uns an Menschen bindet, das unausräumbare
Gefühl, überall auf rätselhafte Weise an allem Schuld
zu sein.
Und hier wird die abschüssige Ebene, die normalerweise
keinen Halt zulässt, zum Ankerwurf.
Man findet zu sich selbst. Im Trakt des eigenen Gefängnis
bekommt die Verwandlungsform des Ich die mögliche
Wendung, es erhält eine Überlebenschance.
Und nicht nur KAFKA ist es, der als Prototyp für eine
heftige Schuldabwehr aber auch Findung steht. Man könnte
auch DOSTOJEWSKI heranziehen, BENJAMIN, KRAUS,
HITCHCOCK, KUBRICK, FELLINI, ALTMAN,
LYNCH, CRONENBERG, vor allem aber Sigmund FREUD.
Die Wiederkehr des Verdrängten- literarisch und
filmisch laufen hier Höhepunkte nacheinander ab.
Das als eigentliches Motto des Film zu bezeichnen,
solle zu begreifen sein.
Den Kampf gegen die selbstgestrickte Anarchie
aufnehmen und gegen die Ströme des Vergessens
anzukämpfen, sich zu ‚verwandeln’ und den
schmerzhaften Abschieden zu entrinnen, sollte
dem kranken Denken den Garaus machen können.

Die bedrückende Gegenwart, Vision, Realität und
immer wieder Fiktionen. Das ist perfekt, besser noch:
phänomenal. Hier passt selbst der „Highway to Hell“,
oder doch „Road to Salvation”?
Man wird sich entscheiden müssen. So auch über die
Schlussbetrachtung.
Sie mag am Ende sehr frustrierend sein, weil gerade
sie aus dem Versuch geboren ist, etwas perfektes
zu machen. Und doch ist es das nicht, weil hier
„The End“ kein wahres Ende ist, sondern ein alter
Anfang für die neuen Abgründe, die von Klischees
beherrscht werden.
Und die neuen Bilder, die entstehen, fließen in die alten
ein. Alles hat seinen Preis. Selbst die Paranoia.

Fazit: Ein gelungener, streckenweise mehr als
überragender Film.
Die Kameraarbeit (Xavi GIMENEZ) ist fesselnd und
involvierend. Sie eröffnet weite Spielräume für kommende
Filmarbeiten.
Selten hat man Grautöne so grau gesehen, selten hat
man solche durchstrukturierten Bilder gesehen.
Die Industrielandschaft suggeriert die extremen
Angstzustände, die man entwickeln muss, wenn man
sich in deren Ruinen bewegt. Hierzu passt eigentlich
nur die Ruinenstadt aus „Blade Runner“ (Regie:
Ridley Scott, 1982).
Gespenstisch und erdrückend- hier sind die Bilder
der Gegenwart und der Vergangenheit präsent.
Christian Bale erschwert es ein wenig, den Blick auf
seine Gesamtleistung zu lenken.
Er kommt einem zuweilen vor, wie der sterbende
Holger Meins der ehemaligen RAF.
Ausgemergelt erscheint er auf der Bildfläche wie
(s)ein wandelnder Leichnam. Allerdings raffiniert
in Szene gesetzt.

Dietmar Kesten 13.11.04 12:15